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DIE FURCHE 09.12.2025

DIE FURCHE · 220

DIE FURCHE · 220 Ausstellung9. Jänner 2025ZerstörungVor dem Hintergrundder politischimmer gefährlicherwerdendenSituation malteRudolf Wacker vorallem morbid Wirkendes;eben Puppenmit kaputtenGesichtern. ImBild: ZerbrochenerPuppenkopf, 1932,© Privatbesitz,Foto: LeopoldMuseum, Wien.Von Theresa SteiningerPuppen mit zerbrochenenKöpfen und ausgekugeltenArmen aufder einen Seite, auf deranderen Landschaften,die nur auf den ersten Blickidyllisch erscheinen: Wenn dasLeopold Museum dem VorarlbergerMaler Rudolf Wacker (1893-1939) erstmals eine riesige Bühnebietet – die Ausstellung erstrecktsich über ein gesamtes Stockwerk–, wird sein Œuvre als einespräsentiert, das so vielseitig wieverklausuliert ist. Warum er alseiner der bedeutendsten heimischenVertreter der Neuen Sachlichkeitbezeichnet wird, wird in„Magie und Abgründe der Wirklichkeit“hinterfragt. Insgesamtsind 250 Exponate zu sehen, darunterauch Schriften, die aufseine Leidenschaft, Tagebuch zuschreiben und über Kunst zu reflektieren,hinweisen.Lesen Sie schonFURCHE-Newsletter?Ihre ausgewähltenLieblingsthemenab sofort täglichin Ihrer Mailbox.Jetzt anmelden:furche.at/newsletterIn seinen Bildern machte Rudolf WackerBedrohungen seiner Zeit spürbar. Das LeopoldMuseum präsentiert sein vielseitiges Werk.Zeichen desVerfallsJetzt neu:täglicheRessort-Newsletterdige Position, die auf Vorbildernvon Künstlern der Neuen Sachlichkeitaus Deutschland beruhte.Dabei waren seine Erfahrungenin der Kriegsgefangenschaftnach dem Ersten Weltkrieg Einflussfaktoren,auch wenn sie sichnicht motivisch niederschlugen.„Es sind eher Genrebilder, als dassJournalismus mit Sinn.Waren seine künstlerischenAnfänge noch vom Expressionismusgeprägt und erforschte erdiesen mit kräftigen Farben unddynamischen Kompositionen zueiner Zeit, als diese Strömung eigentlichschon am Endpunkt war,so entwickelte Wacker ab Mitteder 1920er Jahre eine eigenstänerwirklich das Elend darstellenwürde, aber man merkt, dass ereine prägende Zeit erlebt hatte“,sagt Laura Feurle, die die Ausstellunggemeinsam mit MarianneHussl-Hörmann kuratiert hat.„Was in seinem Werk ab dann immerwiederkehrt, sind die Birkenals Symbol der Hoffnung.“ Wasaußerdem oft auffällt, ist das Motivdes Bildes im Bild, das seinenWerken oft einen konträren Beigeschmackgibt.Was ebenfalls über viele Jahreblieb, war das Interesse desKünstlers an Stillleben. „Porträtsvon Gegenständen“ nannte er dieseund verwendete darin immerwieder dieselben wenigen Objekte.„Gerade dadurch ist es interessant,sich anzuschauen, wie ersie immer wieder anders variiert“,sagt Feurle. Fasziniert hat Wackerauch der weibliche Akt. Alsdieser verpönt war, behalf er sichdamit, Puppen in Korsagen undaufreizenden Positionen zu malen– und konterkarierte dies wiederum,indem er die Puppe etwaauf eine Bibel setzte. Die moderne,selbstbewusste Frau hingegenwar nie Thema für ihn, sehrwohl aber ältere Frauen in ihrerVerkörperung der idealen Mutterschaft.