10 · 9. März 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– Das unstillbare Bedürfnis nach Lesen in der Landschaft Manfred Mittermayer zum 80. Geburtstag des Autors und multimedialen Performancekünstlers Bodo Hell. · Seite 19 Nach der Wahl ist vor der SPÖ-Debatte Von der Hoffnung in die Hölle Für ein selbständiges Denken Ertönte aus Kärnten ein Weckruf? Auf der Suche nach Antworten in der „Wiege der österreichischen Sozialdemokratie“ in Hainfeld. · Seite 5 „Solwodi Österreich“ betreut Opfer von Menschenhandel. Eine Klientin erzählt von den Abgründen ihres Lebens. · Seiten 12–13 Michel de Montaigne (1533‒1592) zeigte den Fanatismus von Ideologien auf. Eine neue Biografie von Volker Reinhardt. · Seite 17 Bild: iStock/nopparit Das Thema der Woche Seiten 2–4 Das Gehirn bleibt das große Geheimnis der Evolution. Wie verändert sich die Gesellschaft, wenn es technisch aufgerüstet wird? Das unheimliche Organ Israels Regierung befeuert die Eskalation Das Kabinett Netanjahu IV ist das rechteste und religiöseste, das Israel seit seiner Gründung 1948 erlebt hat. Im Interview erklärt Nahost-Experte Peter Lintl, warum er mit „De-facto-Annexionen“ rechnet und inwieweit die Vertreibung der Palästinenser enttabuisiert wird. Seiten 6–7 Als Franziskus am 13. März 2013 Papst wurde, war auch seinen Wählern klar: Es muss sich in der Kirche etwas ändern. In den Worten geschah das. Die Taten dazu blieben aber überschaubar. Im Herbst des Pontifikats Von Otto Friedrich Der gelernte Katholik war es jahrzehntelang gewohnt, dass an der irdischen Spitze seiner Konfession ein alter Mann stand, der die Tradition hochhielt und substanziellen Reformen Abfuhren erteilte. Das konservative Kirchenlager konnte daher blind auf den Nachfolger Petri setzen und alle „Reformer“ der Häresie zeihen. Nun sitzt seit zehn Jahren einer auf dem Stuhl Petri – mit 86 der Älteste seit mehr als hundert Jahren –, wo es umgekehrt ist: Die Konservativen waren vom ersten Augenblick, als Jorge Bergoglio am 13. März 2013 als Franziskus, Bischof von Rom, die Loggia des Petersdoms betrat, verstört. Und sie lassen kein gutes Haar am Kirchenoberen. Päpstlicher als der Papst, wie die Vertreter dieses Kirchenflügels gerne sind, heißt da, Franziskus vorzuwerfen, er sei kein guter, wenn nicht gar häretischer Pontifex. Nach zehn Jahren ist allerdings klar, dass Franziskus auch kein Papst für die Progressiven ist, selbst wenn es manchmal diesen Anschein gab. Nach zehn Jahren ist aus dem frischen Wind, den der Lateinamerikaner nach Rom brachte, ein Lüfterl geworden. Dazu kommt, dass einiges angesprochen wird – etwa die stärkere Beteiligung von Frauen „ Nach zehn Jahren ist aus dem frischen Wind, den der Lateinamerikaner nach Rom brachte, ein Lüfterl geworden. “ und Laien –, aber an der klerikalen Kirche nicht wirklich etwas verändert wird. Es scheint, dass Franziskus vieles bewusst ist, aber ein noch so sanfter Ausbruch aus dem hierarchisch-starren System blieb aus. Ein gutes Beispiel ist der synodale Prozess, den Franziskus richtigerweise auf den Weg gebracht hat: Die Zeichen der Zeit hat er erkannt. Aber wenn es ans Eingemachte geht – etwa beim deutschen Synodalen Weg, der ja Reformprogramme, die schon seit mehr als 50 Jahren auf dem Tisch liegen, angehen will, dann fremdelt auch Franziskus damit. Dass er den Münchener Kardinal Reinhard Marx dieser Tage aus dem Kardinalsrat, seinem wichtigsten