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DIE FURCHE 09.03.2023

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DIE FURCHE · 10 22 Wissen 9. März 2023 Ohne Flügel Das Konzept des modernen Zeppelins beflügelt heute weltweit innovative technische Ideen (Luftschiff als Werbeträger in Scottsdale im US-Bundesstaat Arizona, 2023). Illiustration: Rainer Messerklinger Foto: Getty Images / PGA Tour / Ben Jared Von Manuela Tomic Luftlöcher MOZAIK Vor Jahren fragte Mutter den Waffenhändler, Herrn L., in gebrochenem Deutsch, wo sie schießen könne. Etwas skeptisch lud er sie zu einem Training im Südkärntner Schützenverein ein. Fröhliche Jäger, pensionierte Polizisten und der Waffenhändler staunten, als Mutter mit hohen Schuhen und rosa Lippenstift ihren ersten Schuss abfeuerte. Später kaufte sie sich Schießschuhe mit einer Sohle aus Holz. Letztes Jahr trat sie mit ihrem Schützenverein beim Kärntner Landeswettkampf an und versorgte das ganze Team mit Strudel und frischer Pita. Seitdem sie elf ist, geht Mutter schießen. In Österreich vergaß sie ihren geliebten Sport. Erst mit 50 sah sie wieder die schwarzen Punkte, die konzentrischen Kreise und winzige Luftlöcher schwirrten vor ihren Augen. Schon mit 17 Jahren erzielte sie bei den jugoslawischen Meisterschaften in Niš den vierten Platz. Auf dem Foto in unserem Familienalbum sehe ich, wie Mutter ihrer männlichen Mannschaft vorangeht. Über ihrem Kopf trägt sie stolz ein Schild, auf dem in großen Lettern „Sarajevo“ steht. Der Wettkampf in Niš war ihr größter sportlicher Erfolg. Manchmal bin ich neidisch auf Mutter. Gerne würde ich schreiben können, wie sie schießt, mit meinen Worten ins Schwarze treffen, auch ohne Mutters Schützenhilfe. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter Von Johannes Schmidl Sie ist zu einer Bild-Ikone des 20. Jahrhunderts geworden: die Explosion des Zeppelins „Hindenburg“ in Lakehurst im US-Bundesstaat New York. Diese Kata strophe – ihre genaue Ursache ist ungeklärt –, bei der am 6. Mai 1937 von 97 Personen an Bord 35 starben, hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingegraben. Sie gilt als vorläufiger Schlussstrich unter der Luftschifffahrt. Dabei sollte das riesige Luftschiff – die „Hindenburg“ hatte eine Länge von knapp einem Viertelkilometer – in den USA endlich mit dem unbrennbaren Trag-Gas Helium gefüllt werden, das den Wasserstoff ersetzen sollte. Nach jahrelangem Boykott gegen Nazideutschland hatten die USA dem zugestimmt. Die „Hindenburg“ war schon für den Betrieb mit Helium gebaut worden. „ Flugzeuge, die nicht die Erderhitzung befördern: Mit den ‚Leichter-als-Luft- Technologien‘ ist das im Prinzip möglich. “ Die riesigen Zigarren sind leichter als Luft und benötigen deshalb keine Energie, um zu fliegen. Lediglich für den Vortrieb werden Propeller benötigt, meistens werden diese noch von Benzin- oder Dieselmotoren angetrieben. Im Ersten Weltkrieg warfen deutsche Zeppeline sogar Bomben auf London und Paris ab, doch sie überzeugten als Angriffswaffe offenbar nicht: zu langsam, zu windanfällig, zu groß, zu leicht abzuschießen. Dennoch überflog 1926 eine norwegisch-italienische Expedition mit Roald Amundsen und Umberto Nobile mit dem Luftschiff „Norge“ als Erste den Nordpol, bevor das einem Flugzeug gelungen wäre. In der Zwischenkriegszeit, und das vor allem in Deutschland, begeisterte der „Staatsphallus der verspäteten Nation“ die Menschen. Bildberichte von spektakulären Reisen rund um die Welt Der globale Flugverkehr braucht neue Ideen. Luftschiffe haben eine spektakuläre Geschichte – und sind längst nicht ausgeforscht. Ob Transport, Wissenschaft oder Militär: Ist es Zeit für eine Renaissance des Zeppelins? Die andere Art zu fliegen füllten Zeitschriften. Auf einer Nordlandfahrt