DIE FURCHE · 194 Das Thema der Woche Zwischen den Zeiten8. Mai 2025Mehr von HellmutButterweckzum Jahr 1945lesen Sie unter„Die Stunde desHerrn Karl“ (3. 4.1975); furche.at.Über das WienerVolksgericht1945 schriebH. Butterweck„ÖsterreichsjanusköpfigeNS-Justiz“(12.8.2020).Fotos: Doris HembergerDer Tag des Urteils„Ich erinnere mich gut, wie ich am1. Oktober 1946 am Getreidemarktstehe – den Wiener Kurierin der Hand mit dem Urteil derNürnberger Prozesse“, sagt HellmutButterweck beim Besuchder Ausstellung „KontrollierteFreiheit“ im Wien Museum.Von Doris HelmbergerDie Zeit ist knapp bemessen andiesem regnerischen Freitag.Schon um 17 Uhr hat HellmutButterweck einen Friseurtermin– denn zwei Tage später,beim Festakt zur Wiedererrichtung der RepublikÖsterreich am 27. April, soll er in derHofburg als einer der letzten Zeitzeugenmit jungen Menschen ins Gespräch kommen.Der 97-Jährige ist also in Fahrt, als erdurch die Drehtür in die Aula des neu gestaltetenWien Museum am Wiener Karlsplatztritt. Er spannt den nassen Schirm ab,hebt kurz prüfend den Blick und lässt sichbereitwillig aus dem Mantel helfen. „Dasfällt mir schon ein wenig schwer“, sagt er.Alles andere scheint ihm hingegen kaumMühe zu machen. Am allerwenigstenscharfe, aber treffsichere Kritik.Seit dem Jahr 1953 schreibt Hellmut Butterweckfür diese Zeitung – viele Jahre davonwar er ihr Redakteur. Nun hat ihn DIEFURCHE eingeladen, gemeinsam die neueSonderausstellung des Wien Museum zumheurigen Gedenkjahr zu besuchen: „KontrollierteFreiheit. Die Alliierten in Wien.“Abwehrkräfte gegen Antisemitismus?Gerade eben hat Butterweck, Jahrgang1927, dieser Zeit selbst ein Buch gewidmet– sein mittlerweile zehntes nach Standardwerkenüber das Wiener Volksgerichtund die Nürnberger Prozesse. „Der Ungeistder Stunde Null. Wie Österreich säte,was es heute hat“ lautet der Titel seinesneuen Opus, das am 22. Mai im JüdischenMuseum präsentiert werden wird (sieheTipp). Was Butterweck mit seinem Buchtitelmeint? Von der Befreiung Wiens durch dieRote Armee im April 1945 bis zum Eintreffender Westalliierten am 9. August habees im Osten Österreichs eine stalinistischeSprachregelung gegeben, wonach in denGaskammern und bei den Massenmordender Einsatzgruppen „sowjetische Kriegsgefangene,friedliche Sowjetmenschen undAntifaschisten aus ganz Europa“ ermordetworden wären – aber keine Juden. DieseHellmut Butterweck ist 17 Jahre alt, als der Naziterror 1945endet. Wie empfindet er die Zeit danach? Und warum sprichter vom „Ungeist der Stunde Null“? Ein Museumsbesuch.„Das habeich anderserlebt“„ Der Ausstellungsbesuchwird eine ,emotionale Wiederbegegnung‘mit der Jugend.Auch wenn einige Texte,wirklich daneben‘ sind.“„Tabuierung des Holocaust“ sei von den Leitartikelschreibernsowie von ÖVP und SPÖ„bereitwilligst“ und weit über den 9. Augusthinaus perpetuiert worden, so Butterweck;man habe sich „konsequent um jede Auseinandersetzungmit dem Antisemitismus“herumgedrückt und der Bevölkerung denindustrialisierten Massenmord an MillionenJüdinnen und Juden verschwiegen. DieFolge dieses sträflichen Versäumnisses,dieses „Ungeists der Stunde Null“? Zuschwach ausgebildete „Abwehrkräfte gegenden Antisemitismus“, schreibt Butterweckin seinem Buch – und damit auch zuwenige Abwehrkräfte „gegen jede Art vonrechtsextremem Gedankengut“. Bis heute.Der Besuch der Ausstellung wird fürHellmut Butterweck eine „emotionale Wiederbegegnung“werden – mit seiner eigenenJugendzeit wie