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DIE FURCHE 09.02.2023

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DIE FURCHE · 6 6 Politik 9. Februar 2023 Ohne westliche Waffen würde sich das Blatt in der Ukraine binnen Wochen zugunsten Russlands wenden. Wie weit darf, muss oder soll Unterstützung gehen? Über „Ver-Antwortung“ als Denken des anderen und Denken im Antworten. Den Tyrannenmord enttabuisieren „Sic semper tyrannis“ Piloty (1865) – der Tod Julius Caesars als Inbegriff des Tyrannen mordes. 44 v. Chr. wurde der römische Diktator von einer Gruppe Senatoren um Brutus und Cassius mit 23 Dolchstichen getötet. Von Brigitte Quint Als Kanzler Karl Nehammer 2022 nach der russischen Invasion von Österreichs historischer Verantwortung spricht, überspringt er einen entscheidenden Punkt (den er später verhalten ergänzt): Die historische Schuld, die das heutige Österreich als Teil des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hat, bezieht sich nicht nur auf Russland, sondern auf sämtliche Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Allen voran auf die Ukraine und Belarus, deren Gebiete zur Gänze besetzt waren. Nehammer befindet sich mit seinem Denkfehler in guter Gesellschaft. Die deutschen Leopard-2-Panzer, die nun an KLARTEXT Dekadenz? Lesen Sie hierzu den Text von Wolfgang Machreich aus dem Jahre 2004 unter dem Titel „Bernardis, österreichischer Held“ auf furche.at. Von Manfred Prisching Böswillige Menschen meinen, der Westen sei dekadent. Wenn wir den Begriff der Dekadenz von kulturphilosophischem Geschwätz befreien und als Systembeschreibung nehmen, lautet diese: Dekadent ist eine Gesellschaft (oder eine Zivilisation), wenn sie nicht mehr in der Lage ist, ihre eigenen Existenzvoraussetzungen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Der Westen wäre also nur dann dekadent: 1) Wenn er die Zerstörung des Habitats voranschreiten ließe, ohne in der Lage zu sein, die erforderlichen Umsteuerungsmaßnahmen zu ergreifen oder durchzusetzen. 2) Wenn jede vernünftige politische Maßnahme, die (in einer Situation geringen Wachstums: notwendigerweise) manche Gruppen fördert und andere schlechterstellt, durch Veto oder Protest verhindert würde. 3) Wenn immer größere Vermögensteile nicht mehr im produktiven Sektor angelegt würden, sondern in dubios-spekulative Finanzsphären abwanderten. 4) Wenn die Menschen in einer Situation multipler Krisen verlangten, dass durch staatliches Handeln jede Schlechterstellung ausgeglichen werden müsse, was nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit überforderte, sondern auch schädliche Regelmechanismen erzeugte. 5) Wenn man aus der Geschichte den Schluss zöge, dass Kriege durch Waffenverzicht verhindert würden, wodurch man den Aggressoren Macht und Herrschaft überließe. 6) Wenn in das „öffentliche Wissen“ keine „Ordnung“ mehr (durch Selektionen oder Urteilskraft) gebracht werden könnte, sodass destruktive Kommunikationsbeiträge, welche die Wirklichkeit unerkennbar machen und affektive Ausbrüche fördern, florierten. Ein paar Elemente könnte man noch hinzufügen. Glücklicherweise sind diese Charakteristika allesamt auf den Westen nicht anwendbar: keine Dekadenz zu befürchten. