DIE FURCHE · 1522 Wissen10. April 2025Von Martin TaussHUMANSPIRITSWie Indien ticktund pulsiertProtestgegen den Abbauvon ca. 600 Jobs vordem Hauptquartierder NationalOceanic andAtmosphericAdministration(NOAA) in SilverSpring, Maryland.Indien hat mir einst den Kopf verdreht.Als ich 1992 im Alter von 19 Jahren mitzwei Freunden in Delhi gelandet warund das Flughafengelände verließ, hatteich den Eindruck, in eine dampfende Saunaeinzusteigen, in der es keinen Ausgangmehr gibt. Fremdartig betörende Sinneseindrückeprasselten auf uns ein. Mit einerRikscha ruckelten wir langsam in dieStadt hinein, vorbei an Radfahrern und abgetakeltenAutos. Um die Kühe, die sich aufder holprigen Landstraße niedergelassenhatten, machte der Fahrer einen weiten Bogen.Nach 25 Jahren landete ich 2017 wiederhier. Die Fahrt führte nun auf mehrspurigen,von japanischen SUVs bevölkertenSchnellstraßen ins smogverhangene Zentrumund die Bäume am Straßenrand warenHotel-Betonburgen gewichen: Alleindieser Weg vom Flughafen ist exemplarischfür die massive Modernisierung, dieim Land rasant Einzug gehalten hat.„ Martin Kämpchens jüngstesIndien-Buch geht tiefer als einkurzfristiger Touristentrip zuerschließen vermag. “Jemand, der davon profund und aus ersterHand berichten kann, ist Martin Kämpchen.Der deutsche Germanist und Autorkam bereits in den 1970er Jahren hierher:Nach drei Monaten als Stipendiat der StiftungStudienkreis entstand bei ihm die mirgut nachvollziehbare Gewissheit, „dass die,Erfahrung Indien‘ noch nicht abgeschlossenist“. 1973 kehrte er zurück, um richtig„einzusteigen“. 50 Jahre lang blieb Indiensein Lebensmittelpunkt – als Ashram-Bewohner,Student und Reisender, als freischaffenderSchriftsteller, Übersetzer undJournalist. In Santiniketan bei Kolkatalernte er Bengalisch und radelte auf sandigenWegen zu umliegenden Stammesdörfern,deren Bewohner weitgehend isoliertein aus der Zeit gefallenes Leben führten.Indien lebt laut Mahatma Gandhi in seinenDörfern und besonders von diesem archaischenDorfleben war Kämpchen fasziniert.Daraus gingen seit den 1980er Jahren vielfältigeEntwicklungshilfe-Projekte hervor.Im jüngst erschienenen Buch „Der Duftdes Göttlichen“ destilliert der heute 76-Jährigeseine indischen Alltagserfahrungen –von der religiösen Durchdringung des Lebensüber die Bedeutung der Familie unddie Rolle der Frauen, von Musik und Kunstbis hin zu den Festen, der Kleidung undden Grußgesten. Es ist ein Buch, das tiefergeht als ein kurzfristiger Touristentrip zuerschließen vermag, geschrieben für Menschen,„die sich auf Land und Leute einlassenund sich die Zeit nehmen, um zu verstehen– und bescheiden die Grenzen ihresVerstehens abtasten“. Schließlich ist es dieBegegnung mit dem Fremden, die uns stetsneu auf die eigenen Wurzeln blicken lässt.Der Duft des GöttlichenIndien im AlltagErfahrungen aus 50 JahrenVon Martin KämpchenPatmos 2025176 S., geb., € 20,60Foto: IMAGO / ZUMA Press WireDer Angriff gegen wichtige Institutionen der US-Forschung ist eine ideologische Trotzreaktion,die intellektuelles Kapital vernichtet: Unter der neuen Amtszeit von Präsident Donald Trumpschießt sich eine Nation gerade selbst ins Bein. Eine Einordnung.Kahlschlag mitschweren FolgenVon Klaus StiefelDie staatliche Förderung derwissenschaftlichen Forschungin den USA wird gerade starkreduziert. Ganz zuerst: Warumsollte es einen Österreicher,der in einer österreichischen Zeitungschreibt, interessieren, wie die Regierungeines Landes auf einem anderen Kontinentihr Geld ausgibt? Ich selbst war drei Jahrein den USA wissenschaftlich tätig – daswar eine intellektuell sehr prägende Zeitfür mich – und hege immer noch Sympathienfür meine dortigen Kollegen.Und