DIE FURCHE · 6 2 Das Thema der Woche Durchleuchtete Körper 9. Februar 2023 Vor 100 Jahren starb Wilhelm Conrad Röntgen: Sein Werk eröffnete erstmals den Blick unter die Haut. Bildgebende Verfahren haben seither einen Siegeszug angetreten. Ein Fokus zu Röntgens vielschichtigem Erbe samt Besuch im MedAustron, wo die Fortschritte der Radiologie neuartige Krebstherapien ermöglichen. Von Martin Tauss Redaktion: Martin Tauss, Victoria Schwendenwein Am 8. November 1895 arbeitete ein 50-jähriger Physiker bis spät in den Abend. Seit Monaten experimentierte Wilhelm Conrad Röntgen in einem abgedunkelten Labor der Uni Würzburg mit Kathodenstrahlen. An diesem Herbsttag bemerkte er plötzlich ein seltsames Licht auf einem Stück Papier. Es war mit Material beschichtet, das unter den Kathodenstrahlen zu leuchten begann. Durfte er seinen Augen trauen? Der akribische Professor überprüfte die Beobachtungen immer wieder. Schließlich war er davon überzeugt, auf etwas gestoßen zu sein, das noch niemand vor ihm wahrgenommen hatte – eine neue Art von Strahlen. Ihr Ursprung war unbekannt, daher nannte er sie X-Strahlen. Scheu vor dem Rampenlicht Foto: imago/piemags Wilhelm C. Röntgen Eine neue Biografie beleuchtet Leben und Werk des ersten Physiknobelpreisträgers (27.3.1845– 10.2.1923) und wartet dabei auch mit neuen Quellen auf. Mit seiner Entdeckung verwirklichte er einen Traum der Medizin. Doch sein Werk strahlte schon bald weit darüber hinaus. Zum 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen. Mann mit Durchblick „ Röntgenstrahlen durchleuchten heute auch Gepäckstücke, Mumien, fossile Tiere und Pflanzen, Gemälde und Skulpturen – und sie erhellen molekulare Strukturen. “ Noch im Dezember reichte Röntgen einen Fachartikel ein, in dem er von seiner Entdeckung berichtete. Die Tageszeitung Presse in Wien witterte die Sensation und berichtete am 5. Jänner 1896 über „Photographien ohne einen photographischen Apparat“. Per Telegraf ging die Nachricht um die Welt. Es war eine technische Aufbruchszeit, von der Elektrizität über das Auto bis zum Telefon. Zudem begann eine „heroische Phase der Physik“: Die Erkenntnisse von Marie und Pierre Curie, Max Planck, Niels Bohr oder Albert Einstein veränderten das moderne Weltbild in atemberaubendem Tempo. Diese „heroische Phase“ in der Wissenschaftsgeschichte wurde eingeläutet durch die zufällige Entdeckung der X-Strahlen. Aber was heißt schon Zufall? Dieser begünstige ja ohnehin „nur den vorbereiteten Geist“, wie Louis Pasteur, ein Pionier der Mikrobiologie, selbstbewusst zu sagen pflegte. Als Röntgen die X-Strahlen auf Fotoplatten lenkte, entstanden die ersten Röntgenbilder: ein Holzkasten, ein Jagdgewehr – und die Hand seiner Frau, deren Ring um den Knochen herum zu schweben scheint. Bald schon begann eine neue Ära in der Medizin: Waren Ärzte früher darauf angewiesen, den menschlichen Körper von außen abzutasten (Palpation), abzuklopfen (Perkussion) und abzuhören (Auskultation) oder mittels zunächst sehr grober und unangenehmer Instrumente (Laryngoskop, Rektoskop etc.) in bestimmte Körperregionen hineinzuschauen, ermöglichten die Röntgenbilder erstmals den vollkommenen Durchblick. „Es war der Traum der Medizin, den menschlichen Körper durchsichtig zu machen wie eine Qualle“, schreiben Gerd Rosenbusch und Annemarie de Knecht-van Eekelen in ihrer eben erschienenen Röntgen-Biografie. „Als Wilhelm Conrad Röntgen eine neue Art von Strahlen entdeckte, wurde dieser Traum Wirklichkeit.