DIE FURCHE · 10 24 Ausstellung 9. März 2023 Wie hingetupft wirken die fotografischen Abzüge, die die Piktorialisten um 1900 schufen. Die Albertina modern widmet dieser Kunstrichtung ihre aktuelle Ausstellung. Atmosphäre statt Schärfe Am Punkt Den Piktorialisten ging es nicht um die getreue Wiedergabe der Natur. Vielmehr erinnern ihre Aufnahmen an Gemälde, etwa bei Heinrich Kühn: „Dämmerung“, 1896, mehrfarbiger Gummidruck. Von Wenzel Müller Die Albertina modern präsentiert in ihrer aktuellen Ausstellung „Piktorialismus“ unter anderem den Bankier Nathaniel von Rothschild und den Zuckerfabrikanten Julius Strakosch; allerdings nicht als Mäzene ‒ diese Herren leben gar nicht mehr ‒, sondern als Künstler, als Repräsentanten dieser um 1900 aufkommenden Kunstrichtung, die auch mit „malerischer Fotografie“ umschrieben wird. Heute macht jeder und jede Fotos, dazu ist nicht einmal mehr eine Kamera nötig. Es genügt das Handy. Nichts Besonderes also. Im Fin de Siècle war das noch anders. Da war die Fotogra- „ Die große Stärke der Fotografie – die Welt in nicht gekannter Detailgenauigkeit wiedergeben zu können –, gerade die vermeiden die Piktorialisten. “ Foto: albertina, Wien fie, erst 1839 von dem Franzosen Louis Daguerre begründet, einer wohlhabenden Schicht vorbehalten; allein schon wegen der hohen Anschaffungskosten für die Kamera – hier zeigt sich im Übrigen eine überraschende Parallele zum Fahrradfahren. Auch diese Fortbewegungsart konnte sich zu jener Zeit nur eine Elite leisten. 1887 formiert sich der „Wiener Camera-Club“, auch gerne „Millionärsklub“ genannt. Hier kommen die Reichen zusammen, Indu strielle und Wissenschafter, Leute wie Rothschild und Strakosch. Was sie vereint, ist die Begeisterung für die neue Technik, für das fotografische Verfahren. Sie sind Amateure. Im Unterschied zu den gewerblichen Fotografen geht es ihnen nicht um eine getreue Wiedergabe der Wirklichkeit. Sie wollen mehr, die Fotografie von ihrem Hautgout des maschinell Gemachten befreien, ihr einen Platz in den Tempeln der Kunst sichern. Dazu machen sie Fotos, die an Gemälde erinnern. Zum einen schaffen sie das über die Sujets. Für ihre Aufnahmen reisen sie in malerische Gegenden. Geld spielt ja keine Rolle. Oder anders ausgedrückt: Ihre Leidenschaft lassen sie sich gerne etwas kosten. Zum anderen erreichen sie es über die Ausarbeitung ihrer Aufnahmen: Sie wenden ein besonderes Druckverfahren an, den sogenannten Gummidruck. So schaffen sie Bildnisse, die wie hingetupft wirken. Unscharf und verschwommen. Wie aus Träumen geboren. Atmosphäre statt Schärfe. Die große Stärke der Fotografie – die Welt in bisher nicht gekannter Detailgenauigkeit wiedergeben zu können –, gerade die vermeiden die Piktorialisten nach Kräften. Arrangiert und komponiert Einer ihrer prominentesten Vertreter: Heinrich Kühn (1866–1944). Als Alleinerbe des väterlichen Vermögens kann er ein sorgenfreies Leben führen, jedenfalls lange Zeit. Er macht Landschaftsbilder. Und immer wieder auch Aufnahmen von seinen Kindern, die ihm Modell stehen. Dabei handelt es sich nicht um Schnappschüsse fürs Familienalbum, sondern um sorgsame Arrangements. Die Farbe der Kinderkleidung wird so gewählt, dass sich auf dem fertigen Bild eine feine Tonabstufung ergibt, wie auf einem impressionistischen Gemälde. „Für die Ausarbeitung stand der Künstler oft mehrere Tage im Atelier“, erklärt Astrid Mahler, die Kuratorin der Ausstellung. Schon einmal, 2010, hatte Mahler, zusammen mit Monika Faber, in der Albertina Heinrich Kühn präsentiert, in einer ihm gewidmeten Personalie. Nun spannt sie den Bogen gleichsam weiter, nimmt die Kunstfotografie um 1900 in den Fokus. Sie erzählt von deren Vorläufern (englische „Arts and Craft“-Bewegung), deren erstem Höhepunkt (Ausstellung in der