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DIE FURCHE 08.08.2024

DIE

DIE FURCHE · 32 14 Musik 8. August 2024 Von Walter Dobner ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen „Aber Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann“, konstatierte der Philosoph Walter Benjamin 1940 angesichts der damaligen politischen Wirrnisse. Dieser Satz aus dem Programmbuch der Salzburger Festspiele wäre auch ein ideales Motto für eines der aufwühlendsten Konzerte der diesjährigen „Ouverture spirituelle“ gewesen – dem traditionellen Festspielauftakt: dem Abend mit Luigi Dallapiccolas Einakter „Il prigioniero“ und Luigi Nonos davon inspiriertem Chor-Orchester-Opus „Il canto sospeso“. Anklagen gegen jegliche Form von Gewalt und Terror und innig-flehende Plädoyers für Frieden und Freiheit, wofür sich in der Felsenreitschule das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und der ebenso exzellente Chor des Bayerischen Rundfunks unter Maxime Pascal als ideale Interpreten engagierten. Georg Nigl zeichnete nicht nur das Schicksal von Dallapiccolas Gefangenem atemberaubend nach. Ebenso brillierte er in einem ausschließlich Arnold Schönberg gewidmeten Kammerkonzert im Mozarteum. Von Markus Hinterhäuser einfühlsam am Steinway begleitet, spürte er dem spezifischen Charme der 15 Gedichte aus „Das Buch der hängenden Gärten“ mitreißend nach. Zusammen mit der hochexpressiven Sopranistin Anna Prohaska sorgte das fabulöse Minguet Quartett für eine gleichermaßen aufregende Darstellung von Schönbergs zweitem Streichquartett. Dass man Dallapiccolas in den 1940er Jahren entstandene Oper „Il prigioniero“ auch szenisch realisieren hätte können, war nie ein Thema. Sehr wohl aber, dass die Festspiele diesmal die Eröffnung nicht mit einer szenischen, sondern einer konzertanten Opernaufführung bestritten. Scheute man den Vergleich mit der bereits vier Jahrzehnte zurückliegenden exemplarischen „Capriccio“-Inszenierung von Johannes Schaaf? Aber hat Richard Strauss seine letzte Oper nicht ausdrücklich als FEDERSPIEL Des is a Panda! Funkelnd Das Ensemble von „Don Giovanni“ überzeugt, besonders Nadezhda Pavlova als Donna Anna (im Bild) mit Julian Prégardien (Don Ottavio). Als das Audio-Massenmedium Radio die Welt eroberte, war klar, dass die größte politische Show der Welt – der US-amerikanische Wahlkampf – es zu seinem Werkzeug machen musste. Calvin Coolidge, der nach dem Tod von Warren G. Harding vom Vize ins Präsidentenamt nachgerückt war, stellte sich 1924 der Wiederwahl. Im Radio lief seine Kampagne mit dem Song „Keep Cool and Keep Coolidge“. Das kampagnisierende Musizieren ist immer wieder aufgetaucht, zuletzt als Bill Clinton in seinen Wahlkämpfen das Saxophon einsetzte. In Österreich gab es das Trio Schüssel-Gehrer-Molterer, den in Altersheimen zur Gitarre singenden Franz Voves und den Rapper H. C. Strache. Bis heute weiß ich nicht, ob sein Songtext von Herbert Kickl oder von ihm selbst stammt: „Wer sich nicht integrieren will, für den habe ich ein Reiseziel.