auch mit einer Fülle anPlakaten und Zeitungen. Sehr vieles hat erähnlich in Erinnerung, wie es die Kuratorinnenund Kuratoren der Austellung – OliverRathkolb, Elisabeth Heimann-Leitnerund Anne Wanner – zum Ausdruck bringen.Einige der Texte an den Wänden findeter aber „wirklich daneben“.Darunter gleich den Einführungstextzur Schau. „Das primäre Ziel der Alliiertenwar [...] nicht die Internationalisierungder Wiener Kulturlandschaft. Die zahlreichenAktivitäten sollten, neben dem wirtschaftlichenund politischen Wiederaufbau,mithelfen, eine emotionale Basis fürdas Entstehen eines Österreich-Bewusstseinszu schaffen – also die Ausbildung eineseigenen, von Deutschland unabhängigenSelbstverständnisses“, ist hier zulesen. Hellmut Butterweck schüttelt denKopf. „Ich weiß nicht, wem das eingefallenist“, sagt er. „Das habe ich anders erlebt.“Vor allem die Amerikaner, aber auch dieFranzosen seien „echte Kulturbringer“ gewesen– nicht nur mit dem Ziel, ein Österreichbewusstseinzu schaffen. Auch seidie Rede von „den Alliierten“ zu pauschal.Als Wien anfangs nur von den Russen besetztgewesen sei, habe man noch nichts erfahrenvon der Welt. Erst die Amerikanerhätten Ende August bzw. Anfang Septemberdurch die Gründung des Wiener Kurierund durch amerikanische Filme, Literaturund Musik, aber auch durch Zugang zurjahrelang verpassten europäischen Kulturdas „Fenster zur Welt weit aufgerissen“. Erselbst habe im amerikanischen Leseraumbei der Oper nicht nur George Orwell gelesen,sondern auch Stefan Zweig, ThomasMann und Franz Werfel. „Die Amerikanerwollten Kultur bringen – Gott sei Dank.Aber dass sie so wesentlich mitgeholfenhaben bei der Entstehung eines Östereichbewusstseins,das glaube ich nicht.“Ein Rücktritt als versteckte NotizIm nächsten Raum zückt der 97-Jährigeseine Handykamera. An der einen Wand istdie zerstörte Albertina zu sehen, an der andereneine Reihe von Plakaten. „Daran erinnereich mich noch gut“, sagt Butterweck,gibt seinen Gehstock ab – und macht einpaar Fotos. Wie restriktiv in der damaligen,streng durchorganisierten Parteienlandschaftdie Kommunikationspolitik war, erklärter anhand des Falls von Raoul Bumballa.Vor der Novemberwahl 1945 will derÖVP-Staatssekretär im Innenministeriumzurücktreten – und bleibt nur durch Interventiondes provisorischen Staatskanzlers,Karl Renner (SPÖ), bis zur Wahl im Amt.Doch wie erfährt die Bevölkerung von diesemFast-Rücktritt eines Regierungsmitglieds?Allein durch eine kurze Notiz imNeuen Volksblatt der ÖVP. „Zu den gestrigenRadiomeldungen in New York teilt unsStaatssekretär Bumballa mit, dass er indieser Frage keine Erklärung abgegeben
DIE FURCHE · 198. Mai 2025Das Thema der Woche Zwischen den Zeiten5„ Der Film ,Die Todesmühlen‘ beweist,dass die Amerikaner noch im Sommer1945 keine Ahnung vom Holocausthatten. Stalins Sprachregelung hatteerfolgreich dafür gesorgt. “hat“, heißt es hier. Die anderen zwei Parteizeitungen,die Arbeiter-Zeitung der SPÖund die Volksstimme der Kommunisten,wissen auch nicht mehr zu berichten; ebensowenig das bereits seit 23. April erscheinendeNeue Österreich. Nur der WienerKurier, der seit 27. August von der amerikanischenBesatzungsmacht herausgegebenwird, lüftet zwei Tage später in einemInterview mit Bumballa die Gründe. „Einerwar die Politisierung der Polizei, die ihm –zu Recht – nicht gepasst hat“, sagt HellmutButterweck. „Ein anderer war, dass erwollte, dass die ÖVP von ihrem antisemitischenKurs abrückt und ein jüdischesVorstandsmitglied aufnimmt. Doch dazuwar sie nicht bereit.