Secession, 1902), deren Einfluss auf die gewerbliche Porträtfotografie (Abkehr von standardisierten Posen und auswechselbaren Studiodekorationen) und schließlich deren Ende, wobei das nicht Knall auf Fall erfolgt. An die Ära der Piktorialisten schließt sich vielmehr eine Art Übergangszeit an. Fotografen bleiben nach wie vor dem Gummidruck treu, setzen nun aber vermehrt auf gewagte Anschnitte und extreme Perspektiven. Beispielhaft dafür sind die New-York-Bilder von Drahomír Josef Růžička (1870–1960): monumentale Muster aus Schatten und Linien. Auf die „malerische Fotografie“ folgt die „Neue Sachlichkeit“. Wieder etwas anderes. Das scheint eine Gesetzmäßigkeit des Genres zu sein: Immer wieder verlangt das Auge (oder der Zeitgeist) nach neuen Eindrücken. Geschaffen von Fotografen, die die Kamera als Werkzeug für ihre Vision benutzen, wie nicht anders die Maler den Pinsel. Piktorialismus Die Kunstfotografie um 1900 Albertina modern Bis 23. April 2023 Täglich 10 bis 18 Uhr Karlsplatz 5, 1010 Wien www.albertina.at IN KÜRZE ARCHITEKTUR ■ Pritzker-Preis: Chipperfield FOTOGRAFIE • ARCHITEKTUR ■ Margherita Spiluttini († 2023) WISSEN ■ Lieferkettenforschung MEDIEN ■ Erster Hugo-Portisch-Preis In den 1970er Jahren arbeitete er in den Büros der Architekturstars Norman Foster und Richard Rogers. 1984 machte er sich selbstständig – der Entwurf eines Geschäfts für den japanischen Modedesigner Issey Miyake brachte den Durchbruch, in Japan, in Europa. In Deutschland wurde er vor allem mit seiner Neugestaltung der Berliner Museumsinsel mit der Neuen Nationalgalerie bekannt, in Österreich baute er die Kaufhäuser Peek & Cloppenburg auf der Wiener Kärntner Straße (2011) und Tyrol (2009) in Innsbruck. Nun erhält der Brite David Chipperfield den Pritzker-Preis, die mit 100.000 Dollar dotierte renommierteste Auszeichnung für Architektur. Sie wurde 1947 in Schwarzach im Pongau geboren, absolvierte eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin und arbeitete zunächst am AKH Wien in der Nuklearmedizin. Als Autodidaktin machte sie ihre Leidenschaft für die Fotografie schließlich zum Beruf. Im Auftrag bedeutender Architekten dokumentierte die 2016 mit dem Österreichischen Staatspreis für künstlerische Fotografie ausgezeichnete Fotografin laut Architekturzentrum Wien über 4000 Bauten und Objekte. Sie galt als eine der besten Fotokünstlerinnen und -künstler für Architektur in Europa. Am 3. März 2023 ist sie in Wien verstorben. Der Frage der Sicherheit und Verlässlichkeit von Lieferketten widmet sich in den kommenden fünf Jahren ein neues Forschungsinstitut unter der Leitung des Komplexitätsforschers Peter Klimek. Für das „Supply Chain Intelligence Institute Austria“ (ASCII) stellen das Wirtschaftsministerium und das Land Oberösterreich insgesamt zehn Millionen Euro über diesen Zeitraum zur Verfügung. So sollen unter anderem drohende Engpässe frühzeitig erkannt werden. Die Einrichtung ist eine Reaktion auf die Krisen der letzten Jahre, in denen die Belastbarkeit der Produktions- und Logistiknetzwerke auf die Probe gestellt wurde. ORF-Journalist Peter Fritz hat sich den zum ersten Mal vergebenen Hugo-Portisch-Preis gesichert. So würdigte ihn die Jury der von ORF, Kurier und der Österreichischen Medienakademie vergebenen Auszeichnung: „Peter Fritz hat im besten Sinne des Werks von Hugo Portisch den Österreicherinnen und Österreichern über Jahrzehnte ... das Weltgeschehen erschlossen – vom Fall der ‚Mauer‘ (1989) über die Kriegsdramen am Golf (1991) bis zu den Terroranschlägen von 9/11 in den USA – und weit darüber hinaus.“ Weitere Prämierte des mit 60.000 Euro dotierten Preises sind ARD-Journalistin Tatjana Mischke und der freie Journalist Benjamin Hindrichs.
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