DIE FURCHE · 2249. Jänner 2025Was macht Menschen einander zugetan?Erinnerungen an den Theologen PhilippHarnoncourt, der im Mai 2020 verstorben ist.Der großeÖkumeneDer 1931 in Berlingeborene Harnoncourtwar geweihterPriester und setztesich für eine ökumenischeAnnäherungzwischen katholischerund orthodoxerKirche ein.Illu: R MÜber eineFreundschaftVon Manuela TomicLuluMOZAIKFoto: Wikipedia / Gerd Neuhold (cc by-sa 3.0 at)Lesen Sieauch HeinzNußbaumersGedanken zumTod von PhilippHarnoncourt(4.6.2020) auffurche.at.Seit wenigen Wochen haben wirein neues Familienmitglied:Loui, ein plüschiger Pudelmischling,ein kuscheliger Cockapoo.Der haselnussbraune Welpemit den schwarzen Knopfaugen istder Schützling meines Cousins. IchHundephobikerin wurde zur Hundenärrin.Manisch lief ich dem Vierbeinerauf allen vieren nach, umihn zu herzen, ließ mich von LouisMilchzähnchen zwicken und wischteseine Schmutzpfötchen ab, wenner aus dem gatschigen Garten in dieWohnung wollte. Weihnachten verbrachtenwir […] wieder im großenFamilienkreis. Aufgeputscht tollteLoui von einem Raum in den nächsten,schnupperte an unseren Schuhenund Patschen. Vater nannte ihn„Lulu“. Meine Schwester, deren Hundeangstnicht einmal angesichts deskleinen Welpen gänzlich erweichte,hielt Abstand. Mutter runzeltedie Stirn, machte sich Sorgen um denWohnzimmerteppich. Nachdem wiralle Couscous mit Huhn gegessen hatten,kam die Bescherung. Die Gabenfunkelten unter dem bunt behängtenWeihnachtsbaum. Da schlich sichLoui unauffällig unter die Tanne. Ermachte es sich zwischen den Geschenkengemütlich und neigte seinKöpfchen. Mein Cousin sprang aufund rannte Richtung Baum. Es warzu spät. Vater brüllte über den Tisch:„Lulu hat Kacka gemacht!“Manuela Tomic, Autorin und ehemalsFURCHE-Redakteurin, ist in Sarajevogeboren und in Kärnten aufgewachsen.In ihrer Kolumne schreibt sie überKultur, Identitäten und die Frage,was uns verbindet.Die Kolumnengibt es jetztals Buch!Von Hubert GaisbauerNachdem ich Philipp Harnoncourteinmal zum Geburtstag den Roman„Die Auslöschung“ von ThomasBernhard geschenkt hatte,wies nichts darauf hin, dasser entzückt gewesen wäre. Ich glaube, dasser ihn nie gelesen, vielleicht sogar weitergeschenkthat. Ich hatte die Wahl meines Geschenksmit dem Hinweis darauf begründet,dass er, Philipp, und Thomas Bernhard am selbenTag, ja wirklich am selben, geboren wordensind. Wir haben dann allerdings kein Wortmehr darüber verloren. Nicht über Bernhardund nicht über die „Auslöschung“.Vielleicht sollte man einem Menschen jenseitsder Siebzig einfach keinen Roman miteinem so terminalen Titel schenken. Aberdie Auseinandersetzung mit dem Tod hatder Theologe Philipp Harnoncourt nicht gescheut.Im Gegenteil. Er hat viele Vorträgezum Thema „Kunst desSterbens“ gehalten. ThomasBernhard hat mitdem Titel ja eher eine Befreiungaus Zwängen derHerkunft gemeint.Meister der Übertreibung„ Am besten habenwir miteinandergeredet, wenn wirmiteinandergegangen sind. Soanschaulich, wie ererzählt hat, konnteer auch zuhören. “Ich hätte es wissen können:Philipp Harnoncourthat Thomas Bernhard einfachnicht gemocht. Undzwar, weil sie einanderzu ähnlich gewesen sind.Beide waren Meister der Übertreibung. Anden Mundwinkeln konnte man ihnen ja immeransehen, wenn sie wieder einmal kräftigübertrieben hatten. Zwei Sätze von ThomasBernhard treffen auf meinen Freund Philippso sehr zu, als stammten sie von ihm: „Um etwasbegreiflich zu machen, müssen wir übertreiben.“Und: „Ohne Übertreibung wärenwir zu einem entsetzlich langweiligen Lebenverurteilt.“Deshalb waren ja die Gespräche mitPhilipp auch so herz- und geisterfrischend.Am besten haben wir miteinander geredet,wenn wir miteinander gegangen sind. So anschaulich,wie er erzählt hat, konnte er auchzuhören. Mit seinem „Ja, schau!“ bekundeteer sein ungeheucheltes Interesse. Wenn er geredet,erklärt oder erzählt hat, konnte manhellhörig werden auf die Sorgfalt seiner Sprache,die er manchmal bis zum Sprach- undSprech fetischismus getrieben hat. Wenn jemandsagte, man müsse ein Problem „auf Augenhöhe“diskutieren, explodierte er: „Dannschaut der eine dem andern wieder nur aufden Bauchnabel! Auf gleicher Augenhöheheißt das! Da muss halt einer ein wenig in dieKnie gehen oder dem anderen ein Stockerlunterstellen! Sonst wird’s nix!