DIE FURCHE · 6 8 Gesellschaft 9. Februar 2023 Abgespeichert Dating-Apps sammeln viele Daten ihrer Nutzer(innen) und ver kaufen sie dann an andere Unternehmen weiter. Dessen bewusst sind sich nur wenige. Das Gespräch führte Milena Österreicher Längst ist Onlinedating in der breiten Bevölkerung angekommen. Einer Studie der Onlinepartnerbörse Parship.at aus dem Vorjahr zufolge ist es für 90 Prozent aller Befragten in Österreich normal, jemanden im Internet kennenzulernen. Nur vier Prozent der heute entstehenden Paare lernen sich beim Ausgehen kennen, so die Studie. Vor 20 Jahren waren es noch 34 Prozent. Über die Mechanismen hinter den Dating-Apps ist allerdings kaum etwas bekannt. Die Schweizer Soziologin Jessica Pidoux forscht am Zentrum für europäische Studien der Sciences Po in Paris, ist Leiterin der NGO „Personal Data IO“ und Gründerin des Kollektivs „Dating Privacy“. Sie spezialisiert sich auf die Nutzung und Entwicklung von Dating-Apps. DIE FURCHE: Die im Onlinedating verwendeten Apps werden oft für ihre Datennutzung kritisiert. Was ist das Problem? Jessica Pidoux: Man glaubt oft, dass man ein paar Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort eingibt, und schon spuckt die App passende Partner und Partnerinnen in der Nähe aus. Tatsächlich aber greifen die Apps auf komplexe Daten zurück. Sie scannen unsere Fotos, analysieren Informationen von verknüpften Apps wie Spotify oder Instagram und prüfen, mit welchen Menschen wir in Verbindung stehen. Auch die Konversationen, die wir auf den Dating-Apps führen, werden mittels natürlicher Sprachverarbeitung analysiert. GLAUBENSFRAGE Wo ist Gott? Ballsaison. Ich sehe sie tanzen in diesem Jahr, Sylvia Plath, und es ist ein Gebet für alle, es verwandelt die Zeit und die Werte. Es ist ein Totentanz des Lichts der Erkenntnis, Glücksschritte, welche die Leuchtturmtänzerin des Widerstands und der Ergebung vor dem Nein der Welt hier vollbringt. Ihr ganzes Leben ein sich Schwingen im Worttanzsaal, dem Tod gewidmet; die Säulenheilige der Sinnfrage war und blieb antwortlos, bis sie am 11. Februar im Jahr 1963 sterben musste am tiefen Schrei nach einem Sinn, der hier wäre. „Sterben / Ist eine Kunst, wie alles andere auch. / Ich kann es besonders gut“, wusste sie schon zuvor, und es ist, als dichtete sie einen Trauergesang der Erde und ihres ganzen Lebens. Eine Seltenheit, der schöne Worttanz über dem bestürzenden Kontingenzversagen, das weltweit ist und persönlich und politisch. Die Antwort schuldig zu bleiben aus Absicht, als ein wesentlicher Teil dieses Versagens, ist ein tragisches Verbrechen an der Menschheit und an der Würde aller Existenz. Am 13. Februar 2020 erzählt Anne Aschenbrenner in „99 Leute mögen dich“ über Erfahrungen im Online-Dating, auf furche.at. Viele Alleinstehende suchen am Valentinstag online nach Liebe. Doch dort werden gesellschaftliche Stereotype verstärkt. Ein Gespräch mit der Soziologin Jessica Pidoux. „Patriarchale Dating-Apps“ DIE FURCHE: Das klingt, als würde man eine Menge Kontrolle abgeben. Pidoux: Gleichzeitig sind das keine unüblichen Techniken. Sie werden auch angewendet, um etwa E-Mails zu analysieren und automatische Antwortvorschläge zu generieren. Wir hinterlassen zahlreiche Spuren im digitalen Raum, die viel über uns aussagen. Diese Daten werden von den Apps allerdings nicht nur für die Partnersuche verwendet, sondern oft an Dritte weitergegeben, etwa an sogenannte Datenbroker, also Unternehmen, die diese Daten weiterverkaufen. So funktioniert Datenwirtschaft. Die Unternehmen der Datingindustrie sind inzwischen börsennotiert. DIE FURCHE: Dieser Weiterverarbeitung von Daten stimmen die Nutzer(innen) meist auch zu, ohne die langen Nutzungsbedingungen