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DIE FURCHE 10.04.2025

DIE FURCHE · 1512

DIE FURCHE · 1512 Gesellschaft10. April 2025Von Tabea Mausz undMagdalena SchwarzVogelgezwitscher,grüne Wiesen, der Geruchvon Heu – idyllischist es hier, aufdem Milchviehbetriebder Familie Stadler. Der Bauernhofliegt auf einem kleinen Hügelin Raxendorf, Niederösterreich.Die Landwirtin Karin Stadlersteht in grauer Funktionskleidung,Trekkingschuhen und Haubevor dem Stalleingang.Sie ist eine Problemlöserin,was sich gut trifft: Denn Problemebietet die Landwirtschaft genug.Mal streikt ein Traktor, malverletzt sich ein Tier, mal regnetes zur Erntezeit. „Ich kann abernicht einfach den Hut draufwerfen,das ist ja mein Besitz“, sagtsie. Sie nickt in Richtung Stall,deutet auf die Felder um sich.32 Hektar Grünland, 22 HektarAcker, 14 Hektar Wald, dazu etwa50 Milchkühe plus 50 Jungrinderund Kälber sowie ein Selbstbedienungshofladenund das einzige„Lebensmittelgeschäft“ des Tausend-Einwohner-Dorfes.Für Österreich,wo die Landwirtschaftkleinstrukturiert ist, hat der Vollerwerbsbetriebeine beachtlicheGröße. Nebenbei kümmert sichStadler um die pflegebedürftigeSchwiegermutter und den Haushalt.Vor allem die Tiere seien ihreVerantwortung, sagt Stadler.An diesem Punkt merkt man ihrerstmals die Sorge an. Denn dieMaul- und Klauenseuche (MKS)ist bereits in der Slowakei und Ungarn,nahe der Grenze. Für Menschenist der Virus ungefährlich.Doch infiziert sich nur ein Rind,Büffel, Schwein oder Ziege, dannmüssen auf dem betroffenen Hofsämtliche Tiere getötet werden.9000 Liter MilchResilienz eignet sich Stadlerschon früh an. Durch die Heiratkommt sie mit 22 Jahren als Quereinsteigerinauf den Hof. Damalshilft der Schwiegervater noch mit,doch ihr Mann Martin arbeitetbis 2012 Vollzeit als Staplerfahrer.Der Junglandwirtin fehlt es an Erfahrung.Sie erzählt von totgeborenenKälbern und hohen Tierarztkosten.Doch sie lernt schnell.Seitdem der Betrieb gewachsenist, verantworten das Ehepaarund der 18-jährige Sohn Samuelhauptberuflich Rinderzucht undMilchproduktion.Die Kühe sind der Mittelpunktdes Betriebs. 9000 bis 9500 LiterMilch produziert der Hof pro Jahr.Ihr Mann ist zuständig für dieBewirtschaftung der Felder, dieTraktoren, das Silo, Karin StadlersAufgabe ist das Herdenmanagement– das ist ihr am liebsten. Sieführt durch die Stallanlagen –zuerst durch das alte Gebäude,das die Schwiegereltern in denspäten 60ern bauten. Hier ist amTag zuvor ein Kalb auf die Weltgekommen. Ist sie nicht vor Ort,dann kann die Landwirtin Geburtenper Babycam am Handy beobachten.Direkt gegenüber befindetsich der „Kälberkindergarten“.Die Jungrinder werden nach einpaar Stunden von der Muttergetrennt, „um den Trennungsschmerzzu unterbinden“, erklärtStadler. Eine gemeinsame Haltunglassen ihre RäumlichkeitenFoto: Tabea MauszTechnikinteressiertDie LandwirtinKarin Stadlerbegeistert sich fürtechnologischeModernisierungenwie automatischeMilchtränken.Die Maul- und Klauenseuche hat die österreichische Grenze erreicht undsorgt für Unruhe unter den Landwirten. Eine Waldviertler Bäuerin überdas Virus, Melkroboter, Dumpingpreise und Kälber-Babycams.Hinter derMilchpackungnicht zu. Ein paar Schritte weiternuckelt ein Kalb an einer 2023 installiertenautomatisierten Milchtränke.Das Gerät erkennt das Tieranhand der Ohrmarke und liefertdie vorgesehene Tagesration.Außenstehende mag StadlersBeziehung zu den Tieren befremden.Es mischen sich Sorge undökonomische Abwägungen, Zuneigungund Kosten-Nutzen-Rechnungen. „Du schaust mehrauf die Kühe als auf dich selbst“,sagt die Landwirtin. Sie betrittden 2004 gebauten Laufstall. Ein„Muuuhhhh“-Kanon ertönt. „Ja,Fremde im Stall, da muss man sichgleich aufregen“, kommentiertStadler lachend. Jedes Tier hat einenNamen – Nummer 8 heißt Roxy,164 ist Libelle, 162 Irene. „Dasist Hilde“, sagt Stadler, nicht ohneStolz. „Sie gibt über 50 Liter Milcham Tag“. Dann ermahnt sie denLabradorrüden Sam, der eine derKühe ärgert. Natürlich habe derHund für sie eine andere Bedeutungals die Rinder. Stadler ist