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DIE FURCHE 09.12.2025

DIE FURCHE

2 · 9. Jänner 2025DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 81. Jg. · € 6,–Albert Schweitzer Superstar?Armenarzt und heiligmäßiger Protestant: ein Porträtzum 150. Geburtstag eines unverwüstlichen„Gutmenschen“. · Seite 9„Schmetterlinge im Bauch altern nicht“Beim „Golden Bachelor“ sucht ein 73-Jähriger dieLiebe. Gemütlich statt glamourös ist es dafür beimWiener Singleklub. · Seiten 12–13Ähnlichkeiten unvermeidlichHeinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre derKatharina Blum“ hat an Aktualität in vieler Hinsichtnichts eingebüßt. · Seiten 17–18Das Thema der WocheSeiten 6–8Multiples politisches Versagen hat Herbert Kicklan die Hebel der Macht gespült – und das Land anden Rand der Dritten Republik. Die Volkspartei hatbereits ihre Würde verloren. Will sie nicht vollendssich selbst verlieren und die liberale Demokratieverspielen, muss sie umsteuern.Unterwerfung?Foto: APA / Tobias SteinmaurerIllustration: Rainer MesserklingerSüß, korrupt,tödlichSeit 2000 Jahren ist der ZuckerGrund für Ausbeutung, Krankheitenund Umweltschäden. Und doch istein Leben ohne ihn unvorstellbar.Über einen Stoff zwischen Himmelund Hölle – und die heutige Suchenach dem rechten Maß.Von Doris HelmbergerDas Undenkbare ist geschehen:Wenige Tage nachdem BundespräsidentAlexander Van derBellen in seiner Neujahrsredenoch das Österreich seinerTräume entworfen hat, steht das Land voreinem „Volkskanzler“ Herbert Kickl – undmit einem Bein in der Dritten Republik.Wer dafür die Verantwortung trägt, werdendie Geschichtsbücher klären. Vorerstergeht man sich in gegenseitigen Anschuldigungen,wer die nach außen hin scheinbarzum Greifen nahe Dreierkoalition dochnoch platzen ließ. Waren es die Neos, weilsie als Neunprozentpartei auf Reformen beharrten– und mit ihrem Rückzug eine fataleKettenreaktion in Gang setzten? War esdie ÖVP, deren Wirtschafts- und Industrieflügelvon Anfang an eigentlich lieber mitden Freiheitlichen verhandelt hätte und einemögliche Regierung mit dem verhasstenAndreas Babler an der Bankenabgabescheitern ließ? Oder war es umgekehrtBabler selbst, der bereits erreichte Kompromisseseiner eigenen Verhandler wiederzurücknahm und damit den Glauben deranderen an die Tragfähigkeit dieser so diversenKoalition endgültig zerrüttete?Alle drei Narrative sind wohl nicht ganzfalsch. Politischer Dilettantismus war injedem Fall mit im Spiel – von nicht abgestimmtenProtokollen über den Stand derVerhandlungen bis zur Tatsache, dass mansich zuerst wochenlang im Klein-Kleinvon Untergruppen verlor und erst am Endezum Kernpunkt „Finanzierung“ kam (vgl.dazu auch den Kommentar auf Seite 14).Die Folge ist ein historisches politischesVersagen. Fast traumwandlerisch taumelteman an den Rand einer Staatskrise –„ ‚Wir werden unsere Seelenicht verkaufen‘, meinteWilfried Haslauer.Hält die ÖVP zumindestdieses Versprechen?“und womöglich in eine neue „Ära“. So zumindestnannte Herbert Kickl seine Vision,nachdem ihm der Bundespräsident ausschierer Alternativlosigkeit doch noch denRegierungsauftrag erteilt hatte. Wer diese„Ära“ prägen würde, machte der begnadeteDemagoge Kickl unmissverständlich klar:er selbst, der neue „Volkskanzler“.Die Demütigung„Österreich ehrlich regieren“: Das war diezentrale Botschaft, die Kickl den anwesendenMedienleuten diktierte; und das würdewohl auch seine große Erzählung, wenner am Ende tatsächlich die Schlüssel zumKanzleramt erhält. Woran ÖVP, SPÖ undNeos selbst nach wochenlangen Beratungenund angesichts des Menetekels „Volkskanzler“an der Wand gescheitert waren,weil Partei- und Partikularinteressenüberwogen – der Stratege Kickl schaffte esscheinbar