DIE FURCHE · 32 16 Diskurs 10. August 2023 ZEITBILD Papst in Lissabon Foto: APA / AFP / Pierre-Philippe Marcou Offenbar ist die Begegnung mit den 1,5 Millionen Jugendlichen aus aller Welt auch ein Jungbrunnen für den weiß gekleideten Mann in hohem Alter: Nur wenige Wochen nach seiner Darmoperation feierte Franziskus an der Spitze der und mit den Massen den Weltjugendtag in Lissabon. „Meiner Gesundheit geht es gut“, meinte der Papst am 6. August auf dem Rückflug nach Rom . In seinen Ansprachen in der portugiesischen Hauptstadt – samt einem Abstecher ins Marienheiligtum Fátima und einer lange Nachtwache in Lissabon – warb er für eine offene Kirche, die ihre frohe Botschaft so verkündet, dass sie jeder versteht und niemand ausgegrenzt wird: „Die Kirche hat Platz für alle. Alle, alle, alle!“ Wiederholt wich der Papst bei seinen auf Spanisch vorgetragenen Worten erheblich von den vorab verbreiteten Redetexten ab. Beim größten Event der katholischen Kirche rief Franziskus immer wieder zum Frieden – speziell in der Ukraine – auf. Irritationen rief allerdings seine grundsatzpolitische Rede am 2. August hervor, in der er meinte, Europa müsse sich fragen lassen, wohin es steuere, „wenn es der Welt keinen Friedenskurs vorschlägt und keine kreativen Wege, um den Krieg in der Ukraine zu beenden“. Den Aggressor Russland nannte Franziskus da aber nicht beim Namen. (ofri) ORF-Sportmoderatorin präsentiert am 11. August die Bonus Ziehung, wo es wieder um 300.000 Euro extra geht Alina Zellhofer live aus dem Lotto Studio Kugeln sind ihr Metier. Vor allem dann, wenn der Begriff der „Kugel“ als Synonym für den Fußball verwendet wird. Denn sie ist Fußball-Reporterin mit Leib und Seele und berichtet aus dem ORF WM-Studio von der Frauen Fußball WM in Australien und Neuseeland. Am Freitag, den 11. August 2023 treten nun weitere Kugeln in ihr Leben. Kleinere, dafür nummeriert. Von 1 bis 45 bzw. von 0 bis 9. Die Rede ist von ORF- Lady Alina Zellhofer sowie von den Lotto bzw. Joker Kugeln. IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Unbedingtes Gewissen. Fokus von Otto Friedrich. Nr. 31, Seite 2–4 Ein aufrichtiges „Danke“ dafür, dass DIE FURCHE den 80. Jahrestag der Hinrichtung Franz Jägerstätters für eine ausführliche Würdigung dieses prophetischen Menschen nützte! Eine persönliche Anmerkung: Im Studienjahr 1971/72 habe ich am Institut für Moraltheologie eine Seminararbeit über Jägerstätter erstellt: „Wehrdienstverweigerung aus prophetischer Berufung“; wenige Jahre später habe ich mich bei meiner Verweigerung des Wehrdienstes auf Jägerstätter berufen. In Ergänzung möchte ich festhalten: Sowohl Bischof Joseph Fließer als auch sein Ortspfarrer wollten Jägerstätter dazu bewegen, Kriegsdienst zu leisten – ganz in Übereinstimmung mit den Aussagen von Papst Pius XII. Der hatte schon im Dezember 1939 jene gewürdigt, die „im Heeresdienst des Vaterlandes“ kämpfen und nachdrücklich „Gehorsam und Ehrfurcht gegenüber der weltlichen Autorität“ eingefordert. Diese weltliche Autorität war damals Adolf Hitler. Noch nach dem Krieg, 1946, verhinderte Bischof Fließer Veröffentlichungen über Jägerstätter im Linzer Kirchenblatt und meinte, der Kriegsdienstverweigerer sei „mehr zu bewundern als nachzuahmen“. Erst im August 1963, zwei Jahrzehnte nach Jägerstätters Hinrichtung, erschien im Linzer Kirchenblatt ein erster Bericht. Er trug die Überschrift „Er folgte seinem Gewissen“ – das sollte auch der Titel des Buchs des amerikanischen Soziologen Gordon C. Zahn über Jägerstätter werden, das 1967 in deutscher Übersetzung im Verlag Styria erschienen ist. Am Beitrag von Bischof Manfred Scheuer („Der ,einsame Zeuge‘ des Gewissens“) irritiert mich, dass