DIE FURCHE · 32 2 Das Thema der Woche Die Macht des Wassers 10. August 2023 AUS DER REDAKTION Zuerst war die Dürre. Dann kam die Flut. Und am Ende bleibt die Erkennt nis, wie rasch schon eine geringe Aufheizung von Luft und Ozeanen zur Katastrophe führt. Dass just in diesem Jahr der Extreme die Wiener Hochquellenleitung ihren 150. Geburtstag feiert, hat Wolfgang Machreich zum Anlass genommen, sich „Die Macht des Wassers“ im aktuellen Fokus näher anzusehen. Um eine andere, aber ebenfalls potenziell tödliche Macht geht es diese Woche im Journal: Jan Opielka analysiert die Debatte über eine atomare Aufrüstung der Ukraine – und der Historiker Muamer Bećirović hat für uns mit dem namhaften Politstrategen Carlo Masala darüber nachgedacht, warum der Traum von einer europäischen Supermacht irrealer ist denn je. Die Macht der Symbole ist in dieser Ausgabe ebenso Thema – von den Koranverbrennungen in Skandinavien bis zur jüngsten Gipfelkreuzdebatte in Österreich. Zwei FURCHE-Köpfe, die über besondere Sprachmacht verfügen, darf ich schließlich noch vor den Vorhang holen: Ulrich H. J. Körtner, langjähriger Religionskolumnist und regelmäßiger Autor, legt „wissenschaftsbiographische Einblicke“ vor; und „Federspielerin“ Lydia Mischkulnig hat einen runden Geburtstag gefeiert, zu dem wir nachträglich ganz herzlich gratulieren. Neben ihren brillanten Wolf-Gedanken finden Sie im Feuilleton auch noch Literarisches zum Thema Leuchttürme. Diese können in Unwettern rettend sein – aber zugleich auch Orte des Wahnsinns. (dh) Von Wolfgang Machreich Erst als das „neue Wasser“ nach Wien kam, wurde aus 1873 doch noch ein gutes Jahr. Der Mai begann mit einem „schwarzen Freitag“ für die Wiener Börse; des Finanzübels nicht genug, suchte die fünfte schwere Cholera-Epidemie in nicht einmal vierzig Jahren die Stadt und ihre Bewohner heim; die Pocken wüteten bereits seit einem Jahr in der Stadt. Das von Kot, Tierkadavern, Gerbern, Färbern und anderer Industrien verschmutzte Grundwasser, das die städtischen Hausbrunnen anzapften, trug seinen Teil zu diesen Epidemien und anderen Volkskrankheiten bei. Wie schwierig es war, in der Stadt sauberes Trinkwasser zu bekommen, zeigt das florierende Gewerbe der Wassermänner, die auf Pferdefuhrwerken fässerweise Wasser aus dem Umland herankarrten und zum Verkauf anboten. Da versprach ein Salutschuss mit kristallklarem Bergwasser zur Eröffnung der I. Wiener Hochquellenleitung am 24. Oktober 1873 den Beginn einer neuen, besseren, gesünderen Ära einzuleiten. „Eine einzige kolossale Wasserlinie strebt senkrecht nach oben“, beschrieb das Illustrirte Wiener Extrablatt die Fontäne, „dreimal so hoch als die höchsten Häuser der Umgebung“, die nach einigen Fehlversuchen aus dem Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz schoss. Der Ehrengast, seine Majestät Franz Joseph I., durfte als Erster das für ihn als Rax- und Schneeberg-Jäger bestens bekannte Wasser verkosten, befand es als so wohlschmeckend wie das Original und gratulierte zum größten Werk, das die Kommune Wien jemals zustande gebracht hat. Dass der mit der Stadtpolitik regelmäßig in Konflikt stehende Kaiser mit dieser Bemerkung eine Portion Spott verband, ist nicht auszuschließen. Was nichts daran ändert, dass sein Urteil absolut richtig war – und bis heute ist. Kaiser als Wasser-Vorkoster Der Slogan „Wien ist anders“ ist nirgends so berechtigt wie bei der Wasserversorgung. Wien ist die einzige Millionenstadt, die flächendeckend Bergquellwasser anbietet. Dieser Wasser-Bonus sollte auch als wichtiger Grund für Wiens regelmäßige Spitzenplatzierungen beim Ranking der lebenswertesten Städte der Welt nicht gering geschätzt werden. Und dass die aus den Bundesländern zugezogenen Menschen sich in der Stadt wohl fühlen, hängt nicht zuletzt auch mit dem Wiener Wasser zusammen, das so gut wie „dahoam“ ist. Das kaiserliche Urteil, gefällt mit großen Augen vor der Fontäne des Hochstrahlbrunnens stehend und mit dem Geschmack „Cholera: Die Gefahr, die aus dem Wasser kam“, beschrieb die „Angstkrankheit“ Wiens am 15. April 2020; nachzulesen unter furche.at. Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge waren noch nicht im Wortschatz, als vor 150 Jahren die Hochquellenleitung Wiens Wasserschatz begründete. Ein Besuch. Täglich fließt der Berg nach Wien Die I. Hochquellenwasserleitung fördert täglich 220 Millionen Liter aus dem Rax, Schneeberg-, Schneealpengebiet in 24 Stunden Fließzeit über 30 denkmalgeschützte Aquädukte (im Bild Liesing) 150 Kilometer nach Wien. des Rax-Schneeberg-Wassers im Mund, hat nichts an Berechtigung verloren. Im Gegenteil, der heutige Zeitgenosse staunt, mit welch politischer Weitsicht, technischem Durchblick und ökologischem Verständnis dieses Großprojekt geplant und durchgeführt wurde. Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge waren noch nicht im Wortschatz, als die Hochquellenleitung Wiens Wasserschatz begründete. Als würde er den Tresorraum einer Bank aufschließen, schaut es aus, wenn Christoph Rigler die beiden Stahltüren zum Eingang in die Kläfferquelle im steirischen Salzatal aufsperrt. Rigler ist Chef „ Man staunt, mit welch politischer Weitsicht, technischem Durchblick und ökologischem Verständnis dieses Großprojekt gelang. “ der Betriebsleitung Wildalpen, jener Organisationseinheit der Magistratsabteilung 31 (Wiener Wasser), die für die Wassergewinnung für die II. Hochquellenleitung zuständig ist. Das von Rigler und seinem Team betreute Quellgebiet umfasst den nördlichen Teil des Hochschwabgebiets und erstreckt sich entlang des Salzatales. Bald nach Eröffnung der I. Hochquellenleitung zeigte sich nämlich, dass die auf diesem Weg durch viele Stollen und mehr als zwei Dutzend Aquädukte nach Wien fließende Wassermenge für die rasant wachsende Stadtbevölkerung nicht ausreichte. Auch dem Hochstrahlbrunnen, der schnell zu einer international bekannten Sehenswürdigkeit geworden war, ging regelmäßig das Wasser aus. „Wir wollen uns jetzt durch nichts in unserem Jubel stören lassen“, witzelte die humoristische Zeitung Figaro 1877, „in unserem rein menschlichen Jubel darüber, daß nach halbjähriger Pause der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatz wieder springt.“ Der Gemeinderat beschloss eine zweite Leitung zu bauen; im Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: Wiener Wasserwerke / MA 31) Foto: picturedesk.com / Gerhard Wild Gesäuse und im Wassereinzugsgebiet von Mürz und Traisen wurde nach geeigneten Quellen gesucht, bis man auf der Nordseite des Hochschwab ein üppig gefülltes Wasserreservoir fand. Am 2. Dezember 1910 wurde bei einem Festakt im Wiener Rathaus WASSERVERSORGUNG DER STADT WIEN St. Pölten Scheibbs Lunz Wildalpen II. Wiener Hochquellenleitung Mariazell Gußwerk Steiermark Niederösterreich die II. Hochquellenleitung in Betrieb genommen, und der Kaiser bekam wieder den ersten Schluck. Der Kristallkelch, mit dem man Franz Joseph das Hochschwab-Wasser kredenzte, ist heute in einer Vitrine im Museum HochQuellenWasser Wildalpen, das die Geschichte des Leitungsbaus zeigt, ausgestellt. In Gruppen ab zehn Personen können Museumsbesucher auch die Kläfferquelle besichtigen. Zwei Hauptschlagadern Hundert Meter nach dem Eingang in den Stollen bleibt Betriebsleiter Rigler an einer weiteren Stahltür stehen. Durch das