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DIE FURCHE 09.11.2023

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DIE FURCHE · 4518 Musik

DIE FURCHE · 4518 Musik & Literatur9. November 2023LITERATURZwischen SonnentänzenundDämmerstrahlenVon Maria RenhardtSie ist vermutlich eine Unbekannte: Hepat-Musuni,die uralte, für die Rechtsprechung zuständigeGöttin aus Kleinasien und dem NahenOsten. Später soll sie über einen griechischenHandelsposten am Musa Dagh als Muse nach Griechenlandgelangt sein. Verschiedensten Orten, andenen die Muse einst verehrt wurde, nachzuwandernund zu fragen, woher sie kommt und wer „siewirklich gewesen war“, ist nur eine der Ideen, dieder Literaturwissenschaftler und SchriftstellerRaoul Schrott seiner prosalyrischen Abhandlung„Inventur des Sommers“ zugrunde legt.Denn sein neuer Band mit dem Untertitel „Überdas Abwesende“ versammelt auch interessantepoetisch-philosophische Zugänge zum Absenten.In einer Art Eröffnungswort schreibt er dazu:„Über Abwesendes begann ich unvermittelteines Abends nachzudenken, an dem das Licht einflach gewelltes Meer weiss aufglänzen liess, bevores schliesslich abdunkelte und hinterrücks derErdschatten aufstieg, Dämmerungsstrahlen nachsich ziehend, um mich zu fragen, was diese Phänomeneeigentlich über die untergegangene Sonneverraten – und weiter: was sich in Zurückgelassenem,Hinterbliebenem, an Fortgegangenem, Verlorenembewahrt.“ Schrott geht der Auswirkungeiner früheren Ursache auf die Gegenwart und ihremAuftreten in verwandelter Form in sogenanntenZwischenräumen nach. All dies müsse sichauch „auf den Verlauf des Lebens übertragen“ lassen.Sogar in Totenreden, Nachtflügen oder poetischenWahrnehmungen spiegeln sich Ab- und Anwesendeswider.Als Komparatist und Übersetzer zahlreicherantiker Schriften beschäftigt sich Schrott schonlange mit Mythologie, Etymologie und Sprachgeschichte.Seine Reisen führen ihn häufig zu archaischenKultstätten und Schauplätzen alterliterarischer Zeugnisse. Es sind unberührte Naturschätze‒ einst Orte der Kommunikation mitAhnen oder Gottheiten. Immer waren es Quellenan Felsen, korrespondierend mit der dunklen, unergründlichenUnterwelt, an denen man opferteoder mit göttlichen Wesen in Beziehung trat. ZweiSommer lang besucht Schrott gemeinsam miteiner Fotografin heilige Plätze, hält Erkenntnisse,Eindrücke und poetische Assoziationen fest.Dass das Abwesende, Vergangenes und Zukünftiges,weit in unser Leben hineinwirkt, zeigt erauch an mythischen Gestalten wie Helena ‒ imVerschwinden aus der Sicht des betrogenen Gatten:„die stille drinnen ein einziger vorwurf · aufdem bett / noch die konturen ihrer körper als faltenim leintuch […] · reglos hockt er da und starrt /hält ein paar fäden in der hand ohne im webmuster/ schon mehr zu erkennen als agonien einesverlustes […] · so an sie zu denken in der ferne immeer / während ihr schatten über das haus gebietetist bitter / und wird nacktem hass weichen [...]“Die Verbindung zwischen antiker und gegenwärtigerWelt wird nirgendwo sichtbarer als in derjahrtausendealten Wiederholung von Kriegen,Verbrechen und Massakern. Entsetzen und Grauenkulminieren hier in der Darstellung des Genozidsan den Rohingya.Schrott nimmt uns in ferne, fremde Welten mit.Diesen verschlungenen Wegen in die Vergangenheitmit Links zur Gegenwart zu folgen, ist anregendund sehr aufschlussreich. Das unüberblickbareLeben kann, wie Schrott schreibt, vielfältigmit Sinn aufgeladen werden. Am Ende eines langenSommers lässt sich ein Fazit ziehen, vielleicht auchso: „sagen wir einfach mit den sonnentänzen gehtes jetzt zu ende / mit dem