Beratergremium, entlassen hat, ist dafür ein Zeichen. Opposition und unklare Ausdrucksweise Es muss sich etwas ändern in dieser Kirche – das wussten die Papstwähler 2013. Franziskus macht dies in Worten seit seinem Amtsantritt klar. Aber die zu messenden Taten dazu bleiben überschaubar: Die Kurienreform brauchte neun Jahre, bis das entsprechende Dokument fertig war – und vieles davon, vor allem Personalia, ist noch nicht umgesetzt. Der Apparat, dem sich dieser Papst gegenübersieht, ist weiterhin trä- ge (und hofft gewiss, auch dieses Pontifikat zu überstehen). Dazu kommen die Opposition der Konservativen, die jedenfalls besser als andere Kirchenflügel organisiert sind, sowie die nicht immer klare Ausdrucksweise, mit der Franziskus von jeder Seite vereinnahmt werden kann (vgl. Seite 10). Der deutsche Theologe Michael Seewald hat jüngst das (von den Konservativen bitter bekämpfte) Papstschreiben Amoris laetitia 2016 zur Ehe- und Familienmoral analysiert: Über viele Seiten, so Seewald sinngemäß, imaginiere auch dieses Dokument eine Kontinuität der Lehre, nur in einer Fußnote finde sich, dass unter Umständen geschiedene Wiederverheiratete zu den Sakramenten zugelassen werden könnten. Ein „hyperkomplexes Ordnungssystem“ drohe „an seiner eigenen Kompliziertheit verrückt“ zu werden, so Seewalds Diagnose. Daran hat Papst Franziskus nichts geändert, er perpetuiert dies vielmehr. Eine Hypothek ist weg, immerhin: Die Kohabitation eines emeritierten Papstes mit seinem Nachfolger hat sich nicht bewährt. Die Symbolik der weißen Gewandung wie die Wortmeldungen Benedikts XVI. gaben dem konservativen Kirchenlager bis zu dessen Tod Gelegenheit zu insinuieren, er sei der „eigentliche“ Papst. Dafür kann Franziskus nichts. Aber diese Erfahrung macht einen Papstrücktritt, wenn die Kräfte schwinden, wieder unwahrscheinlicher. Auch das ist im Herbst dieses Pontifikats, der unübersehbar ist, ein Zeichen für den Reformstau, den auch Franziskus bislang nicht auflöste. otto.friedrich@furche.at @ofri_ofriedrich INTRO Irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn, Fürsorge und Bestialität ist der Homo sapiens daheim. Künstliche Intelligenz ist nicht ganz so breit aufgestellt, um es vorsichtig auszudrücken. Dennoch kommen in diesem Bereich jede Menge Fragen auf uns. Das Symposion Dürnstein wird sich ihnen widmen – und wir tun es im Fokus „Das unheimliche Organ“ schon jetzt. Was auf die SPÖ alles zukommen könnte (bzw. müsste), hat Wolfgang Machreich mit einem Bürgermeister besprochen. Was in Israel dräut, erklärt Experte Peter Lintl – und warum Erhard Busek so schmerzlich fehlt, beschreibt Thomas Köhler. Die ganze Bandbreite des Menschlichen entfaltet sich im Kompass: von Papst Franziskus, dessen zehnjähriges Pontifikat beleuchtet wird, bis zu einer Reportage über Menschenhandel. Dass auch das Verständnis zwischen den Generationen kein Selbstläufer ist, zeigt der Antwortbrief von Johanna Hirzberger an Hubert Gaisbauer in unserer neuen Rubrik „Erklär mir deine Welt“. Im Feuilleton schließt sich sodann der Kreis: mit einem Essay über den großen Denker Michel de Montaigne, mit einer Hommage an den großen Künstler Bodo Hell und mit einer Geschichte über den Zeppelin als Wunder menschlichen Erfindungsgeistes. Da muss die KI noch eine Menge lernen. (dh) furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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