gelesen zu haben. Was passiert mit den Daten, wenn ich die App lösche? Pidoux: Die Apps erklären nicht, welche Daten geteilt werden und zu welchen Zwecken. Allerdings haben wir Tests gemacht und Bilder gelöscht. Danach haben wir eine Kopie unserer Daten auf den Apps angefordert, und siehe da: Die gelöschten Bilder waren noch gespeichert, genauso wie Konversationen, die manche mit ihren Matches vor Von Ines Charlotte Knoll Aber Leuchtworte voll berechtigter Hoffnung, die, weil sie einmal von derselben Dichterin geschrieben werden konnten, sind ewiggültig in ihrem Lichtmut und froh einzuschreiben in die Sehnsucht nach einer wahren Theologie: „Schreiben ist ein religiöser Akt: Es ist ein Ordnen, ein Reformieren, ein Wiederlernen und Wiederlieben von Menschen und der Welt, wie sie sind und wie sie sein könnten.“ Vielleicht ist Wilhelm Gräb, der evangelische Theologe, der hochbetagt vor wenigen Tagen verstorben ist, Sylvia Plath auf der andern Seite begegnet, im Ballsaal der tanzenden Gedanken vom Sinn, der ist. Alles Leben sei der Deutung bedürftig, tröstet er sie. Und die Frage ist offen für Gott. „Wo ist Gott?“, höre ich ihn seine Gesprächspartnerin heiter fragen: „Oft gerade da, wo man ihn nicht sucht!“ Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R. drei, teils sogar fünf Jahren geführt hatten. DIE FURCHE: Sie haben sich in Ihrer Arbeit viel mit dem Marktführer Tinder beschäftigt. Warum bezeichnen Sie diese App als patriarchales System? Pidoux: Auf Tinder werden junge Frauen mit einem niedrigeren Bildungsniveau mehr älteren Männern mit einem höheren sozioökonomischen Status angezeigt. Ältere Frauen werden im Vergleich zu Jüngeren diskriminiert und auch gut ausgebildete Frauen eher weniger gut ausgebildeten Männern angezeigt. Das sind Strukturen, die auch in unserer patriarchalen Gesellschaft gegeben sind. Sie lassen sich also durch unser Nutzungsverhalten erklären, aber auch mit den statistischen Daten, die in die Programmierung eingespeist werden. „ Manchmal sind Menschen frustriert, weil sie in den Apps niemanden kennenlernen. In Wirklichkeit liegen dahinter maschinenbedingte Entscheidungen. “ DIE FURCHE: Man könnte also auch sagen, dass der Algorithmus die Präferenzen der Menschen widerspiegelt. Pidoux: Es sind natürlich Muster, die bereits in der Gesellschaft existieren. Dennoch haben nicht alle diese Präferenzen. Wenn eine Frau sich neu in der App registriert, wird sie älteren Männern angezeigt, weil das in der Vergangenheit erfolgreich war. Problematisch ist, dass die Algorithmen Stereotype reproduzieren und sie in der Gesellschaft dadurch noch verstärken. Foto: Aurore Papegay Illustration: iStock / Oleg Lyfar Jessica Pidoux beforscht Dating-Apps und die Folgen, die diese für den Alltag der Nutzer(innen) haben. Es gibt Techniken, um diese Muster auszugleichen und mehr Vielfalt zu bieten. Aber sie werden nicht genutzt. DIE FURCHE: Stichwort Vielfalt: Die deutsche Autorin Alice Hasters schreibt, dass wir gerne an der Vorstellung festhalten, dass alle die gleichen Chancen haben, Partnerinnen und Partner zu finden. Für wen trifft das nicht zu? Pidoux: Wenn man eine App beispielsweise mit Datensätzen mehrheitlich weißer Männer entwickelt, werden Schwarze Männer standardmäßig benachteiligt und erhalten nicht die gleiche Sichtbarkeit in der App. Manchmal sind Menschen frustriert, weil sie in den Apps niemanden kennenlernen. In Wirklichkeit liegen dahinter oft maschinenbasierte Entscheidungen. Man könnte Techniken anwenden, zum Beispiel sogenannte Fairnessmetriken, damit alle die gleichen Chancen haben. Allerdings habe ich noch von keiner App gehört, die das tut. Wichtig wäre, einen Blick auf die Entwicklungspraktiken