widerstehen und aufbegehren· diesem starren ins licht und leere“Inventur des SommersÜber das Abwesendevon Raoul SchrottHanser Verlag 2023176 S., geb., € 25,70JapanischeJudithIhre Bemühungenbringt die GeishaOkichi (Anna Davidson)zwischendie Fronten, darunterHenry Heusken(Harald H. Hein),Townsend Harris(Timothy Connor)und Saito (AlexanderKaimbacher).Von Walter DobnerFoto: Armin BardelNoch hat das Puccini-Jahr ‒nächstes Jahr jährt sich derTodestag des Komponistenzum hundertsten Mal ‒ nichtbegonnen, schon wirft es seineSchatten. Und zwar dort, wo man esnicht erwartet hätte: bei der neuen operwien. Denn ihre jüngste, im Theater Akzentgezeigte Produktion lässt sich durchausals Variation des „Madama Butterfly“-Stoffesdeuten. Uraufgeführt wurde„Die Judith von Shimoda“ ‒ eine eineinhalbstündigeOper für acht Solisten, Chor, Elektronikund Kammerorchester ‒ im Sommerbei den Bregenzer Festspielen. KeinZufall. Denn für das Spiel am See, bei demheuer Puccinis „Madama Butterfly“ aufdem Programm stand, suchte man ein dazupassendes zeitgenössische Musiktheater.Das wurde mit diesem Stoff, YamamotoYūzōs „Tragödie einer Frau. Die Geschichteder Ausländerin Okichi“ in der unter demTitel „Die Judith von Shimoda“ verfasstenSchauspielfassung von Bertold Brecht, gefunden.Der argentinisch-spanische KomponistPanisello wurde beauftragt, dafüreine Kammeroper zu schreiben.Gleich Puccinis „Madama Butterfly“geht es in diesem Libretto (Juan Lucas) umeinen amerikanischen Konsul und eine Japanerin.Auch hier wartet man vergeblichauf ein Happy End. Die japanische GeishaOkichi begeht in diesem zeitgenössischenMusiktheater zwarDie neue oper wien präsentierte die WienerErstaufführung von Fabián Panisellos „Die Judithvon Shimoda“ und legte eine Publikation über ihrebisherigen drei Jahrzehnte vor.„Butterfly“ undein Resümeeunterschiedlichen Orten wie etwa demOdeon, dem Semperdepot, dem Gasometer,dem MuseumsQuartier, der WienerKammeroper.Bald kam es zu Auftritten bei und Kooperationenmit ausländischen Institutionen,darunter deutschen, Schweizer, ungarischen,niederländischen Theatern,dem Teatro Colón in Buenos Aires oderdem Madrider Teatro Real. Von der Frage,wie sich das alles finanzieren lasse, wieman sich diesem nicht nur einmal drohendenDamoklesschwert entziehen könne,hat sich Kobéra kaum beeindruckenlassen. Dass er der Staatsoper die österreichischeErstaufführung von Brittens„Billy Budd“ wegschnappte, Bergs „Lulu“in ihrer dreiaktigen Version erfolgreichherausbrachte und die Festspiele in Bregenzfast zu einem „Stammhaus“ für seineneue oper wien wurden, sind nur einigeseiner unzähligen Husarenstücke.Eine andereDas hätte man musikalisch noch deutlicherakzentuieren, vor allem dramatischerausdrücken müssen, als FabiánPanisello. Er setzt zwar auf ein vomSprechgesang bis zur Elektronik reichendes,weites Klangspektrum, illustriertExtremsituationen aber, indem er vonseinen Protagonisten wiederholt hohe,schrille Töne abverlangt. Das beschert effektvolleMomente, kaum aber bewegende,gar aufwühlende Spannungskurven.Souverän steuertenicht Selbstmord,Walter Kobéra dieihr Leben aber endetin Alkoholismus, eines historischenneuen oper wien„ Was hier vor der Folie Ensembles seinerverachtet von ihrenGeschehens erörtertdurch diese Partitur,Landsleuten. Jahreerwies sich zudemzuvor hatte man sie wird, findet man auch als idealer Partnernoch gefeiert. Damalshatte sie sich ‒ Gesellschaft: Geschlechter- als prägnant agie-vielfach in der heutigen von Anna Davidsonda sich sonst niemandfand, der sichmothy Connor alsrender Okichi, Ti-kampf, brutalerbeim Konsul als Dienerinverdingt