Sicherheitsglas leuchtet der aus dem Quellspalt sprudelnde, brodelnde, spritzende Wasserschatz. Zwischen 15.000 Liter in der Sekunde im Sommer und 600 Liter pro Sekunde im Winter drängen aus der Kläfferquelle und werden je nach Bedarf ins Leitungssystem eingespeist, rechnet Rigler vor. 36 Stunden, nachdem das Wasser aus dieser und anderen Wildalpen-Quellen in die „zweite Hauptschlagader“ für die Wiener Wasserversorgung schießt, kommt es nach 180 Kilometern Fließstrecke und 360 Metern Gefälle in einem der 29 Wasserbehälter im Stadtgebiet an. Darin und in zwei weiteren Reservoirs außerhalb der Stadt sind 1,6 Millionen Kubikmeter, 1600 Millionen Liter, oder der Viertages-Verbrauch der Stadt gesammelt. Über 150 Kilometer liefert die I. Hochquellenleitung in 24 Stunden Fließzeit täglich bis zu 220.000 Kubikmeter in diese Wasserschlösser; Leitung II. schafft eine Tageskapazität bis zu 217.000 Kubikmeter. Als „ein Cuveé von höchster Qualität“, lobt Betriebsleiter Rigler die Wasserklasse „Kläffer“ und jene der anderen Quellen im Wiener Hochquellenleitungen- Sortiment. „Die optimale Rohwasser-Qualität jeden Tag in ausreichender Menge zu liefern“, be- Baden I. Wiener Hochquellenleitung Hirschwang Mürzzuschlag Mödling Wien Neunkirchen III. Wiener Wasserleitung Wasserwerk Moosbrunn Wr. Neustadt LEGENDE: Quelle Wasserleitungen Schutz- und Schongebiet Das Hochquellwasser fließt mithilfe des natürlichen Gefälles nach Wien. Der Höhenunterschied wird von 16 Trinkwasserkraftwerken genützt; Jahresleistung: 65 Millionen Kilowattstunden – oder der Strombedarf von Wiener Neustadt.
DIE FURCHE · 32 10. August 2023 Das Thema der Woche Die Macht des Wassers 3 Mit den steigenden Temperaturen nimmt die Verdunstung zu – und die Böden trocknen schneller aus. Der Hydroklimatologe Klaus Haslinger über den Zusammenhang von Klimawandel und Wasser-Jo-Jo. „Zum Jetzt-Stand kommt ein Schäuferl dazu“ schreibt er als seine Aufgabe und die seiner Kolleginnen und Kollegen an zig Knoten des Hochquellenleitungs-Netzwerks – das sich von den Bergplateaus über die darauf und darunter liegenden Forst-, Jagd-, Alm- und Weidegebiete sowie hunderte Kilometer entlang der Leitungsrohre spannt. Deswegen sind Rigler und die anderen Wiener Wasserjäger in erster Linie vor allem Quellenheger. Auf 25 verschiedenen Kontrolltouren ist Riglers Team regelmäßig in den Wildalpen- Quellschutzgebieten unterwegs und schaut, dass Jagd-, Forst-, Almwirtschaft aber auch touristische Einrichtungen wie Schutzhütten „quellenschutzverträglich“, sprich ohne Verschmutzungsgefahren organisiert sind. Qualitätsrisiko Starkregen Kurz vor dem Besuch der Kläfferquelle zieht ein heftiges Gewitter über den Hochschwab – da drängt sich die Frage auf: Wie quellenschutzverträglich sind solche Starkwetterereignisse? Das hänge von der Beschaffenheit des jeweiligen Bergmassivs ab, antwortet Rigler. Im großklüftigen Kalk komme Oberflächenwasser schneller zu den Quellen als im dichter strukturierten Dolomit. „Quellen im Kalk können deswegen nach solchen Ereignissen trübungsbelastet und vorübergehend nicht nutzbar sein“, beschreibt er mögliche Folgen von Starkregen auf die Wasserqualität: „Das sind Dynamiken, die wir als Wassergewinner wissen und auf die wir umgehend reagieren.