DIE FURCHE · 41 2 Das Thema der Woche Grabredner Gottes 10. Oktober 2024 AUS DER REDAKTION Vom „Willen“ war rund um die Nationalratswahl oft die Rede. Die FPÖ hängte vor allem jenen des „Volkes“ hoch – wer immer hier dazugehört und was immer dieser „Wille“ ist. Nun, nach geschlagener Wahl, hat Herbert Kickl seinen Willen, Bundeskanzler zu werden, direkt in der Hofburg deponiert. Ein klassischer „Wille zur Macht“, wie ihn einst Friedrich Nietzsche formulierte? Dass es nicht ganz so einfach ist und wieviele Missverständnisse sich um den „Philosophen mit dem Hammer“ ranken, offenbart Philipp Axmanns dieswöchiger Fokus „Grabredner Gottes“. Highlight darin ist das Interview mit dem Psychiater und Nietzsche-Freund Michael Musalek. Ein weiteres aufschlussreiches Gespräch, nämlich jenes von Wolfgang Machreich mit dem Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy, schließt daran an. „Man muss Kickl ernst nehmen“, warnt Loewy vor der Landtagswahl in Vorarlberg. Ernstnehmen muss man auch jene, die unter dem Deckmantel der „Israelkritik“ in antisemitische Narrative verfallen. Lesen Sie dazu die Kolumne „Zeit-Weise“ von Otto Friedrich. Ebenso empfehle ich die Analyse von Till Schönwälder zur weltkirchlichen Verfasstheit – auf Basis der Diskussion über Polygamie in Afrika – sowie die Dankesrede der Schriftstellerin Ann Cotten zum Erhalt des Christine Lavant Preises. Abgerundet wird die Ausgabe von Martin Tauss’ Gespräch mit dem Psychotherapeuten Joachim Arnold über Psychohygiene. Diese ist unverzichtbar. Man muss nur wollen. (dh) Am 15. Oktober 1844, vor 180 Jahren, wurde Friedrich Nietzsche geboren. Krankheiten, starke Frauen und Richard Wagner haben sein Leben geprägt – und damit auch seine Philosophie. Alte Werte zertrümmern Von Michael Krassnitzer Die Weltanschauung auf Basis der Biographie eines Menschen zu deuten, ist ein reizvolles Verfahren. Manchmal liegt es auf der Hand, manchmal ist es pure Spekulation. Bei kaum einem anderen decken sich zentrale Inhalte seines Hauptwerkes derart mit den Phasen seines Lebens wie bei Friedrich Nietzsche, dessen Todestag sich am 15. Oktober zum 180. Mal jährt. „Also Sprach Zarathustra“ liest sich stellenweise wie eine literarische Metapher auf Nietzsches eigenen Lebensweg. Seine letzte Metamorphose zum Vorbild unzähliger jugendlicher Rebellen und zur Ikone von emanzipatorischen Bewegungen – aber auch seine Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus – hat Nietzsche nicht mehr erlebt. Kaum ein Denker übte auf das 20. Jahrhundert einen so starken Einfluss aus wie der am 25. August 1900 verstorbene Philosoph und Schriftsteller. Losreißen von Autoritäten Im Zuge der Wahrheits- und Selbstfindung, so Nietzsche in „Also sprach Zarathustra“, durchlaufe der Geist des Menschen drei Phasen. Die erste ist geprägt von Demut und Ehrfurcht, es ist eine Zeit der Abhängigkeit von Autoritäten und Meistern. Ein Blick auf seine Biographie zeigt: Nietzsche wächst als Sohn eines protestantischen Pfarrers im heutigen Sachsen-Anhalt auf. Die Welt, in der er groß wird, ist weiblich geprägt. Nach dem frühen Tod des Vaters lebt er unter einem Dach mit Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten und einem Dienstmädchen. Der kleine Friedrich ist gottesfürchtig und bibelfest, doch während seiner Schulzeit und des Studiums der klassischen Philologie wendet er sich vom Glauben ab und der Wissenschaft zu. Auf den ersten Blick ist das zwar ein Bruch