hät-Ausländerhass. “ Alexander Kaimba-Machtmissbrauch,profundem Konsul,te ‒ geopfert, sonstcher als emphatischemhätte der Konsul dieStadt Shimoda beschossen.Eine Heldin, die sich für ihr Volk opfert.So wie die biblische Judith. Das erklärtauch den Titel dieses in zwei Teile gegliedertenzeitgenössischen Musiktheaters.Dieses stellt die Geschichte zuerst in ihremKern dar, ehe anschließend einzelneMomente noch detaillierter betrachtetwerden. Das liest sich spannender, alses sich in der Praxis dann ausnimmt, sosehr die auch auf beredte Bilder setzendeRegie von Carmen C. Kruse diesem Konzeptdurch eine kluge PersonenführungSaito undMartin Lechleitner als Okichis wankelmütigemVerlobtem Tsurumatsu dominiertenSängerbesetzung.Mit Ausdauer zum ErfolgDamit sorgte der unermüdliche Gründer,Intendant und Dirigent der neuenoper wien einmal mehr für eine Begegnungmit aktuellem Gegenwartstheater.Begonnen hat der frühere Geiger desNiederösterreichischen Tonkünstler-Orchestersmit seinem Opernprojekt vordrei Jahrzehnten. Damals mit Mozartsbeizukommen versucht. Raffiniert die „Idomeneo“ im Wiener Jugendstiltheater.Bühnenbildlösung von Susanne Brendel:ein dachartig in die schwarze Bühne gehängterSpiegel. Denn was hier vor der Folieeines historischen Geschehens erörtertwird, findet man auch vielfach in derheutigen Gesellschaft widergespiegelt:Geschlechterkampf, brutaler Machtmissbrauch,Ausländerhass, die Ohnmachtdes Individuums gegenüber einer unberechenbargewordenen Gesellschaft.Früh verlegte sich Kobéra auf die Moderne.Mit dem Langzeit-Intendanten desTheaters an der Wien, Roland Geyer, undHans Landesmann, damals Musikdirektorder Wiener Festwochen, gewann erprominente, ihn tatkräftig unterstützendeMitstreiter, die ihm die Realisierungbedeutenden zeitgenössischen Musiktheatersin- und ausländischer Provenienzwesentlich ermöglichten ‒ an soDie Judith von ShimodaTheater Akzent, 9.11.Jetzt kann man es in der neuen Publikation„Begegnungen. Eine Lustfahrt durchNeueOpernWelten“ ausführlich nachlesen.Eine von zahlreichem Bildmaterialbegleitete Rückschau mit Erinnerungenvieler Protagonisten, die der sich nie inden Vordergrund drängende Walter Kobérafür seine stets herausfordernden Aktivitätenbegeistern konnte. Alleine, wasihm gelungen ist, verlangt allerhöchstenRespekt. Noch mehr, wenn man erfährt,welche Schwierigkeiten jeweils überwundenwerden mussten, um das allesumzusetzen. Ein Dokument für ein mutiges,wie gelungenes Experiment, von demman hofft, dass es noch lange Bestand hat.Zumindest weitere 30 Jahre.BegegnungenHg. v. Walter Kobéra &Peter Sylvester Lehnerechomedia 2023225 S., geb., € 39,90

DIE FURCHE · 459. November 2023Theater & Literatur19Von Patric BlaserAnfangen sei leicht, beharren eineKunst, sagt ein Sprichwort. Nun, auchersteres ist einfacher gesagt als getan,besonders dann, wenn ein Theater,wie jetzt das SchauspielhausWien, in eine neue Ära startet. Denn liegt einemsolchen Anfang nicht die große Erwartung inne,dass er gleichsam programmatisch für das steht,was dann der schweren Kunst der unentwegtenBestätigung harrt? Im vorliegenden Fall hat dasneu bestellte künstlerische Leitungsquartett desSchauspielhauses in Wien mit Marie Bues, MartinaGrohmann, Tobias Herzberg und MazlumNergiz – wie es sich gehört – die Erwartungshaltungendes geneigten Publikums zusätzlichbefeuert. Zum einen deutet die Wahl des Eröffnungsstückesschon im Titel an, was die neue Leitungselbst über ihr Theater sagt, nämlich dasses zum „Äußersten bereit“ sei, und zum anderenwurde mit dem bekundeten Interesse am Partikularen,als dem Besonderen, Abseitigen, – einmalmehr – nicht