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz. die Ukra ine geliefert werden, kommen deshalb so spät – vermutlich zu spät –, weil sich Olaf Scholz stets derselben ethisch-moralischen Argumentation bediente. Die Tatsache, dass 80 Jahre nach Stalingrad erneut deutsche Panzer gegen russische Soldaten vorgehen, ließ ihn zaudern und zögern. „Ver-Antwortung“, in Anlehnung an den lateinischen Begriff respondere („antworten, Antwort geben“) – wer vermag es, diese zu geben? „Wenn Deutschland etwas aus seiner Geschichte gelernt hat, dann muss es aus der Geschichte heraus hier unterstützend einschreiten“, analysierte der britische Historiker Timothy G. Ash in einem vielbeachteten Statement zur deutschen Rolle im aktuellen Konflikt. Wie gilt es sich hier für das neutrale Österreich zu positionieren? Wolfgang Müller, Vize-Vorstand am Institut für osteuropäische Geschichte (Uni Wien), sagt dazu: „Die Verantwortung Österreichs ist insofern eine andere, als es im Zweiten Weltkrieg als Staat nicht existiert hat, nicht Herr seiner Handlungen gewesen ist. Aber: Es gab ungefähr eine Million Österreicher, die in der deutschen Wehrmacht oder in anderen Formationen der NSDAP gekämpft haben und die zum Teil, sei es aufgrund des Befehlsnotstandes oder aus einer persönlichen Überzeugung heraus, auch auf dem Boden der Ukra ine an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Österreich kann sich seiner moralischen Verpflichtung nicht entziehen.“ Dieser komme es zumindest zum Teil nach. Aufgrund von Österreichs Neutralitätsstatus zu 90 Prozent im humanitären Bereich. Aber als EU-Mitgliedsstaat finanzierte es indirekt auch militärische Unterstützung mit. „ Innerhalb des Wartens und Abwartens entspinnen sich neue Debatten: Nach den Kampfpanzern ertönen die Rufe nach Kampfjets, gefolgt von der Forderung nach Bodentruppen. “ Illustration: iStock/ ZU_09 (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Ver-Antwortung. Die Verbündeten antworten in Form von Sanktionen, Waffen, Geheimdienstinformationen, militärischem Know-how, makroökonomischer Unterstützung (die Ukraine benötigt nach Schätzungen zwischen drei und vier Milliarden Dollar pro Monat), der Aufnahme von Vertriebenen und mannigfaltigen symbolischen Gesten. Wolodymyr Selenskyjs geplante Teilnahme am EU-Gipfel in Brüssel ist das jüngste Beispiel dieser Art. Gleichzeitig vermögen diese Antworten entscheidende Fragen nicht zu beantworten: Hat Ver-Antwortung Grenzen? Und wenn ja, wo, im Hinblick auf die Tatsache, dass es kein Zurück mehr zum status quo ante geben wird? Westliche Diplomaten halten eine Lösung des Konfliktes für unwahrscheinlich, ja unmöglich, solange Putin im Amt ist. Was heißt das im Umkehrschluss? So lange Krieg führen, bis Putin zurücktritt, weggeputscht wird, stirbt? Bedeutet (Ver-)Antwort(ung) Abwarten? Und innerhalb dieses Wartens und Abwartens entspinnen sich neue Debatten: Nach der Kampfpanzerdebatte ertönen die Rufe nach Kampfjets, abgelöst von den Bodentruppen. „Wenn der Krieg noch länger dauert, wird sich diese Frage mit größerer Dringlichkeit stellen. Man muss nur die Bevölkerungsbasis Russlands mit jener der Ukraine vergleichen. Russland ist mehr als dreimal so groß, was seine Bevölkerung betrifft. Bodentruppen wurden bisher von westlichen Staaten klar abgelehnt. Wie sich das in Zukunft verhält, lässt sich nicht seriös prognostizieren“, sagt Müller. Moraltheologische Schlüsse Die bevorstehende Münchner Sicherheitskonferenz (17. bis 19. Februar), das wichtigste sicherheitspolitische Expertentreffen weltweit, dürfte ein wesentliches Forum sein, um sich diesbezüglich auszutauschen. Gleichzeitig ist diese Angelegenheit mehr als eine sicherheitspolitische. Auch in der theologischen Ethik ringt man um Haltungen. „Man muss verantworten, wenn man in diesen Krieg eingreift. Und man muss verantworten, wenn man in diesen Krieg nicht eingreift“, sagt die Salzburger Moraltheologin Angelika Walser und bezieht sich auf die traditionelle Lehre vom bellum iustum (dem gerechten Krieg). Pazifismus um jeden Preis ist ihrer Meinung nach unangebracht. „Ich kann nicht den Ukrainern vorschreiben, dass sie wie Gandhi mit friedlichen Mitteln für ihre Überzeugung am Ende in den Tod gehen.