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DIE FURCHE 10.08.2023

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DIE FURCHE · 32 18 Ausstellung 10. August 2023 Privater Showroom Die neue Dauerausstellung „Bote der Schönheit“ im Josef Hoffmann Museum in Brtnice zeigt den Architekten und Designer als Inspirationsquelle für heutige Künstlerinnen und Künstler – und präsentiert dabei sein Geburtshaus sowie sein Leben und Schaffen darin. Foto: Archiv MG Von Isabella Marboe „Es ist die Mährische Landschaft: Hügel und weite Flächen, wundersam geteilt durch die Saaten, Wiesen und Wälder, sachte und manchmal auch jäh abfallend in die Täler mit den Flüssen und Bächen, einsamen Mühlen, versteckten Marktflecken und Dörfern, eine ewige Heimat für uns trotz allen Gewalten, Kümmernissen und Leiden“, so beschreibt Josef Hoffmann in seiner Autobiografie seine Heimat Mähren als „versonnenes Märchenland“. Der wegweisende Architekt und stilprägende Designer, Mitbegründer der Secession, der Wiener Werkstätte und des österreichischen Werkbunds verbrachte bis 1948 jedes Jahr einen Monat in dem Ort, in dem er 1870 geboren worden war. Brtnice ist ein besonders malerisches Dorf im Tal der Pirnitz, die sich in einem großen Bogen mitten durch den Ort schlängelt und auch den Hauptplatz quert. Auf einer Seite das Rathaus, eine denkmalgeschützte Renaissancepreziose mit hohem Attikaschild und Turm, auf der anderen Seite Hoffmanns Geburtshaus, dazwischen die prächtigste aller drei Brücken des Ortes, beschirmt von „barocken Weihefiguren“: Johannes der Täufer, die Heiligen Rochus, Nepomuk, Florian, Johannes Sarkander. Der regionale Bildhauer David Lipart hat sie gestaltet. Drei Generationen Bürgermeister Hoffmanns Geburtshaus steht sehr prominent am Hauptplatz, sein Kern reicht bis in Gotik und Renaissance zurück, einem barocken Umbau verdankt es seine schmucke, gelbe Fassade mit dem weißen josephinischen Parapettdekor und sein hohes Doppelwalmdach. Hoffmanns Vater, Großvater und Urgroßvater waren Bürgermeister, wohlhabende Grundbesitzer und Teilhaber der örtlichen Textilmanufaktur, Josef Hoffmann, der spätere Lieblingsstudent von Otto Wagner und Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule, entwarf Prozessionsfahnen für die Pfarrkirche. Er war kein guter Schüler, mit 19 wechselte er an die Bauabteilung der Staatsgewerbeschule Brünn. Dort saß er mit seinem großen Antipoden Adolf Loos in derselben Klasse. Beide waren in derselben Woche in derselben Gegend geboren worden, beide schrieben auf ihre Weise ein wesentliches Kapitel in der Geschichte der Weltarchitektur. Im Geburtshaus von Josef Hoffmann im tschechischen Brtnice betreiben das Wiener MAK und die Mährische Galerie in Brno ein kleines, feines Museum mit neuer Dauerausstellung. Zu Besuch bei Josef Hoffmann Die mährische Landschaft und ihre malerischen Dörfer dürften ein besonderes Gespür für alles Gebaute geweckt haben, sie brachte eine besonders hohe Dichte an Architekturbegabungen hervor. Etwa 80 der insgesamt 116 Schüler von Otto Wagner kamen aus Mähren, schätzt Rainald Franz, Kurator der Dauerausstellung. Nach dem Tod seiner Eltern 1907 begann Hoffmann, sein Geburtshaus zum Experimentierfeld seiner Ideen für die Wiener Werkstätte zu machen. Die Wände der unterschiedlichen Räume sind mit Schablonentechnik bunt bemalt – im Speisezimmer treffen schwarze Streifen und rote Blumen auf weißen Putz, im Schlafzimmer feiern gelbe, dunkelblau gerahmte Rauten auf hellem Mattblau farbenfroh