mit dem Althergekommenen, aber im Grunde ersetzt er damit ein Leitbild durch ein anderes. Er folgt auch anderen zeitgenössischen Idealen und Idolen: Bereits der junge Nietzsche ist ein begeisterter Fan des klassischen Altertums, was im 19. Jahrhundert fixer Bestandteil des bürgerlichen Weltbildes war. Später wird er ein glühender Anhänger Richard Wagners, den er auch persönlich kennenlernt und mit dem ihn zeitweise eine Freundschaft verbindet. Nietzsche entdeckt auch das Werk Arthur Schopenhauers für sich und erklärt den Philosophen zu seinem Vorbild. Die zweite Stufe der menschlichen Entwicklung besteht laut Nietzsche aus dem Sich-Losreißen von Autoritäten, aus dem Erkämpfen von Freiheit. Die ersten Anzeichen dieser Lebensphase setzen bei ihm vergleichsweise früh ein. 1869 übernimmt er im Alter von 24 Jahren eine Professur an der Universität Basel. Drei Jahre später veröffentlicht er sein erstes Buch: „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Das Werk markiert seine Abwendung Bild: iStock/clu Lesen Sie von Michael Krassnitzer auch „Friedrich Nietzsche: Der Philosoph mit dem Hammer“ (29.06.2000) auf furche.at. von der Wissenschaft und wird von Zeitgenossen als „Kunstmysterienreligionsschwärmerei“ geschmäht. Auch seine vier „Unzeitgemäßen Betrachtungen“, darunter die später ungemein wirkmächtige Schrift „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“, stoßen zur Zeit ihrer Veröffentlichung auf Unverständnis. Immerhin sind „ Der italienische Nietzsche-Kenner Giorgio Colli warnte einst: ‚Im Bergwerk dieses Denkers ist jedes Metall zu finden: Nietzsche hat alles gesagt und das Gegenteil von allem.‘ “ Leidender Philosoph Nietzsche quälten sein Leben lang Schmerzen verschiedenster Art. Die Ursachen sind bist heute ungeklärt. diese Werke noch stark von Wagner und Schopenhauer beeinflusst – aber damit ist bald Schluss. Schon seit einigen Jahren hatte sich Nietzsche innerlich immer mehr von Wagner und dessen Weltbild distanziert. Beim Besuch der allerersten Bayreuther Festspiele 1876 stellt sich bei ihm statt des erhofften Gefühls der Erhabenheit nur Abscheu für die Banalität des Gebotenen ein. Die einstige Leidenschaft für den Komponisten schlägt schließlich in radikale Gegnerschaft um. Auch von Schopenhauer, dessen Pessimismus und Nihilismus er nicht länger teilen will, wendet sich Nietzsche ab, obwohl der Bruch nicht so radikal ausfällt wie jener mit Wagner. Immerhin findet er auch in späteren Jahren noch positive Worte für Schopenhauer, den er als „unbeugsamen Atheisten“ lobt. Auch die Leuchttürme seiner Kindheit reißt Nietzsche sinnbildlich nieder. Die wohlige Erinnerung an die Geborgenheit im Kreise seiner weiblichen Angehörigen schlägt in Misogynie um. Das berühmt-berüchtigte Zitat dazu: „Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“ Doch die Interpretation der Stelle ist ambivalent, lässt auch die gegenteilige Deutung zu: Nietzsche legt das Zitat im „Zarathustra“ einem „alten Weiblein“ in den Mund. Der Satz wird auch als Anspielung auf das von Nietzsche inszenierte Foto mit Paul Rée und Lou von Salomé verstanden, in dem Salomé – die von Nietzsche unglücklich geliebte – die Peitsche schwingt. Auch gegen das wohl noch tief in ihm verwurzelte Christentum beginnt er in seinen Schriften unerbittlich zu wüten. Diesem antichristlichen Furor verdanken wir Nietzsches wohl bekanntestes Bonmot: „Gott ist tot“. Nietzsche wird zum „Philosophen mit dem Hammer“, zum