wie viele andere österreichischeWissenschafter arbeite ich auch jetzt mitUS-Kollegen zusammen: Meine neuestewissenschaftliche Publikation schriebich zusammen mit zwei Mathematikernaus Pittsburgh. Einer der beiden hatte einesehr erfolgreiche Karriere und nähertsich der Emeritierung. Aber mein andererKollege ist ein junges Talent, der geradean seiner Doktorarbeit arbeitet. Werde ichauch in fünf oder zehn Jahren noch mit ihmzusammenarbeiten können – oder wird ermangels Forschungsgeld der Wissenschaftden Rücken kehren müssen?Radikale Kürzungen der US-Forschungbetreffen also indirekt auch Wissenschafterin Europa. Das wird nicht nur auf derEbene der individuellen Kollaborationender Fall sein: Wissenschaftliche Institutionenin den USA stellen auf vielen Feldernonline wertvolle Daten zur Verfügung. EinBeispiel sind Messungen der Meerestemperaturen,die man von der Website der NationalOceanic and Atmospheric Administration(NOAA) herunterladen kann. Solche„ Es scheint, als sei Trumps Angriff auf die Wissenschaftein Aufstand der bildungsfernen Schichtengegen die akademische Klasse des Landes.“Daten helfen Forschenden weltweit, diephysikalischen und biologischen Prozessein den Weltmeeren zu verstehen. Auchbei der NOAA wird gerade gekürzt (etwaelf Prozent der Budgets und 20 Prozent desPersonals). Obwohl das alles höchst unerfreulichist, kann man immer noch argumentieren,dass es das gute Recht der US-Regierung ist, darüber zu entscheiden,wofür sie US-Steuergeld ausgibt.Aufregung um LGBT+-ThemenGanz sicher ist es eine gute Idee, diesenKahlschlag der Wissenschaft genauzu verfolgen: Denn der politische Populismusfeiert ja auch gerade in Europa fröhlicheUrstände, und bei jeder ähnlichen Entwicklungsollte man versuchen, diese imKeim zu ersticken. Der Rauswurf der CentralEuropean University (CEU) aus Ungarn,die sich inzwischen in Wien angesiedelthat, ist ein europäisches Beispiel,wie Populismus schnell zu Wissenschaftsfeindlichkeitführt.Um den Effekt massiver Kürzungen derstaatlichen Forschungsförderung zu verstehen,sollte man kurz einen Blick darauf
DIE FURCHE · 1510. April 2025Wissen23„ Die Kürzungen bei der Erforschung von Klimadatensind durch eine irrationale Wissenschaftsfeindlichkeitmotiviert, die es einfach nicht wahrhaben will, was mitunserem Planeten passiert. “werfen, wie diese Förderung funktioniert.Ein Großteil der Forschung an Universitätenin den USA, aber auch in Europa, wirdnicht von den Universitäten selbst finanziert.Ein Professor oder eine Professorinerhalten typischerweise für die Lehre einGehalt. Ambitionierte Forschungsprojekteaber werden meist aus Drittmitteln finanziert.Der Professor bzw. die Professorinbeantragt die notwendige Finanzierungentweder bei einer privaten Stiftung oder(meist) bei einer staatlichen Stelle. So eineForschungsfinanzierung zugesprochen zubekommen, ist sehr kompetitiv: Von denvielen Anträgen werden meist nur etwazehn Prozent bewilligt. Die Mittel sind natürlichkein persönliches Geschenk an denProfessor, sondern werden für Messgeräte,Chemikalien und Gehälter wissenschaftlicherMitarbeiter verwendet. Ein Teil (overhead)geht auch an die Universität, um Kostenfür die Instandhaltung der Labors zubezahlen. In den USA sind es das NationaleGesundheitsinstitut (NIH) und die NationaleWissenschaftsstiftung (NSF), diedie meiste Forschungsförderung vergeben.Dazu kommt noch die Förderung übereigenständige Institutionen wie die o.a.Organisation für Meeres- und atmosphärischeForschung (NOAA).Was also wurde unter der noch kurzenAmtszeit von Donald Trump bereits gekürzt?Zuerst einmal vieles, was der neuenUS-Regierung ideologisch nicht gefällt.Viele Forschungsförderungen zum