“ Wie Coolidge sollte man aus seinem Namen etwas machen. Nehammer – da muss was drinnen sein. Vielleicht kann Gerald Fleischmann, der Kommunikationschef des Von Mozart bis Dallapiccola reflektieren die Salzburger Festspiele das Spannungsverhältnis von himmlischer Kraft und diabolischen Abgründen. Elysische Hoffnung und dämonische Verirrung Konversationsstück mit Musik bezeichnet? Und Konversation lässt sich auch ohne begleitende Szenerie betreiben. Tatsächlich genügen einige wenige, sparsam in einem Raum verteilte Requisiten, schon hat man die von Strauss geforderte Atmosphäre, wie diese Aufführung im Großen Festspielhaus von Beginn weg zeigte. ÖVP-Spitzenkandidaten, der es wie einst Franz Morak vom Popmusiker bis in die Parteispitze gebracht hat, im Rahmen seiner ordentlichen Beschäftigung einmal etwas Außerordentliches leisten. Österreich ist reich an Songtexten, allein schon, wenn man sich auf die großen Zitate der Vergangenheit konzentriert. Mit „Annahmen sind wie Seepocken“ hätte es Christine Aschbacher bestimmt zur Taylor Swift von Wundschuh gebracht. Und immer noch frei ist Fred Sinowatz’ berühmter Ausspruch „Nur sein Pferd“. Mein Hit wäre ein berühmter Ausspruch Werner Faymanns. Als Josef Bucher diesem im Parlament einst einen Stoff-Panda überreichte und sagte, aufgrund der Faulheit der Regierung übergebe er dem Kanzler diesen Koala-Bären, antwortete Faymann schlagfertig und wahrheitsgemäß: „Des is a Panda!“ Das muss doch ein Hit werden. Der Autor ist Schriftsteller. Von Daniel Wisser Foto: © SF/Monika Rittershaus Elsa Dreisig agierte als souveräne Gräfin, Ève-Maud Hubeaux als noch mehr aus sich herausgehende Clairon und Mika Kares als durchschlagskräftiger La Roche. Noch etwas vorsichtig näherten sich Sebastian Kohlhepp (Flamand) und Konstantin Krimmel (Olivier) ihren Herausforderungen. Das eigentliche Ereignis dieser umjubelten Eröffnungspremiere aber spielte sich im Orchestergraben ab. Kaum je haben die Wiener Philharmoniker dieses altersweise „Capriccio“ so differenziert, kammermusikalisch delikat und eindringlich musiziert. Dazu freilich animiert vom weltbesten Strauss-Dirigenten der Gegenwart: Christian Thielemann. „ Begeisterung entfachte die erste szenische Musiktheaterproduktion der diesjährigen Festspiele, ‚Der Idiot‘, nach Dostojewskis gleichnamigem Roman. “ Im Großen Festspielhaus feierte auch Herbert Blomstedt im ersten „Philharmonischen“ dieses Salzburger Festspielsommers seinen 97. (sic!) Geburtstag nach. Beeindruckend, mit welch sparsamer Gestik der Doyen unter den großen Dirigenten der Gegenwart die Tiefe des von Worten Hölderlins inspirierten Brahms’schen Schicksalslieds, wie er Mendelssohns heikle zweite Symphonie, seinen „Lobgesang“, auslotete. Eine denkwürdige Matinee, an der auch der Wiener Singverein wesentlichen Anteil hatte. Gefeierter Mozart, umjubelter Weinberg Zuerst wird die weiß ausgefabelte Kirche ausgeräumt, Kruzifix inklusive. Dann hat Regisseur Romeo Castellucci den von ihm gewünschten säkularisierten Raum, um seine Version von Mozarts „Don Giovanni“ zu demonstrieren. Als er vor drei Jahren seine assoziationsreiche Sicht dieses Dramma giocoso mit Leporello als Doppelgänger Don Giovannis, zahlreichen, wiederholt die Bühne querenden Bällen, einem herabfallenden PKW, krachend herunterstürzenden, zerberstenden Klavieren, einer Ziege, Ratten, wie einer Hundertschaar sich in Vorhängen verirrenden Salzburger Frauen erstmals vorstellte, waren die Reaktionen mehr als geteilt. Auch über das Dirigat von Teodor Currentzis. Diesmal, bei der szenisch kaum veränderten Wiederaufnahme, wurde der eigenwillige wie charismatische Dirigent, der neuerlich auf eher ausführlichere Tempi setzte, erst zum Schluss die Dramatik anheizte, ausgiebig gefeiert. Nadezhda Pavlovas funkelnde Donna Anna, Davide Lucianos viriler Don Giovanni und Federica Lombardis differenziert gestaltende Donna Elvira dominierten das Solistenensemble. Der neu ins Ensemble gekommene Don Ottavio, Julian Prégardien, blieb, überraschend, etwas unter den