bei der Codierung von Algorithmen zu werfen, um sie auch korrigieren zu können. Durch den Mangel an Transparenz ist das aber schwer möglich. Die Unternehmen berufen sich derzeit meist auf den Schutz des geistigen Eigentums. DIE FURCHE: Es scheint, als ob die Frage, wen wir heutzutage online kennenlernen, in der Hand einiger weniger Unternehmen liegt, die zudem nachlässig mit unseren Daten umgehen. Wie kann man sich dagegen wehren? Pidoux: Wichtig ist, sich seiner Rechte bewusst zu sein. Eines der wichtigsten Instrumente, die wir in EU-Ländern haben, ist die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie ermöglicht uns, Kopien unserer Daten zu erhalten. Wir haben auf unserer Website eine Vorlage, mit der man seine Daten von bestimmten Dating-Apps anfordern und danach auch analysieren kann. Dennoch antworten Unternehmen oft nicht oder brauchen sehr lange. Die zuständigen Datenschutzbehörden sind mit Beschwerden oft überhäuft. In Norwegen hingegen hat die Datenschutzbehörde 2021 die Dating-App Grindr mit einer Strafe von umgerechnet 6,4 Millionen Euro belegt. Das Unternehmen hatte sich nicht an die DSGVO-Zustimmungsregeln gehalten. DIE FURCHE: Sie haben nun viele Schattenseiten aufgezeigt. Würden Sie Onlinedating also keinesfalls empfehlen? Pidoux: Onlinedating ist ja nicht per se schlecht. Als Aktivistin wünsche ich mir, dass alle über die Nachteile und Risiken der Apps Bescheid wissen. Das Problem ist, dass es noch keine App gibt, die Daten wirklich schützt. Als Hilfsmittel gibt es Apps wie „Tracker Control“, mit denen man überprüfen kann, was mit den eigenen Daten geschieht. Die großen, marktbeherrschenden Apps haben wenig Interesse, etwas zu ändern. Daher wäre es gut, Innovationen zu fördern. Kurz vor unserem Gespräch hatte ich eine Besprechung mit einem jungen Mann, der eine neue Dating-App entwickeln möchte. Auch Frauen sind immer öfter in der Technologiebranche vertreten. Manchmal reproduzieren sie ebenso alte Stereotype, oft kommen von ihnen jedoch auch neue Ideen.
DIE FURCHE · 6 9. Februar 2023 Gesellschaft 9 Auch wenn anlässlich der 47. Alpinen Skiweltmeisterschaft in Frankreich das Interesse wieder steigt: Die Ära, in der die rot-weiß-rote Skidominanz identitätsstiftend war, ist ebenso vorbei wie die Zeit obligater Schulskikurse. Ein Rückblick auf den Schnee von gestern. Vom Ende einer Skination Von Tobias Kurakin Dicke Schneeschichten liegen auf den Tannen. Abseits der perfekt präparierten Piste verzieht sich nach und nach der Nebel. Dann, zu Mittag, stoßen sich die ersten Athleten aus dem Starthaus hinaus in die Winterlandschaft. Wir schreiben den 21. Dezember 1998: Nicht nur Weiß, auch Rot-Weiß-Rot dominiert an diesem Tag den Patscherkofel. Angeführt von Hermann Maier belegt der Österreichische Skiverband (ÖSV) im Super-G die ersten neun Plätze – und unterstreicht damit seinen Status als unangefochtener Weltcupdominator. Es sind Bilder der Vergangenheit, die sich in Österreichs Sportgeschichte verewigt haben – aber knapp ein Vierteljahrhundert später undenkbar geworden sind . Kaum jemals war die Bilanz im Vorfeld einer Ski-WM so mager wie heuer vor der am Montag gestarteten Weltmeisterschaft in Courchevel/Méribel: Bei den Herren konnte in dieser Saison bislang nur der 31-jährige Oberösterreicher Vincent Kriechmayr Gold erringen – wenn auch gleich drei Mal. Die Damen blieben allesamt ohne Sieg. Zum Auftakt der WM freute man sich umso mehr über erste Silber- und Bronzemedaillen in der Kombination. 