“Größte Zukunftshoffnung? Strom und GasAll das hat Hellmut Butterweck im Laufeintensiver Recherchen für sein Buch eruiert.Als 17-Jähriger des Jahres 1945 hat erfreilich ganz andere Probleme. „Wenn manmich heute fragt, was unsere Zukunftshoffnungnach der Befreiung war, dannwar das vor allem die Hoffnung, dass es imzweiten Bezirk wieder fließendes Wasser,elekrischen Strom, Gas und eine Straßenbahngibt“, erzählt er. Dass der 8. Mai eine„Befreiung“ war – und kein „Zusammenbruch“,wie es die Nazis nannten –, war fürihn als Deserteur vollkommen klar. „Wennsie mich erwischt hätten, wäre ich genausogefährdet gewesen wie jeder untergetauchteJud“, sagt Butterweck. „Durch und durch“sei es ihm deshalb gegangen, als die russischenPanzer über die Taborstraße gekommensind. „Das war meine Lebensrettung.“Doch nach der Befreiung kam der Hunger.Einem Soldaten habe er eine Sardinenbüchseweggerissen – und auf seinen knurrendenMagen gezeigt. Angst vor ihm habeer nicht gehabt; nur eine Sekunde lang, alseine Frau schrie: „Die SS kommt zurück!“Bei Frauen war das mit der Angst vor denRussen anders. Gleich in den ersten Tagennach der Befreiung habe ein Offizier an dasHaustor geklopft und ein Dolmetscher erklärt,der Herr Oberst suche Damenbegleitungfür die Nacht. „Er hat sich ganz feinausgedrückt und nicht direkt gesagt: Ichsuche eine Frau fürs Bett“, erzählt Butterweck.Nicht nur das hat es damals in Wiengegeben, sondern auch Vergewaltigungen.Der Schriftsteller Karl Hans Heinz habeihm davon erzählt, wie ein Offizier zweiSoldaten bei einer solchen Tat erwischte –und die beiden standrechtlich erschoss. Obdas Vorschrift oder nur ein Einzelfall war?„Wer weiß das schon“, sagt Butterweck.„Die Vier im Jeep“ waren ein Klischee,aber das Klischee war Alltag in ganz Wien.Die Zonengrenzen hat Butterweck nichtwahrgenommen, umso mehr jedoch dieFilmplakate. „Die Todesmühlen“ war einesdavon. Erst kürzlich, für die Recherche zuseinem Buch, hat er sich den im Sommer1945 gedrehten Film mehrfach angesehen.„Billy Wilder hat das Drehbuch geschriebenund war extra in Europa, um die deutscheFassung zu überwachen“, erzählt HellmutButterweck. Der Film beweise damit, „dassdie Amerikaner noch im Sommer 1945 keineAhnung vom Holocaust hatten“. StalinsSprachregelung hat erfolgreich dafür gesorgt,dass möglichst wenig Wissen darüberin den Westen gelangt. „Er wollte dieRolle des größten Opfers der Nazis nichtmit den Juden teilen“, sagt Butterweck.Wir gehen weiter. „Im Gegensatz zur totalitärenMedien- und Rundfunkpolitik imNationalsozialismus setzten die Alliiertenvon Beginn an auf Medienvielfalt“, isthier zu lesen. Hellmut Butterweck atmettief durch. Nur den Westalliierten sei dieseVielfalt ein Anliegen gewesen, stellt erklar. Nach dem Wiener Kurier der Amerikanerfolgt am 18. September die Weltpresseder Briten – einen Tag nach dem Beginn desBergen-Belsen-Prozesses. „In Belsen wurdenMenschen gefressen“, heißt es am Titelblatt,das Butterweck im Museum mit Beklemmungstudiert. „Ich weiß noch, als ichdamals auf der Mariahilferstraße mit einerZeitung gestanden bin, wo erstmals allesüber den Holocaust gestanden ist. Und meineerste Reaktion war: ,Ach, so haben sie esgemacht!