traf die „Graf Zeppelin“ vor Franz-Josefs-Land sehr freundschaftlich einen sowjetischen Eisbrecher. Von einer Orientfahrt von April 1931 stammt ein Bild mit dem Schatten des Luftschiffs, der es größenmäßig mit der Chephren-Pyramide und der Sphinx aufnehmen kann. Ab September 1933 wurde ein regelmäßiger Post- und Passagierdienst mit Luftschiffen zwischen Deutschland, New York und Rio de Janeiro eingerichtet. Die „Hindenburg“ bot ihren Passagieren Luxus: Die Fenster ließen sich öffnen, es gab ein Klavier an Bord und sogar einen Rauchsalon – mit einem einzigen, vom Steward verwalteten Feuerzeug. Vom Promenadendeck aus konnte man aus einer Reiseflughöhe von 400 bis 600 Metern den Eisbergen im Nordatlantik oder den Rinderherden in Südamerika zusehen. 50 Passagiere wurden von 61 Besatzungsmitgliedern verwöhnt. Entsprechend kostete ein Fahrschein für die Hin- und Rückfahrt circa 800 US-Dollar, was einem heutigen Wert von etwa 20.000 Euro entspricht. Das Schiff erreichte eine Geschwindigkeit von 125 km/h und hatte eine Reichweite von bis zu 16.000 Kilometern. Die schnellste Atlantiküberquerung der „Hindenburg“ dauerte aber immer noch 41 Stunden. Auch für Propagandaflüge während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin wurde die „Hindenburg“ verwendet. Dieser Einsatz der riesigen Flächen von Luftschiffen als Werbeträger hat sich bis in die Gegenwart gehalten (siehe auch Bild oben). Ein vom „European Defence Fund“ (EDF) kofinanziertes Forschungs- und Entwicklungsprojekt verfolgt jedenfalls das Ziel, ein solarbetriebenes Luftschiff für die militärische Aufklärung zu entwickeln. Als schwierig zu identifizierender Beobachter, höher als der zivile Luftverkehr, wäre es in über 20 Kilometer Höhe schwer anzugreifen, könnte seinerseits aber anfliegende feindliche Raketen frühzeitig erkennen. Ballons waren eine beliebte Spionagetechnologie in der Zeit des Kalten Krieges, und sie sind es offenbar auch heute wieder. Sie fliegen viel langsamer und niedriger und sind wesentlich billiger als Satelliten. Von ihnen aus kann man direkt beobachten oder Schwärme von Drohnen beinahe unbemerkt starten. Vielleicht erfährt man in den kommenden Wochen, welche Technologien der am 4. Februar über den USA abgeschossene chinesische Ballon an Bord

DIE FURCHE · 10 9. März 2023 Wissen 23 hatte. Natürlich kann man aus Luftschiffen und Ballons aber auch aus rein wissenschaftlichem Interesse alles Mögliche beobachten … Moderne Luftschiffe haben hauptsächlich noch die äußere Form mit ihren Vorgängern gemein. Die starre Konstruktion der Zeppeline, mit denen von Friedrichshafen am Bodensee aus bis zu 16 Personen zu einem Rundflug starten, wiegt bei einer Länge von 75 Metern lediglich 1,1 Tonnen – Kohlefasern und Aluminium machen das möglich. Trag-Gas dieser Zeppeline ist das unbrennbare Edelgas Helium. Helium sollte auch das in den 1990er Jahren geplante deutsche Lastenluftschiff „Cargo Lifter“ in die Lüfte heben. Mit diesem sollten Schwerlasten von bis zu 160 Tonnen weltweit von den Herstellern zu ihren Einsatzorten transportiert werden, etwa Turbinen oder Generatoren von Großwasserkraftwerken oder Papiermaschinen. Entwicklung, Bau und Betrieb eines derart großen Luftschiffs waren aber wohl zu viel auf einmal, und das Unternehmen musste nach 15 Jahren Konkurs anmelden. Den Jetstream nutzen Das Konzept des „CargoLifter“ selbst war aber offenbar nicht so absurd, dass niemand an seine Realisierbarkeit geglaubt hätte, und klar ist: Der globale Flugverkehr braucht dringend neue Ideen. Mit Energieeffizienz und sauberen Brennstoffen allein wird es nicht getan sein. Die Fliegerei produziert global etwa eine Milliarde Tonnen CO₂ pro Jahr, was dem Ausstoß von Japan entspricht, und die Emissionen nehmen (abgesehen von der