„Generell beziehen„ Mit zunehmendemVormarsch der Nationalsozialistenwurdenseine Arbeiten immerverschlüsselter.Ab den 1930er Jahrenpolitisierte er sich. “© Privatbesitz; Foto: Leopold Museum, Wienseine Porträts im Sinne der NeuenSachlichkeit das Milieu unddie soziale Rolle der Person mitein, weniger die Persönlichkeitsstruktur“,beschreibt Feurle.Sich selbst malte Wacker selten,und wenn, dann zunehmend feinerund gestischer. Einmal porträtierteer sich mit leeren Augenund fast schon clowneskem unddüsterem Ausdruck. Ein anderesausgestelltes Selbstbildnis ist einedirekte Antwort auf ein ebensolchesvon Otto Dix und zeigt Wackerdandyhaft und als modernenMann. Den Kuratorinnen war eswichtig, den Protagonisten derSchau „mit bekannten Größen seinerZeit zu messen“, sagt Feurle.Somit hängen neben Wackers Werkenauch solche von Otto Dix undAlbert Birkle sowie Franz Lenk.Mit InterpretationsspielraumSeine Bilder von Landschaftenrund um den Bodensee habenleuchtende Farben und sind mitgroßer Präzision gemacht. Nichtselten aber übersteigert er darindie Aussage, beschreibt Feurle:„So bricht er mit einer Müllhaldein idyllischer Umgebung den Ausdruckoder mit einer Christusstatuemit amputierten Armen nebeneiner herrlichen Aussicht ausseinem Atelierfenster. Seine Bildersind voller Störelemente, diedie naheliegende Interpretationinfrage stellen.“Mit zunehmendem Vormarschder Nationalsozialisten wurdenseine Arbeiten verschlüsselter.Ab den 1930er Jahren politisiertesich Wacker immer mehr, die Vermutung,dass er Kommunist war,tauchte auf. Auf subtile Weise ließer in seinen Werken Abgründeund Bedrohlichkeiten der damaligenZeit spüren.Nachdem er ins Visier der Gestapogeraten war, malte Wackervor allem morbid Wirkendes:eben auch Puppen mit zerstörtenGesichtern, wobei deren Verfallfür jenen der Gesellschaftsteht. Oder einen Vogel mit einemgebrochenen Flügel und einenBallon kasperl, der sich einemKaktus nähert.Immer weiter verschlüsselteer seine künstlerischen Schöpfungen– und ließ viel Interpretationsspielraum,beispielsweisefrage man sich, ob eine brauneKiste schon für einen Sarg stehe,der mit den Nationalsozialistenin Verbindung zu bringen sei, soFeurle. Nicht nur daraus schließtdie Kuratorin: „Die Arbeiten Wackersbrauchen und verdienen einenzweiten Blick.“Am Ende der Schau hängenprächtige Blumensträuße, dochwer genauer schaut, sieht, dassder Schmetterling darauf mit einerNadel angepinnt ist. Es waralso das drohende Unheil, das gegenEnde seines Lebens stets inseinen Bildern mitschwang.Rudolf WackerMagie und Abgründe derWirklichkeitLeopold MuseumBis 16.2.2025Täglich außer Di, 10–18 Uhrleopoldmuseum.org

DIE FURCHE · 29. Jänner 2025Film21Alexander Horwaths Filmessay „Henry Fonda for President“ nimmt seinen Protagonistenals Ausgangspunkt, um Geschichte und Kultur der USA zu reflektieren ...Amerikas DarstellerVon Otto FriedrichAuch hierzulande hat sich HenryFonda als Auftragskiller Frankin Sergio Leones „Spiel mir dasLied vom Tod“ („Once Upon aTime in the West“, 1968) ins kulturelleGedächtnis eingebrannt. Dabei istdie Rolle des Bösewichts ganz un typischfür den amerikanischsten Schauspielerdes 20. Jahrhunderts. Viel eher passt seineDarstellung in Sidney Lumets „Die 12Geschworenen“ („12 Angry Men“, 1957)in sein Œuvre: Wie Henry Fonda als GeschworenerNummer acht seine elf Mitrichterim Lauf des Gerichtssaaldramasumdreht, bleibt legendär.Wer erinnert sich nicht ans grandioseAlterszeugnis „Am goldenen See“ („GoldenPond“, 1981), wo der grantelnde Fonda mitder gleichfalls längst gealterten KatherineHepburn und das einzige Mal mit TochterJane vor der Kamera stand? Für diesenFilm wurde Henry Fonda das einzige Malmit