DIE FURCHE · 198 International8. Mai 2025FORTSETZUNG VON SEITE 7ein Reporter in die medizinischeFakultät ein und filmte ein Plenumfür das regimenahe BoulevardblattInformer. Der ChefredakteurDragan Vučević nutztedas als Vorwand, um die Studierendeneines terroristischen Anschlagszu beschuldigen. Zudemwerden die Studierenden von derRegierung beschuldigt, das Landzu „terrorisieren“ oder die gesellschaftlicheOrdnung zu stören.Ob ihrer Proteste sind sie nun zurZielscheibe geworden. NGOs wieetwa die Youth Initiative for HumanRights (YIHR) befinden sichschon seit Jahren in dieser Lage.Mitarbeiter Branimir Đurovićwartet vor dem Eingang einesBüros nur wenige hundert Metervom Studentski trg (Studentenplatz)entfernt. Im November2021 wurde hier „Ratko Mladićserbischer Held“ mit einem keltischenKreuz an die Wand gesprüht.Der bosnisch-serbischeGeneral ist auch unter dem Nomde Guerre „Schlächter Bosniens“bekannt und wurde vor dem Tribunalin Den Haag zu einer lebenslangenHaftstrafe verurteilt.Anspannung. „Wenn diese Protestescheitern, wird sich das Regimevor allem an den Universitätenund den NGOs rächen. Auchdeshalb liegt es uns allen besondersam Herzen“, so der Doktorandund Aktivist.Für Diskussionsbedarf sorgenhäufig die nationalistischenSymbole, die bei den Protestengesehen werden. Es hat eine unangenehmeTatsache in den Vordergrundgerückt: Ein großerTeil der Bevölkerung ist rechtsorientiertund nationalistisch.„Das ist aber nicht Thema desProtests. Hier geht es darum,das Problem der Korruption zu„ Es ist etwas anderes, etwas zu verteidigen, das einembereits gehört, als für etwas zu kämpfen, das einem zusteht,aber man noch nie bekommen hat.“Oppositionsführer Đilaslösen“, meint Đurović dazu. Zuweit in die Zukunft blicken möchteer nicht, denn hier könnte täglichdie Polizei an der Tür klopfen.„Niemand kann sagen, wie dasLand bis Ende des Jahres aussieht.Wir wissen einfach nicht, was wirerwarten sollen.“Der Vergleich mit dem Jahr 2000Weg von der Hektik der Innenstadtbereitet sich Dragan Đilasfür die nächste Parlamentssitzungvor. Der Oppositionsführerwar damals an den StudierendenprotestenAnfang der 90er Jahregegen Slobodan Milošević maßgeblichbeteiligt.Seit dem 15. März, als sich mindestens350.000 Menschen in Belgradversammelten, werden dieProteste auch mit jenen vom 5. Oktober2000 verglichen. Die Oppositionhatte bei den Wahlen gesiegt.Milošević versuchte an derMacht zu bleiben und wurde gestürmt.Es kam zu einem Wechsel.„Es ist etwas völlig anderes, etwaszu verteidigen, das einembereits gehört, als für etwas zukämpfen, das einem zusteht, dasman aber nie wirklich bekommenhat“, sagt Đilas und weist aufdie unfairen Wahlbedingungenhin. „Wir haben nicht mal das ‚f‘von freien Wahlen“.Die Frage, warum keine EU-Flaggen bei den Protesten gehisstwerden, wird in Belgrad nurnoch mit Augenrollen erwidert.Die Studenten würden sowiesofür demokratische Grundprinzipiendemonstrieren, heißt es. Aufder anderen Seite hat die EU jahrelangVučićs Regime legitimiert.Für den Journalisten AndrejIvanji ist klar: „Die EU hat hierBeihilfe zum Mord der Demokratiegeleistet. Und das mitVorbedacht“, sagt er. Den Menschenhier haben die StudentenHoffnung zurückgebracht ‒ unddiese sind entschlossen weiterzumachen.Es geht um ihre Zukunft.Ein Kioskstand inBelgrad. Nach einerPro-Vučić-Veranstaltung titeltendie Regimemedien“Serbienhat den Terror besiegt”und glorifiziertendas Event,obwohl viele Menschenfür ihre Teilnahmebezahltwurden oder unterDruck gesetztworden waren.