das Ornament. Sie wirken so plastisch wie Reliefs. Ein Linzer „ Nach dem Tod seiner Eltern 1907 begann Hoffmann, sein Geburtshaus zum Experimentierfeld seiner Ideen für die Wiener Werkstätte zu machen. “ Bauernkasten des Jahres 1800 trifft hier auf Hoffmanns Möbelentwürfe für die Wiener Werkstatt, auch die ländliche Tracht mit ihren Farben und Mustern war eine wichtige Inspirationsquelle für den Architekten. Im Elternhaus in Brtnice treffen die Architektur des Biedermeier und der familiäre Hausrat auf das avantgardistische Design der Wiener Werkstatt, Hoffmann publizierte seine Definition eines modernen Heimatstils 1911 in der Zeitschrift Das Interieur. „Das Haus war gleichermaßen sein Showroom, seine Idealgestaltung“, sagt Rainald Franz. Der Kustode der MAK-Sammlung für Glas und Keramik hat die Verwandlung des desolaten Hauses zum heutigen Hoffmann Museum miterlebt und begleitet. Die wundersame Bergung dieser Manifestation der Hoffmannschen Idee des Gesamtkunstwerks begann in den 1990er Jahren mit einer Exkursion des einzigartigen Architekturtheoretikers Jan Tabor nach Brtnice. Der geborene Prager wusste die Fährten der Moderne in der Republik Tschechien zu lesen und führte Architekturstudierende der Wiener Angewandten dorthin. „Als wir das Haus erstmals besuchten, war im Obergeschoß noch die Gemeindebibliothek eingerichtet, die Böden waren belegt mit Schichten von Linoleum, die Wände waren übertüncht“, erinnert sich Rainald Franz. Peter Noever, der damalige Direktor des MAK, war sofort begeistert, 1992 eröffnete das Museum dort seine erste Ausstellung „Der barocke Hoffmann: Josef Hoffmann in seinem Geburtshaus in Mähren“. Hanna Egger, damalige Leiterin der MAK-Bibliothek, Jan Tabor und Rainald Franz kuratierten sie. Schicht um Schicht freigelegt Um sie zu ermöglichen, zog die damals dort angesiedelte Gemeindebibliothek kurzfristig aus ihren Räumlichkeiten im ersten Stock aus; deren Leiterin, Eliska Nosalová, war auch Vorsitzende der ortsansässigen Hoffmann-Gesellschaft. Diese hatte nach der Enteignung des Hauses durch das kommunistische Regime 1945 viele originale Möbel und Gegenstände gerettet und aufbewahrt. Beim Aufbau der ersten Ausstellung zeigten sich unter Linoleum ein fast unversehrter Holzboden des Jahres 1800 und unter vielen Farbschichten die ersten Spuren der originalen schablonierten Wandgestaltungen von Josef Hoffmann. 2004 begann die Restaurierung, seit 2006 betreibt das MAK gemeinsam mit der Mährischen Galerie in Brno das Hoffmann Museum in Brtnice. Die Holzbohlen der Treppe ins Obergeschoß knarren, sie sind schon sehr durchgetreten, über der schwarz lackierten Brüstung beschleunigen schwarze Punkte auf der weiß verputzten Wand den Schritt hinauf in die Wohnebene. Dort wird die neue Dauerausstellung „Bote der Schönheit“ gezeigt. In jedem Raum eine Farbexplosion an den Wänden: rote Blumen, dazwischen schwarze, vertikale Streifen auf weißem Grund im ehemaligen Speisezimmer, besser könnte das Modell des Kabarett Fledermaus (1904) nicht stehen. Auch dort finden sich farbige Fliesen an der Wand, schwarz-weißes Schachbrettmuster am Boden, darauf quadratische Tische, weiß oder schwarz, jeder mit vier Stühlen. Viele Möbel, Geschirr und andere Alltagsgegenstände aus der Wiener Werkstätte sind hier ausgestellt, dazu Modelle der wichtigsten Bauten, so das Sanatorium Westend (1904) in Purkersdorf, das Palais Stoclet (1905–1911), das Landhaus der Familie Primavesi (1913/14). Hohe, schmale Rechtecke, Rauten, hingetupfte