sich darin kein Bezug darauf findet, dass Jägerstätter von „seiner“ Kirche alleingelassen und zum „einsamen Zeugen“ gemacht wurde. Ob hier nicht ein nostra culpa angebracht wäre? Dr. Franz Josef Weißenböck 2880 Kirchberg wie oben Bischof Manfred Scheuer schreibt, Franz Jägerstätter habe aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert und sei mit seiner Seligsprechung zum Vorbild eines christlichen Lebens geworden. Jägerstätter handelte im Sinne des zivilen Ungehorsams, um auf die Menschenverachtung des nationalsozialistischen Regimes hinzuweisen. Die „Letzte Generation“ handelt ebenso aus dem Motiv der Menschenrechte heraus und stellt der Gesellschaft die Diskrepanz zwischen notwendigen und tatsächlichen Änderungen in der Umweltpolitik vor Augen. Die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen braucht Anerkennung, auch seitens der Kirche. Sind diese Menschen nicht auch Vorbilder? Wird erst die Nachwelt das so sehen und sie, nachdem der Klimawandel Realität geworden ist, „selig sprechen“? Helmut Waltersdorfer, via Mail „FPÖ gefährdet Sicherheit der Österreicher“. Interview mit Thomas Starlinger Nr. 31, Seiten 5–6 Generalmajor Thomas Starlingers Aussage, die FPÖ gefährde die Sicherheit der Österreicher, weil die Freiheitlichen gegen den geplanten Beitritt Österreichs zum Luftraum-Verteidigungssystem „Sky Shield“ sind, halte ich für ein Fehlurteil – und das aus mehreren Gründen. „Sky Shield“ wurde als NATO-Projekt geboren. Es ist weit mehr als „nur“ eine Einkaufsplattform für Waffensysteme zur Luftüberwachung. Dafür gibt es mit der EDA, der Europäische Verteidigungsagentur der EU, bereits jetzt eine Organisation. „Sky Shield“ ist aber weit mehr, es ist ein Militärbündnis von mehrheitlich NATO-Staaten gegen Bedrohungen aus der Luft, das von den beteiligten Staaten gemeinsam betrieben werden wird. Es ist zu befürworten, in das vorhandene Radar-System „Goldhaube“ und in eine nationale Raketenabwehr zu investieren. Das ist Teil der militärischen und damit auch der umfassenden Landesverteidigung. Österreich wäre dadurch sicherer als im Verbund eines Systems unter der Führung von NATO-Staaten. Das Handeln der aktuellen Bundesregierung ist daher brandgefährlich, weil Österreichs Neutralität vom Ausland nicht mehr ernstgenommen wird. Die immerwährende Neutralität verbietet Österreich, sich einem Militärbündnis anzuschließen. „Sky Shield“ rückt unser Land näher an die NATO, wodurch Österreich damit automatisch auch ins Visier jener Länder gerät, die in Konflikten mit NATO-Staaten involviert sind. Österreichs schwarz-grüne Regierung hat die österreichische Neutralität seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts bereits ausgehöhlt. Der Beitritt zu „Sky Shield“ wäre ein nächster Schritt weg von der Neutralität. Die Österreicher sollen selbst entscheiden, ob sie das wollen oder nicht. Die FPÖ fordert daher eine Volksabstimmung über die Beteiligung an „Sky Shield“. NAbg. Volker Reifenberger FPÖ-Wehrsprecher Die mystische Erhöhung. Von Herbert Hopfgartner, Nr. 31, S. 7 Danke für diesen exzellenten Beitrag! Wie (erschreckend) klar und aktuell diese 14 Punkte formuliert sind! Wir tun gut daran, sie zu verinnerlichen und Haltung zu zeigen! Katrin Graf, via Mail Zellhofer moderiert am Freitag die siebente Bonus Ziehung des Jahres und bringt damit einen sportlichen Touch ins Lotto Studio. Auch diesmal gibt es wieder einen Bonus in Form von 300.000 Euro extra, der unter allen mitspielenden Lotto Tipps verlost wird. Annahmeschluss für die Bonus Ziehung ist am Freitag, den 11. August um 18.30 Uhr, die Ziehung selbst wird um 18.47 Uhr live in ORF 2 ausgestrahlt. ORF-Sportmoderatorin Alina