„ Die nationalistischenSymbole bei denProtesten haben dieRechtsorientiertheiteines Bevölkerungsteilsin den Vordergrundgerückt. “„Unsere Arbeit wurde seit Beginnder Proteste erschwert, weildie Repression zugenommenhat. Noch mehr als zuvor werdenwir sowohl durch die Boulevardpresseals auch durch das Parlamentzur Zielscheibe gemacht“,sagt Đurović.Für den 26-Jährigen musssich das System ändern und dafürbraucht es einen Regierungswechsel.Trotzdem spüren seineKollegen und er eine gewisseFotos: Dennis MiskićKLARTEXTDie AfD verbietenVon Susanne GlassShakespeares Hamlet frei zitiert: „Kann jemand um Vergebung bittenund gleichzeitig den Nutzen aus dem Verbrechen behalten?“Der Bericht des deutschen Verfassungsschutzes ist nichtwirklich eine Überraschung, hat aber immense politischeSprengkraft. Auf 1100 Seiten belegt er Erkenntnisse,wonach die zweitstärkste Partei in Deutschland, dieAfD, als „gesichert rechtsextremistisch“ einzustufen ist. Bishergalt die Alternative für Deutschland als „rechtsextremistischerVerdachtsfall“. Die Höherstufung erfolgt nach drei Jahrenintensiver Prüfung, die zum Ergebnis gekommen ist, dassdie AfD als Gesamtpartei eine „die Menschenwürde missachtende,extremistische Prägung“ entwickelt hat. Der „völkischeNationalismus“, das in der Partei „vorherrschende ethnischabstammungsmäßigeVolksverständnis“ sei nicht mit der freiheitlichendemokratischen Grundordnung vereinbar. Denn esziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen, etwa miteiner Migrationsgeschichte, von einer gleichberechtigten gesellschaftlichenTeilhabe auszuschließen. Was folgt daraus?Immerhin haben bei der Wahl im Februar mehr als zehn MillionenWähler – und damit jeder fünfte – für die AfD gestimmt.Die erste Konsequenz ist, dass dieAfD von nun an vollumfänglich vomVerfassungsschutz beobachtet werdendarf. Beamte, insbesondere Polizisten,mit AfD-Parteibuch müssen mit Disziplinarverfahren rechnen,da sie zur Verfassungstreue verpflichtet sind. Auch dieParteienfinanzierung wird auf den Prüfstand gestellt. Aberdie entscheidende Frage ist: Folgt nun ein Verbotsverfahren?Es wäre langwierig, der Ausgang ungewiss. Die AfD könntesich als Opfer gerieren, noch mehr Zulauf bekommen. Trotzdemsollte dieses Parteiverbot geprüft werden. Wir haben bereitsfestgestellt, dass es nicht gelingt, Rechtsextreme, die dieDemokratie abschaffen wollen, nur mit politischen Mitteln zubekämpfen. Wenn wir uns jetzt nicht wehrhaft zeigen, habenwir schon aufgegeben.Die Autorin ist Redaktionsleiterin Ausland undpolitischer Hintergrund beim Bayerischen Rundfunk.
DIE FURCHE · 198. Mai 2025Religion9Unter Ausschlussder Öffentlichkeitwird ein neuer Papstgewählt. Was rund umdas Konklave passiert,erklärt Papst-ExperteAndreas R. Batlogg SJim FURCHE-Interview.„An Franziskus II.glaube ich nicht“Das Gespräch führteTill SchönwälderDas Konklave gilt alsdie geheimnisumwittertsteWahl der Welt.Doch wie geht die Entscheidungsbildungunter den Kardinälen vonstatten,womit ist zu rechnen und womiteher nicht?DIE FURCHE: Herr Batlogg, was istIhre Erwartung an das Konklave?Andreas R. Batlogg: Dass sie denBesten finden! Ich glaube, dassdie Hautfarbe, die Nation oder derKontinent dabei keine Rolle spielen.Es muss ein Mann sein, der ingewisser Weise die Themen vonFranziskus aufgreift, weiterführtund auch abschließt. Es ist ja einigesauf der Strecke geblieben. Einetheologische und auch kanonistischeKonsolidierung steht an, diedie von Franziskus auf den Weg gebrachteneue Pastoralkultur verstetigtund absichert. Was ich mirnicht vorstellen kann: ein theologischerHardliner.DIE FURCHE: In aller Munde warin den vergangenen Tagen dasVorkonklave, an dem auch dieKardinäle teilnehmen, die