mühelos.Wer für ihn die Kontrastfolie zu diesem„ehrlich Regieren“ verkörpert, machte derFPÖ-Chef gnadenlos deutlich: die ÖVP, jenePartei, die den Schuldenstand des Landesüber den Wahltag hinaus verschleiert,ihn selbst bis zuletzt als „Sicherheitsrisiko“ausgeschlossen und nach dem Scheiternder Dreiervariante eine 180-Grad-Kehrtwendevollzogen habe. Er, Kickl, könne essich nun leicht machen und bei Neuwahlendie für ihn positiven Umfragen „materialisieren“.Doch gleichsam aus Staatsräsonund gegen so manche wohlmeinende Warnungenreiche er der ÖVP nun doch „vollVertrauen“ die Hand. Vorausgesetzt freilich,es gebe „keine Spielchen, keine Tricks,keine Sabotage, keine Quertreiberei“ – unddie ÖVP werde „geschlossen, homogen undstabil“ seine Führungsrolle akzeptierensowie beim „Wiederaufbau“ Österreichs„gleiche oder ähnliche“ Ziele verfolgen.Eine größere Demütigung ist nicht denkbar.Schon gar nicht für die Volkspartei, die1945 aus den Trümmern des Kriegs erstandenist und sich stets als staatstragend verstand.Dass diese drohende – oder schongeschehene – Implosion just 2025 datiert,also genau 30 Jahre nach dem von der ÖVPvorangetriebenen Beitritt Österreichs zurEU, ist die besondere Tragödie dieser Tage(vgl. die Seiten 4 und 5).Was es bedeuten würde, „gleiche oderähnliche Ziele“ wie die neue „Volkspartei“Herbert Kickls zu verfolgen, ist leicht nachlesbar:im Wahlprogramm der FPÖ ebensowie in jener fünfseitigen Unterlage, dieKickl nach dem 29. September (samt Verhandlungsterminen)an Karl Nehammerschickte: Verzwergung des europäischenGedankens zum bloßen Wirtschaftsraum;Aus für „Sky Shield“ (obwohl einzig wirksamerSchutz vor dem Aggressor Putin);„Evaluierung aller Abkommen und völkerrechtlichenVerträge“; und zahllose Undenkbarkeitenmehr. Ist es eine Bankenabgabeoder was auch immer wirklich wert,einen derartigen Verrat an der eigenen DNAzu begehen und damit – wie die einst sostolze „Democrazia Cristiana“ in Italien –nicht nur sich selbst, sondern womöglichauch die liberale Demokratie zu verspielen?„Wir werden unsere Seele nicht verkaufen“,meinte Salzburgs Landeshauptmann,Wilfried Haslauer, nach dem Scheitern derDreierkoalition. Nun liegt es an der ÖVP,ob sie zumindest diesmal ihr Versprechenhält – und letzte konstruktive Kräfte (umInterimskanzler Alexander Schallenberg?)mit SPÖ, Neos und Grünen nach letzten Regierungs-Alternativensuchen. Was meinteHaslauer noch im Juli 2024 in seiner Redebei den Salzburger Festspielen: „Die Dämonensind nicht weg, sie bleiben und sind wiederda. Sie sind in uns und um uns, tarnenNiedertracht und Lüge als Normalität.“Soll er wirklich recht behalten?doris.helmberger@furche.atAUS DEM INHALTBanges Warten auf neuen ErzbischofDer verstorbene Weihbischof Andreas Launwar die letzte „ultrakonservative“ Kür nachder Ära König. Das Thema Bischofsernennungist noch immer nicht gelöst. Seite 15Wendepunkt der WeltgeschichteDie deutsche LiteraturwissenschafterinMarina Münkler berichtet in „Anbruchder neuen Zeit“ über das dramatische16. Jahrhundert. Seite 19Zeichen des VerfallsBedrohungen seiner Zeit machte der österreichischeMaler Rudolf Wacker in seinenBildern spürbar. Das Leopold Museumpräsentiert sein vielseitiges Werk. Seite 20Die große IntegrationKörper und Geist sind untrennbar: warumchronischer Stress so schädlich ist undwie die „Mind-Body-Medizin“ versucht, dieSelbstheilungskräfte zu aktivieren. Seite 22Über eine FreundschaftWas macht Menschen einander zugetan?Hubert Gaisbauer erinnert sich an seinenengen Freund, den Theologen PhilippHarnoncourt. Seite 24@diefurche@diefurchefurche.at@diefurche.bsky.socialDie FurcheÖsterreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0

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