Zertrümmerer überkommener Werte. Übermensch und Nervenzusammenbruch 1879 muss Nietzsche aus gesundheitlichen Gründen seine Professur aufgeben und reist fortan zwischen der Schweiz, Italien und Frankreich umher, je nachdem welches Klima seiner schwer angeschlagenen Gesundheit gerade am besten tut. Ab 1893 arbeitet er an seinem Opus magnum „Also sprach Zarathustra“, in dem er als letzte Stufe der menschlichen Entwicklung die Idee des Übermenschen entwirft, der alle menschlichen Schwächen und Einschränkungen überwunden hat. Auch Nietzsches Charakter nimmt zusehends messianische Züge an, er geriert sich gleichsam als Verkünder einer neuen Religion. „Tot sind alle Götter! Nun wollen wir, dass der Übermensch lebe“, proklamiert Nietzsche, dessen übersteigerte Selbsteinschätzung zusehends ins Wahnhafte abgleitet. 1889 schließlich kommt es in Turin zu einem Nervenzusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholt. Die Jahre bis zu seinem Tod dämmert der Philosoph in geistiger Umnachtung dahin, von seiner Mutter und von seiner Schwester gepflegt. Bis heute wird über die Ursache des Zusammenbruchs sowie des Verlustes seiner kognitiven Fähigkeiten gerätselt. Lange Zeit galt eine Syphiliserkrankung im Endstadium als wahrscheinlich, aus heutiger Sicht könnte es sich aber auch um eine Alzheimer-Demenz gehandelt haben oder um eine seltene Erbkrankheit namens zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie – ein geradezu nietzscheanisches Wortungetüm. Nietzsches Werk ist eine wahre Fundgrube für solche Worte und für geistreiche Zitate. Doch hierbei ist Vorsicht geboten, wie der italienische Nietzsche-Kenner Giorgio Colli einst warnte: „Im Bergwerk dieses Denkers ist jedes Metall zu finden: Nietzsche hat alles gesagt und das Gegenteil von allem.“ Ein Beispiel: Derselbe Nietzsche, der beklagt, die Kirche „ließe nichts mit ihrer Verderbnis unberührt, sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht“, der bezeichnete auch die Christen als „vornehmste Form Mensch, der ich leibhaft begegnet bin.“
DIE FURCHE · 41 10. Oktober 2024 Das Thema der Woche Grabredner Gottes 3 Michael Musalek ist Psychiater, Psychotherapeut und Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit an der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) in Wien und Berlin. Das Gespräch führte Philipp Axmann Michael Musalek trifft man im Kaffeehaus. Während ihm Cafe, Organensaft und Frühstück ungefragt serviert werden, philosophiert er über Erotik, Musik und die Liebe zum Leben. DIE FURCHE: Warum soll man sich heute überhaupt noch mit Nietzsche beschäftigen? Michael Musalek: Nietzsche ist der Mann des Perspektivenwechsels. Er hat die Philosophie auf den Kopf gestellt, indem er einfach die Welt von der anderen Seite angeschaut hat. Er ist der Kopernikus der Philosophie. Seine „Umwertung der Werte“ ist wirklich radikal anders, nicht bloß eine Weiterentwicklung, wie sie andere vornahmen. DIE FURCHE: Bevor wir inhaltlich über ihn reden: Wie kann man Nietzsche überhaupt richtig verstehen? Seine Schriften sind voller Gegensätze und Ambivalenzen... Michael Musalek: Es gibt wohl nicht die eine richtige Lesart bei Nietzsche. Denn er hat kein geschlossenes System aufgestellt, sondern literarisch und teils ironisch geschrieben. Es gibt bei Nietzsche keine Dogmen. Nietzsche hat keine Philosophie dargelegt, sondern er hat philosophiert – und damit alle Grenzen verschiedener Stilformen aufgehoben. Er