ausAltersgründen bei der eigentlichenPapstwahl nicht dabei sind. Wiewichtig sind diese sogenannten„Generalkongregationen“?Batlogg: Sehr wichtig. Gerade diesesMal sind 108 der 133 Wahlmännerzum ersten Mal bei einem Konklavedabei. Sie kommen aus allenEcken der Welt nach Rom und müssensich zum Teil erst mal kennenlernen,dafür sind die Generalkongregationenein gutes Instrument.Ich würde aber auch dieRolle der älteren Kardinäle nichtunterschätzen – eben KardinalSchönborn, Walter Kasper oder der91-jährige Kardinaldekan GiovanniBattista Re, der der Messe amersten Tag der Papstwahl vor demEinzug in die Sixtinische Kapellevorstehen wird. Diese erfahrenerenKardinäle können hoffentlichim Vorfeld darauf Einfluss nehmen,dass die Wahl tatsächlich eingeistlicher Prozess wird und nichtvon politischen Kategorien oderMachenschaften überschattet wird.Gleichzeitig werden bei denGeneralkongregationen durchausPflöcke eingeschlagen. DenkenSie an die berühmte Rede Bergogliosvon 2013, in der er vom Übel einernur um sich selbst kreisendenKirche sprach. Auch RatzingersRelativismus-Rede 2005 bei derEröffnung des Konklaves als Kardinaldekanhatte wohl Einflussauf das Konklave im Anschluss.DIE FURCHE: Welche Rolle spielt dasAlter der als papabile geltendenKandidaten?Batlogg: Das spielt sicher eine Rolle.Einerseits möchte man vermeiden,dass man allzu schnell wiederneu wählen muss - hier waren sowohlRatzinger als auch Bergogliomit ihren 78 bzw. 77 Jahren eherFoto: APA / AFP / Osservatore Romano / Handout„Extra omnes“ (alle hinaus): Mit diesen Worten weist der ranghöchste Kardinalbischof unter 80 Jahren (dieses Mal Pietro Parolin) alle nicht am Konklave Beteiligten an, die Sixtina zu verlassen.alte Kandidaten. Auf der anderenSeite versucht man einen nicht allzujungen Kandidaten auszuwählen,wie es etwa bei Johannes PaulII. der Fall war. Ich denke, das idealeAlter für einen Papst liegt zwischen65 und 75, würde ich sagen.In dieses Fenster würden auch dieoft genannten Kardinäle Parolin(70), Tagle (67) und Zuppi (69) genauhineinpassen.DIE FURCHE: Wie politisch muss einPapst sein?Batlogg: Die Frage, die sich stellt,ist, ob ein Papst überhaupt unpolitischsein kann. Selbst wenn einPapst es theoretisch strikt vermeidet,politische Aussagen zu tätigen,ist das an sich ja schon ein politischesStatement – man denke anPius XII. Es ist aber die Frage, wasdas heißt, wenn etwa ein Kandidataus einer exponierten Region, wieder Patriarch von Jerusalem, KardinalPizzaballa, zum Papst gewähltwird. Ich finde es aber schwierig,aus verschiedenen Gründen NachoderVorteile anzudichten, etwadass Parolin ein spröder Charaktersei oder Tagle wegen seiner Abberufungals Caritas-Präsident schlechtereKarten hätte. Bergoglio sagteman vor seiner Wahl auch nach, erwürde nie lachen, in seinem Pontifikathabe ich dann das genaue Gegenteilerlebt.DIE FURCHE: Inwieweit teilen Sie dieSorge, dass die von Franziskus angestoßenenReformprojekte voneinem Nachfolger nun wieder zunichtegemachtwerden könnten?Batlogg: Ich glaube, dass ein neuerPapst Themen wie die Synodalitätoder auch die Einbeziehung vonFrauen in höchste Ämter nicht einfachübergehen kann, denn dannverliert die Kirche noch mehrGlaubwürdigkeit. Das wird inZukunft auch ganz wichtig sein,inwieweit der neue Papst die vielenunvollendeten Reformprojektevorantreibt. So wie KardinalMüller es jedenfalls dargestellthat, dass dieses Kapitel der Kirchengeschichtenun abgeschlossenist, kann es nicht gehandhabtwerden. Ich habe oft vom „Unvollendeten“im Hinblick auf Franziskusgelesen, aber welcher Papst istdas denn nicht? An einen