Aufrufe
vor 11 Monaten

DIE FURCHE 11.01.2024

  • Text
  • Kirche
  • Philosophie
  • Frauen
  • Geschichte
  • Welt
  • Papst
  • Wien
  • Foto
  • Menschen
  • Furche

DIE

DIE FURCHE · 2 10 Diskurs 11. Jänner 2024 Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. ERKLÄR MIR DEINE WELT Während ich lese, wächst die Sehnsucht Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Bevor ich den ersten Brief im neuen Jahr an Sie schreiben wollte, habe ich noch einen Blick in den Newsletter eines verdienten, sprachlebendigen und geschätzten Journalistenkollegen geworfen, weil’s darin auch um die guten Vorsätze geht. Da – oh Schreck! – lese ich ein paar Zeilen aus einem Poesiealbum-Gedicht, das der Kollege, so schreibt er, im Klo hängen hat – wohl zu täglichen Besinnungsminuten: Wenn ich noch einmal leben könnte, / würde ich von Frühlingsbeginn an / bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen. / Und ich würde mehr mit Kindern spielen, / wenn ich das Leben noch vor mir hätte. / Aber sehen Sie „ Ich koste bei Jon Fosse wieder richtig aus, was ich ,langes Lesen‘ nennen möchte. Und die Sätze haben kein Ende und finden keinen Punkt. Haben nur Gegenwart. “ ... ich bin 85 Jahre alt / und ich weiß, dass / ich bald sterben werde. Auch wenn einiges, denke ich, ziemlich genau auf mich zutrifft, spüre ich doch keinen Hauch von Todessehnsucht in mir! Und auch Ihr Neujahrsbrief, liebe Frau Hirzberger, hat mich vielmehr froh und zuversichtlich gestimmt und ermutigt, mich wenigstens von mancher Schein-Verpflichtung im neuen Jahr nicht mehr bedrängen zu lassen – und getreu dem Motto meines Lieblingsheiligen – des Papa buono Giovanni Ventitreesimo – „ruhig und froh“ weiterzuleben! Unbedingt möchte ich Ihnen aber jetzt davon erzählen, dass mir während der letzten Tage des vergangenen und der ersten des noch jungen Jahres ein richtiges Erleben von Literatur geschenkt worden ist. Das heißt, die drei Bände der „Heptalogie I–VII“, das Opus magnum des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse, habe ich mir klammheimlich selber geschenkt! Und so ist es gekommen: Als ich vom Nobelpreis 2023 gelesen hatte, habe ich – wie so oft – gedacht: Ach ja, wieder ein Name, den ich zwar irgendwie vom Hörensagen kenne, mehr aber nicht. Doch das Geraune um Jon Fosses großes Erzählwerk – „betörend geheimnisvoll“, „magisch, ja mystisch“ etc. – hat mich bewogen, zuerst einmal den ersten Band zu lesen, dann habe ich flugs den zweiten bestellt – und jetzt bin ich mitten im dritten. Aber was heißt „flugs“ bei Jon Fosse! Er ist ein Meister minimalistischer Langsamkeit. Ein Meister meditativer Repetitionen und Responsorien. Hätte ich mir je vorstellen können, dass ich einmal aus dem Roman eines Literaturpreisträgers des 21. Jahrhunderts eines der eindringlichsten Gebete lernen würde, die ich kenne? Und dazu kommt: Ich koste endlich wieder einmal richtig aus, was ich „langes Lesen“ nennen möchte. Stundenlanges. Da entstehen im Kopf die ruhigen Einstellungen von Szenen eines Lebens, das wie mit dem vertrauten Surren eines alten Filmprojektors abläuft. Und die Sätze haben kein Ende und finden keinen Punkt. Haben nur Gegenwart. Wie da eine große Liebe kein Ende hat und wie Freundschaften unverbrüchlich halten. Jetzt. Jon Fosses sieben große Kapitel möchte ich sieben Lehrstücke für Empathie nennen. Während ich sie lese, wächst in mir die Sehnsucht, ein besserer Mensch zu werden. Liebe Frau Hirzberger, ich will Ihnen nicht den Handlungsverlauf erzählen, der ist ohnehin asketisch karg. Aber empfehlen möchte ich sie Ihnen, diese drei Bände. Dabei weiß ich ja gar nicht, ob Sie sich – wie ich Ruheständler – den Luxus an Zeit gönnen können, den ich den Luxus des „Langen Lesens“ nenne. Den möchte ich Ihnen von Herzen wünschen – und nicht nur für 2024! Die Vorstandsvorsitzenden der großen österreichischen börsennotierten Unternehmen brauchen heuer im Durchschnitt fünf Tage, um das mittlere Jahreseinkommen eines österreichischen Beschäftigten zu verdienen. Das hat eine Berechnung der Arbeiterkammer Wien ergeben. Berücksichtigt man Feiertage und Wochenenden, dann haben Vorstände bereits am 8. Jänner das Jahresgehalt eines durschnittlichen Beschäftigten verdient. Mit dem Fat Cat Day, der dieses Jahr auf ebendiesen Tag gefallen ist, möchte die Arbeiterkammer auf diese Ungleichheit aufmerksam machen. Man muss jedenfalls kein Mathe-Genie sein, um zu merken, dass hier irgendetwas ordentlich in Schieflage geraten ist. Das Stichwort für diese Verteilungsungerechtigkeit lautet „börsennotiert“: Der tschechische Ökonom und Professor Tomáš Sedláček beschreibt diese Entfesselung der Finanzmärkte bereits in seinem 2012 erschienenen Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ (Hanser). Die Wirtschaft, so Sedláček, ist genauso eingebettet in unsere Kultur wie etwa die Kunst oder die Literatur. Auch in der Wirtschaft werden Narrative bedient, die keinesfalls wertfrei sind. Wirtschaft sei, so der Ökonom, nicht objektiv, nur weil sich manche von den vermeintlich komplexen Finanzprodukten oder mathematischen Formeln leicht einschüchtern lassen. Immer stehen Menschen dahinter, die entscheiden, dass es so ist. In Österreich wurde die Wie- LASS UNS STREITEN! Gesetzliche Einkommensgrenzen für Topmanager? Nein, der Staat sollte sich nicht in die Lohnfindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einmischen. Es gibt andere Mittel und Wege die fetten Gehälter in den Führungsetagen unter die Lupe zu nehmen: Grundsätzlich sollte es die Sache der Eigentümer sein, wie viel sie ihren Managern und Managerinnen bereit sind zu zahlen. Es ist schließlich ihr Geld, um das es geht. Das gilt ganz besonders bei Familienunternehmen. Anders bei Aktiengesellschaften. Hier können bzw. könnten Miteigentümer schon jetzt einfordern, dass die Gehälter der Vorstände einzeln veröffentlicht werden. Dasselbe gilt für Abfindungen, Managerpensionen oder Boni. Einen Schritt weiter gehen jene, die über Gehälner Börse von Maria Theresia bereits 1771 gegründet. Die Österreichische Nationalbank wurde die erste Aktiengesellschaft. So weit so gut. Damals konnte die Kaiserin noch nicht ahnen, dass sich die Finanzmärkte 200 Jahre später, nämlich in den 1980er-Jahren an der Wallstreet quasi verselbstständigten. Wie das geendet ist, wissen wir ja: In immer absurderen Finanzprodukten, bis hin zum Kollaps 2008. An all das scheinen wir uns schon gewöhnt zu haben. Aber gesetzliche Einkommensgrenzen für Topmanager, die Gier und deregulierte Märkte sind nicht gottgegeben. Es ist höchste Zeit, dass die österreichische Regierung hier einlenkt und ein positives Example für andere Länder in Europa statuiert. (Manuela Tomic) ter sogar abstimmen lassen. Die Erfahrung, vor allem aus dem Ausland, zeigt, dass ein verständlicher Vergütungsbericht für die Aktionäre und die Öffentlichkeit eine dämpfende Maßnahme ist, einen gewissen Druck erzeugt und überirdische Honorare einzudämmen vermag. Dass sich der Staat bei der Höhe der Gehälter heraushalten sollte, heißt aber nicht, dass er sich in puncto Steuerpolitik in dieser Angelegenheit ebenfalls zurücknehmen muss. Es gibt längst Vorschläge, die steuerliche Absetzbarkeit von Vorstandsbezügen zu begrenzen. Zwar sollten Unternehmen ihren Managern zahlen