direkt,von Beschönigungen hält sienicht viel. Mit acht Wochen kommendie männlichen Kälber an einenMastbetrieb. Auch Milchkühewerden geschlachtet, wenn sie fürStadler keinen wirtschaftlichenNutzen mehr haben, etwa wennsich das Tier einen Fuß bricht odernicht mehr trächtig wird. Unddennoch kenne sie jedes Tier, jedeEigenart, jede Auffälligkeit. EineAmbivalenz, die jene, die nurmit den fertig verpackten, sterilenLebensmitteln im Supermarktin Berührung kommen, irritiertund die dennoch nach wie vor dieGrundlage der österreichischenErnährungsweise ist.Die Tore des Stallgebäudes sindso oft wie möglich geöffnet, damit„ Dann picken sich die Leute auf die Straßen,aber kaufen keine regionalen Produkte. Daspasst für mich nicht zusammen. Karin Stadler“die Luft zirkuliert. Auf die Weidekommen die Kühe hier nicht,weil es dafür an Flächen mangelt.Stadler ärgert sich über Menschen,die Tierwohl fordern, dannaber beim Einkaufen nach den billigstenProdukten greifen. „Dannpicken sich die Leute auf die Straßen,aber kaufen keine regionalenProdukte. Das passt für michnicht zusammen“, sagt sie.Auch die Kritik an den EU-Agrarförderungenkennt Stadler.„Da wird immer geschrien, dieBauern kriegen Subventionen!Dabei sind es Ausgleichszahlungenfür die Produktpreise“, sagtsie. Die Gelder seien an Auflagengebunden – von der Begrünungbis zu Düngeverbotsräumen.Auch für die Klimakrise sei dieLandwirtschaft nicht hauptverantwortlich.„Wir tragen ja auchdazu bei, dass CO₂ wieder gebundenwird. Wir bewirtschafteneinen Wald, haben Wiesen.“Tatsächlich entstammen lautUmweltbundesamt im Jahr 2023etwa zwölf Prozent der österreichischenTreibhausgasemissionenaus der Landwirtschaft.Damit lag sie hinter der Energieund Industrie mit 44 Prozent sowiedem Verkehr mit 29 Prozent.Gleichzeitig geht aus einem Berichtdes Österreichischen Institutsfür Wirtschaftsforschung(WIFO) hervor, dass der starke Fokusauf Produktivitätssteigerungendie Transformation hin zu einerklima- und umweltbewusstenLandwirtschaft hemmt. Aktuellerfüllen nur knapp ein Viertel derheimischen Betriebe die Bio-Vorgaben.Der Rest sind unterschiedlichste,größere und kleinere Höfewie jener der Familie Stadler.Unbestreitbar ist, dass dieLebensmittelproduktion systemrelevantist. Allein Milch wirdhierzulande reichlich konsumiert,der Verbrauch pro Kopf und Jahrschwankt seit 1995 zwischen 72und 77 Kilogramm. Doch währendKrankenpflegekräfte in Lockdown-Zeiten beklatscht wurden, habenauch Landwirte gearbeitet. DieKürzung von Förderungen, zunehmendeBürokratie, EU-Handelsabkommenund neue Umweltauflagenwaren nicht die einzigenGründe, warum sie 2024 europaweitprotestierten – teils bis zur Eskalation:brennende Barrikaden,durchbrochene Polizeisperren,Mist und Eier als Wurfgeschosse.Hinter der Wut verbirgt sich auchfehlende Wertschätzung.Die Seuche rückt näherDie Stadlers sind selbst vielfachengagiert: Als ehrenamtliche Gebietsbäuerinorganisiert die Landwirtinmit Kolleginnen Weiterbildungen,ihr Mann ist geschäftsführenderGemeinderat (ÖVP) inRaxendorf, gemeinsam waren sie2020 Teil einer Bauernbund-Niederösterreich-Werbekampagne.Außerdem ist das Ehepaar Teileiner selbstorganisierten Gemeinschaftlokaler Landwirtinnen und

DIE FURCHE · 1510. April 2025Gesellschaft13„ Wir tragen ja auch dazu bei, dass CO₂ wieder gebundenwird. Wir bewirtschaften einen Wald, haben Wiesen. “Karin Stadler676.500 Rinder, Schweine, Schafeund Ziegen nach Österreich importiertworden. Der Verein fordertdaher eine „drastische“ Reduktionder Lebend-Transporte. Für Konsumentenund Konsumentinnenbiete der aktuelle MKS-Ausbrucheinen guten Anlass, um sich derFragilität von Tierhaltungssystemenund der Gefahren der Intensivtierhaltungbewusst zu werden.Seuchen habe es zwar immerschon gegeben, erklärt die Landwirtschaftskammer,aber natürlichsei auch „die Globalisierungmit verstärkter Verfrachtung vonMensch, Tier und diversen Produktensamt Schadorganismen“ein Grund. Zwar stärke die kleinstrukturierteLandwirtschafthierzulande die Resilienz gegenüberÜbertragungen, doch esbrauche „auch ein rot-weiß-rotesKonsumbekenntnis der Österreicherinnenund Österreicher“, umdiese Standards zu halten. Stadlersieht das ähnlich: „Die Konsumentenentscheiden, wo derProduktionsauftrag hingeht: InsAusland, oder bleibt er bei uns inÖsterreich?