“Auf der höheren – sagen wir: theologischen –Ebene war er ebenso streng. „Man kann beider Dreifaltigkeit nicht von ‚Einheit‘ sprechen– das kann nur ‚Einsheit‘ heißen!“ Trinitätsfragensind in seinem letzten Lebensjahrzehntsein geistlicher Tummelplatz gewesen.Grund dafür war das Sanierungsprojektder dreiseitigen Heiligen-Geist-Kapelle mittenim Autobahnlabyrinth nahe Bruck an derMur. An einem abbruchreifen, verlorenenBauwerk wollte Philipp den frommen Sinnseiner ursprünglichen Errichtung wiedererwecken.Es sollte ein Denk-Mal „ohne Nutzen,aber mit Sinn“ sein, das er dem Erinnernan die heiligste Dreifaltigkeit(und auch an sichselbst) gesetzt hat.Der stets lebendige Austauschdarüber und dieAnteilnahme daran, wieer sie Freunden voller Begeisterungnahezu aufdrängte,waren für einenLaien wie mich immerein Seminar, in dem dieEntdeckerfreude übergesprungenwar. Er hattesich ja inzwischen eineviel spirituellere Botschaft von der Kunst alsvon der akademisch spitzfindigen Theologieerwartet, die ihm – wie er einmal sagte – „zulangweilig“ geworden wäre.Bei unseren mehrtägigen Wanderungen –meist irgendwo auf den Spuren seines UrurahnsErzherzog Johann – habe ich mich fürseine kühnen Exegesen unterwegs mit meinemVorlesen aus den „Bunten Steinen“ odereiner anderen Erzählung von Adalbert Stifterbedankt. Das haben wir beide sehr genossen.Auf einem Baumstamm im Schatten sitzendoder die Füße in einem kühlen Bach, aber denhörenden Kopf in der Höhe der geistigen Skylinedes stifterischen Hochwaldes. So saßenwir oft da. Und manchmal rezitierten wir gemeinsamdie Mittagshore. Die Psalmverseabwechselnd – wie es sich liturgisch gehört.Oft ist er – am liebsten ganz allein – in denWeinberg unseres Sohnes gegangen. Arbeiten.Und sich ein wenig als biblischer Winzerfühlen. Die Rebstöcke reinigen oderüberschüssiges Laub entfernen, damit dieTrauben mehr Sonne hätten. Einmal erschiener nicht zur vereinbarten Essenszeit, sodasswir schon dachten, der Herr des ewigen Weinbergshätte ihn in der Mittagshitze zu sich geholt.Wir wollten nachschauen gehen – dochda stand er schon da, noch mit Schweiß aufder Stirn. War’s schön? – „Ja, was glaubst!“Als Arbeitslohn hat er sich die Erlaubnis erbeten,auf das Etikett eines Kontingents vonFlaschen die Anmerkung drucken zu lassen:„Unter Mitarbeit von Philipp Harnoncourt“.In seiner Winzerbegeisterung hat er sich imLagerhaus von Furth eine dunkelolivgrüneJacke gekauft. Mit Stolz hat er sie getragen,bald darauf sogar bei der Bat-Mizwa-Feierunserer jüdischen Enkelin. So hat er sich nebenden Oberrabbiner gesetzt und angeregtmit ihm diskutiert.Der Schalk sitzt in der RippePhilipp Harnoncourt, der große Ökumeniker,war bei aller Ernsthaftigkeit ein großerSchalk – in der Imitation seines verehrtenNamenspatrons, des heiligen Philipp Neri.Wie dieser hatte er eine gebrochene Rippe,aber nicht infolge inbrünstigen Betens wieder Heilige, sondern als Folge eines Sturzesbeim Skifahren. Hat er jedenfalls erzählt.Apropos heilig: Empfindsamen KremserKirchgängern schlägt noch immer das Herzhöher in der Erinnerung, dass sie einmal beider Sonntagsmesse von dem Gastzelebrantenund namhaften Liturgieprofessor Harnoncourtals „Ihr Heiligen von Krems“ (natürlichpaulinisch!) angeredet worden sind.Philipp hatte in vielen – nicht nur in theologischen– Fragen abweichende Ansichten.Meine Zweifel an der Wirksamkeit seinesAufrufs zu einem „eucharistischen Hungerstreik“– als Protest gegen das getrennteAbendmahl der christlichen Kirchen – hat ernicht geteilt. Dass eine durchschlagende Wirkungausgeblieben war, hat ihn aber doch tiefenttäuscht. Auch wenn er es nicht zugegebenhat. Fragen nach dem Warum hat er ja eigentlichselten gelten lassen. Oft hat er gesagt:Viele dieser Fragen müssten eigentlich mit einemWozu beginnen. Diese Unterscheidungdes Geistes im Gebrauch der Sprache habeich mit ihm gelernt. Sie bleibt für mich seinVermächtnis. Wie die ausgetretenen Wanderschuhe,die er bei seinem letzten Besuch beiuns vergessen hat.
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