einem „echten“ Oscar bedacht, ein Jahrnachdem er den Ehrenoscar für sein Lebenswerkentgegengenommen hatte.Einer der Großen HollywoodsAll diesen Henry-Fonda- Reminiszenzengibt der exzeptionelle, wenn auch mit dreiStunden Länge herausfordernde Filmessay„Henry Fonda for President“ von AlexanderHorwath Raum. Es ist der erste Filmdes ehemaligen Viennale- und Filmmuseumsdirektors.Horwath nimmt sein Publikumvon seinen ersten Henry-Fonda-Erlebnissen– 1980 auf einer Paris-Reise imKino – mit zu einer Tour de Force durch denKosmos, den die Schauspielerei dieses Hollywoodstarsaufspannt.Fondas Stimme inseinem letzten Interview1981 bildet dieKlammer, in der Horwathanhand von HenryFondas Leben undSpielen die GeschichteAmerikas aufrollt. Alldies macht den Filmeinmalig und lädt zumSchauen der Langversionein (und nicht ei­„ Fondas Stimmein seinem letztenInterview 1981 bildetdie Klammer, in derRegisseur Horwathanhand seinesLebens und Spielensdie GeschichteAmerikas aufrollt. “ner TV-Verstümmelung,die es vermutlichauch geben wird).Als 14-Jähriger wurde der 1905 geboreneFonda Zeuge, wie in seiner HeimatstadtOmaha ein schwarzer Wanderarbeiter voneinem weißen Mob gelyncht wurde. Dasprägte auch den Schauspieler Fonda, derauf der Leinwand über Jahrzehnte hinwegden aufrechten Amerikaner verkörperte –kein Wunder, dass er einige Male auch denUS-Präsidenten darstellte; der Titel „HenryFonda for President“ bezieht sich auf eineFolge der Sitcom „Maude’s Mood“ (1976),in der Fonda in einem Cameo-Auftritt klarlegt,dass er für eine Kandidatur nicht zuVerfügung steht.Horwath verwebt die US- und die Fonda-Familiengeschichte mit den Filmen desProtagonisten, es ist nicht immer leicht, dieFilmausschnitte, die ohne Ausschilderungder Titel gezeigt werden,zuzuordnen. Aberauch das ist Methode indiesem Filmessay.Ab den 1930er Jahrengehörte HenryFonda zu den GroßenHollywoods, er drehtemit Fritz Lang („Gehetzt“,1937), John Ford(„Früchte des Zorns“,1940), Alfred Hitchcock(„Der falsche Mann“,1956) und weiterenKinotitanen.All das setzt AlexanderHorwath in Beziehung zur amerikanischenGeschichte, deren Protagonist HenryFonda auch war. Dass dieser aufrechteDemokrat nicht wie andere Kollegen seinesSchlags in die Fänge der McCarthy-Häschergeriet, ist ein überraschendes, aberwichtiges biografisches Detail, das in diesemsehenswerten Film thematisiert wird.Henry Fonda for PresidentA/D 2024. Regie: Alexander HorwathFilmladen. 184 Min.So istdieses Land„Henry Fonda forPresident“präsentiert dieUSA in ihrerAmbiguität undGebrochenheit –Henry Fonda istein Synonym dafür.KOMÖDIEEin letzter Ausflug vorder ScheidungBeziehungsfilme sind ein Spezialgebietder Franzosen, und so kann indiesem Subgenre des Dramas eigentlichnichts schiefgehen, wenn auf der Tonspurfranzösisch gesprochen wird. Das istauch bei „Es liegt an dir, Chéri“ von FlorentBernard so, der sich als Untergrund jedochdie Form der Komödie erwählt hat, um überdie typischen, endlosen Beziehungsdebattenin einer Küche, die man aus FrankreichsKino auch bestens kennt, eine PortionLeichtigkeit und Charme zu streuen. ImMittelpunkt steht das Ehepaar Sandrine(Charlotte Gainsbourg) und Chris tophe (JoséGarcia), in deren Ehe nach mehr als 20Jahren nichts mehr läuft. Vor allem Sandrinefühlt sich wie eine verwelkende Pflanze,die von ihrem Mann kaum mehr Beachtungfindet. Sie will die