Erwartungen. Noch mehr Begeisterung als dieser Mozart entfachte die erste szenische Musiktheaterproduktion der diesjährigen Festspiele, Mieczysław Weinbergs „Der Idiot“, nach Dostojewskis gleichnamigem Roman. Regisseur Krzysztof Warlikowski lässt die Handlung in der Felsenreitschule in einem überdimensionierten Wohnsalon (Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak), der auch Einblick in das Innere anderer Räume gewährt, bilderreich ablaufen. Erste-Klasse-Bahnfauteuils erinnern daran, dass der an Epilepsie leidende Fürst Myschkin, wegen seiner Barmherzigkeit zum Idioten gestempelt, gerade von einem langjährigen Sanatoriumsaufenthalt in der Schweiz zurückgekehrt ist. Bei der im Vorjahr gezeigten österreichischen Erstaufführung dieses Weinberg-Vierakters im Wiener MuseumsQuartier suggerierte bloß ein Eisenbahnwagon den Schauplatz der Handlung. Während die Wiener Regie vor allem die kammerspielartigen Züge des Sujets hervorstrich, zielt Warlikowskis zuweilen symbolüberfrachtete Lesart vornehmlich auf ein Dechiffrieren der individuellen Seelenlandschaften. Thomas Sanderling holte in Wien aus dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien noch mehr an Farben und Spannung heraus als in Salzburg Mirga Gražinytė-Tyla aus den Wiener Philharmonikern, welche die lyrischen Stellen der Partitur betörend auskosteten. Der herausragende Bogdan Volkov (Myschkin), Vladislav Sulimsky als zum Anarchisten gestempelter Rogoschin, Xenia Puskarz Thomas’ Aglaja und Aušrinė Stundytės leidenschaftliche Nastassja führten das mit tosendem Applaus gefeierte, exquisite Ensemble an. Don Giovanni Großes Festspielhaus: 9., 11., 14., 19.8. Der Idiot Felsenreitschule: 11., 15., 18., 23.8.

DIE FURCHE · 32 8. August 2024 Ausstellung & Literatur 15 Von Wenzel Müller Veronika Mayer tastet mit ihren Händen über das Bild. Das auf der rechten Seite, sagt sie, das müsste ein Kaktus sein, ein Kaktus, der oben abgeschnitten ist. Und das in der Mitte ein kleines Männchen. Und das auf der linken Seite ein mächtiger Stamm. Wir sind im MUSA, einer Dependance des Wien Museums, wo Fotoarbeiten von Elfriede Mejchar (1924–2020) gezeigt werden, einer Pionierin der Nachkriegszeit, die nicht dem Zug der Zeit folgte und mit ihrer Kamera den „entscheidenden Augenblick“ einzufangen suchte, sondern sich Motiven zuwandte, die in ihrer Beiläufigkeit kaum zu übertreffen waren: den Fabrikanlagen am Rande von Wien oder der Triester Straße. „Licht und Schatten“ heißt die Arbeit, eine abendliche Straßenszene, die Mayer abtastet, nicht das Original an der Wand, sondern eine Kopie davon, die in Hüfthöhe steht. Eine Kopie, in der das flache Foto in eine dreidimensionale Form transformiert ist, mit Reliefs in unterschiedlichen Schichten. Fünf Taststationen dieser Art gibt es in der Ausstellung – ein besonderes Angebot für Menschen wie Mayer (siehe Bild), die sehbehindert oder blind sind. Bilder in Schichten Mayer kam mit einem Glaukom auf die Welt, einer Augenerkrankung, die das Sehvermögen bei ihr auf zwei Prozent einschränkte. Seit zehn Jahren sieht die Pensionistin, die einst im Büro des Post- und Telegraphenamts für Wien, Niederösterreich und das Burgenland gearbeitet hat, gar nichts mehr. Sehende erfassen die Außenwelt hauptsächlich über ihre Augen. Die visuellen Signale treffen auf die Netzhaut, werden in elektrische Impulse umgewandelt und gelangen über den Sehnerv ins Hirn, wo der Code entschlüsselt wird. Genau genommen ist der Seheindruck ein Konstrukt des Hirns, denn das weist den Dingen