dürfen was sie wollen - aber es gibt keinen Grund diese Top-Gehälter zu 100 Prozent als Betriebskosten von der zu zahlenden Steuer abzusetzen. Ein Kompromiss könnte sein, das nur bis beispielsweise 500.000 Euro zu ermöglichen. Dem Finanzministerium ist für solche Belange übrigens der „Österreichische Arbeitskreis für Corporate Governance“ angegliedert. Dieser hat den Auftrag, sich unter anderem damit auseinandersetzen, wie es gelingt, Top-Verdiener nicht auf dem Rücken der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ein Vermögen anhäufen zu lassen. Längst sollten staatsnahe Betriebe dieser Maxime folgen müssen. Das ist größtenteils nicht der Fall. Bedauerlich ist auch: Die besagte Arbeitsgruppe scheint ziemlich zahnlos zu sein, innovative Ideen halten sich offenbar in Grenzen. (Brigitte Quint) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger +43 664 88140777; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417

DIE FURCHE · 2 11. Jänner 2024 Diskurs 11 Nicht nur äußere Feinde, auch innere Skeptiker und Gegner – rechte wie linke – bedrohen das „System“ der liberalen Demokratie und setzen sich über Gesetze hinweg. Ein Gastkommentar. Das Unbehagen im Rechtsstaat Der liberale Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie – Klügeres und Menschenfreundlicheres konnten Völker bislang nicht hervorbringen. Dennoch ist dieses politische System weltweit nicht mehrheitsfähig und viele Beispiele zeigen, dass es keine Garantie für seinen dauerhaften Bestand gibt. Bedroht wird der demokratische Rechtsstaat nicht nur von äußeren Feinden, sondern auch von internen Skeptikern und Gegnern, die zwar gerne die Vorteile des „Systems“ nützen, nicht zuletzt aber dazu, es lautstark zu diffamieren. Die Systemkritiker findet man auf der rechten und auf der linken Seite des politischen Spektrums. Viktor Orbán hat in Ungarn anschaulich demonstriert, wie man die Gewaltenteilung verwässert und die Medienfreiheit aushöhlt. Auch in Österreich kündigte Manfred Haimbuchner (FPÖ) vollmundig an, ein „Volkskanzler“ Kickl werde den Journalistinnen und Journalisten Benehmen beibringen. Wie, bitte, dürfen wir uns Kickls Erziehungsanstalt vorstellen? Und was ist ein „Volkskanzler“? Bestellung, Handlungsmöglichkeiten und Handlungsgrenzen eines Bundeskanzlers sind in unserer Verfassung klar geregelt. Der „Volkskanzler“ ist ein fragwürdiges Alternativmodell, das wir aus faschistischen Ideologien kennen. Es stilisiert den Kanzler zum mythischen Träger eines kollektiven Willens, den Gewählten zum Erwählten, den Regierungschef zum „Führer“. Aus ihm spricht die „Volksbewegung“, und wer dieser Stimme widerspricht, bekommt schnell das Schild des „Volksfeindes“ umgehängt. Wie solch eine „illiberale Demokratie“ in der Praxis funktioniert, kann man an Putins Russland eindrucksvoll studieren. Parlament als bloßer „Agitationsraum“? Auch die sozialistische Linke muss man von Zeit zu Zeit daran erinnern, dass sich im Laufe ihrer facettenreichen Geschichte nur die gemäßigte, sozialdemokratische Linie mit der parlamentarischen Demokratie angefreundet hat. Für alle anderen Erben des Marxismus waren Parlamentarismus und Mehrparteiensystem nur der staatsrechtliche „Überbau“ der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, also die politische Form bürgerlicher Foto: W. Fischerlehner Klassenherrschaft. Bestenfalls taugte das Parlament als Agitationsraum und als strategische Aufstiegshilfe zu Machtpositionen, von denen aus jene „Rätedemokratie“ erkämpft werden sollte, die realpolitisch nie etwas anderes war als die totalitäre Herrschaft der Partei. Diese verheißungsvollen Alternativen zum kritisierten „System“ mögen sich alle vor Augen führen, die heute unter ausgiebiger Nutzung ihrer bürgerlichen Freiheiten lautstark als „Systemkritiker“ auftreten. Auf Recht und Gesetz berufen sich diese kompromisslosen Selbstermächtiger aller Farben und Ideen nur dann, wenn ihre eigenen Interessen bedient DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Christian Schacherreiter „ ,Ich bin Lehrer nach Gewissen, nicht nach Gesetz!