“ Im Fall der Kläfferquelle ist die durchschnittliche Verweildauer des Wassers im Kalkgestein, bis es aus dem Quellspalt dringt, ein Jahr. Bei der Siebenseequelle im Wildalpen-Gebiet braucht das Wasser 20 Jahre, bis es wieder aus dem Dolomit-Gestein kommt, sich auf den Weg nach Wien macht und ein paar Tage später aus der Wasserleitung rinnt – oder als „krystallene Triumphsäule“ aus dem Hochstrahlbrunnen schießt. WASSERSCHATZ ÖSTERREICH Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Klaus Haslinger leitet die Fachabteilung Hydrologie an der Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie (GeoSphere Austria) in Wien. Der Unterschied heutiger Trockenzeiten zu früheren Dürredekaden ist für ihn manifest. DIE FURCHE: Herr Haslinger, wir hatten einen verregneten Frühling, zu Sommeranfang dann starke Trockenheit bis hin zu Dürre, zuletzt Starkregen. Wie passt dieses Wetter-Jo-Jo zusammen? Klaus Haslinger: Das passt insofern zusammen, als wir gerade sehen, dass das, was wir aus der Vergangenheit kennen, nicht mehr umfassend gültig ist. Nach dem nassen Frühjahr war ich überzeugt, die Gefahr für einen Dürresommer sei gebannt. Ich wurde umgehend eines Besseren belehrt: Ab Ende Mai hat es im Norden Österreichs nur mehr wenig geregnet. Gleichzeitig ist der Boden durch hohe Temperaturen und viel Wind sehr schnell ausgetrocknet. DIE FURCHE: Sie sagen, frühere Erfahrungen gelten nicht mehr: Woran machen das fest? Haslinger: Wir können zweifelsfrei nachweisen, dass die Böden heute schneller austrocknen. Vergleichen wir die jetzige Periode mit den 1980er Jahren, dann war vor allem im Sommer das Klima deutlich anders. Wir hatten Standortvorteil Grundwasser bewahren Aktuelle Studien zu den Grundwasservorkommen in Österreich zeigen, dass einige regionale Grundwasserkörper innerhalb der nächsten 25 Jahre nicht mehr für alle Nutzungen ausreichend zur Verfügung stehen könnten. Bereits bei einer Verringerung der Niederschläge im Jahresmittel um acht Prozent, so die Prognose, gingen die Grundwasserressourcen bis 2050 um 23 Prozent zurück. Österreich gehört neben Norwegen zu den einzigen zwei Ländern Europas, die ihre Trinkwasserversorgung ausschließlich aus Grund- und Quellwasser beziehen. Alle anderen Staaten verwenden auch Oberflächenwasser aus Flüssen und Seen. Das braucht jedoch Aufbereitung, während Grund- und Quellwasser eine höhere Wasserqualität hat, da es vor Verunreinigungen besser geschützt ist. Für eine anhaltende Neubildung brauchen große Grundwasserkörper mehrere Regenmonate über dem Durchschnitt. Niederschläge im Winter sind für die Grundwasserbildung effektiver, da es kein Pflanzenwachstum gibt, das Verdunstungsprozesse beschleunigt. Ein immer größeres Problem für das Grundwassermanagement sind versiegelte Bodenflächen, auf denen ein Großteil der Niederschläge oberflächlich abfließt. Auch deswegen haben Starkregenereignisse nur bedingt Einfluss auf die Höhe des Grundwasserspiegels. (wm) mehr Westwetter, damit mehr Niederschläge und – was wichtig ist – es gab damals sehr viele Staubpartikel in der Atmosphäre. Diese Aerosole haben einen Teil des Sonnenlichts reflektiert und den CO₂-bedingten Treibhauseffekt abgeschwächt. Mit höherer Luftgüte durch mehr Luftreinhaltung in Industrie und Verkehr fällt dieser dämpfende Effekt weg. DIE FURCHE: Mit welchen Folgen? Haslinger: Zu den generell höheren Temperaturen aufgrund des globalen Klimawandels trifft jetzt aufgrund der Luftreinhaltung auch noch mehr Sonnenlicht auf die Erdoberfläche; beides erhöht die Temperatur und lässt die Vegetation früher einsetzen. Das alles führt zu mehr Verdunstung, und wir können datenbasiert sagen, dass die Bodenfeuchte heute schneller abnimmt. DIE FURCHE: Ist mehr Verdunstung auch verantwortlich für mehr Starkwetterereignisse? Haslinger: Dass mehr Verdunstung direkt zu mehr Extremwetterereignissen führt, ist eine zu verkürzte Darstellung. Was man sagen kann: Verdunstung ist der Treiber, der Feuchtigkeit in die Atmosphäre bringt. Mit jedem Grad Erwärmung kann die Atmosphäre mehr