‘“„Tod durch den Strang“Gleich daneben im Schaukasten hängtdie erste Ausgabe der Welt am Abend derFranzosen vom 1. Oktober 1946. Am Coverwird in dicken Lettern das Urteil des NürnbergerProzesses präsentiert. „Tod durchden Strang: Göring Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner,Rosenberger, Frank, Frick,Sauckel, Jodl, Seyß-Inquart und Streicher.Schirach, Speer 20 Jahre Gefängnis. Papen,Schacht und Fritsche entgehen der Bestrafung!“Das Urteil liest Butterweck damalsim Wiener Kurier, während er geradeauf dem Getreidemarkt steht. Auch dieseAusgabe entdeckt er in der Ausstellung.„An diese Titelzeile erinnere ich mich wirklichgut“, sagt er. Heute weiß er durch seineRecherchen freilich noch viel mehr. ZumBeispiel, dass es bei den Nürnberger Prozessenetliche Fehlurteile zugunsten derAngeklagten gab. „Schirach und Speersind zu milde davongekommen“, sagt er.Wir gehen weiter – und nähern uns demEnde der Ausstellung. Es geht um „Schmutz„An die zerstörte Albertina erinnere ich mich noch sehr gut“, sagt HellmutButterweck (97) beim Gang durch die Ausstellung im Wien Museum. AltePlakate dokumentiert er mit seiner Handykamera.Unter diesemQR-Code findenSie die Online-Version dieserReportage miteinem Video vonH. Butterweck.Dass der 8. Mai eine „Befreiung“ war und kein „Zusammenbruch“, war für Hellmut Butterweck als Deserteur klar. „Wenn sie micherwischt hätten, wäre ich genauso gefährdet gewesen wie jeder untergetauchte Jud“, sagt er im Gespräch mit Doris Helmberger.und Schund“, um die „Rote Traumfabrik“ inden Rosenhügel-Studios mit dem Filmklassiker„Panzerkreuzer Potemkin“, um BoogieWoogie und natürlich um den Staatsvertrag.„Das war für mich aber nicht so einEinschnitt“, sagt Hellmut Butterweck einwenig erschöpft. „Nachdem 1945 für michja die Rettung des Lebens war, haben michdie Alliierten nicht so sehr gestört.“Draußen, beim Eingang der Schau, kannsich der 97-Jährige endlich setzen. „Es warein wirklich guter Nachmittag“, lautet seinResümee vor seinem Sprung hinaus in denRegen. Und was wäre seine Botschaft an dieJungen? Hellmut Butterweck denkt nach –und wird dasselbe wie später in der Hofburgsagen: dass die Jungen bei Wahlenfür die liberale Demokratie, Rechtsstaatund Meinungsfreiheit votieren mögen; unddass sie um Gottes Willen nicht den rechtenRattenfängern erliegen sollten. Auch wennParteienstreit und Unfähigkeit sie so störenwie ihn selbst.Kontrollierte FreiheitDie Alliierten in Wien. Kulturpolitik 1945-1955Wien Museum. Bis 7. September 2025www.wienmuseum.atTIPP: BuchpräsentationDer Ungeist der Stunde NullMit Hellmut Butterweck, Hans Rauscher,Anneliese Rohrer, Robert Streibel, DorisHelmberger und Florian KlenkDo, 22. Mai, 18.30 Uhr, Jüdisches Museum WienDorotheergasse 11, 1010 WienAnmeldung unter www.jmw.atDer Ungeist derStunde NullWie Österreich säte,was es heute hatVon Hellmut ButterweckVerlag der Provinz 2025184 S., geb., € 24,00DieFursche(obonya)_275x78_WAN-IFRA.pdf 1 23/04/25 15:28CMYCMMYCYCMYKOikocredit: 50 Jahrenachhaltig investierenwww.oikocredit.org01 / 505 48 55Ab 200 Euro Wirkungentfalten - jetztverantwortungsvollinvestieren!Hinweis: Werbeanzeige von Oikocredit, EDCS U.A.,Verkaufsprospekt samt allfälligen Nachträgenabrufbar auf unserer Website,,Mit meiner sozialen Geldanlage bei Oikocreditunterstütze ich Frauen, die ihre Familienzusammenhalten. So ermögliche ich Einkommen,Bildung und Hilfe zur Selbsthilfe – kein Geschenk,sondern ein Darlehen für mehr Gerechtigkeit.Und das seit 50 Jahren!“Cornelius Obonya,unterstützt Oikocreditfeiert 50 JahreSasha Ilushina photography
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE