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DIE FURCHE 09.12.2025

DIE FURCHE · 210

DIE FURCHE · 210 Religion/Gesellschaft9. Jänner 2025Spiel mitSymbolikDie Geschäftsführerinnender Multimediaagentur„Holyscreen“setzen aufdie „Marketingstrategien“der Kirche:Symbolik undEmotionenbrennensich ein.Von Michaela HessenbergerGLAUBENSFRAGEZum Sprechen erhörenNelle Morton wurde vor 120 Jahren, am7. Jänner 1905, in Smalling, Tennessee/USA, geboren. Sie studierte am NewYork Theological Seminary und lehrte als Professorinfür Religionspädagogik an der DrewUniversity. Als eine der wichtigsten Theologinnendes 20. Jahrhunderts inspirierte sie unzähligeMenschen dazu, sich für Frieden undGerechtigkeit zu engagieren. In der Bürgerrechtsbewegungaktiv, wurde sie zur Wegbereiterinder Feministischen Theologie sowie dersäkularen Frauenbewegung. Sie war eine visionäreRednerin, beispielsweise bei Konsultationendes „Ökumenischen Rats der Kirchen“, undverstand, Menschen zu begeistern.Etwas von dieser Begeisterungsfähigkeit istheute noch zu spüren in ihrem Buch „The Journeyis Home“. Hier erzählt sie von ihrer Erfahrung,wie wichtig das Hören ist, damit Menschenüberhaupt sprechen können über das, was siebewegt; auch über die Brüche in ihrem Leben,über Gewalt, die sie erfahren musste und die zunächst‚unsäglich‘ ist. Provokant stellt sie derSein „Merch“ ist im Trend. Doch was macht den Sohn Gotteszur Style-Ikone auf T-Shirts oder Aufklebern? Ein Besuch anOrten, an denen man ihn nicht unbedingt vermuten würde.Jesus amKühlschrankVon Hildegund KeulWortlastigkeit der Theologieentgegen: „Am Anfangwar nicht das Wort. AmAnfang war das Hören.“Dabei meint sie ein Hören,das den Verstand aktiviert, aber auch mit allenSinnen geschieht und den ganzen Menschen erfasst.Sie nannte das „hearing to speech“. Menschenkönnen sprechen, wenn sie erhört werden.Diesen Grundgedanken in seiner Tiefe auszuloten,erscheint mir heute in Auseinandersetzungmit Missbrauch und Vertuschungsgewaltbesonders wichtig. In letzter Zeit habe ichden Eindruck, dass viele Menschen das Themaleid sind und nichts mehr davon hören wollen.Wenn das um sich greift, werden Betroffene insSchweigen zurückgedrängt. Das aber kann nurunheilvoll sein. Denn, so sagt Morton zu Recht,der Segen liegt nicht im Unsäglichen, sonderndarin, wenn es zur Sprache kommt.Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherinan der Universität Würzburg.„ Christliche Ikonografiefindet sich in der Popkultur,in sozialen Medien und aufProdukten und schwanktzwischen Ironie und ernstgemeinterBotschaft.“Foto: Nic PiegsaWer den Eiskasten mittenim Café Memberg amoberen Ende der LinzerGasse in der Stadt Salzburgöffnet, befindet sichauf Augenhöhe mit Jesus. Sein Konterfeisamt problembewusstem Blick prangt aufeinem Sticker. Dieser klebt auf der Scheibedes Kühlgeräts. Daneben steht der Spruch„I saw that“, also „Ich hab’s gesehen“. EineWarnung an mögliche Langfinger, die sichbei den Getränken selbst bedienen könnten?Inhaber und Barista Robin Limpekwinkt ab. „Das ist ja nur ein Gag“, sagt erund schmunzelt. Auf den Jesus-Sticker istindes Mathias Sedlak aufmerksam geworden.Er ist an diesem Tag in dem Café, weiler eine hippe deutsche Bio-Cola-Marke vertritt.Der junge Mann steht auf, geht zumKühlschrank und sieht sich den Aufklebernäher an, bevor er sagt: „Gib mir so einen,den brauch ich!“ Limpek greift zum Jesus-Sticker-Stapel nahe der Kassa und reichtihm ein Exemplar. Sedlak ist kein eifrigerChrist, der Jesus sogar bei sich in der Küchehaben will. Sein Spontankauf oszilliertzwischen Ironie und ernstgemeinter Botschaft,wobei diese für ihn eher aus einem„Finger weg vom Kühlschrank“ besteht alsaus einem „Liebe deinen Nächsten“ aus derBergpredigt.Keine Frage, Jesus ist eine der bekanntestenFiguren der Weltgeschichte. Unabhängigvon Glaubensfragen steht er für universelleWerte wie Nächstenliebe, Vergebungund Mitgefühl. Viele Menschen identifizierensich mit diesen Prinzipien, selbst wennsie sich von kirchlichen Institutionen oderReligion im Allgemeinen distanzieren. EinT-Shirt mit der Aufschrift „Jesus saves“oder „What would Jesus do?