DIE FURCHE · 222 Wissen/Lebenskunst9. Jänner 2025Von Martina MelzerNerven undHormoneEmotionen,Gedanken, Nerven-,Immun- undHormonsystembeeinflussensich gegenseitig.Die Psychoneuroimmunologieerforscht,wie Stressdieses Zusammenspielverändert.Erschöpfung, Schlafstörungen,Kopfschmerzen, Herz-Kreislaufprobleme,Verdauungsbeschwerden:Solche Symptomegeben Teilnehmer von Umfragentypischerweise an, wenn man sie fragt,wie sich dauerhafter Stress auf ihr Wohlbefindenauswirkt. Mit Stress werdenaber auch zahlreiche Krankheiten assoziiert– von Bluthochdruck über Autoimmunkrankheiten,Angststörungen und Burnoutbis zu Syndromen wie Long Covid odereinem erhöhten Krebsrisiko. Es ist offensichtlich:Stress macht krank.Erleben wir etwas als stressig, wirkt sichdas auf Geist und Körper aus. Denn beidesind eine untrennbare Einheit. Was dabeigenau in unserem Inneren passiert, damitbeschäftigt sich ein Forschungsfeld in derMedizin: die Psychoneuroimmunologie.Sie befasst sich damit, wie sich Emotionen,Gedanken, Nerven-, Immun- und Hormonsystemgegenseitig beeinflussen und wieStress dieses Zusammenspiel verändert.Ungesunder Umgang mit sich selbstZwar gibt es auch körperliche Faktorenund Umweltreize, die Stress auslösen. DenHauptteil machen aber psychosoziale Faktorenaus. Hierzu zählen Zeitdruck, hoheAnforderungen und wenig Handlungsspielraumin der Arbeit, Beziehungsstress,traumatische Erlebnisse, aber auch Perfektionismusund ein ungesunder Umgang mitsich selbst. „Alles, was uns auf einer psychosozialenEbene belastet, führt zu biochemischenReaktionen im Körper“, sagtProfessorin Eva Peters, Ärztin und Leiterindes Psychoneuroimmunologie-Laborsan der Klinik für Psychosomatik am UniversitätsklinikumGießen. Stress sei per senicht schlecht, sondern eine Anpassungsreaktiondes Körpers an eine Herausforderung.Eine chronische Stressbelastungsei dagegen schädlich für den Organismus.Nehmen wir etwas als „stressig“ wahr, ordnetunser Gehirn das als Gefahrensignalein. Es schüttet Stressbotenstoffe aus, dieeinen Teil des Nervensystems in den sogenanntenKampf- und Fluchtmodus versetzen.Ebenso wird die sogenannte Stresshormonachsehochgefahren.Dadurch wird unter anderem Energie fürdie Muskeln bereitgestellt, das Herz pumptmehr Blut durch die Adern, um mehr Sauerstoffim Körper zu verteilen. Die Verdauungwird gedrosselt, die Atmung verstärkt.„Biologisch ist das sinnvoll, denn früherkonnten wir uns so verteidigen oder wegrennen“,erklärt Peters. Mussten wir potenziellkämpfen, bestand das Risiko, verletztzu werden, weshalb auch das Immunsystemin einen Alarmzustand versetzt wird.Und unsere Stimmung ändert sich. Wirwerden angriffslustig oder ängstlich. Passiertdas im Beisein anderer Menschen,Körper und Geist sind eine untrennbare Einheit. Warumchronischer Stress so schädlich ist und wie die „Mind-Body-Medizin“ versucht, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.Die großeIntegrationübertragen sich unsere Gefühle auf sie, sodasswir bei echter Gefahr gemeinsam fliehenoder kämpfen könnten.„Chronischer Stress kann diesen Vorgangaus dem Gleichgewicht bringen“, sagt Peters.So stellt der Körper zum Beispiel ständig unnötigviel Energie bereit, bis die Ressourcenaufgebraucht sind und es zur Erschöpfungkommt. Wird der Körper mit Zuckermolekülengeflutet, die den Muskeln eigentlich alsEnergieträger dienen sollen, werden die Zellenzuckerresistent, was zu Diabetes führenkann. Verengen sich dauernd die Blutgefäße,um mehr Blut in den Kreislauf zu pumpen,kann Bluthochdruck entstehen. Auch„ Zeitdruck, hohe Anforderungen etc.:Alles, was uns auf