widerspricht sich immer wieder selbst, und das mit Begeisterung! Er rät seinen Lesern ganz explizit: Man soll nicht versuchen, ihn „richtig“ zu lesen, sondern etwas aus dem machen, was man liest. Somit ist auch das, was ich heute über ihn sage, mit Vorsicht zu genießen und meine Interpretation. Ich bezeichne mich daher als Nietzsche-Liebhaber statt als -Experte. DIE FURCHE: Ist Gott tot, wie Nietzsche schrieb? Musalek: Wenn wir uns mit dieser Frage beschäftigen, müssen wir uns damit auseinandersetzen, was für ein Bild von Gott wir haben. In unseren Breiten ist da eines besonders verbreitet: Ein alter Mann mit weißen Haaren und weißem Bart, der alles weiß und alles kann. Da bin ich mir nicht sicher, ob vieles in der Welt dafür spricht, dass er wirklich so ist. Nietzsche meint aber mit dem Satz nicht, dass es gar kein höheres Wesen als uns gibt. Er hat uns nur für wesentlich unbedeutender gehalten, als viele andere. Seine Weltanschaung war: Wir sind auf einem unbedeutenden Planeten irgendwo im All, und sicher nicht das Zentrum. Wogegen er sich wandte, war der christliche Gottesbegriff des 19. Jahrhunderts. Nietzsche war Protestant, damals war Gott ein enges Korsett, Nietzsche Der Nietzsche-Liebhaber und Psychiater Michael Musalek spricht im Interview über das Schöne, den Rausch und darüber, ob Gott tot ist. „Urvater der Postmoderne“ hat es gesprengt, denn er hielt es für unterdrückend. Richtig würden wir ihn eher so zitieren: Dieser Gott ist tot! DIE FURCHE: Hatte Nietzsche selber einen Glauben? Musalek: Nietzsche sagte: „Meine Religion ist das Leben.“ Sein ganz klares Bekenntnis zum Leben war seine Religion. Er fühlte sich mit etwas, das über das bloße Menschsein hinausgeht, zutiefst verbunden. Ich verstehe Nietzsche jedenfalls nicht als Atheisten im eigentlichen Sinne. Er war bestimmt auch kein Materialist. Als Altphilologe orientierte er sich vor allem an den griechischen Gottheiten. Die kann man mit dem christlichen Gott natürlich kaum vergleichen. Nietzsche sah im Leben ein unglaubliches Mysterium. Und damit hat er ja Recht: Wir definieren das Leben heute biologistisch mit Fortpflanzung, Verdauung und Bewegung. Aber warum es eigentlich Leben gibt und was es wirklich ist, das weiß eigentlich keiner. Für Nietzsche war das ein Zeichen, dass es „ Mit Unterdrückung anderer Leute, und dem, was die Nazis daraus gemacht haben, hat der Wille zur Macht nichts zu tun. “ wesentlich mehr gibt, als wir mit unserem Geist und unseren Gefühlen erfassen können. DIE FURCHE: Nietzsche schreibt „Gott ist tot, und wir haben ihn getötet“ (siehe S.4, Anm.). Was war denn unser Mordwerkzeug? Musalek: Über das Mordwerkzeug spricht er nicht direkt. So weit ich ihn verstehe, war es das: Wir als Gesellschaft haben gewisse Grundprinzipien, die es auch in der christlichen Gedankenwelt gibt, pervertiert. Nietzsche warf seiner Zeit vor, alles starke abzulehnen. Er kritisierte, dass scheinbar nur die Schwachen einen Zugang ins Himmelreich haben und alle anderen nicht. DIE FURCHE: Gott ist tot – Und was sollen wir jetzt tun und glauben? Musalek: Nietzsche zitierte den griechischen Dichter Pindar, der vor 2500 Jahren wirkte. Der schrieb den Satz: „Werde, wer du bist.