“ wird vielmehrzum Ausdruck eines Lebensgefühls, dasauf Empathie und Mitmenschlichkeit basiert.So ist Jesus-Merch (so die Kurzformfür „Merchandise“, was so viel wie „Werbeartikel“bedeutet) längst nicht mehr nur inreligiösen Kreisen präsent. Popkultur, SocialMedia und Designer greifen die christlicheIkonografie auf, kombinieren sie mitmodernem Stil und sprechen damit einjunges, urbanes Publikum an. Wer in sozialenNetzwerken wie Instagram nach#jesusmerch sucht, findet Stoffbeutel undT-Shirts mit Aufdrucken wie „Holy, holy,holy is the Lord“, „God is good“ oder „Runningon Jesus + Coffee“, auf Deutsch in etwa„Heilig, heilig, heilig ist der Herr“, „Gott istgut“ oder „Ich funktioniere mit Jesus undKaffee“. Die Kombination aus Glauben undKoffein ist offensichtlich nicht nur im CaféMemberg gefragt.Schauplatzwechsel nach Wien. Wer dieRäume von „Holyscreen“ betritt, findet einegoldene Monstranz ebenso vor wie einkleines Weihwasserbecken an der Wand.Alles rein zu Dekozwecken, erklären MarliesFaulend und Elisabeth Pfneisl. Die beidenGeschäftsführerinnen der Filmproduktionsfirmahaben keinen Bezug zurKirche – auch wenn Pfneisl bis zu ihrer Firmungsieben Jahre lang Ministrantin imBurgenland war. Der Grund liegt für sieauf der Hand: „Dort war es einfach so, dassman in die Kirche geht.“ Dass es eine Monstranzsogar zum Profilbild auf Instagramgeschafft hat, erklärt Faulend so: „Bei genaueremHinschauen erkennt man in ihremZen trum statt der Hostie unser Logo,den Bildschirm.“ Dieser sei heutzutage beinaheder Heilige Gral. Pfneisl ergänzt: „Umihn dreht sich ziemlich viel, da muss mansich nur in der U-Bahn umschauen. AlleBlicke sind auf kleine Bildschirme gerichtetund die Menschen in beinahe jeder freienSekunde damit beschäftigt, den Handy-Screenzu streicheln.“ Auch das Gold,das sich in Kirchen oft zuhauf wiederfinde,haben die beiden Frauen als passendfür ihr Unternehmen befunden, signalisiertes doch Wertigkeit. Von der katholischenKirche und ihren „Marketingstrategien“schauen sich die beiden noch mehr ab,sie loben beispielsweise die Symbolik undEmotionalität, aber auch liturgische Geräte,die sich von der Kindheit an ins Gedächtnisbrennen. Wie eben die Monstranz,die Holyscreen in Social Media verwendet.So verwundert es nicht, dass Faulend undPfneisl als Weihnachtsgeschenke für ihreKundinnen und Kunden bedruckte Oblatenund Jesus-Darstellungen verschickt haben.„Wir fanden das witzig und setzen aufden Wiedererkennungswert“, sagen sie.Sticker als DiskussionsöffnerZurück in Salzburg geht es an einen Ort,an dem einkaufslustige Leute Jesus-Postkarten,Jesus-Kalender und Jesus-Kaffeetassenganz ohne Augenzwinkern erwartendürfen. Die Dombuchhandlung ist derUmschlagplatz für christliche Literatur inder Mozartstadt, aber auch ein Stück Heimatfür einen Teil von Kirche. Immerhinsteht hinter dem Buch- und Zubehör ladendie Home Base Service GmbH und damitdie jung sowie evangelikal auftretende Loretto-Gemeinschaft.In dem Raum kannman sich in aller Seelenruhe umsehen,während Menschen in den Fenstern aufKissen sitzen, Kaffee oder Tee trinken undin Büchern blättern. Man entdeckt schwarzeund weiße T-Shirts, die innen am Kragenmit Bibelstellen bedruckt sind. Obenauf dem Stapel leuchtet uns der Psalm 139entgegen, es geht um den Menschen vordem allwissenden Gott. Designt hat dasLeibchen ein Salzburger Künstler. Auf derBrust steht das Wort „original“, und was esmit dem Kleidungsstück auf sich hat, erklärter via Website so: „Dieses Motiv solldich ermutigen, dir selbst treu zu bleibenund dich vollkommen anzunehmen – sowie du bist. Du bist von Gott einzigartig erschaffen,und genau das macht dich besondersund wertvoll. Du bist original.“Im Café Memberg in der Salzburger LinzerGasse ist nach dem Spontankauf des Jesus-Aufkleberseine Diskussion unter denGästen darüber ausgebrochen, warumMenschen zu genau diesem Sticker greifen.Hinter der Theke sagt Robin Limpek: „Weiler einfach ultralustig ist. So etwas kauft janiemand ohne Ironie, und dieser Jesus istso komplett verloren in einem Kontext ohneKirche. Trotzdem erkennt ihn jeder.“ Einweiblicher Gast wirft lachend ein, dass derSticker wahrscheinlich bei Leuten beliebtsei, die auf katholischen Internaten gewesenseien. Eine weitere junge Frau gibt zu,dass auch sie den Sticker sofort gekaufthat. Er klebt nun außen auf ihrem Laptop,„allein schon, um meine erzkatholischeSchwiegermutter sanft zu verstören“.

DIE FURCHE · 29. Jänner 2025Religion11Der Begriff Ablasss ist historisch vorbelastet und war schon für Martin Luther ein Grund für den Anschlag seiner 95 Thesen. Im Heiligen Jahr 2025ist er plötzlich doch wieder aktuell. Ein Grund, die Bußpraxis, die bei vielen heute auf Unverständnis trifft, genauer unter die Lupe zu nehmen.Sehnsucht nach VergebungVon Josef ImbachWie seit Jahrhundertenüblichgibt die Kircheauch in diesemHeiligen Jahrden Gläubigen die Möglichkeit, einenbesonderen Ablass zu gewinnen.Wegen zahlreicher Missbräuchein der Vergangenheit stößtdiese Praxis aber nicht nur bei Kirchenfernenauf Unverständnis.Was ein Ablass ist, wird erst anhandder Entwicklung der kirchlichenBußpraxis verständlich.Bekanntlich betrachtete manim frühen Christentum die damalsübliche Erwachsenentaufenicht nur als Eingliederung indie Kirche, sondern auch als Zeichender bedingungslosen Hinwendungzu Jesus. Schon frühaber machte man die Erfahrung,dass viele Getaufte in ihrem Eifererlahmten und oft nur allzuschnell wieder ihren früherenLastern frönten. Die Folge: Siewurden aus der kirchlichen Gemeinschaftausgeschlossen.Um wieder zugelassen zu werden,bekannten die Betroffenenihre Verfehlungen dem Bischof.Anschließend wurden sie in denBüßerstand eingegliedert, wasmit der Auflage verbunden war,Bußwerke auf sich zu nehmen,die zumeist in einem einschneidendenFasten oder im Verzichtauf die eheliche Intimgemeinschaftbestanden.Foto: APA / AFP/ HO / Osservatore RomanoMit der gemeinsameErklärung zurRechtfertigungslehregelang einökumenischerSchritt (28.10.1999). Mehr auffurche.at.Vorsorge für das JenseitsDa diese Art der Abbüßung wegenihrer Härte langfristig nichtdurchzuhalten war, verfiel manschließlich auf die Möglichkeitder Kommutation oder Umwandlung.Diese bestand darin, dassman den Fehlbaren die Möglichkeitgab, statt der vorgesehenenstrengen Bußauflagen gute Werkezu vollbringen. Dazu rechneteman Geldspenden für frommeZwecke oder für gemeinnützigeUnternehmen wie den Bau einerBrücke oder einer Befestigungsanlagesowie Gebetsübungen undWallfahrten. Der Sühnegedankeblieb dabei unangetastet.Daraus entwickelte sich im elftenJahrhundert, als die Existenzdes Fegefeuers als verbindlicheLehre galt, der eigentliche Ablass.Auf ein Gebet, ein Bußwerk odereine Geldspende hin gewährtedie Kirche den Umkehrwilligenden Erlass zeitlicher, allenfallserst nach dem Tod noch zu erwartenderSündenstrafen.Das wiederum führte dazu,dass die Gläubigen fleißig Vorsorgetrafen, um im Jenseits nicht allzusehr leiden zu müssen. IhreMaßnahmen ließen sie sich einigeskosten, woraus sich dann jenerAblasshandel entwickelte, der sichzur Zeit der Reformation zu einemveritablen Skandal ausweitete. Involviertwaren nicht nur Bischöfeund Fürsten, sondern auch Bankinstitutewie die Fugger in Augsburg.Die Ablässe wurden wie eineWare verkauft. Rom lieferte dieVergebung en bloc an die Grossisten(Banken und Fürsten), diesewiederum veräußerten sie weiteran die Verteiler (Bischöfe), die siean die Kleinhändler (die Mönchsprediger)verhökerten – Sühnegeldfür Sündenschuld.Einspruch der ReformatorenDabei ging es den Gläubigennicht nur um die Vorsorge für daseigene Seelenheil, sondern auchum die Fürsorge für ihre verstorbenenAngehörigen. Den Gedanken,dass man Ablässe den