“ Der deutsche Forscher wurde zum „Vater der Radiologie“; 1901 wurde er dafür mit dem ersten Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. In der neuen Biografie erscheint Röntgen als „wahrer Europäer“, der seine Jugend in den Niederlanden verbrachte, in der Schweiz studierte und in Deutschland akademische Karriere machte. Ebenso wird deutlich, dass Röntgen eine durchaus „komplizierte Persönlichkeit“ war, der es auch seinen späteren Biografen schwergemacht hat. Denn der weltberühmte Physiker bestand darauf, dass all seine Laborund persönlichen Aufzeichnungen sowie seine gesamte wissenschaftliche Korrespondenz nach seinem Tod vernichtet werden sollten. Die aktuelle Biografie trägt das gesamte Wissen zusammen, präsentiert umfangreiches Archivmaterial und wartet dabei auch mit neuen Quellen auf. Auffallend sind die Rückzugstendenzen dieses Wissenschafters: Am 23. Jänner 1896 hielt er den einzigen öffentlichen Vortrag über seine Entdeckung. Daraufhin wurde der Vorschlag eines Kollegen, die X-Strahlen in „Röntgenstrahlen“ umzubenennen, mit tosendem Applaus der Ärzteschaft angenommen. Danach aber lehnte Conrad Röntgen alle weiteren Einladungen zu Vorträgen ab – selbst nach der Verleihung des Nobelpreises. Er war kein Mann für das Rampenlicht, und den Ruhm durch seine Entdeckung konnte er offensichtlich keineswegs genießen: „Man sagt, die Auswirkungen seiner Entdeckung waren so überwältigend, dass sich der damals 50 Jahre alte Röntgen nie davon erholte“, schreiben Rosenbusch und de Knecht-van Eekelen. „Seine große Entdeckung war ein Segen für die Menschheit, aber für den Entdecker selbst eine schwere Last.“ Die „fortzeugende Kraft“ von Röntgens Entdeckung war noch weit größer als die Entdeckung selbst, wie der Physiker Friedrich Dessauer früh bemerkte. Tatsächlich kamen mit dem Ultraschall, der Computertomographie (CT) und der Magnetresonanztomographie (MRT) neue Verfahren der Bildgebung. Zudem sind die Röntgenbilder nun auch therapeutisch von Nutzen. Die Bildgebung erlaubt Chirurgen, Stents in Gefäßen zu setzen oder Medikamente direkt an den Krankheitsherd zu bringen. Die Arthroskopie ermöglicht schonendere Eingriffe an den Gelenken. Diese Interventionsradiologie ersetzt heute selbst größere Operationen. Gerade von der Computertechnologie hat die Radiologie stark profitiert. Die enormen Datenmengen in zentralen Bildarchiven und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz scheinen nun wieder eine neue Ära einzuläuten. Rätsel des Erbguts Die Anwendung der Röntgenstrahlen reicht heute weit über die Medizin hinaus: Diese durchleuchten Gepäckstücke, Mumien, fossile Tiere und Pflanzen, Gemälde und Skulpturen. In der Chemie wiederum werden sie genutzt, um molekulare Strukturen zu erkennen. Sogar die Entdeckung der DNA-Doppelhelix wurde 1953 durch die X-Strahlen ermöglicht. Das wird oft nur James Watson und Francis Crick zugeschrieben; die Molekularbiologen bauten aber auf die Arbeit der Chemikerin Rosalind Franklin: Ihre Röntgenbilder von kristallisierter DNA lieferten den Schlüssel, um das Rätsel des Erbguts zu lüften. Vor seiner bahnbrechenden Entdeckung hat Wilhelm C. Röntgen festgestellt, „dass das Experiment der mächtigste und zuverlässigste Hebel ist, durch den wir der Natur ihre Geheimnisse abringen können“. Wie hellsichtig: Die Folgen jenes Herbsttags im Jahr 1895 sind heute fast unabsehbar. Wilhelm Conrad Röntgen Die Geburt der Radiologie Von Gerd Rosenbusch und Annemarie de Knecht-van Eekelen Springer 2023 215 S., geb., € 30,83 AUS DER GESCHICHTE 1895 