einer psychosozialenEbene belastet, führt zu biochemischenReaktionen im Körper. “Eva Peters, Universitätsklinikum GießenBild: iStock/SiberianArtdas Immunsystem kann durcheinandergeraten:Entweder kann es sich nicht mehrgegen Krankheitserreger wehren, was dieInfektanfälligkeit erhöht, oder es verwechseltkörperfremde und körpereigene Stoffe,was Autoimmunkrankheiten auslöst. AuchKrebs kann durch ein aus dem Lot geratenesImmunsystem begünstigt werden.Was kann man tun, um Psyche und Körperwieder in eine Balance zu bringen? DiesemThema widmet sich ein aufstrebendesSpezialgebiet der Medizin, das im Prinzipder Spezialisierung auf immer kleinereKörpersegmente entgegenläuft: die„Mind-Body-Medizin“. Der Fokus liegt hierbeidarauf, sich die Interaktion zwischenGehirn, Geist, Körper und Verhalten zunutzezu machen. Das soll die Selbstheilungskräftedes Körpers anregen und dieGesundheit des Menschen fördern. „Hierfürist ein ganzheitliches Vorgehen nötig,das Körper und Geist auf allen Ebenen anspricht“,erläutert Magdalena Wallkamm,Wissenschafterin am Institut für IntegrativeGesundheitsversorgung und -förderungan der Universität Witten/Herdecke.Man müsse den Menschen als Ganzes sehenund behandeln – also emotional, körperlich,mental, spirituell, verhaltensbezogenund im sozialen Kontext. Es sei wichtig,zu identifizieren, was ihn belastet und denKörper krank macht, um dann gezielt dortanzusetzen.Wallkamm verdeutlicht den Mind-Body-Ansatz am Beispiel der Multiplen Sklerose,einer chronisch-entzündlichen Erkrankungdes Gehirns und Rückenmarks. Alles,was die Autoimmunkrankheit mit sich bringe,sei körperlich wie psychisch sehr belastend– die Symptome, die Prognose, dieMedikamente, die Bewegungseinschränkungen.Durch eine Kombination aus angepassterBewegung, antientzündlicherErnährung, dem Erlernen von Entspannungstechniken,einem anderen emotionalenund gedanklichen Umgang mit derKrankheit sowie dem Stoppen stressfördernderVerhaltensweisen lasse sich dieLebensqualität der Patienten und Patientinnenjedoch deutlich steigern. „Dieser Ansatzkann Stress und Ängste reduzieren, dieEntzündungswerte senken, die Beweglichkeitverbessern und Wohlfühlbotenstoffeim Gehirn ausschütten“, sagt Wallkamm.Und das helfe Körper und Geist, wieder zueinem besseren Gleichgewicht zu finden.Körper im EntspannungsmodusStudien zeigen auch, dass sich Mind-Body- Therapien unter anderem positiv aufHerz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruckauswirken. Besonders Technikenwie Meditation, Yoga und Atemübungenaktivieren die Entspannungsreaktionim Körper, die das körpereigene Gegenmittelzur Kampf- und Fluchtreaktion ist. Dadurchwerden die Blutgefäße weit gestellt,und der Blutdruck sinkt. Mehr Bewegung,eine gesündere Ernährung sowie ein andererUmgang mit Stress und ungesundenVerhaltensweisen sind weitere Bausteine.Auch bei Krankheiten wie dem Post-Covid-Syndromkann es mit einem ganzheitlichenAnsatz Erfolge geben. So zeigtetwa eine kleine Studie der US-amerikanischenHarvard-Universität, dass eineTherapie, die sowohl Körper als auch Psycheanspricht, Symptome wie Erschöpfung,Schmerzen und Atemnot signifikant senkenkonnte. Teils noch laufende Studiendeuten darauf hin, dass die Mind-Body-Medizin dabei helfen kann, sich von LongCovid zu erholen. „Wenn man auf alle Körpersystemeund die Psyche einwirkt, kannman wieder zu einem Gleichgewicht zurückfinden“,so Eva Peters.Beide Expertinnen sind sich einig: DiePsychoneuroimmunologie spielt eigentlichbei allen Erkrankungen eine wichtige Rolle,und die Mind-Body-Medizin kann vielseitighilfreich sein. Derzeit kommen dieseFachrichtungen und ihre potenziellen Effekteim klassischen schulmedizinischenVorgehen aber noch zu kurz.Die Autorin ist promovierte Humanbiologin.Sie arbeitet als Apothekerin, Mind-Body-Coach, Journalistin und Fotografin. Sie littfast 15 Jahre unter ME/CFS und anderenchronischen Krankheiten und ist heutewieder weitgehend gesund.Siehe dazu auchden Artikel vonDagmar Weidinger:„ME/CFS und LongCovid: Die Kunst nicht aufzugeben“(30.11.2024), auf furche.at.