‘, sagte einer. Meinetwegen, doch nicht an einer öffentlichen Schule. “ werden. Ist das nicht der Fall, stellt sich das große Unbehagen ein. Das geltende Recht und seine Institutionen werden zu bösen Orten des Unrechts uminterpretiert, nicht selten im Kontext haarsträubender Verschwörungsideologien. Der Typus des konsequenten Systemkritikers (meist männlich, aber nicht nur) gefällt sich in der heroischen Pose des Widerstandskämpfers. Das gilt für die Corona-Leugner, die trotz bedrohlicher Infektionszahlen in U-Bahnen und Supermärkten als Rächer ohne Maske aufgetreten sind. Es gilt auch für zornige deutsche Bauern, die Grenzen des Demonstrationsrechts ignorieren; und für die Klimakämpfer, die sich auf gut frequentierten Straßen einbetonieren, unter Berufung darauf, dass Rechtsfragen überflüssig werden, wenn es darum geht, die Apokalypse zu verhindern. Der religiös motivierte Widerstand neigt in pluralistischen Demokratien besonders dann zum selbstgerechten Rechtsbruch, wenn er das göttliche Gesetz über das säkulare stellt. Dann patrouillieren jugendliche Tugendwächter durch die Straßen ihres Viertels und „bestrafen“ Mädchen und Frauen, die sich nicht nach Allahs Modegeschmack kleiden. Man muss allerdings auch christliche Glaubensgenossen bisweilen daran erinnern, dass Asylverfahren in letzter Instanz von Gerichten entschieden werden, nicht von Pfarrgemeinden – so gut ihre Absichten auch sein mögen. In der Schule Rechtsbewusstsein lernen Moralisch motiviertes Rechtsempfinden ist eine Sache, reflektiertes Rechtsbewusstsein eine andere. Ich gehöre nicht zu den Zeitgenossen, die bei jedem gesellschaftlichen Problem gleich die Verantwortung der Schule einfordern. Wenn es um die Ausbildung eines tragfähigen Rechtsbewusstseins geht, scheint mir aber die Schule tatsächlich ein wichtiger früher Lernort zu sein, denn auch sie ist – glücklicherweise! – kein rechtsfreier Raum. Das Schulunterrichtsgesetz, die Leistungsbeurteilungsverordnung u.a.m. bestimmen den Rahmen, in dem Schule gestaltet werden. Darauf berufen sich Eltern gerne, wenn sie die Interessen ihrer Kinder gewahrt wissen wollen. Aber wie oft habe ich in meinen sozialpsychologisch ergiebigen Arbeitsjahren als Direktor auch den Vorwurf gehört, diese und jene Lehrkraft unterrichte „stur nach dem Lehrplan“. Nun ja, wonach sonst? Lehrpläne sind keine unverbindlichen Empfehlungen, sondern Gesetzestexte. Umgekehrt hat mir einmal ein Lehrer, den ich auf seine bizarre Didaktik und rechtsferne Notengebung hinwies, entgegengedonnert: „Ich bin Lehrer nach Gewissen, nicht nach Gesetz!“ Meinetwegen, allerdings nicht in einer öffentlichen Schule, sondern nur als privatisierender Wanderpädagoge. Der Autor war Gymnasialdirektor und ist Germanist, Schriftsteller sowie Literaturkritiker. ZUGESPITZT Grotte, die Eine Grotte ist ein Hohlraum. In der Antike galt sie als Ort chthonischer Wesen. Sie wurde von der Natur geschaffen und eventuell vom Menschen überarbeitet, oder aber sie wurde überhaupt erst mit Kunstfelsen erbaut. Das ist dann die wahre Grotte. Diese Grotte ist unterirdisch. Schlossherren platzieren sie gerne in ihren Kellern. Das stellt etwas dar, man kann etwas bieten. Die