FranziskusII. glaube ich aber nicht, derwäre dann immer eine Kopie oderein Imitat. Bei Franziskus war derName ja Programm, da könnte einNachfolger nur verlieren.DIE FURCHE: Welcher Name erschieneihnen möglich?Batlogg: Manche meinen, dernächste Papst könnte Raphael heißen.Spannend war, als Franziskuseinmal sagte, wenn er nichtnach Vietnam reise, dann würdees Johannes XXIV. (er meinte damitseinen Nachfolger) mit Sicherheitmachen. Jeder Name hat natürlichauch eine Symbolkraft.DIE FURCHE: Sprechen wir über Symbole,die hat Franziskus sehr frühgesetzt, man denke an sein bescheidenes„buona sera“ direkt nachdem Konklave, die Wahl seiner Kleidungoder die Entscheidung, nichtin den Apostolischen Palast zu ziehen.Wie groß ist die Gefahr, dassein Nachfolger sofort an diesen Gestengemessen und mit Franziskusverglichen wird?Batlogg: Das Problem ist, dassdann oft schnelle Urteile gefälltwerden, aber Sie haben ganz recht,man wird natürlich zuerst auf diesepraktischen Dinge achten. Trägter die Prachtstola, welchen Namenhat er gewählt? Jeder Papst verdientes aber, dass man ihm einwenig Zeit lässt, in diesen Diensthereinzuwachsen und seinen Stilzu finden. Denn niemand wird alsPapst geboren und es gibt auch keineAusbildung zum Pontifex.Foto: Oliver BodmerAndreas R. Batlogg SJ ist Theologe,Publizist und FURCHE-Autor.„ Umso spannender ist die Frage, wiedie Papstwahl ausgehen würde, wennes Kardinälinnen gäbe. Wo es Frauengibt, geht es einfach anders aus.“DIE FURCHE: Manche kritisieren,in Zeiten der Papstwahl feiert derKlerikalismus wieder fröhliche Urständ.Prof. Zulehner sagte im vergangenenHerbst in der FURCHE,das Konklave gehöre ins Mittelalter,wie sehen Sie das?Batlogg: Natürlich ist das eineberechtigte Frage, denn früherwurde der Bischof von Rom vomVolk gewählt. Heute wird es demjeweiligen Papst übertragen, einWahlkollegium durch seine Kardinalsernennungennach seinem Geschmackzusammenzustellen. Deswegenhaben wir jetzt die Situation,etwa einen Kardinal auf Korsika zuhaben, aber nicht in Paris. Auch Venedigund Mailand sind ohne Kardinäle,ebenso wird diesmal keinPapstwähler aus Österreich oderTschechien oder Irland dabei sein.Von daher wird das natürlich spannend,wie die Wahl ausfallen wird.Es ist eine Grundsatzentscheidung,durch Kardinäle wählen zu lassen.Aber auch eine Wahl durchs Volkkann schief gehen. Und zum Klerikalismus:Der findet in erster Linieim Kopf statt, und es gibt ihn auchbei Laien, wie Franziskus ja auchimmer sagte.Umso spannender ist für michdie Frage, wie die Papstwahlausfallen würde, wenn es Kardinälinnengäbe, die stimmberechtigtwären. Wo es Frauengibt, geht es einfach anderszu, das hat man auch bei den Besetzungendurch Franziskusgemerkt. Persönlichkeiten wieRaffaella Petrini, Nathalie Becquart,oder Simona Brambilla hätten,glaub ich, schon etwas zurWahl des Papstes zu sagen. Hiersieht man, dass das Franziskus-Pontifikat bereits Früchte getragenhat. Das gilt auch für uns in Österreich,wo Weihbischof JohannesFreitag in Graz den Bereich Synodalitätverantwortet oder in Linzeine Abteilung für Synodalität unterder Leitung der PastoraltheologinKlara-Antonia Csiszar entstandenist. Oder die BischöflicheVikarin in Klagenfurt! Das ist inmeinen Augen mehr als Symbolpolitik.Auch der nächste Papstwird mit den kniffligen Fragen, etwanach Diakonat oder Priesterweiheder Frau, umgehen müssen.Hier ist die Synodalität für michder Schlüssel.VORSORGE& BESTATTUNG12 x in WienVertrauen im Leben,Vertrauen beim Abschied24H 01 361 5000www.bestattung-himmelblau.atwien@bestattung-himmelblau.at
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