weniger als die Erneuerung desTheaters ausgerufen. So manch geübter Theatergängermag das mit guten Wünschen quittierenoder aber vor allem mit einer Portion Gelassenheitzur Kenntnis nehmen. Denn Neuerungen,ungeachtet dessen, von welch berufenem Mundesie angekündigt werden, lassen seit Jahren aufsich warten.Gemeinsam in eine neue ZeitWas nun da im Haus in der Porzellangasse vergangenenFreitag mit der Inszenierung der „WienerFassung“ von „Bühnenbeschimpfung“ der1978 geborenen israelischen Autorin Sivan BenYishai, das in der Kritikerumfrage von „Theaterheute“ zum Stück des Jahres 2023 auserkorenworden ist, seinen Anfang genommen hat,ist auch nach der Eröffnungsinszenierung nichteben leicht zu erahnen. Einfacher ist es zu sagen,wer da diesen Anfang macht. Es sind Lydia Lehmann,Kaspar Locher, Sophia Löffler, Ursula Reiter,Tamara Semzov und Maximilian Thienen,die zusammen einen Teil des neuen zehnköpfigenEnsembles bilden. Das Regiekollektiv, bestehendaus Marie Bues, Tobias Herzberg und demGast Niko Eleftheriadis, formiert sie in Arbeiteroverallsgekleidet, auf denen einzelne Buchstabendes neuen Logos des Schauspiel^hauszu erkennen sind, auf derfast leeren Bühne zum Chor.Über ihnen schwebt drohendein mächtiger Kubus, im Hintergrundist eine aus Papiergefertigte Granitmauer zu sehen,über die Wasser rieselt.Eng beisammen intonierendie Körper hier „als Institution“ihre Nabelschau, reflektierenauf die Institution, diesie tragenden Arbeits- undProduktionsbedingungen, tyrannische Direktoren,mangelnde Mitsprache, schlechte Bezahlung,das prekäre Verhältnis von Stücktext undpersönlicher Meinung, oder die politisch unkorrektePlatzverschwendung, die Theater angesichtsAsyl suchender Menschen heute bedeutetFoto: © Marcella Ruiz Cruz„ In der ‚Bühnenbeschimpfung‘2023gibt es keinen Zweifel,stets ist das Spiel Spiel,die Zuschauer aufder sicheren Seite. “Mit der österreichischen Erstaufführung des Stücks „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehroder liebe ich es zu sehr)“ eröffnet die neue Leitung des Schauspielhauses Wien ihre erste Spielzeit.Der feine UnterschiedTheateram WortBunt und groteskarrangiert thematisiertdie erste Inszenierungdes Schauspielhausesin derneuen Spielsaisondas Theater selbst.etc. Nur manchmal erreicht die Suada tatsächlichdie Schärfe einer Selbstbeschimpfung. Esgilt bei der Frage, liebe ich das Theater „nichtmehr oder liebe ich es zu sehr“ im Zweifel immerletzteres. Im zweiten Teil, der mit „Theaterabendals Institution“ überschrieben ist, schwärmendie Darsteller – in groteske,grellorange oder metallicblaueFilzkappen und -hütegekleidet – in den Zuschauerraumaus. „Wer seid ihr?Was macht ihr? Wie viel verdientihr?“ Hier nimmt dasStück am deutlichsten Bezugauf das berühmte Vorbild,Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“,dievor fast sechs Jahrzehntenin der Regie des jungen Claus Peymann für Gesprächsstoffsorgte und zu einer Art Gründungsdokumentfür das postdramatische Theater wurde.Handkes Stück verweigerte vordergründigIllusion, dramatische Handlung, Repräsentationund referierte stattdessen auf die Realität desTheaters und dessen Grundverhältnis, die Beziehungzwischen Akteuren und Zuschauenden.Die Schauspieler gaben vor, nicht in Rollen aufzutreten,sondern sich in ihrem Hier und Jetztzu präsentieren. Damit rebellierte Handke gegenbestimmte Theatertraditionen. Er zielte daraufab, das Verhältnis zum Zuschauer zu verändern,indem sich dieser als Teilnehmer einestheatralischen Geschehens erfahren, an dem eraktiv teilnehmen sollte. 