Zellhofer wechselt am 11. August vom Fußball-WM-Studio kurzzeitig ins Lotto Ziehungsstudio. © ORF/Günther Pichlkostner IN KÜRZE RELIGION ■ Anton Zeilinger bei SHW RELIGION ■ Kritik an Patriarch Kyrill BILDUNG ■ Studienplätze für Medizin WISSEN ■ Römerfunde in Osttirol Am vergangenen Sonntag gingen die Salzburger Hochschulwochen (SHW) zu Ende. Beim abschließenden Festvortrag von Nobelpreisträger Anton Zeilinger meinte dieser, dass der Streit zwischen Naturwissenschaften und Religion ein „Scheinkonflikt“ sei. Wenn beide Seiten die Grenzen ihrer jeweiligen Disziplin einhielten, könne man auch als Naturwissenschafter(in) durchaus sagen, man schöpfe aus beiden Quellen. Zufrieden zeigte sich Obmann Martin Dürnberger. Insgesamt hatten mehr als 800 Interessierte an den Veranstaltungen, die unter dem Motto „Reduktion! Warum wir mehr Weniger brauchen“ standen, teilgenommen. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat am Sonntag erneut die vorbehaltlose Unterstützung der aggressiven Geopolitik Wladimir Putins durch Russlands Patriarchen Kyrill angeprangert. So dränge die Moskauer Kirche auch nach Afrika. Dort seien orthodoxen Missionen und Diaspora kirchenrechtlich dem Patriarchat von Alexandria anvertraut. Auch wurde der Abbruch der sakramentalen Gemeinschaft der russischen Orthodoxie u. a. mit dem Ökumenischen und Alexandrinischen Patriarchat kritisiert. Dies sei nicht aus religiösen Gründen geschehen, sondern diene „eindeutig geopolitischen Zielen Russlands“. An Bewerber(innen) aus Österreich gehen heuer 86 Prozent der Studienplätze für Humanmedizin an der Medizin-Uni Wien. Damit sei die Quote von mindestens 75 Prozent für Personen mit österreichischer Matura aufgrund der guten Testergebnisse deutlich übertroffen worden, hieß es von der Universität. Konkret gingen in Wien 583 der insgesamt 680 Studienplätze an österreichische Kandidat(inn)en. Mit rund 84 Prozent wurde auch an der Medizin-Uni Graz die Quote deutlich übertroffen. Werden die Studienplätze nicht angenommen, werden sie Ende August den Personen mit den nächsthöchsten Ergebnissen angeboten. Grabungen in der Osttiroler „Römerstadt“ Aguntum in Dölsach haben gezeigt, dass dort im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus im sogenannten „Händlerforum“ mit Bergkristallen gehandelt worden ist. Ein rund zwanzigköpfiges Team der Universität Innsbruck förderte im Bereich eines bis zum Boden freigelegten Beckens zahlreiche Bergkristallfragmente zutage, sagte Grabungsleiter Martin Auer von der Uni Innsbruck gegenüber der APA. Damit sei Aguntum „die bisher einzige Römerstadt, in der sich gezeigt hat, dass in großem Umfang mit Bergkristallen gehandelt wurde“, erklärte er.
DIE FURCHE · 32 10. August 2023 Literatur 17 Von Ingeborg Waldinger Von Leuchttürmen geht eine magische Wirkung aus. Je extremer ihr Standort, desto stärker ihr Bann. Ihre Geschichte reicht mehr als 2000 Jahre zurück, bis zum prächtigen Pharos von Alexandria. Vielleicht aber auch bis zum Koloss von Rhodos, dessen eine Hand angeblich ein Leuchtfeuer hielt. Beide Monumente zählen zu den sieben Weltwundern der Antike. Leuchttürme zeugen von herrschaftlicher Prestigepolitik und kühner Ingenieursleistung. Sie sind rettende Orientierungspunkte und als solche Träger einer starken Symbolik. Bis ins späte 20. Jahrhundert sorgten speziell ausgebildete Wärter für den klaglosen Betrieb der Leuchtfeuer, heute sind die Anlagen vollautomatisiert. Leuchtturmwärter galten als Ikonen der Wachsamkeit – und als Heroen der Einsamkeit. Die Isolation auf hoher See erforderte ein besonders robustes Naturell und auch einigen Mut, denn die Ablöse erfolgte durch Abseilen vom Turm auf ein Boot. Schlechtwetter