Coronakrise) um circa 2,5 Prozent pro Jahr zu. Fliegen, ohne dafür fossile Energie zu verbrauchen und ohne die Erderhitzung zu befördern – mit den „Leichter-als-Luft-Technologien“ ist das im Prinzip möglich. Eine unkonventionelle Idee publizierte 2019 eine internationale Gruppe von Wissenschaftern des Thinktanks IIASA in Laxenburg im Fachjournal Energy Conversion and Management. Sie stellten das Luftschiffkonzept aus den 1930er-Jahren quasi auf den Kopf: Wasserstoff ist nicht nur das Gas, das ein Luftschiff fliegen lässt. Umgekehrt könnte man ja auch das Luftschiff als Transporter für Wasserstoff verwenden. Kommt eine internationale Wasserstoffwirtschaft irgendwann auf die Beine, wird es auch notwendig sein, diesen FLUGREISEN Energieträger von den Gegenden, wo man ihn kostengünstig aus Solar- und Windenergie produzieren kann, dorthin zu transportieren, wo man mehr davon benötigt, als man lokal herstellen kann. Neben Pipelines und Schiffen könnten diese Aufgabe auch Luftschiffe übernehmen. Die Wissenschafter schlagen vor, riesige Luftschiffe mit Wasserstoff zu füllen und sie auf eine Höhe von zehn bis 20 Kilometern steigen zu lassen. Dort wehen permanent starke Winde von West nach Ost, der sogenannte Jetstream. Am Zielort in Japan oder Europa lässt man das Luftschiff wieder auf die Erdoberfläche heruntersinken und entleert es so weit, dass es gerade noch genug Wasserstoff an Bord hat, um zum Ausgangsort zurückzufliegen und wieder aufgefüllt zu werden. „ Wasserstoff ist nicht nur das Gas, das ein Luftschiff fliegen lässt: Umgekehrt könnte man ja auch das Luftschiff als Transporter für den Wasserstoff verwenden. “ Diese Art des Transports spart den Energieaufwand für die Verflüssigung des Wasserstoffs und den Pipeline- oder Schiffstransport, den man sonst aufbringen müsste. Den Transport selbst übernimmt der atmosphärische Jetstream – also letztlich die Sonnenenergie. Aufstieg und Landen würden automatisch gesteuert werden. Der Wasserstofftransporter hätte ungefähr die zehnfache Länge des bislang größten Luftschiffs, der „Hindenburg“. Auch wenn diese Form des Wasserstofftransports wohl allenfalls Zukunftsmusik ist: Die Idee, mit Technologien leichter als Luft und ohne Flügel zu fliegen, beflügelt offenbar weltweit innovative Gedanken. Die Luftschifffahrt wurde in den letzten Jahrzehnten gegenüber dem Flugzeug weitgehend vernachlässigt und kaum weiterentwickelt. Damit hat sie jetzt den Vorteil, nicht ausgeforscht zu sein: Zahlreiche innovative Ideen warten darauf, ausprobiert und realisiert zu werden. Der Autor ist Energieexperte und Buchautor. Das Kreuz mit der Kurzstrecke Braucht es für den Klimaschutz ein Verbot von Kurzstreckenflügen? Letzten Dezember bekam Frankreich von der Europäischen Kommission grünes Licht, um Flüge zu verbieten, für deren Destinationen man auch den Zug nehmen könnte – mit weniger als zweieinhalb Stunden Fahrtzeit. Eine neue Studie der Offenen Universität Kataloniens (UOC) in Barcelona hat nun die potenziellen Auswirkungen eines solchen Verbots anhand der Verkehrsverbindungen in Deutschland unter die Lupe genommen. Die Arbeit wurde im Februar im Fachjournal Case Studies on Transport Policy veröffentlicht. „Unsere Studie schätzt die Reduktion der CO₂-Emissionen zwischen 2,7 und 22 Prozent ein – je nachdem, wie streng der Grenzwert für Zugfahrten in der Praxis ausgelegt wird“, erläuterte Studienleiter Pere Suau-Sanchez von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. „Wir sollten sehr realistisch hinsichtlich der Erwartungen bei solchen Maßnahmen bleiben, denn der Flugverkehr trägt nur drei Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen wäre also nur eine von vielen Strategien, die für den Klimaschutz erforderlich sind.