DIE FURCHE · 29. Jänner 2025Wissen/Gesellschaft23Soziale Medien zeigen den Nutzern ständig, was sie gerade in der Welt verpassen. Daraus kann sich FOMOentwickeln: die krankhafte Angst, etwas zu versäumen. Was sie auslöst – und wie man sie überwindet.Letzte Hilfe: Handy-EntzugVon Andrea KriegerIn Augsburg sollen „Bompeln“,also Bodenampeln,dafür sorgen, dass Menschenmit aufs Handy gerichtetemBlick seltenerverunfallen. Der Handel bewirbtSmartphone-Tresore, in denendas Mobiltelefon für einen selbstbestimmten Zeitraum unwiderruflichversperrt bleibt. Beidesrichtet sich besonders an Menschenmit FOMO. Das Kürzel stehtfür „fear of missing out“ – also dieAngst, etwas zu versäumen.„Die Angst selbst ist uralt“, sagtder Psychologe und SuchtexperteOliver Scheibenbogen vom AntonProksch Institut in Wien. „Dahintersteckt nichts anderes als dasBedürfnis, mit anderen verbundenzu sein.“ Allerdings treibensoziale Medien wie Facebook, Instagramoder TikTok das Problemauf die Spitze. Noch nie war die Informationdarüber, was Freunde,Bekannte und sogenannte Role-Models so treiben, meinen, unternehmenund kaufen, so leichtverfügbar. Dreieinhalb Stundenverbringen junge Teens imSchnitt täglich am Handy, besagteine repräsentative österreichischeUmfrage. Laut der deutschen„Mediensuchtstudie“ fällt bereitsein Viertel aller Zehn- bis 17-Jährigenin die Kategorie „riskanteNutzung sozialer Medien“. Dasist eine Verdreifachung seit Corona.Bei sechs Prozent wird die Nutzungbereits als pathologisch eingestuft.Typisch sind depressiveVerstimmungen und Angstsymptomesowie ein schlechterer Umgangmit negativen Emotionen.Bis Mitte 30 bleiben die digitalenNutzungszeiten hoch. WährendBurschen und Männer eherzum exzessiven Online-Gamingneigen, ist FOMO überwiegendweiblich, „weil Frauen Kommunikationintensiver leben“, so Scheibenbogen.Vor allem Menschenmit Bindungsangst, Sozialphobieund geringem Selbstwert sind gefährdet.Während die Teilnahmeam realen Leben immer mehr verkümmert,hat online das VergleichenHochkonjunktur. Und selbstwenn der Gebrauch von Beautyfilternbekannt ist und viele wissen,dass auf Instagram und Co generellder schöne Schein zählt, könnenMinderwertigkeitsgefühleauftauchen – auch bei den Älteren.Scheibenbogen erklärt das so:„Bilder lösen unmittelbare Emotionenaus, und diese sind schnellerals der Verstand.“ Sei das Vorbildzu weit weg, drohten Gefühlevon Hilflosigkeit und Ohnmacht.„Depressionen und Essstörungenkönnen die Folge sein.“ Zumal derAlgorithmus bewirkt, dass immermehr Unerreichbares vorgeschlagenwird.„Mensch wird austauschbar“Ein treuer Begleiter von FOMOist FOBO („fear of better option“),also die Angst, sich falsch zu ent-Foto: Bildnachweisscheiden. Wahlmöglichkeitenvermitteln zwar ein Gefühl vonFreiheit. Im Übermaß – man denkeetwa an online angekündigteVeranstaltungen – behindernsie jedoch die Entscheidungsfindung.Die Angst, die Wahl zu bereuen,wird dann übergroß. So erzählteine 29-Jährige: „Anfangshatte ich bei lächerlichen DingenFOMO. So konnte ich michim Restaurant nicht entscheiden,welches Gericht ich möchteund ob ich nicht das viel besseregerade verpasse. Diese FOMObreitete sich dann aber auf fastalle Lebensbereiche aus, sogarauf die Berufs- und Partnerwahl.