Eine Sensation in Form eines Bildes 1896/1897 Weltruhm für „eine neue Art von Strahlen“ 1917 Aufbruch in eine neue Dimension Bis 1945 Untersuchung an vorderster Front 1960er–1970er Aus für einen gefährlichen Spaß Ab 1970 Röntgenblick an den Flughäfen Foto: picturedesk.com Albert Harlingue / Roger Viollet Nach Entdeckung der X-Strahlen im November 1895 präsentiert Röntgen am 22.12. das erste offizielle Röntgenbild: die Hand seiner Frau Bertha. Weltweit werden Röntgenapparate in Betrieb genommen. In Wien behandelt Leopold Freund erstmals das Tierfell- Muttermal einer Fünfjährigen mithilfe von Röntgenstrahlung. Foto: Wikipedia (gemeinfrei) Johann Radon entwickelt die Radon-Transformation als Grundlage zur räumlichen Berechnung von Röntgenbildern. Später kommt es zur revolutionären Weiterentwicklung der Computertomografie (CT). In den Weltkriegen werden Röntgengeräte in Fahrzeuge eingebaut und in Lazaretten eingesetzt: die Basis für die Entwicklung kleiner Geräte in Arztpraxen und eine Quelle massenhafter Forschungsdaten. Foto: picturedesk.com / akg-images Das „Pedoskop“ – ein Gerät zum Fußröntgen – wird in Geschäften nach und nach verboten. Obwohl es schon früh Erkenntnisse über gesundheitliche Gefahren gab, galt ein solches Gerät als Aushängeschild in Schuhgeschäften. Am Washington National Airport wird 1970 der erste Röntgenscanner vorgeführt. Die X-Strahlen haben längst nicht nur medizinischen Nutzen: Archäologie, Kunst, Industrie und Sicherheitsbehörden setzen bereits darauf.
DIE FURCHE · 6 9. Februar 2023 Das Thema der Woche Durchleuchtete Körper 3 An der rasanten Entwicklung bildgebender Verfahren hat sich ein „Hype“ der Hirnforschung entzündet. Felix Hasler hat diesen Trend von Anfang an kritisch beobachtet. Über die gefährliche Suggestivkraft der bunten Bilder und das enttäuschende „Human Brain Project“. „Ein wissenschaftlicher Sündenfall“ Das Gespräch führte Martin Tauss Mit dem Buch „Neuromythologie“ ist Felix Hasler 2013 einem breiteren Publikum bekannt geworden. In dieser „Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ dekonstruiert er die wissenschaftlichen Ansprüche, die rund um die Jahrtausendwende in den „Dekaden des Gehirns“ genährt wurden. Der gebürtige Liechtensteiner ist studierter Pharmakologe und arbeitet an der „School of Mind and Brain“ der Humboldt-Universität Berlin. Zudem ist Hasler Gastforscher am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Sein neues Buch „Aufstieg und Fall der biologischen Psychiatrie“ erscheint im April beim Transcript-Verlag. Die FURCHE führte mit ihm ein telefonisches Interview. Foto: Felix Hasler DIE FURCHE: Wilhelm Conrad Röntgen hat mit seiner Entdeckung eine neue Ära in der Medizin eröffnet. Wo stehen wir heute? Felix Hasler: Das erste Röntgenbild von 1895 war eine faszinierende Innovation. Es zeigt die Hand von Röntgens Frau: Das Bild der Fingerknochen mit dem Ehering war der sichtbare Beweis dafür, dass die Strahlen den Menschen durchleuchten können und zur Bildgebung geeignet sind. Damit war es zum ersten Mal möglich, ohne blutiges Aufschneiden in den Körper hineinzusehen. Seither können Ärzte Krankheitsprozesse im Körper lokalisieren: Das Röntgenbild zeigt etwas, das man von außen nicht sieht, aber trotzdem da ist – zum Beispiel ein verletztes Gelenk oder ein gebrochenes Bein. Mittlerweile gibt es hochpräzise Verfahren wie die Positronen-Emissionstomographie, kurz PET, mit denen man sogar sehen kann, wo Medikamente an die mikroskopisch kleinen Rezeptoren im Körper