konnte den Schichtwechsel gefährlich verzögern. Aus diesem Motiv-Fundus weiß die Literatur ertragreich zu schöpfen. Als informative Einführung sei der Band „Wächter der See“ des Briten R. G. Grant empfohlen. Seine Geschichte der Leuchttürme (übersetzt von Heinrich Degen; Dumont 2018) ist großzügig bebildert. Historische Darstellungen, Konstruktionspläne, Aufrisse und Fotografien vermitteln ein imposantes Bild dieser Wunderwelt der Technik. Kapitel zum gefahrvollen Leuchtturmbau, zur Lichttechnik und zum Leben der Wärter ergänzen die Chronik. Grants Fazit: „Leuchttürme sind weniger Ausdruck menschlicher Dominanz über die Natur als vielmehr ein Hinweis auf menschliche Zerbrechlichkeit und Einsamkeit angesichts elementarer Naturgewalten.“ Leuchttürme am Ende der Welt Eine gute Einstimmung bietet auch der „Kleine Atlas der Leuchttürme am Ende der Welt“ des Spaniers José Luis González Macías (übersetzt von Kirsten Brandt; mare 2023). Die Karten und Bilder stammen vom Autor selbst, einem Grafikdesigner. Sein Atlas wurde 2020 als schönstes Buch Spaniens prämiert. In kompakten Kurzporträts werden Technik und Architektur der Türme ebenso gewürdigt wie deren Erbauer und Wärter (und ja, es gab auch Wärterinnen). Macías rückt die abgelegenen Felsenleuchttürme in den Fokus: „Es liegt etwas Schönes und Wildes in diesen unmöglichen Bauwerken.“ Am „Ende der Welt“ stehen sie, fernab der Zivilisation. Etwa jener von San Juan de Salvamento auf der Isla de los Estados. Ein kleines Sie sind das Licht in der Brandung und ein Sehnsuchtsziel, aber auch ein Ort der Einsamkeit und des Wahnsinns ‒ ein literarischer Streifzug durch die Welt der Leuchttürme. Wachsames Auge, rettendes Licht Holzhaus nur, den Stürmen Patagoniens hielt es nicht stand. Den Einzug in die Weltliteratur schaffte es aber doch. Jules Verne hat das Bauwerk nicht gesehen, aber 1906 als „Leuchtturm am Ende der Welt“ verewigt. Sein Roman handelt von einem tödlichen Kräftemessen zwischen Leuchtturmwärtern und Piraten. Das Meer, die übermächtige Geliebte Virginia Woolf hingegen kannte das anregende Modell für ihren Roman „To the Lighthouse“ (1927; dt. Zum Leuchtturm). Es steht in der Bucht von St. Yves, wo Woolf mit ihrer Familie die Sommer verbrachte. Erinnerungen an diese Zeit und an innerfamiliäre Spannungen fließen in den Roman ein. Die Autorin verlegt den Schauplatz auf die schottische Isle of Skye. Dort haben die kinderreichen Ramseys ihren Sommersitz – und einen Leuchtturm im Blickfeld. Der bleibt das unerreichbare Sehnsuchtsziel von Sohn James. Denn der Vater schmettert jeden Ausflugswunsch ab: das Wetter würde umschlagen. Nach einer Zäsur von zehn Jahren (Erster Weltkrieg, ein Sohn fällt an der Front, die Mutter und eine Tochter sterben) holen Vater und Sohn die Fahrt zum Leuchtturm nach: „Da ragte er auf, kahl und gerade, gleißend weiß und schwarz […]. Das war also der Leuchtturm, ja? Nein, der andere war ebensogut der Leuchtturm. Denn nichts war einfach nur ein und dasselbe.“ Die Wahrnehmungen und Gedanken der Figuren bilden einen elegischen Bewusstseinsstrom. Unbeständigkeit, Verlust und Tod sind die bestimmenden Themen. Das mittlere Romankapitel, „Time passes“, ist dem unumkehrbaren Lauf der Zeit gewidmet. Die französische Autorin Cécile Wajsbrot greift das Kapitel im Roman „Nevermore“ (Wallstein 2021) auf, einem nächsten Klagelied über das Verschwinden und über die Prozesshaftigkeit der Wahrnehmung. Wajsbrot hegt eine besondere Beziehung zu Leuchttürmen. Ihre Erzählung „Im Lichtstrahl des Leuchtturms“ (in „Nocturnes“, Zulma 2002) handelt vom Dilemma eines Wärters, der im Licht des Leuchtfeuers ein mysteriöses Schiff entdeckt. Es bewegt sich