“Ihr wurde bewusst: „Der Menschwird dadurch austauschbar. Undwir zu einer wahren Wegwerfgesellschaft:Könnte nicht jede Sekundeein besserer Job oder Partnerum die Ecke biegen?“ Die„Betroffene“ heißt Valerie Huber,29, ist erfolgreiche Schauspielerinund UNICEF-Ehrenbeauftragte.Sie hat diese auchbei Menschen in ihren Zwanzigernweitverbreitete Problematikzum Anlass genommen, einebenso persönliches wie kurzweiligesBuch mit Denkanstößenzu schreiben, das Ende Jänner erscheinenwird: „FOMO Sapiens“.Die Qualder WahlWo man vor vielenOptionen steht, istdie Enttäuschungnicht weit. Dagegenhilft der paradoxeGegentrend:die „Freude, etwaszu verpassen“.„ Von sich aus könnenMinderjährige ihre Handyzeitennicht begrenzen. Dazuist die Impulskontrolle nochzu schwach ausgeprägt. “Wie aber kann man aus diesemDilemma wieder herauskommen?Bei großem Leidensdruck „ist esam besten, eine Zeitlang aus allensozialen Medien auszusteigenund erst danach wieder moderateinzusteigen“, sagt ExperteScheibenbogen. Man dürfe sichruhig über Likes freuen, „aberes braucht auch andere Quellender Freude und Zustimmungfür den Selbstwert, etwa ein gutesGespräch im Job, der Uni oderSchule, aus dem man gestärkthervorgeht“, so der Gesundheitspsychologe.„Bei der Therapie arbeitenwir bezüglich Handygebrauchsmit einem Ampelsystem:Grün ist okay und steht etwa fürDigital Banking, Gelb für vorsichtigeNutzung und E-Mails. Facebookist rot: Sich abzumelden undnur mehr über Whatsapp zu kommunizieren,wäre sinnvoll.“Verbot für die UnterstufeEin Blick auf die Verweildauerin den sozialen Netzwerken lohntsich. „Nachdenklich werden sollteman bei mehreren Stunden täglich.“Ideal wäre ein weitgehendhandyfreier Tag pro Woche. BeiMinderjährigen nimmt Scheibenbogenauch die Eltern in diePflicht. „Handyzeiten und Internetzu limitieren allein, ist zu wenig,Eltern sollten gleichzeitig füraufregende Erlebnisse in der realenWelt sorgen.“ Von sich aus könnenMinderjährige ihre Handyzeitennicht begrenzen; dazu sei dieImpulskontrolle noch zu schwachausgeprägt. „Das Frontalhirn,das für vorausschauendes Denkenund Abwägen zuständig ist,ist erst mit Ende 20 ausgewachsen.“Mit ein Grund, warum sichScheibenbogen ein Handyverbotin Unterstufenklassen und einenHandyführerschein wünscht.Immerhin gibt es bereits einenGegentrend: JOMO, also „joy ofmissing out“ bzw. die Freude, etwaszu verpassen. Valerie Huberhat JOMO ein Stück weit für sichentdeckt. Sie übt sich im zügigenEntscheiden – und darin, das „privilegierteLeben in Europa“ etwabei Sport, Meditation und viel Zeitin der Natur wertzuschätzen.FOMO SapiensVerpassen wirdie heile Welt?Von ValerieHuberGoldegg 2025210 S., kart.,€ 21,–Ihr FURCHE-AboAls FURCHE-Leser:in schätzen Sie Journalismus mit Sinn:unterschiedliche Standpunkte und neue Perspektiven, amMenschen ausgerichtet, verantwortungsbewusst und tiefgründig.Ihre Abovorteile auf einen Blick Für die entspannte Lektüre am Wochenende diegedruckte FURCHE ab Donnerstag in Ihrem Briefkasten E-Paper für unterwegs und uneingeschränkterZugang zu allen digitalen Inhalten auf furche.at Mit dem FURCHE-Navigator Zeitgeschichteentdecken – alle Artikel seit 1945 online Tägliche oder wöchentliche FURCHE-Newsletter,jetzt neu: jeden Tag ein Thema in unseren neuenRessort-Newslettern, 7× pro WocheViel vor.Viel dahinter.Jetzt Dossiersentdecken:furche.at/dossierMehr Infosfurche.at/abo+43 1 512 52 61-52aboservice@furche.at
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