Grotte ist ein Ort der Phantasie. Sphärisches türkises Dämmerlicht erzeugt magische Vorstellungen: Die Grenze zwischen Realität und Phantastik verschwimmt. Alles scheint möglich. Die Grotte ist eine Ausstellung: Man zeigt, was man hat, und genießt das Staunen der Gäste über die Raritäten. Doch Achtung, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und man gelangt auch nicht trockenen Fußes durchs hohle Gelände. Denn üble Scherze belustigen die Hofgesellschaft: Man weiß nie, wo es plötzlich spritzt. So eine Überraschung, wenn auf einmal das gesamte Wasser ausrinnt und anderen bald bis zum Hals steht. So ein Spaß. Eine Grotte ist vor allem ein Hohlraum. Und wer weiß, vielleicht wird sie bald – nach Klobürsten, Schuhabstreifern, Kleiderbügeln, Chefsesseln und sagenumwobenem Artustisch – versteigert. Dann kann ein neuer Schlossherr sie mit Phantasie fluten und seine Hofgesellschaft bespaßen. Brigitte Schwens-Harrant NACHRUF Hubert Christian Ehalt: Volksbildner im besten Sinn sind ein Ferment des Geistigen. Als Akteurinnen und Akteure der Öffnung, als Agents „Intellektuelle Provocateurs, machen sie die Ambivalenz und das bisweilen Vexierbildhafte der Kultur sichtbar. Aber der Geist weht ohnedies, wo er will. Und den gesellschaftlichen Institutionen sollte bewusst sein, dass er gefördert werden sollte, auch wenn er ihnen als Bedrohung [...] erscheint.“ Diese Sätze schrieb Hubert Christian Ehalt 2012 in der FURCHE – anlässlich des 25-Jahr- Jubiläums der „Wiener Vorlesungen“. Er selbst hatte dieses Projekt der Aufklärung und des Brückenbaues 1987 als Wissenschaftsreferent der Stadt Wien ins Leben gerufen – und wurde damit zu einem Volksbildner im besten Sinn. Selbst habilitierter Sozialhistoriker, Anthropologe und geradezu enzyklopädisch gebildet, war es sein Ziel, renommierte Vortragende aus aller Welt in die österreichische Hauptstadt zu bringen und damit Wissenschaft und Kultur für breite Bevölkerungskreise attraktiv zu machen. Bis zu seinem Ruhestand 2017 hat Ehalt das Programm der „Wiener Vorlesungen“ geplant: Es reichte von den Operetten des Johann Strauss bis zu den Auswirkungen der sozialen Medien auf unsere Gesellschaft. 1500 Veranstaltungen, 300 Buch- publikationen und zahlreiche TV- und Radiokooperationen erwuchsen daraus. Am Institut für Wirtschaftsund Sozialgeschichte war er zudem als Dozent tätig. Auch für DIE FURCHE hat Hubert Christian Ehalt zahlreiche Artikel verfasst – unter anderem Interviews mit jenen Persönlichkeiten, die er im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“ begrüßen konnte. Programmatisch ist der eingangs zitierte Text über die „Bedrohte Spezies Intellektuelle“ : „Offene Gesellschaften, in denen Zweifel, Skepsis, Kritik einen Platz haben, die nicht nur auf Abrichtung und Kontrolle, [...] sondern auf Eigenständigkeit und Verantwortungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger setzen, brauchen Intellektuelle“, heißt es hier. Wie erst Anfang Jänner bekannt wurde, ist Hubert Christian Ehalt bereits am 27. Dezember des Vorjahres 74-jährig gestorben. „Ihm war der Kampf gegen Mythen, Vorurteile und politische Propaganda extrem wichtig, und sein Vertrauen in die aufklärende Kraft der Wissenschaften war ungebrochen“, meinte Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), deren Ehrenmitglied Ehalt war. „Sein Tod ist ein großer Verlust für die Wissenschaftsgemeinschaft.“ (Doris Helmberger) Foto: IMAGO / Rudolf Gigler Den Essay „Bedrohte Spezies Intellektuelle“ (19.4.2012) von Hubert Christian Ehalt (1949– 2023) finden Sie unter diesem QR-Code:

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023