Streublumen, Linien und Kurven erzeugen in jedem Raum eine ganz andere Atmosphäre. Die Pawlatsche, von der man den wunderschönen Garten überblickt, ist innen sonnengelb ausgemalt, ihre Holzbalken aber sind weiß. Alles, was Hoffmann an Form- und Farbwirkung in seinem Elternhaus ausprobierte, floss in die Entwürfe der Wiener Werkstätte ein. Gemeinsam mit Koloman Moser entwarf Josef Hoffmann auch deren ersten Verkaufsraum. Er befand sich direkt neben der ersten Produktionsstätte der Wiener Werkstätte in der Neustiftgasse 32–34. Im Rahmen der neue Dauerausstellung wurde mit der Produktionsfirma Filmbäckerei Fasolt-Baker KG das Geschäft virtuell rekonstruiert. Die Technik funktioniert einwandfrei, die Darstellung ist täuschend echt und suggeriert einen eindrucksvoll realistischen Rundgang durch den Wiener Werkstätte Salesroom des Jahres 1904. Eine faszinierende Zeitreise in Gegenwart und Lebenswelt von Josef Hoffmann. Bote der Schönheit Josef Hoffmann Museum náměstí Svobody 263, Brtnice bei Jihlava www.mak.at/josefhoffmannmuseum

DIE FURCHE · 32 10. August 2023 Film & Medien 19 „Rehragout-Rendezvous“: Gewohnt furios löst Niederkaltenkirchen mit seinen Sippschaften den nächsten Kriminalfall. Eberhofer Nr. 9 Bayerische Bagage Eva Mattes als Mooshammerin, Sebastian Bezzel als Franz Eberhofer, Eisi Guld als Papa und Gerhard Wittmann als Bruder Leopold (v. li.). Teo Yoo und Greta Lee als Hae Sung und Nora Moon, deren Liebe in der wunderschönen Romanze „Past Lives“ immer wieder aufflammt. „Past Lives“, das Spielfilmdebüt der südkoreanisch-kanadischen Regisseurin Celine Song, ist ein Dreiecksdrama der anderen Art. In vielen Leben Von Otto Friedrich Ludwig, Franz Eberhofers Hund, er segnete ja bereits in Folge sieben der von Ed Herzog verfilmten Krimi-Reihe von Rita Falk das Zeitliche, geht auch noch in Nummer neun – „Rehragout-Rendezvous“ – ab. Dabei sieht es diesmal so aus, als ob auch Oma Eberhofers Tage (unglaublich, was die 86-jährige Enzi Fuchs noch draufhat!) gezählt seien. Jedenfalls geht die Haushaltsführerin der Eberhofers in Pension, respektive kommt bei der esoterischen Mooshammer Liesl (Eva Mattes) unter. Und lässt ihre Sippschaft, also Franz (Sebastian Bezzel), Susi (Lisa Maria Potthoff) Papa (Eisi Gulp) und Bruder Leopold (Gerhard Wittmann) allein zurück, auf dass sie das Zusammenleben managen, sprich: alles in einen Saustall verwandeln. Und auch der kleine Pauli, Franz‘ und Susis Nachwuchs, ist schon vom Baby- ins Kleinkindalter gewechselt. Rudi und seine KI-Geliebte Dass Eberhofers (Ex-)Kompagnon Birkenberger sich dem Kleinen in Bezug auf Infantilität wieder annähert, wird auch keinen wundern. Diesmal vergnügt sich der Rudi nebenher mit einer KI-Gespielin, die ihm aber auch keine nachhaltigeren Liebeserlebnisse verschafft, als er sie durch Anbandelversuche in den vorherigen Folgen der Reihe bekommen hat. Doch nicht nur Omas Hinschmeißen bringt die niederbayerische Männerbastion in die Bredouille, denn Gemeindeangestellte Susi wird unversehens zur Kurzzeitbürgermeisterin, weil der eigentliche Amtsinhaber jenseits des Atlantiks mit gebrochenem Bein im Spital liegt. Und die neugewonnene Macht nutzt die bislang offenbar unterforderte Susi alsogleich. Lebensgefährte Franz wird zum Teilzeit- Hausmann und Vollzeitbetreuer vom Pauli „degradiert“. Und wenn sich eine Vermisstengeschichte nicht unversehens zur Mordsache entwickelt hätte, wäre es um das Berufs-, aber auch Liebesleben des Dorfpolizisten geschehen gewesen. Damit das nicht passiert und für die nächste Folge schon gesichert ist, sorgt der Plot von „Rehragout-Rendezvous“ einmal mehr. Wer bislang sich an den Eberhofers nicht sattsehen konnte, wird dies auch nach Folge neun nicht tun. Und sehnlichst auf die zehnte warten. Rehragout-Rendezvous D 2023. Regie: Ed Herzog. Mit Sebastian Bezzel, Simon Schwarz, Lisa Maria Potthoff, Enzi Fuchs, Eisi Gulp, Eva Mattes. Constantin. 