Verstorbenenzuwenden könne, umdie Zeit ihrer Läuterung abzukürzen,hatten die Theologen schon im13. Jahrhundert ins Spiel gebracht.Zweifellos hat die kirchlicheAblasspraxis, zumindest in ihrenAnfängen im elften und zwölftenJahrhundert, manch Gutes bewirkt.Sie führte den Gläubigenden Ernst der Sünde und die Notwendigkeitder Sühne (das heißtder Beseitigung ihrer Folgen) vorAugen und vermochte, die christlicheNächstenliebe und den Sinnfür Solidarität zu beleben. Mitdem Auftreten der Missbräuchejedoch und mit dem EinspruchPapst hörtBeichteGläubige, die nebender Sündenvergebungauchnoch die Verminderungder zeitlichenSündenstrafenerreichenwollen, könnenzusätzlich zurBeichte einenAblass erlangen.„ Die Ablässe wurden wie eineWare verkauft. Rom ließ dieVergebung en bloc verhökern –Sühnegeld für Sündenschuld. “der Reformatoren drängte sich dieFrage auf, mit welchem Recht diekirchlichen Autoritäten nicht nurSünden vergeben, sondern auchdie damit verbundenen Strafen erlassenkönnten.Dieses Problem versuchte manum die Mitte des 13. Jahrhundertsmit der Theorie vom thesaurus ecclesiæ,vom Gnadenschatz der Kirche,zu lösen. Dieser setzt sich zusammenaus den Früchten desLeidens Jesu, mittels dessen dieserfür alle Menschen aller Zeiten vollkommeneund unendliche Genugtuunggeleistet hat, sowie aus denVerdiensten der Heiligen. Wenndie Kirche in einzelnen Fällennicht nur die Sünden, sondern auchdie dafür fälligen Strafen erlässt,greift sie nach Ansicht der damaligenGottesgelehrten auf die VerdiensteChristi und der Heiligenzurück, die sie wie ein Kleinod inihrer geistlichen Schatztruhe hütet.Intensive Form der BitteNach offizieller Lehre ist zur Gewinnungeines Ablasses erforderlich,dass Gläubige die jeweils konkretenBedingungen einhalten„und darüber hinaus über die richtigeVerfassung verfügen müssen“,eine Aussage, die seinerzeitden Theologen Karl Rahner zu einervorsichtigen Bemerkung veranlasste:„Ob es auch viele wirklich‚gewonnene‘ Ablässe gibt, isteine andere Frage.“ Denn wer wagteschon, mit absoluter Gewissheitvon sich zu behaupten, richtig disponiertzu sein?!Im Übrigen hat die Kirche offiziellnie gelehrt, dass Ablässe aussich heraus wirksam würden. ImGrunde nämlich ist der Ablassnichts anderes als eine besondersintensive Form der Bitte oder Fürbitte,welcher dem Jakobusbriefzufolge eine vergebende Kraft zukommt(Jak 5,16). Wie auch immer– die Rede vom Ablass ist historischvorbelastet.Der Autor war Professor ander Päpstlichen TheologischenFakultät S. Bonaventura in Rom.KREUZ UND QUERKARDINAL CHRISTOPH SCHÖNBORN:WEIL DIE SEELE ATMEN MUSSDI 14. JÄN 22:35Bei den Menschen und für sie da zu sein, beschreibt Kardinal ChristophSchönborn als größte Leidenschaft in seinem Hirtenamt als Bischof. Zuseinem 80er und zum bevorstehenden Rücktritt als Erzbischof von Wienzeichnet Regisseur Robert Neumüller ein filmisches Porträt Schönborns:Welche Begegnungen haben den Kardinal geprägt? Wo sieht er die großenHerausforderungen für Gesellschaft und Religionen? Woraus schöpft erseine Hoffnung? Zusätzlich überträgt ORF 2 den feierlichen Gottesdienstzum Ende der Amtszeit Schönborns am Samstag, 18. Jänner, ab 14.00 Uhrlive aus dem Wiener Stephansdom.religion.ORF.atFurche25_KW02.indd 1 19.12.24 13:58

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