erstens eine Farbe zu, die sie von Natur aus gar nicht haben, und zweitens eine Bedeutung – dieses Ding da aus Holz, das ist ein Tisch. Fällt der Sehsinn aus, ist der Mensch von einer Vielzahl an Informationen abgeschnitten. Andere Sinneskanäle müssen dann einspringen. Beispielsweise der Tastsinn, doch der kann die Lücke nur unzureichend füllen, wie nicht zuletzt Mayers Tastversuche zeigen. Was sie zu erspüren meint, ist in Wirklichkeit etwas anderes: der Kaktus ist ein Baum, das kleine Männlein eine Frau und der Stamm ein Strommast. War ja auch nur ein Versuch. Normalerweise lässt sich Mayer bei einem Museumsbesuch das Kunstwerk erst von einer sehenden Begleitung erklären, bevor sie es ertastet. Noch sind hierzulande die Museen an einer Hand abzuzählen, die Ausstel- Foto: Wenzel Müller Das Wien Museum setzt auf Inklusion, auf die Öffnung für alle Bevölkerungsgruppen. In seiner aktuellen Ausstellung zur Fotografin Elfriede Mejchar (1924–2020) präsentiert es Fotoarbeiten auch als Tastobjekte: ein spezielles Angebot für sehbehinderte und blinde Menschen. Kunst begreifen lungsstücke auch als Tastmodelle präsentieren. Das Wien Museum geht in dieser Hinsicht voran, seit seinem Umbau hat es sich der Inklusion verschrieben, der Öffnung für alle Bevölkerungsgruppen. Sehende beginnen ihren Ausstellungsbesuch normalerweise damit, dass sie sich zunächst einen Überblick verschaffen. Was wird alles gezeigt? Dann flanieren sie mehr oder weniger durch die Schau, um da und dort länger zu verweilen. Anders der Ausstellungsbesuch eines blinden Menschen. Er steht schon vor der Schwierigkeit, das Haus überhaupt zu finden. Die U-Bahn-Stationen sind mit taktilen Leitsystemen ausgestattet, doch keines führt zum MUSA. Auf die besagten fünf Taststationen weisen in der Ausstellung Bodenmarkierungen hin. Mehr Stationen gibt es nicht, mehr würden den sehbehinderten Besucher nur überfordern. Denn er muss sich jedes Bild im wahrsten Sinne erarbeiten, über taktile und auditive Informa- Mit Fingern sehen Fünf Taststationen gibt es in der Ausstellung für sehbehinderte Besucherinnen und Besucher wie Veronika Mayer. Bodenmarkierungen weisen auf die Stationen hin. „ Der sehbehinderte Besucher muss sich jedes Bild im wahrsten Sinne erarbeiten, über taktile und auditive Informationen. Letztere sind auch über einen QR-Code abrufbar. “ Lesen Sie auch „Gemeinsam anders sehen: Kunst für Menschen mit Beeinträchtigungen“ von Theresa Steininger (15.2.2023) auf furche.at. tionen. Letztere sind auch über einen QR- Code abrufbar. Um verwirrende Vielfalt zu vermeiden, beschränken sich auch die Tastobjekte auf einige wenige Merkmale. Seit 2004 arbeitet Frauke Kreutler als Kuratorin für Fotografie am Wien Museum. Mit dieser Ausstellung, sagt sie, habe sie Neuland betreten. Nicht der Ansatz „Fotos für Nichtsehende“, wo im Grunde zwei konträre Welten aufeinandertreffen, sei neu, eine entsprechende Ausstellung habe sie schon vor Jahren, als 20-jährige Studentin, einmal in Italien gesehen. Doch nun musste sie, in Zusammenarbeit mit Behindertenvertreterinnen, selbst für die Umsetzung sorgen. Dabei habe sie viel Neues gelernt, beispielsweise, dass geburtsblinde Menschen keine Zentralperspektive kennen, was schließlich bei der Auswahl der Fotos für die Taststationen berücksichtigt wurde. Veronika Mayer wird die Ausstellung noch einmal mit einer sehenden Freundin besuchen. Beide werden davon profitieren. Mayer, weil sie die Bildbeschreibungen bekommt, und die Freundin, weil sie sich über die Bildbeschreibungen intensiver mit den Kunstobjekten auseinandersetzt, als wenn sie alleine durch die Ausstellung geht. Im Alleingang Die Fotografin Elfriede Mejchar Ausstellung des Wien Museums im MUSA Felderstr. 