“Kurz vor unserer Verabschiedungvor zwei Wochen war die Euterentzündungeiner Kuh nochKarin Stadlers größtes Problem.In der Zwischenzeit ist viel passiert.Österreich kontrolliert odersperrt Grenzübergänge von Ungarnund der Slowakei. Obwohles hier noch keinen Fall gibt, habenbeispielsweise die USA, Kanadaund das Vereinigte König-Glauben Sie noch,oder wissen Sie schon?Fakten gibt’s jetzt im Abo.reich den Import von österreichischemrotem Fleisch und Rohmilchgestoppt.Am Telefon klingt Stadler besorgt.Den Klassen, die den Hof imRahmen von „Schule am Bauernhof“,ihrem Herzensprojekt, besuchthätten, musste sie absagen.Aktuell dürfen etwa Betriebsfremdeden Hof nicht betreten, erzähltdie Landwirtin. Alle Bauern seienenorm vorsichtig. Wenn die Seuchenach Österreich kommt, dannwäre der Schaden katastrophal.Eine Multimedia-VersiondieserReportage mitzusätzlichenBildern undInformationenfinden Sie auffurche.at.„ Für Konsumentenbietet der MKS-Ausbrucheinen Anlass, um sich derFragilität heutigerTierhaltungssystemebewusst zu werden. “Verein gegen TierfabrikenLandwirte. Sie leihen sich gegenseitigGeräte und unterstützensich mit Know-how und Arbeitskraft,etwa bei der Ernte. „VieleHände, schnelles Ende“, bringtes Stadler auf den Punkt. ImHerbst 2024 waren viele niederösterreichischeHöfe vom Hochwasserbetroffen, Familie Stadlerhatte Glück. Dass das Klima sichändert, das merkt sie aber auch.Wenig Regen, extreme Hitze –ohne Ventilatoren im Stall würdees nicht mehr gehen. „Man ist demlieben Gott da oben ein bisschenausgeliefert“, sagt die Bäuerin.Die drei gemeinsamen Kinderhelfen mit und in ein paar Jahrensoll der Sohn und ausgebildeteLand- und Forstwirt Samuel denHof übernehmen. Was, wenn erkeine Lust auf den Bauernhof hätte?„Das wäre okay für mich, aberes würde mich schwer treffen“,sagt Stadler. Nicht umsonst habensie ihn bei allen großen Investitionender letzten Jahre miteinbezogen– wie der Anschaffungdes rund 200.000 Euro teurenMelkroboters. „Hier melkt Lely“,steht auf dem Schild in Kuh-Form.Optisch ist die mächtige Maschineeine Mischung aus Autowaschanlageund „Star Trek“-Transporter.Während des Melkvorgangsreinigt der Roboter die Euter,prüft die Milchqualität und kontrolliertdie Gesundheit der Kühe.Noch vor zwei Jahren stand KarinStadler pünktlich um fünf Uhrhier, heute beginnt ihr Arbeitstagdank Lely „erst“ um sechsUhr. Arbeit bleibt genug: nachden Kühen schauen, die Neugeborenenfüttern, Reinigungsarbeiten,Joghurt und Käse für den Hofladenherstellen, Büroarbeiten,dazu im Sommer die Getreideundim Herbst die Maisernte undim Winter die Waldarbeit. EinZwölf-Stunden-Arbeitstag ist dieRegel. Aber Karin Stadler kann essich nicht mehr anders vorstellen.Sie mag es, ihre eigene Chefin zusein. Vor allem weil es – bis zumMaul- und Klauenseuchen-Ausbruchin den Nachbarländern –gut gelaufen ist. Nach Streitereienmit Spar und einem Lieferstopphaben sich die niederösterreichischenMilchbauern im Herbst mitdem Großhändler geeinigt.Und dann kommt der Virus, zumindestbis an die Landesgrenzen.Stadler verfolgt beunruhigtdie Nachrichten. Seit Jahrzehntenzanken Bauern, Politiker,Natur- und Tierschützer über dierichtige Ernährungsweise, Tierwohl,das Klima. Doch bezüglichder Seuche herrscht, zumindestteilweise, Einigkeit. Laut dem Vereingegen Tierfabriken begünstigtder verstärkte Tiertransport in Europadie Verbreitung von Krankheitenund der sei wiederum eineFolge des internationalen Preisdrucks.Im Jahr 2024 seien etwaSichern Sie sich 25 Prozent Rabatt auf das erste Jahresabovon Der Pragmaticus mit dem Code „Furche251“.Jeden Monat neu,bequem in Ihrem Briefkasten.Bestellen unter:derpragmaticus.com/aboAktion gültig bis 30.04.2025Pragmaticus_Briefkasten Anz_Furche_211x282 Kopie.indd 1 26.03.25 13:21

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