97 Min. Von Alexandra Zawia Lives“, das Spielfilmdebüt der südkoreanisch-kanadischen Regisseurin Celine Song ist ein be- „Past sonderes Dreiecksdrama der etwas anderen Art. Im Seoul der 1990er-Jahre ist der 12-jährige Hae Sung in die gleichaltrige Na Young verliebt. Doch die Möglichkeiten einer zukünftigen Beziehung werden abrupt gekappt, als Na Young mit ihrer Familie nach Kanada auswandert. 12 Jahre später lebt sie als Dramaturgin Nora Moon (Greta Lee) in New York und stolpert eines Tages zufällig über Hae Sungs (Teo Yoo) Facebook-Profil, der von Seoul aus schon seit geraumer Zeit nach ihr zu suchen scheint. Die beiden beginnen, einander zu schreiben, zu telefonieren, rasch flammt die kindliche Vertrautheit wieder auf. Es entsteht ein intensiver platonischer Kontakt, der Nora viel mehr noch als Hae Sung am Beginn ihrer Karriere auf einem ganz anderen Kontinent Angst macht; sie kappt die Verbindung erneut. Schon in früheren Leben verbunden Wiederum 12 Jahre später ist sie seit einigen Jahren glücklich mit dem Schriftsteller Arthur (John Magaro) verheiratet, als Hae Sung plötzlich ankündigt, sie zu besuchen. In diesem letzten Drittel des Films kommt die sorgfältige Figurenausarbeitung nun zur vollen Entfaltung. Die koreanische Vorstellung des „inyun“ im Hintergrund, wonach schon die geringste zufällige Interaktion zwischen zwei Menschen darauf hindeutet, dass sie in einem früheren Leben verbunden waren, lässt die immer wieder aufflammende tiefe Liebe zwischen Nora und Hae Sung permanent wie aus einem Parallel-Universum wirken. Wie Nora und Hae Sung an der jetzt-zeitigen Unmöglichkeit ihrer tiefen Verbundenheit fast verzweifeln, ist die eine („großartige“) Sache. Aber vor allem wie Arthur dadurch erkennt, dass es in seiner Frau Nora, dem Menschen, den er am meisten liebt, immer einen Bereich geben wird, zu dem er keinen Zugang haben kann, ein Bereich ihrer Identität geformt aus Erinnerungen, kulturellen Prägungen, Sehnsüchten, Fragestellungen usw., der selbst ihr sich nicht erschließt, das ist wahrlich „wunderschön“ erschütternd herausgearbeitet – und gespielt. Past Lives KOR/USA, 2023. Regie: Celine Song. Mit Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro, Moon Seung-ah, Leem Seung-min. Constantin. 106 Min MEDIENBUCH Domänenkompetenz statt Aufmerksamkeitsökonomie Von Otto Friedrich Der Qualitätsjournalismus ist in der Krise. Solch eine Feststellung mag einem mitunter nur ein müdes Lächeln abnötigen. Aber führt man sich einschlägige Beispiele aus der Praxis zu Gemüte, wird klar, wie rasant die diesbezügliche Fahrt schon ist. Da beschreibt der Schweizer Journalist (und Kolumnist in der rechtskonservativen Weltwoche) Kurt W. Zimmermann, wie beim Zürcher Tages-Anzeiger, einem der großen Qualitäts-Tagblätter der Deutsch-Schweiz, die Außenpolitik outgesourct wurde. Sprich: Ende 2016 löste die Zeitung das Auslandskorrespondentennetz auf und band sich vertraglich an die Süddeutsche Zeitung in München. Was in der Welt vorgeht, erfährt das Tages-Anzeiger-Publikum genauso wie die Leserschaft der Süddeutschen. Dass sich die Welt aus