“ Außerdem sollte ein solches Verbot „selektiv“ umgesetzt werden, das heißt, es müsste auf einer individuellen Fallanalyse basieren, betont Suau-Sanchez: „Ein generelles Verbot von Kurzstreckenflügen mit den gleichen Grenzwerten für alle Flughäfen könnte zu Problemen bei den internationalen Verbindungen führen, insbesondere in entlegeneren Regionen. Es könnte die Passagiere sogar dazu zwingen, längere Reisen auf sich zu nehmen, die im Endeffekt zu einer größeren Verschmutzung führen.“ Deshalb sei ein europaweiter Ansatz erforderlich, bei dem ein attraktives Bahnnetz mit integrierten Buchungssystemen zu etablieren sei. (mt) DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Schöne neue Arbeit Nr. 12 • 23. März Die Arbeitswelt steht vor großen Umbrüchen. Wie kann man der Demografie sinnvoll entgegenwirken? Welche Rolle spielt Migration, wenn es um Mangelberufe geht? Und wie verändert die „Gen Z“ den Arbeitsmarkt? Ein Ostern? Nr. 14 • 6. April Der Termin des Osterfests kann zwischen West- und Ostkirchen um mehrere Wochen differieren: nicht zuletzt für die Ökumene ein Ärgernis. Warum ist das so, und welche Chancen bestehen auf eine globale Einigung beim Ostertermin? 20 Jahre Lektorix Nr. 16 • 20. April Kinder- und Jugendliteratur hat nicht den Stellenwert, den sie verdient. DIE FURCHE aber zeichnet seit 2003 monatlich Bücher für Junge und Junggebliebene aus. Wir feiern das anlässlich der Leipziger Buchmesse. Aus für das Auto? Nr. 18 • 4. Mai Der Klimawandel ist Motor für die größten Veränderungen der Autoindustrie seit Erfindung des Automobils. Gibt es grünen Individualverkehr? Und wie kann individuelle Mobilität ohne kollektive Schäden funktionieren? Psyche und Therapie Nr. 20 • 17. Mai Seit der Corona-Pandemie ist die psychische Gesundheit zum Megathema unserer Gesellschaft geworden. Wie steht es um die Versorgung – und was bringt das neue Psychotherapie- Gesetz? Böses Russisch? Nr. 22 • 1. Juni 2023 Russisch ist die vierthäufigste Sprache, aus der Bücher in andere Sprachen übersetzt werden, sie ist die Originalsprache bedeutender Werke der Weltliteratur. Über die Folgen des Krieges auf die Kultur des Russischen. *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Wiederaufbau Nr. 13 • 30. März Damit die Zerstörung nicht das letzte Wort hat: über den Wiederaufbau – von der Türkei über Notre-Dame bis zur Ukraine – als politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Positionierung gegen Katastrophe und Krieg. Liebe im Alter Nr. 15 • 13. April Viele ältere Menschen sind allein: Ihre Partner sterben, oder sie trennen sich, neue Leute lernen sie seltener kennen. Doch die Medizin plädiert für erfüllte Beziehungen in späten Jahren und ermutigt, offen darüber zu sprechen. Pressefreiheit Nr. 17 • 27. April 2022 stürzte Österreich in den Rankings der Pressefreiheit ab. Wie stellt sich die Lage ein Jahr später dar? Was tut die Politik, was machen die Medien, um die Presse freiheit im Land zu verbessern? Wahlen in der Türkei Nr. 19 • 11. Mai Die Folgen der Erdbeben werden auch die türkischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr prägen. Steht das Ende der Ära Erdoğans bevor – oder schafft er es, die Krise für sich zu nutzen? Über ein Land im Schockzustand. Aufbruch – Abbruch Nr. 21 • 25. Mai Zu Pfingsten feiern die Christ(inn)en die „Geburt“ der Kirche. Was bedeutet dieses Fest, wenn die Kirchen leer und die Institution in der Krise ist wie selten zuvor? Welche Zukunftsszenarien gibt es? Vatertag Nr. 23 • 7. Juni 2023 Die Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gleichzeitig werden Eltern mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Was bedeutet es heute, Vater zu sein? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR.

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