binden. DIE FURCHE: Die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) gilt heute gleichsam als der Ferrari unter den bildgebenden Verfahren, weil sie sogar die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn differenziert darstellen kann ... Hasler: Und genau hier muss man aufpassen, weil die fMRT-Bilder aus komplexen und auch fehleranfälligen Berechnungen entstehen. Man hat den Eindruck, ein quasifotografisches Abbild des Gehirns zu sehen; aber die Visualisierung zeigt etwas, das nicht wirklich da ist. Man glaubte, dem Gehirn beim Denken zusehen zu können, doch das war eine Täuschung. Beim großen „Neuro-Hype“ um die Jahrtausendwende dienten diese bunten Bilder dazu, das ganze Menschsein auf bloße Hirnprozesse herunterzubrechen. Man suchte zum Beispiel nach Arealen im Gehirn, die Menschen eine Kaufentscheidung treffen, sich verlieben oder ein Verbrechen begehen lassen. Diese überzogenen Deutungen waren drastisch gesagt ein wissenschaftlicher Sündenfall! DIE FURCHE: Aber die Bildgebung des Gehirns ist doch wichtig für die Erforschung der Schnittstellen von Körper und Geist! Hasler: Bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz sind diese Bilder essenziell, um die Forschung voranzutreiben und die Behandlung zu verbessern. So ermöglicht etwa die fMRT eine exakte Vorbereitung von Operationen. Wenn man Läsionen entdecken will, macht es keinen Unterschied, ob man ins Gehirn, ins Herz oder in die Leber schaut. Aber sobald es darum geht, komplexe geistige Prozesse zu erforschen, ist Foto: Privat der maschinelle Blick ins Gehirn unzureichend – egal, ob es ums Verlieben oder um Verbrechen geht. Um zu verstehen, was ein Gedicht in uns auslöst, ist die Bildgebung komplett unbrauchbar. DIE FURCHE: Das von der EU geförderte „Human Brain Project“ sollte „die Wissenschaft revolutionieren“ und „die Industrie beflügeln“, wie die damalige EU-Kommissarin Neelie Kroes 2014 verkündet hat. Man wollte ein gigantisches „Google-Hirn“ basteln, wo man aus verschiedensten Blickwinkeln hineinzoomen kann, um zu verstehen, wie das rätselhafteste Organ des Menschen funktioniert. Was ist aus diesem Flaggschiffprojekt geworden? Hasler: Es ist verdächtig ruhig geworden! Denn das „Human Brain Project“ ist exemplarisch für das Überverkaufen und darauf folgende Zurückrudern in der Hirnforschung. Ursprünglich sollten in dem Projekt alle Daten zusammengeführt und durch machine learning verknüpft werden. Man hoffte auf ein plastisches „Gehirn in silico“, also im Computer. Damit wollte man Gehirnprozesse simulieren, zum Beispiel: Wie sieht ein depressives Gehirn aus? Wie verlaufen kognitive Prozesse? Der Glaube dahinter war: „Wir Menschen werden das Hirn nie verstehen, aber vielleicht kann es ja die Maschine!“ Aber schon seit Jahren spricht niemand mehr vom „Gehirn in silico“. In der Zwischenzeit ist das „Human Brain Project“ im Wesentlichen zu einer Informatikplattform geworden, wo Forscher ihre Datensätze einspielen können. Es geht um neue Speicherverfahren und Rechenmethoden. Das Problem dabei: Man wusste von Anfang an, dass die großen Hoffnungen nicht erfüllt werden. DIE FURCHE: Das „Human Brain Project“ hat rund eine Milliarde an Forschungsgeldern erhalten; tausende Wissenschafter waren beschäftigt. Sie halten das also für eine Geldverschwendung? Hasler: Schon 2014 haben zahlreiche kritische Forscher und Forscherinnen einen offenen Brief an die Europäische Kommission geschrieben. Journalisten umschrieben dies damals mit der Schlag zeile „Rebellion