“ Daher seien der Verteidigungskrieg und die Unterstützung seitens des Westens moralisch gerechtfertigt. Was nicht heiße, dass derzeit alle Mittel, die Frieden oder zumindest eine Wende herbeiführen könnten, ausgeschöpft würden. Luft nach oben habe etwa das Engagement seitens der Zivilgesellschaft. „Es gibt viel Empörung und Entrüstung vom Sofa aus, aber wir sollten mehr ins Handeln kommen. Es gibt Widerstandsbewegungen in Russland, die man unterstützen kann, diverse Netzwerke, Initiativen der Kirchen usw.“, so Walser. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: der Tabubruch. Und sei es nur in der Theorie. So rollt etwa der Moraltheologe Werner Wolbart in seinem Buch „Vom Nutzen der Gerechtigkeit“ das biblische Zitat „Besser, ein Mensch sterbe, als dass ein ganzes Volk verderbe“ neu auf. Es geht um die Tötung des Schuldigen und darum, wann diese rechtmäßig sei. Letzteres jedenfalls in einer Notwehrsituation. Ist ein Tyrannenmord aus moraltheologischer Sicht vertretbar? „Die Scholastiker haben offen darüber diskutiert. Viele davon stimmten zu. In der theologischen Ethik wird beispielsweise das Hitler-Attentat oft als legitim betrachtet. Manchmal sind Tötungen nicht zu vermeiden“, erklärt Angelika Walser. Ver-Antwortung. Wäre der Tyrannenmord auch in der Causa Putin eine Option? Und wenn ja, wäre er umsetzbar? Aus westlichen Diplomatenkreisen heißt es, dass ein Attentat bislang nicht in Erwägung gezogen sei. Der Großteil der Experten ist der Meinung, dass es zu keiner unmittelbaren Verbesserung des Systems Russland führen würde. Dass es an der Nichtmachbarkeit scheitere, glaubt der Informant indes nicht. Man habe aus geopolitischen Gründen schlicht kein Interesse daran. Diese Antwort ist eindeutig. Was man von Ver-Antwortung nicht sagen kann. Es zwingt sich weiterhin ein Denken des anderen auf – ein Denken im Antworten – im Sich-Verantworten – im Ver-antwortet- Werden.

DIE FURCHE · 6 9. Februar 2023 Religion 7 Die nach dem Tod Benedikts XVI. neu aufflammenden Kontroversen an der Spitze der katholischen Kirche zeigen: Das System implodiert. Von Andreas G. Weiß Früher war sie grundlegendes Schaltmoment katholischen Selbstverständnisses – die Hierarchie. Noch heute wird sie in zentralen Texten des römischen Lehramtes als die unhinterfragbare Grundform kirchlichen Lebens vorausgesetzt. Dennoch sieht das Bild der kirchlichen Rangordnung heute zunehmend anders aus. Schon die ersten Wochen des Jahres 2023 lieferten genügend Episoden, an denen deutlich wurde, dass die hierarchische Verfasstheit des Gottesvolkes alles andere als stabil erscheint. Bereits in den letzten zehn Jahren wurde dies anhand des Zueinanders des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und Papst Franziskus deutlich. Das Konstrukt des Papa emeritus war nie genau definiert, das Verhältnis des noch lebenden Vorgängers und seines amtierenden Nachfolgers, der noch dazu theologisch eine anders akzentuierte Haltung einnahm, wurde immer wieder zum Gegenstand von Spekulationen, Grabenkämpfen und Machtgezerre. Wer glaubte, dass mit dem Tod Benedikts XVI. Ruhe in die Kirchenwelt einkehren würde, wurde eines Besseren belehrt. Da waren zum einen die fragwürdigen Auftritte von Erzbischof