1966 konnte sich das Publikumnie sicher sein, ob das Spiel ernst ist odernicht. Aus dieser Verunsicherung bezog die „Publikumsbeschimpfung“ihre Brisanz und ihrenReiz. In der „Bühnenbeschimpfung“ 2023 gibtes keinen Zweifel, stets ist das Spiel Spiel, dieZuschauer auf der sicheren Seite. Dadurch aberwird der selbstreferenzielle Abend in seinerWeltvergessenheit nicht mehr als eine partikulareErfahrung eines theateraffinen Bildungsbürgertums.Pierre Bourdieus feine Unterschiedelassen grüßen.BühnenbeschimpfungSchauspielhaus Wien, 11., 14., 16., 17., 18., 23., 24.11.DIE FURCHE EMPFIEHLTLiteraturreiheVERSsprechenIn der neuen Reihe VERSsprechenlädt Semier Insayifjeweils zwei Dichterinnenund Dichter ein, um mit ihnenüber ihre Gedichte, denStellenwert der Poesie in ihremLeben und der gegenwärtigenLiteratur zu sprechen.Gäste: Petra Ganglbauer &Udo Kawasser14. November 2023, 19 UhrÖsterreichische Gesellschaft fürLiteratur, www.ogl.atLEKTORIXDES MONATSKein Märchen mit frecher HeldinBuchpreis von FURCHE,Stube und Institut für JugendliteraturJosch derFroschkönigEin Nicht-MärchenVon Petra Piuk &Gemma PalacioLeykam 202364 S., geb.,€ 18,50Ab 5 JahrenVon Verena WeiglNach „Rotkäppchen rettet den Wolf“präsentieren Petra Piuk und GemmaPalacio mit einer äußerst unterhaltsamenFroschkönig-Adaption einzweites sogenanntes „Nicht-Märchen“.Und treiben nicht nur mit altbekanntenMotiven, sondern auch durch den Einsatzinteraktiver Textsorten ein freches Spiel.Der Einstieg ist als Streitgespräch zwischenErzählstimme und HauptfigurJessica inszeniert, die bereits in der zweitenZeile ein lautes „STOPP“ in die Geschichtehineinruft. Mit ihrer Forderung„Können Märchen nicht mal anders anfangen?“,wird die Handlung prompt ins21. Jahrhundert katapultiert. Denn wirhaben es hier mit einer aufmüpfigen Heldinzu tun, die sich jeglichem Prinzessinnen-Klischeewidersetzt und sich mitFreundschaften nicht ganz so leicht tut.Genau genommen ist sie eine Königstochter(ihr Papa heißt Karl König), dochstatt in einem Schloss wohnt sie mit ihrerFamilie in einer Zweizimmerwohnungund ihre Lieblingskugel ist nicht goldensondern aus Leder. Als ihr Fußball in einerMatschgrube landet, kommt es zur Begegnungmit dem Frosch Josch. Der Nachfahredes berühmten Froschkönigs wäregerne der Disco-King auf einer der nächstenMoor-Blubber-Partys, die aber dankMenschenverschulden (Stichwort: Bodenversiegelung)immer schwerer zu erreichensind. Beim Versuch, ihrem neuenFreund zu helfen, verwandelt sich Jessicaplötzlich selbst in einen Frosch.Und hier folgt die große dramaturgischeÜberraschung: Die abenteuerliche Reisezur großen Moor-Sause wird nicht einfachweitererzählt, sondern die Leserinnenund Leser sollen in Form eines abwechslungsreichenBrettspiels die Hauptfigurenzum Ziel bringen. Dort lauern natürlichHindernisse und Gefahren wie Brunnenschächte,Schwimmbecken und diverseIllustration: Gemma PalacioFressfeinde, integrierte Ratespiele undandere spaßige Anweisungen wiederumbringen die Akteure vorwärts. Wieder inder linearen Erzählung angekommen erwartensie auf der Party viele weitere exotischeAmphibien.Den beiden Künstlerinnen ist hier einerfrischendes Werk mit diversem Figurenrepertoiregelungen, das das ThemaNaturschutz auf eine im wahrsten Sinndes Wortes verspielte Weise aufgreift. Immerwieder wird der Erzählfluss durchbrochen– sei es durch Zwischenrufe odersogar Fluchtversuche der Protagonistenoder durch unterschiedliche Mitmachaktionenwie Steckbriefe oder dem bereitserwähnten Brettspiel. Klar, dass die FarbeGrün die Illustrationen dominiert.Eine schwungvolle Lektüre, selbst fürso manchen Lesemuffel!

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