6-8, 1010 Wien, bis 1. September, Dienstag bis Sonntag, 10.00 bis 18.00 Uhr wienmuseum.at LITERATUR „Mittendrin in dieser Weltentwicklung“ Von Maria Renhardt Nichts als die Aussichtsterrasse ist heute noch vom alten Schloss Cobenzl erhalten, das einst im Besitz des Forschers und Industriellen Karl Ludwig von Reichenbach war. Schon vor einigen Jahren ist die österreichische Autorin Bettina Balàka mit dessen Biografie in Berührung gekommen, als sie für ihren Roman „Die Tauben von Brünn“ zum Aufstieg Johann Karl Sothens recherchiert hat. Nach der Verarmung des Freiherrn von Reichenbach habe dieser das Schloss erworben. All das erzählt Balàka in einem Falter-Podcast über ihren Roman, für den sie ebenfalls ein intensives Quellen- und Literaturstudium betrieben hat, um die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse adäquat darstellen zu können. Dass ihre „reflektierte Sichtweise von heute“ dennoch durchaus wahrzunehmen ist, wie im Feuilleton bereits kritisch angemerkt wurde, war nicht intendiert. Mit der Geschichte des Zauberers vom Cobenzl begibt sich Balàka weit hinein in das 19. Jahrhundert, in das Leben eines Mannes, der sich durch seinen Forschergeist „mittendrin in dieser Weltentwicklung“ und mit der Leitung von Werken in Mähren großen Ruhm erarbeitet hat. Durch unglückliche Umstände sieht er sich Demütigungen und Anschuldigungen infolge von Eifersucht ausgesetzt und verliert fast alles. Deshalb zieht er sich auf das Schloss Cobenzl zurück und betreibt dort seine umstrittenen Od-Forschungen. Das Leben dieses heute in Vergessenheit geratenen Erfinders erzählt Balàka aus der Sicht seiner Tochter Hermine. Sie ist „seine Stütze in all seinen Unternehmungen“, „seine Assistentin“, aber mit „eigenen Forschungen in der Pflanzenphysiologie“. In einer Zeit, als Frauen der Zugang zur Universität noch verwehrt war, erhält sie sogar eine Ausnahmegenehmigung, um in Graz am Joanneum ihre Studien durchführen zu können. Obwohl sich der Romantitel auf den Vater bezieht, steht eher das Schicksal Hermines im Zentrum, die sowohl beruflich als auch privat konsequent ihren Weg der Emanzipation verfolgt. Mit der Loslösung vom Vater und ihrer unstandesgemäßen Heirat wagt sie einen für die damalige Zeit ziemlich mutigen Schritt. Die Stärke dieser Prosa, der Balàka sprachlich, wie sie sagt, einen „Sound von heute“ eingeschrieben hat, muss daher in der Freilegung dieser weiblichen Erfolgsgeschichte mitten in einer Umbruchszeit im Zuge gesellschaftlicher Revolutionen gesehen werden. Hermine ist die eigentliche Protagonistin, auch weil sie als Erzählerfigur den Blick auf die Handlung lenkt. Dass Frauen wissenschaftlich erfolgreich sind und ihre Begabungen gefördert werden, ist damals nicht vorgesehen. Ihr Mentor am Joanneum bringt es auf den Punkt: „Ich schätze und bewundere Ihre Fähigkeiten sehr (…) Aber für meine Töchter wünsche ich mir doch etwas anderes. Ich möchte, dass sie glücklich sind, früh heiraten, viele Kinder bekommen, zufrieden und ungequält von den großen Fragen der Menschheit ihren Hausstand führen.“ Für Ehe, Kinder und Wissenschaft findet sich kein gemeinsamer Nenner. Hermine hat es zumindest einige Zeit versucht. Der Zauberer vom Cobenzl Roman von Bettina Balàka, Haymon 2023 248 S., geb, € 19,90

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