Scheidung – was Christophekalt erwischt. Denn er hatte gar nichtdas Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.In heller Panik beschließt er, mit Frau undden gemeinsamen Kindern Loreleï (Lili Aubry)und Bastien (Hadrien Heaulmé) nocheinmal zu einem Wochenendausflug aufzubrechen,um Sandrine umzustimmen.Doch schon bei der Auswahl seiner Ausflugsziele– bedeutende Orte der gemeinsamenBeziehung – hat Christophe keinglückliches Händchen und tritt in so ziemlichjedes Fettnäpfchen. Das Chaos scheintvorprogrammiert. „Es liegt an dir, Chéri“ist mit viel Humor gesegnet, doch Comedy-AutorBernard lässt diesen lieber zwischenden Zeilen köcheln, anstatt auf Gagszu setzen. Wichtiger sind ihm der Realismusder Geschichte und die Authentizitätder Figuren – diese Zeichnung gelingt beinahe(schon zu) vorbildlich. Und CharlotteGainsbourg ist in dieser Alltagskomödie eineKlasse für sich. (Matthias Greuling)Es liegt an dir, ChériF 2024. Regie: Florent Bernard. Mit CharlotteGainsbourg, José Garcia. Filmladen. 103 Min.Das Lächeln täuscht: Charlotte Gainsbourg und JoséGarcia als Ehepaar in Schwierigkeiten.DRAMAWie sendet man Terror im TV?PRÄSENTIERTDie Geiselnahme von israelischen Olympia-Teilnehmern durch die palästinensischeTerrorgruppe „Schwarzer September“ 1972 in München beschäftigte schon mehrereFilme. Nun nimmt der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum das Attentat zum Anlass,den Part der Medien zu beleuchten. „September 5“ informiert über die tragischen Ereignisseaus der Perspektive der anwesenden amerikanischen Fernsehanstalt ABC. Alsderen Mitarbeiter herausfinden, was sich im olympischen Dorf zugetragen hat, beschließensie, direkt von dort zu berichten. Doch bei jedem Schritt müssen sich die Journalistenfragen: Was sollen wir senden und wie? Permanent sind Hierarchien, kommerzielle Interessenund das Ethos des Berufsstandes gegeneinander abzuwägen. Eine auf den Balkonder Geiselnehmer gerichtete Kamera etwa könnte die Zuschauer zu Zeugen der Erschießungder Geiseln machen. Bei all diesen Entscheidungen unter Zeitdruck, die ästhetischeund technische Überlegungen einbeziehen, sitzt das Kinopublikum quasi mit am Tisch,in Hochspannung versetzt. Die Solidarität mit den Opfern spiegelt sich in der Figur derDolmetscherin Marianne Gebhardt. Sie steht für das Selbstverständnis der Deutschen, eineaufgrund ihrer Geschichte besondere Verantwortung gegenüber Israel zu haben.Fehlbaums schauspielerisch fabelhaft besetztes Kammerspiel macht Mediengeschichtelebendig, reflektiert, sensibilisiert und schlägt den Bogen zur medialen Enthemmungder Gegenwart: wie beispielsweise beim Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober2023 in Schutzräume geflüchtete Israelis live zugeschaltet wurden und Opfer wie Täterfilmten, was geschah.(Heidi Strobel)Der Film beleuchtet die Rolle der Medien, als es1972 zu verheerenden Terroranschlägen kam.September 5 (September 5 – The DayTerror Went Live)DE 2024. Regie: Tim Fehlbaum. Mit P. Sarsgaard,L. Benesch. Constantin. 91 Min.FILMMONTAGPERFECT DAYSWim WendersFilm übers Glückim Leben anhandeines Kloputzersin Tokio. FURCHE-Autor Otto Friedrichund ChristianRathner/ORFanalysieren.Montag, 13. Jänner, 19 Uhr, Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Str. 2–4,Infos: www.kav-wien.at

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