nicht von der Stelle, sendet kein Notsignal, ist per Funk nicht erreichbar. Vergeblich erstattet er Meldung, die Kontrollbasis reagiert nicht. Seinem Drang zu handeln steht das eherne Gebot entgegen, den Posten unter keinen Umständen zu verlassen. Die Szenerie hat etwas Irreales, gemahnt an die Unerlösten eines Geisterschiffs: Die weißen Segel scheinen zu phosphoreszieren, eine Gestalt von „schauriger Bleichheit“ spukt kurz übers Deck. Das Schiff ist real, und es sinkt. Sein Rätsel wird nicht gelöst. Der Wärter erwägt einen Berufswechsel. Doch das Vergessen ist Illusion, und das Meer eine übermächtige Geliebte. „ Leuchttürme zeugen von herrschaftlicher Prestige politik und kühner Ingenieursleistung. Sie sind rettende Orientierungspunkte. “ Leuchtende Lotsen Seit der Antike geht von Leuchttürmen eine besondere Faszination aus. Diese spiegelt sich auch in der Literatur wider, so in Werken von Jules Vernes, Virginia Woolf, Cécile Wajsbrot und Jean-Pierre Abraham. Bei dem namenlosen Felsenleuchtturm dieser Erzählung könnte es sich um Armen (bretonisch der Fels) handeln. Den dortigen Schichtwechsel hatte Wajsbrot in einer Reportage geschildert. Der Turm inmitten des Atlantiks sichert die berüchtigte Schiffspassage Chaussée de Sein. Die Wärter nannten ihn Hölle der Höllen. Armen hat viele französische Autoren inspiriert. Rachilde etwa verfasste den Roman „La Tour d’Amour“ (1899), ein Paradestück der Dekadenz-Literatur: Der routinierte Wärter Barnabas, ein in die Animalität abdriftender, bisexueller Mann, fischt die Leichname schiffbrüchiger Frauen aus dem Meer, um sie als „fügsame“ Bräute zu missbrauchen. Auch sein junger Kollege, Jean Maleux, verwahrlost zusehends. Noch dazu kann er Barnabasʼ Perversitäten manches abgewinnen. Erst nach dessen Tod bricht Jean den schwarzen Bann. Er führt das Logbuch in einen Roman über, als Schutzwall gegen den drohenden Wahnsinn. Schriftsteller und Leuchtturmwärter in Personalunion, das war der 2003 verstorbene Bretone Jean-Pierre Abraham. Er verfasste ein Standardwerk für Segler, arbeitete als Semaphor-Wächter im Glénan-Archipel und hütete von 1959 bis 1962 das Leuchtfeuer der „Hölle“. „Armen“ lautet der Titel seines philosophischen Logbuchs über diese Jahre, das er mit Szenen aus dem Wärteralltag durchwirkt (1967; dt. „Der Leuchtturm“, Jung und Jung 2010, übersetzt von der Autorin dieses Beitrags). Der Text entfaltet eine Sogwirkung: „Selbst der Regen ist auf Reisen. Nichts macht hier Halt. [...] Als ich mich über das Geländer beugte, sah ich eine Gischtgarbe […] mit erstaunlicher Langsamkeit zu mir emporsteigen und auf Höhe der Laterne, von einem der drei Lichtbündel des Drehfeuers gepeitscht, jäh grell aufleuchten. Einen Augenblick lang bewohnte ich das phantastische Haus, ehe es über meinen Schultern zusammenstürzte.“ Abermals wird das Schreiben zur Therapie, um dem „langsamen Verschlungenwerden“ standzuhalten. Nur drei Wochen währte hingegen das Gastspiel von Paolo Rumiz auf einem adriatischen Felsenleuchtturm. Für den Betrieb des Turms gab es Fachpersonal. Der Triestiner Reiseschriftsteller nutzte den Ort für Reflexionen über den Weltenlauf, die Macht der Elemente und die Kulturen des Mittelmeerraums. Heraus kam ein berückender Mix aus gelehrter Prosa, schwarzromantischen und lyrischen Passagen („Der Leuchtturm“, Folio 2017). Leuchtfeuer dienen einem hehren Zweck. Doch mitunter setzt ihnen die Natur eine undurchdringbare Grenze. Dazu ein letzter Lesetipp: „Das Lied des Nebelhorns“ von Jennifer Lucy Allan (deutsch von Rudolf Mast, mare 2022), eine fabelhafte Klang- und Kulturgeschichte. Foto: iStock / Andrew Michael
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