1998, als am Patscherkofel der Skiweltcup zu einer österreichischen Meisterschaft mit ausländischer Beteiligung verkam, war Österreich noch die unumstrittene Nummer eins. In der 66-jährigen Geschichte des Weltcups wanderte der Nationencup, die Wertung für den punktestärksten Verband, insgesamt 42 Mal in die Hände der Österreicher. Zwischen 1990 und 2019 gab es gar kein Vorbeikommen mehr an Rot-Weiß-Rot. Foto: APA-Photo/rubra Immer ganz vorn Der neunfache ÖSV-Triumph beim Weltcup-Super-G der Herren auf dem Patscherkofel in Innsbruck am 21. Dezember 1998 markierte den Höhepunkt von Österreichs Skidominanz. Hermann Maier (Bild) fuhr damals einmal mehr an die Spitze. Der Skisport als ein Stück Heimat Bereits vor der Einführung des Weltcups 1967 war die Jagd nach den schnellsten Zeiten auf zwei Brettern identitätsstiftend. Als Toni Sailer 1956 drei olympische Goldmedaillen aus Cortina d’Ampezzo in die Heimat brachte, feierte die junge Zweite Republik ihren ersten Helden. „Der Skisport hat den Österreicherinnen und Österreichern ein Stück Heimat geboten, das historisch unbelastet war und dem Staat globale Bedeutung zukommen ließ“, erklärt der Zeithistoriker Christoph Eric Hack. Das unbescholtene Image des Sports fungierte als Abgrenzung zur nationalsozialistischen Vergangenheit, ein Image, mit dem sich Österreich als Nation neu (er)finden konnte. „Die Nazis waren die Deutschen, wir fuhren Ski“, beschreibt Hack das Selbstbild der österreichischen Nachkriegszeit. Man vergrub gleichsam seine Vergangenheit im Schnee. Die geografische Lage in den Alpen verhinderte, dass darunter grüne Wiesen zum Vorschein kamen, die österreichische Inszenierung ließ braune Flecken verschwinden. Der sportliche Erfolg, der in den 1990er Jahren in pure Dominanz überging, nährte die österreichische Volksseele über Generationen. „Es war ein Glücksfall und Balsam für die österreichische Identität, in einem internationalen Sport, einer olympischen Disziplin, dermaßen gut zu sein“, so Hack. Franz Klammer, Hermann Maier, Marcel Hirscher, Michaela Dorfmeister erbten Sailers Status eines Nationalhelden. Doch das Blatt hat sich gewendet. Im Nationencup führen die Eidgenossen, die bei den Herren bereits letzte Saison den sportlich wenig relevanten, aber symbolträchtigen gläsernen Pokal ergattern konnten, überlegen vor den Österreichern. Der Status als beste Skination ist verloren. ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober hat für die laufende WM vier bis sechs Medaillen als Ziel ausgegeben, vor zwei Jahren waren es noch acht. Auch die Einschaltquoten im TV sind seit dem Rücktritt von Hirscher rückgängig. Im Jänner 2019 verfolgten noch 1,7 Millionen Zuseher vor den Bildschirmen den letzten Weltcupsieg des Salzburgers, heuer sahen 200.000 Personen weniger den Erfolg des Franzosen Clément Noël. Nicht nur die fehlenden sportlichen Erfolge kratzen am Selbstverständnis Österreichs als Skination. Dazu kommt der spürbare Klimawandel. Knapp 24 Jahre nach dem denkwürdigen Neunfachsieg kämpft auch der Patscherkofel mit Schneemangel. Im November 2022 verteilen sich nur vereinzelte weiße Flecken über die moosgrüne Wiese um die Bergstation. Weltcuprennen gibt es im einstigen Tiroler Winterparadies genauso wenig wie anderenorts österreichische Seriensiege. Tauwetter und Nachwuchsmangel Der Skisport gilt in Österreich laut Freizeitwissenschafter Peter Zellmann zwar noch als Volkssport, die Zahlen gehen aber zurück. Binnen einer Generation hat sich der Anteil der Nichtskifahrer von 40 auf 63 Prozent erhöht. Unverändert beliebt ist noch der Ski-Urlaub. Jeder vierte Österreicher leistet sich einmal im Jahr noch ein mehrtägiges Wintersporterlebnis. Der Tourismus habe recht, wenn er derzeit darauf hinweise, dass man kein Problem sehe, sagt Zellmann, das könne sich jedoch bald ändern. „Wenn immer mehr Menschen dem Skisport den Rücken zukehren, wird dem Skisport der Nachwuchs ausgehen – dann wird es auch der Tourismus zu spüren bekommen“, so Zellmann. Jeder dritte Arbeitsplatz in Österreich hängt aktuell mit dem Tourismus zusammen. Kleine Skigebiete, die die unmittelbare Nähe zum Sport brächten, seien ohne finanzielle Unterstützung nicht mehr überlebensfähig. „ Die Nazis waren die Deutschen, wir fuhren Ski. Es war Balsam für die österreichische Identität, in einer internationalen Sportart so gut zu sein. “ Christoph Eric Hack Unter „Ausgewedelt?