Schweizer Blick vielleicht anders darstellt als aus deutschem, bleibt bei dieser Einsparungsmaßnahme unbeachtet. Das Beispiel spricht für sich, und es finden – wie Stephan Russ-Mohl und Sebastian Turner schreiben – dramatische Schrumpfungsprozesse in den Redaktionen statt. Zugleich scheint die Werbefinanzierung von Medien-Qualität ebenso am Ende und das journalistische Aufklären und Darstellen von Problemen und Zusammenhängen gleichfalls in der Krise, weil in der algorithmusgesteuerten Aufmerksamkeitsökonomie der (sozial)medialen Kommunikation Emotionalisierung, Zuspitzung, die Maximierung von Klickzahlen und Ähnliches journalistische Tiefenbohrungen zunehmend unmöglich zu machen scheinen. Als eine Art Antidot gegen derartige giftige Entwicklungen, die nicht nur die Medien, sondern letztlich die Demokratie bedrohen, haben Medienwissenschafter und -beobachter Russ-Mohl sowie Turner, ehemaliger Miteigentümer des Berliner Tagesspiegels und heute Herausgeber des Digital Publishers Table.Media Berlin, das Buch „Deep Journalism. Domänenkompetenz als redaktioneller Erfolgsfaktor“ herausgebracht. Antidot gegen die giftigen Entwicklungen Denn insbesondere Sebastian Turner ist überzeugt, dass man Qualitätsjournalismus völlig neu denken muss – eben als „Deep Journalism“. Der Medienmanager meint, dass mit diesem Modell auch wirtschaftliche Erfolge zu erzielen sind. Man spricht von „Vertikalisierung“ und „Rebundling“. Gemeint ist mit ersterem Begriff, dass journalistische Arbeit sich auf Tiefenbohrungen zu einem Thema fokussiert, also nicht – wie etwa bei vielen TV-Anstalten die gleichen Teams von Katastrophen- und Kriegsberichterstattern weltweit sich von Ort zu Ort bewegen – ohne ausreichende sprachliche und kulturelle Kenntnisse, sodass etwa von internationalen Konfliktherden bloß seichte Einheitsberichterstattung möglich ist. Oder dass sich Journalismus vor allem als Meinungsund Kommentarpublizistik äußert, die gleichfalls die nötige Tiefe vermissen lässt. Das Zauberwort dazu heißt „Domänenkompetenz“, also die Konzentration von (kleinen) Teams auf bestimmte Themenbereiche, die mit Sachverstand und aus vielen Blickwinkeln berichten, sodass das Publikum jene Informationen bekommt, die es braucht – und will. Turner ist überzeugt, dass sich das auch rechnet, weil das Publikum dafür zu zahlen bereit ist. Mit „Rebundling“ ist gemeint, neue Vertriebs- und Kooperationsformen zu entwickeln, um Informationen zielgruppengenau zu verbreiten. Wie und ob das gelingt, davon finden sich im Buch viele Beiträge aus dem Bereich klassischer Printmedien wie deren Online-Ablegern und neuen Plattformen. Was leider fehlt (was die Herausgeber auch beklagen) ist in diesem Diskurs in Buchform eine Stimme aus den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Für Stephan Russ-Mohl, der auch FURCHE-Autor ist, stellt die Wiederherstellung der Domänenkompetenz anstatt der grassierenden Aufmerksamkeitsökonomie die Herausforderung für Qualitätsjournalismus dar. Dazu werden in den Beiträgen Beispiele aus der Praxis angeführt – auch FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger-Fleckl steuert einen Zwischenbericht bei, wie es um die Strategie bei dieser Zeitung bestellt ist, um „Qualität, Integrität und Kompetenz in existenziellen Domänen zu schaffen“. Deep Journalism Domänenkompetenz als redaktioneller Erfolgsfaktor Hg. Sebastian Turner, Stephan Russ-Mohl. Herbert von Halem 2023 300 S., kart., € 26,50

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