gegen das Milliardengehirn“. Aber natürlich ist es bei so einem gewaltigen Aufwand unmöglich, dass bei dieser Forschung gar nichts herauskommt. So wurden etwa in der Grundlagenforschung neue Nervenzell-Netzwerke beschrieben, und es gab Fortschritte bei der Untersuchung neurologischer Erkrankungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Epilepsie-Operationen. Aber das sind keine fundamental neuen Erkenntnisse, dafür hätte es das „Human Brain Project“ nicht gebraucht. Man sprach ja ursprünglich von einem wahren „Apollo-Projekt“, also einem bevorstehenden Durchbruch vergleichbar mit der Mondlandung – eine maßlose Übertreibung! DIE FURCHE: Was bedeutet die Erfahrung aus dem „Human Brain Project“ für die weitere Erforschung von Geist und Bewusstsein? Hasler: Es gibt Spitzenforscher, die weiterhin sagen, man sei zu ungeduldig und es brauche mehr vom Gleichen: noch mehr Geld, noch mehr Maschinen, und irgendwann kommt dann diese große, alles umfassende Theorie heraus, um endlich die Geheimnisse von Geist und Gehirn zu verstehen. Zugleich gibt es zunehmend kritische Stimmen, die sagen: „Lasst uns etwas anderes versuchen, wir suchen kategorial am falschen Ort!“ Als das EU-Flaggschiffprojekt bewilligt wurde, gab es aus anderen Wissenschafts- und Technikbereichen kaum Alternativen dazu. Aber rückblickend muss man sagen: Das Geld hätte wohl effizienter eingesetzt werden können. Selbst biologische Psychiater, die ihr Leben lang Gene und Moleküle studiert haben, beginnen sich jetzt umzuorientieren. Gerade in der Psychia trie Felix Hasler Der gebürtige Liechtensteiner arbeitet seit 2011 an der „School of Mind and Brain“ der Humboldt- Uni Berlin. Davor hat er u. a. an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich geforscht. „ Der Glaube hinter dem ‚Human Brain Project‘ war: ‚Wir Menschen werden das Hirn nie verstehen, aber vielleicht kann es ja die Maschine!‘ Heute ist es verdächtig ruhig darum geworden. “ braucht es einen neuen Pragmatismus, um psychisch belasteten Menschen ganz praktisch in ihrem Alltag zu helfen. DIE FURCHE: „Das Gehirn und seine Gesellschaft“ lautet der Titel des heurigen Symposion Dürnstein, das von 23. bis 25. März die aktuellen Debatten zur Hirnforschung beleuchten wird. Kann man sagen, dass das Organ Gehirn ohne die soziale Dimension gar nicht fassbar ist? Hasler: Absolut! Die Biologie ist eben kein blindes Schicksal – ganz besonders nicht, was das Gehirn betrifft. Das akademische Pendel schlägt jetzt wieder zurück. Das Projekt unserer „Selbstzerebralisierung“ ist gescheitert; die Hochblüte des „Homo cerebralis“ ist vorbei. Man sieht das auch bei einem Blick in die Medien: Es finden sich kaum noch Berichte von Forschern, die behaupten, man müsse nur ins Gehirn schauen, um alle Rätsel des Menschseins zu erklären. Studien, die zum Beispiel das Gemeinschaftsgefühl von Fußballfans oder das moralische Empfinden von Katholiken durch Hirnscans erklären wollen, sind selten geworden. Und es gibt auch keine Juristen mehr, die angesichts von Hirnbildern zu einer Reform des Strafrechts aufrufen. Ebenso wenig wie Kriminologen, die glauben, das Böse jetzt endlich innerhalb des Gehirns lokalisiert zu haben. „Kritik an Neuromythologie“ (5.2.2015): Martin Tauss berichtet über die Berliner Konferenz „Mind the Brain!“, auf furche.at. „Mensch voll auf Draht“ (25.9.2014): Lässt sich das Rätsel des Gehirns mit der Rechengewalt von Supercomputern lösen? Analyse auf furche.at.
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