“ (2.2.2022) hat sich Wolfgang Machreich ebenfalls mit der Ski-Zukunft auseinandergesetzt (furche.at). Wie sehr der Skisport seine Stellung als Breitensport eingebüßt hat, zeigt sich nicht zuletzt auch an der abnehmenden Zahl an Schulskikursen. Immer mehr Schulen präferieren im Austausch mit den Eltern eine Sportwoche mit freier Wahl der Sportart. Demografische Veränderungen verstärken den Trend. „Kinder mit Migrationshintergrund in der Großstadt haben etwa tendenziell keinen Bezug zum Skisport, so auch ihre Eltern“, meint Zellmann. Die Pandemie kam noch erschwerend hinzu. Vor Corona haben laut Statistik 14,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler entweder einen Skikurs besucht oder waren an aufeinanderfolgenden Tagen mit der Klassengemeinschaft Ski fahren. Absolut waren das knapp 260.000. Diese Zahl dürfte mittlerweile deutlich gesunken sein. Wobei die Skikurse selbst nur ein überschaubarer wirtschaftlicher Faktor sind: Bei durchschnittlichen Skikurskosten von 500 Euro beträgt der jährliche Gesamtumsatz (ohne Handel) 80 Millionen Euro. Das sind 1,8 Prozent der Umsätze der inländischen Wintergäste (4,4 Milliarden Euro). Gravierend sind freilich die Folgen, weil ohne Erstkontakt im Kindes- und Jugendalter auch die Gäste von morgen fehlen. Überraschend kommt all das freilich nicht – und der Klimawandel schon gar nicht. Eine Studie der East-Anglia-Universität prophezeite bereits 1999, dass bis 2020 steigende Temperaturen für eine Reduzierung der Wintersaisondauer um 20 Prozent sorgen würden, bis 2050 gar um 50 Prozent. Skigebiete über 1600 Metern dürften auch in 30 Jahren noch die klimatischen Voraussetzungen für den Skisport erfüllen. Tiefer gelegene Gebiete werden hingegen als sensible Zone betrachtet. Schon jetzt gibt es laut der deutschen Geografin Carmen de Jong in Europa keine Skigebiete mehr, die vom 1. Dezember bis Ende März Schneegarantie bieten können. Auch in Kitzbühel – Toni Sailers Heimatstadt und Schauplatz der zwei wichtigsten Abfahrtsrennen der Saison – ist die Lage heikel. Wobei sich die Gamsstadt zuletzt im Jänner von ihrer besten Seite zeigte – nicht zuletzt, weil zumindest ein Rennen von Vincent Kriechmayr gewonnen werden konnte. Dass ein Rennen überhaupt stattfindet, ist schließlich nicht mehr selbstverständlich: In der heurigen Weltcupsaison musste bereits knapp jeder fünfte Wettkampf abgesagt werden. Die wirtschaftlichen Schäden sind nur schwer zu beziffern, das System ist zu verzweigt: Gastronomie, Hotellerie, Eventmanagement und viele mehr sind involviert. Klar ist nur: Alle leiden mit. Sailers Goldmedaillen, der ikonische Neunfacherfolg oder Schulskikurse als Fixpunkte auf dem Stundenplan: All das ist jedenfalls Schnee von gestern. Andererseits muss sich Österreich auch nicht mehr zwingend durch das Skifahren als Nation (er)finden, glaubt der Historiker Christoph Eric Hack. In einer globalisierten Welt brauche es keinen nationalstaatlichen Stolz mehr. Und die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik habe einen unbefleckten Sport zum Kaschieren der dunklen Vergangenheit obsolet gemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass er recht behält.
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