ThemaLGBTQ+ wurden einfach nicht ausbezahlt.Man muss jetzt nicht politisch rechts stehen,um zu sehen, dass dieses Thema zuletztakademisch in Mode war. Allerdingsist z.B. die Forschung über die Ausbreitungvon HIV unter homosexuellen Männern unabhängigvon so einerMode sicher sinnvoll.Und selbst wenn manprinzipiell gegen dieForschung an LGBTQ+Themen sein sollte, istes doch höchst eigenartig,schon bewilligteForschungsförderungeneinfach nichtauszuzahlen. Weiterswurde hier ein ganzerKindergarten mit demBade ausgeschüttet: Sowurden auch ideologischüberhaupt nicht„belastete“ Studien wie z.B. in der Krebsforschungoder Epidemiologie zusammengestrichen.Der weitaus größte Teil dervom NIH finanzierten Studien hat nichtsmit „trans“ zu tun, obwohl diverse Propagandistenin den (a)sozialen Medien das soerscheinen lassen wollen. Fazit: Da wirdgerade eine sehr erfolgreiche Forschungsförderungsinstitutionaus politischem Kalkülgeschädigt. Ein weiteres Forschungsfeld,das der US-Regierung ideologischmissfällt, ist der menschgemachte Klimawandel.Leider ist die Bedrohung durch unsereVeränderung der Atmosphäre real, dieForschung darüber notwendig – und dasalles sicher keine Modeerscheinung. DieKürzungen bei der Klimaforschung derNOAA sind anscheinenddurch eine kurzsichtigeund irratio-„ Ein ganzerKindergarten wurdeda mit dem Badeausgeschüttet: Derweitaus größte Teilder NIH-finanziertenStudien hat nichtsmit ,trans‘-Themenzu tun. “nale Wissenschaftsfeindlichkeitmotiviert,die es einfach nichtwahrhaben will, wasmit unserem Planetenpassiert.So wird binnen kurzerZeit viel an intellektuellemKapital vernichtet.Denn ein erfolgreichesForschungslaborlässt sich nichtso schnell auf die Beinestellen wie ein Würstelstand (ohne diesertraditionellen Wiener Institution hier nahetretenzu wollen!). Wenn die Forschungsförderungausläuft, werden die oft jahrelangausgebildeten und hochspezialisierten Mitarbeiterabwandern und sich außerhalb derForschung neue Jobs suchen. Teure Messgeräte,die langfristig erworben wurden, sindnicht wieder so leicht zu beschaffen – sofernes in ein paar Jahren doch den politischenWillen geben sollte, eines dieser Forschungsfelderweiter zu verfolgen.Schießt sich da eine Nation nicht geradefurchtbar selbst ins Bein (eine passendeAllegorie für die schießfreudigen USA!),wenn sie ihre naturwissenschaftliche Forschungund technologische Entwicklungreduziert? Es scheint, als sei dies eine ideologischeTrotzreaktion, ein Aufstand derbildungsfernen Schichten (Reichtum korreliertnicht unbedingt mit Bildung!) gegendie akademische Klasse des Landes.Wir beobachten hier anscheinend einenbizarren amerikanischen Klassenkampf,bei dem die Wissenschaft als Nebenschauplatzeins auf die Nase bekommt.Bleibt nur zu wünschen, dass sich diewissenschaftspolitische Lage auf der anderenSeite des Atlantiks bald wieder normalisiertund meine Kollegen und Kolleginnenin der immer noch tollen WissenschaftsnationUSA ihre wichtige Arbeit fortsetzenkönnen. Wenn die europäischen Regierungenvorausschauend sind, werden sie dieGunst dieser seltsamen Stunde nutzen undbereits bestehende Anreize noch weiterausbauen, um Spitzenforschende aus denUSA nach Europa abzuwerben.Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicherAutor und Naturfotograf.Er lebt zurzeit auf den Philippinen.Siehe auch diehistorischeEinordnung vonVerena Winiwarter:„Mao,Trump und das,Project 2025‘“(9.3.2025), auffurche.at.MAGAZINEinemusikalischeZeitreiseGroße Musikgeschichte – reisen Sie auf den Spurenvon Johann Strauss durch die Zeit und entdeckenSie ein komplettes Magazin zu seiner Person.Jetzt bestellen:diepresse.com/strauss
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