Georg Gänswein. Noch bevor die sterbliche Hülle des pontifikalen Emeritus beigesetzt wurde, startete dessen ehemaliger Sekretär eine mediale Tour postmortalen Rundumschlags, der nicht nur Franziskus, sondern auch andere bischöfliche Mitbrüder öffentlich kritisierte, ja sogar explizit angriff. Gänswein sparte nicht mit Kritik, sowohl aus seiner persönlichen Sicht als auch aus der Perspektive Benedikts, die er authentisch darzustellen behauptete. Man konnte sich in seinen Auftritten nie ganz sicher sein, wessen Position er nun einnahm – die des verblichenen Ex-Pontifex oder seine eigene. Foto: APA / AFP / Vincenzo Pinto Im K(r)ampf der Hierarchie Benedikts XVI. postumes Agieren Zum anderen spielte hier auch das „spirituelle Fast-Testament“ Benedikts hinein: Der emeritierte Papst ließ auf eigenen Willen theologisch brisante Texte postum veröffentlichen, um selbst nicht mehr im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen – jedoch mit dem expliziten Wunsch, seine Positionen würden nachfolgend weiter vertieft: „Es ist Aufgabe der neuen Generation, die Voraussetzungen für ein erneuertes Verständnis dessen zu schaffen, was ich hier dargelegt habe.“ Eine fragwürdige Formulierung des emeritierten Papstes, der nach seinem Rücktritt eigentlich beten und schweigen wollte, aber quasi im theologischen Nachschlag seines Todes eine generationenübergreifende Direktive formulierte. Auf diese Weise wurden die nachträglich veröffentlichten Texte gleich für eine ganze Bandbreite heikler Themen (Abendmahl mit protestantischen Kirchen, das Verhältnis zum Islam etc.) als zeitübergreifende Weichenstellung positioniert. Schließlich war da noch das kirchenpolitische Nachbeben des verstorbenen Kardinals George Pell, jenes australischen Kirchenmanns, der am 10. Jänner nach einer Hüftoperation verstorben war. Während Papst Franziskus Pell nach dessen Tod als treuen Weggefährten würdigte, zeigte sich in den Tagen danach ein anderes Bild: Nicht nur soll der verblichene Pell, so der Vatikanjournalist Sandro Magister, der anonyme Verfasser jenes Memorandums gewesen sein, das im März 2022 eine vernichtende Bilanz der Kirchenführung durch Franziskus zog, sondern am Tag nach seinem Tod veröffentlichte die Zeitschrift The Spectator einen Text Pells, in dem er den von Franziskus angestoßenen weltweiten synodalen Prozess aufs Schärfste kritisiert. Pell gehörte zu jener Schicht mächtiger konservativer Kirchenmänner, welche die synodalen Reformanliegen von Papst Franziskus als gefährlichen Angriff auf die Integrität der göttlich gestifteten Ordnung der katholischen Kirche sieht. In seinem anonymen Schreiben aus dem Jahr 2022 gab sich Pell den Decknamen „Demos“ (griechisch: Volk) und sah sich wohl als Sprachrohr der katholischen Gläubigen, als Verteidiger der überlieferten Tradition, als Hüter der kirchlichen Identität. Davon abgesehen, dass ebenjene Sprachform, nämlich die postulierte Repräsentation einer scheinbaren Mehrheit kollektiven Stimmungsbildes, auch von populistischen Vertretern in der weltlichen Politik verwendet wird, so offenbaren die innerkirchlichen Scharmützel neben den persönlichen Eitelkeiten, theologischen Angstzuständen und kirchenpolitischen Verbarrikadierungsfantasien ihrer Akteure ein handfestes systemisches Problem. Die Schlammschlachten, die sich in den letzten Wochen abspielten, geben bereits ein verheerendes Bild ab. Was aber noch viel zerstörerischer scheint, ist, dass sie das gegenwärtige Kernpro blem kirchlicher Verfasstheit in seiner systemischen Unauflösbarkeit deutlich machen: Die eigentlich streng gehütete heilige Ordnung (griech.: hierós-heilig/ arché-Regierung, Herrschaftsbereich) des Katholizismus ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend durchlässig geworden. Ist im hierarchischen System der Kirche (zumindest theoretisch) allen ihr jeweiliger Platz mit dem zugehörigen Stimmgewicht zugeordnet und definiert, wessen Interpretation und Direktive schwerer wiegen als jene des Gegenübers, so haben sich die Vorzeichen dieser Kräfteverhältnisse geändert. Das Prinzip „Roma locuta causa finita – Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt“ hat Risse bekommen. Dies zeigt sich nicht nur in Fragen moderner Lebensführung, offener Reformdebatten, sondern eben auch in der fragiler werdenden Integrität der sonst so geschlossenen kirchlichen Ordnung. Das Autoritätsproblem der Kirche entzündet sich dabei nicht etwa an einer fehlenden Anerkennung durch Gesellschaft, säkularer Welt oder einer kirchenfeindlichen Feindschaft „von außen“, sondern die systemische Hierarchie der Kirche droht, sich selbst zu dekonstruieren, ja zu implodieren. Hier sind keine „bösen Mächte“ am Werk, die die heilige Herde aufwiegeln wollen, sondern die Grabenkämpfe sind hausgemacht – und: Das kirchlich lange Zeit einzige Werkzeug, um solche Zwistigkeiten zu unterbinden, nämlich „Autorität durch Am Sarg des Kritikers Papst Franziskus und Kardinäle beim Requiem im Petersdom für den am 10. Jänner in Rom verstorbenen australischen Kardinal George Pell. „ Hier sind keine ‚bösen Mächte‘ am Werk, die die heilige Herde aufwiegeln wollen, die Grabenkämpfe sind hausgemacht. “ Lesen Sie zum selben Thema auch Andreas G. Weiß’ Analyse „Päpstlicher als der Papst?“ vom 15.9.2021 auf furche.at. hierarchische Macht“, funktioniert offenbar nicht mehr. Die Idealität einer Hierarchie besteht darin, dass sich die involvierten Personen an ihre Rolle halten bzw. in den jeweiligen Funktionen und Rängen ihren Platz einnehmen. Gefährlich wird es für eine solche Systematik dann, wenn die Prinzipien ihres Funktionierens ausgehebelt werden. Diesen Anschein erhält man zunehmend in der katholischen Kirchenwelt, da nicht einmal mehr das sichtbare Prinzip der römischen Hierarchie, nämlich der Papst, vor Angriffen aus den eigenen Reihen gefeit ist. Handfestes Identitätsproblem Das eigentlich Überraschende an dieser Entwicklung ist, dass sich gerade die vermeintlichen Vorreiter der traditionalistischen Kirchenpolitik zum Sargnagel dessen machen, was sie vermeintlich hochhalten wollen – sie schädigen jenes System, auf das sie sich stützen, und forcieren so den ekklesial-hierarchischen Selbstwiderspruch mitsamt zunehmenden Glaubwürdigkeitsverfall noch einmal. Nach innen stellt sich dies als handfestes Identitätsproblem der katholischen Kirche dar, deren Hierarchie gerade an der Pluralität moderner Lebenswelten zu zerbrechen droht. Spannend ist die Kritik an Franziskus’ Bild der Synodalität deshalb, weil sie deren Notwendigkeit noch einmal vor Augen führt. Die Ängste, die geschürt werden, machen die Dringlichkeit der Reformen des Papstes deutlich – die schärfsten Kritiker untermauern insofern das Anliegen dieses von Franziskus angestoßenen Weges. Sie zeigen, dass es gerade jetzt synodale Prozesse braucht, die den multiplen Fragen und Krisen nicht mit uniformen und starren Antworten, sondern in der Dynamik pluraler Entscheidungsprozesse und theologischer Differenzierungen begegnen wollen. Der Autor ist Theologe, Philosoph und Publizist in Salzburg.

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