“ Nietzsche war beseelt davon, dass der Mensch etwas besonderes ist, besondere Fähigkeiten hat – und damit auch die Aufgabe, über sich hinauszuwachsen. Heute würden wir sagen: sich weiterzuentwickeln und zu entfalten. DIE FURCHE: Eine wichtige Rolle spielt bei Nietzsche auch die Liebe zum eigenen Schicksal, das „amor fati“. Was meint er damit? Musalek: Nietzsche defniert das Schicksal primär negativ. Angesichts seiner Lebensgeschichte verständlich: Er litt unter einer massiven Form der Migräne und starker Kurzsichtigkeit. Beides ist für einen lesenden Menschen katastrophal. Und im Beziehungsleben war er einerseits – Foto: Inge Prader Was Michael Musalek über die Psyche in Covid-Zeiten sagte, lesen Sie unter „Oft reicht ein Lächeln“ (27.1.2021) auf furche.at. vorsichtig ausgedrückt – nicht ganz einfach, und hatte auch kein Glück. Das bedingt sich ja manchmal. Da gehört also ganz schön viel dazu, dass er dann mit dem „amor fati“ sagte: Es gilt nicht nur, das alles zu erdulden oder das Beste daraus zu machen, sondern man soll es sogar lieben, dieses Schicksal. Und zwar soll man es lieben, weil es einem die Chance gibt, sich weiterzuentwickeln. DIE FURCHE: Jede Krise ist eine Chance, heißt es heute oft. Ist das seine Aussage? Musalek: Ja, denn in der Komfortzone entwickeln wir uns einfach weniger. Nietzsche selbst hat in seinen größten Krisen seine größten Werke geschaffen. DIE FURCHE: In der „Fröhlichen Wissenschaft“ schreibt Nietzsche auch „Ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein“ – all diese Lebensbejahung klingt ja beinnahe nach Viktor Frankl... Musalek: Spannender Vergleich! Frankl war sicher von Nietzsche beeinflusst. Wobei bei Frankl mehr der Wille zum Sinn im Zentrum stand. Nietzsches Lebensbejahung umschließt die schönen Seiten des Lebens, die wir ja automatisch gerne annehmen, aber auch die weniger schönen, eben gemäß dem „amor fati“. DIE FURCHE: Wer ist denn eigentlich der Übermensch? Und kann ich das werden? Musalek: Der Übermensch ist nicht jemand, der man ist oder nicht ist. Nietzsche sieht das Leben, ganz in der Tradition Heraklits, eines seiner Lieblingsphilosophen, als ewigen Werdensprozess. Verändern werden wir uns jedenfalls das ganze Leben lang. Das Konzept des Übermenschen ist jetzt, dass man das Werden nicht nur dahinplätschern lässt, sondern sein Potenzial voll ausschöpft. Das geht bis zur Bibel zurück, wo es die Metapher von den genutzten und ungenutzten Talenten gibt: Der eine vergräbt seine Talente, der andere macht viel daraus – und wird belohnt. Auf den ersten Blick ist das vielleicht ungerecht, aber die Metapher ist zutreffend: Gehen wir brav durchs Leben oder drängen wir in Sphären vor, die wir uns selbst gar nicht vorstellen konnten? DIE FURCHE: Was ist Nietzsches „Wille zur Macht“? Musalek: Neben dem Übermenschen ist das sicher eines der größten Nietzsche-Missverständnisse. Mit Unterdrückung anderer Leute oder all dem, was die Nationalsozialisten aus diesem Konzept gemacht haben, hat es jedenfalls nichts zu tun. Der Wille zur Macht ist diese Urkraft in uns, die uns erlaubt, dass wir aus uns etwas machen können. Nietzsche greift die Idee von Arthur Schopenhauer auf. Bei ihm war der Wille auch eine Urkraft, nämlich der Trieb zum Leben. Das ist der inhärente Wille zum Leben und zur Erhaltung des Lebens durch Fortpflanzung. Das hat nichts mit unserer landläufigen Definition von „Wille“ im Sinne von „dies oder das haben wollen“ zu tun. Laut Nietzsche bezieht sich die innere Kraft aber nicht nur auf Fortpflanzung und Erhalt des Lebens, sondern darauf, selbst besser zu werden. FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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