Wasserdampf, also gespeicherte Energie, aufnehmen. Die Folgen sehen wir aktuell mit den vielen heftigen Gewittern südlich der Alpen: Das Mittelmeer ist sehr warm, der Atmosphäre wird viel Feuchtigkeit zuführt. Die Kombination mit der kalten Luft, die über die Alpen geführt wird, produziert sehr heftige Gewitter. Mit jedem Grad Erwärmung kann die Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen. Eine Folge sind – wie zuletzt – schwere Unwetter (im Bild: Viktring bei Klagenfurt). DIE FURCHE: Nähern wir uns gleichsam tropischen Bedingungen? Haslinger: Nein, in den mittleren Breiten wird die Verdunstung nicht so stark. Der Treiber Nummer eins für Dürreereignisse bei uns ist das Niederschlagsdefizit. Foto: ZAMG/Lusser Foto: APA / Gerd Eggenberger DIE FURCHE: Das wodurch entsteht? Haslinger: Ausschlaggebend für ausreichend Niederschlag ist die Abfolge von Hochdruckund Tiefdruckwetterlagen. Im Sommer können zudem lokale Gewitter entstehen. Dazu ist allerdings ausreichend Bodenfeuchte notwendig, damit genug Wasser verdunsten und Wolkenbildung einsetzen kann. Gehen wir aus dem Frühjahr sehr trocken in den Sommer und es fehlen Wetterlagen, die großräumig Feuchtigkeit vom Atlantik oder Mittelmeer bringen, dann sind wir für Niederschläge auf das lokale Feuchte-Recycling durch Gewitter angewiesen. Können sich diese aufgrund fehlender lokaler Feuchte nicht bilden und großräumig kommt auch kein Regen daher, dann schlittern wir in eine sich verstärkende Sommertrockenheit. DIE FURCHE: In Ihren Forschungen zu Dürreereignissen der letzten 200 Jahre im Alpenraum nennen Sie die 1860er-Jahre, in denen der Neusiedlersee ausgetrocknet ist. 1947 hatte die Donau ihren niedrigsten Pegelstand seit Beginn der Messungen. Was ist der Unterschied zu heute? Haslinger: In der Klimageschichte gab es immer wieder Dürredekaden. Aber durch den Klimawandel, den höheren Temperaturen und der gesteigerten Verdunstung haben wir jetzt eine höhere Wahrscheinlichkeit für Trockenheit, auch wenn der Niederschlag im Mittel gleich bleibt. Klimawandel heißt nicht automatisch, dass es jedes Jahr zu Dürren kommt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch wieder deutlich feuchtere Jahre auftreten. DIE FURCHE: Klimawandel-Leugner werden sich bestätigt fühlen. Haslinger: Der Klimawandel verläuft nicht linear, sondern das Klima wird variabler. Die Ausschläge nach oben und unten und die Eintrittswahrscheinlichkeit extremer Zustände nehmen zu. Auf diese müssen wir uns gedanklich einstellen und schauen, wie wir diese als Gesellschaft abpuffern. „ Die Ausschläge nach oben und unten und die Eintrittswahrscheinlichkeit extremer Zustände nehmen zu. Auf diese müssen wir uns gedanklich einstellen. “ DIE FURCHE: Passiert das ausreichend? Haslinger: Da ist die Politik gefragt. Derzeit sind wir mitunter nicht einmal an den Jetzt- Stand angepasst – und es kommt noch ein Schäuferl dazu. Die Klimamodelle zeigen, dass die Niederschläge im Winter und Frühjahr zunehmen und im Sommer abnehmen werden. In Summe bleibt es eine Nullsummenbilanz. Aber wenn die Niederschläge intensiver werden, fließen größere Teile sofort oberflächlich ab und stehen nicht mehr für den Boden zur Verfügung. DIE FURCHE: Kann man sagen, dass das Klima- Jo-Jo zu einem Wasser Jo- Jo führt? Haslinger: Das stimmt insofern, als alles interagiert. Man kann es nicht getrennt betrachten. Klima, Niederschlag und Wasserkreislauf sind in ständigem Austausch und unterliegen vielen Rückkoppelungsmechanismen. Ich war immer skeptisch zu sagen, dass alles extremer wird; aber die Indizien in diese Richtung häufen sich.
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