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DIE FURCHE 08.05.2025

DIE FURCHE · 1922

DIE FURCHE · 1922 Wissen8. Mai 2025MikrothrombenDas Bild zeigt bis indie engstenGefäße im ganzenKörper vordringendeMikrothromben,die vonweißen Blutkörperchenumgebensind (rot: Blutgerinnsel,blau: Kernevon Entzündungszellen).DieseMicroclots sind einein den VordergrundrückendeUrsache von LongCovid (siehe auchKasten unten).Bild in Originalvergrößerung(650 x).Von Georg WickDie Corona-Pandemie wurdevon der Weltgesundheitsorganisation(WHO) im Mai 2023offiziell für beendet erklärt.Das gilt aber nicht für jeneca. 400 Millionen Menschen, die von Spätfolgendieser heimtückischen Erkrankungbetroffen sind – sie leiden an LongCovid. Solide wissenschaftliche Daten besagen,dass Long Covid seit dem Beginnder Pandemie bei sechs bis sieben Prozentaller Erwachsenen und einem Prozentder erkrankten Kinder aufgetretenist. Bisher wurden insgesamt 200 (!)Symptome aufgelistet, die bei Patientenmit Long Covid beobachtet wurden. Definitionsgemäßspricht man davon, wennnach einer – oft sogar asymptomatischen –akuten Covid-19-Erkrankung wenigstenseines dieser Symptome, z.B. ein Verlustdes Geruch- oder Geschmacksinns,länger als vier bis zwölf Monate persistiert.Frauen entwickeln Long Covid ca. zweiMal so häufig als Männer.Die häufigsten Symptome sind u.a. narbigeVeränderungen der Lunge, Herz-Kreislauf-Erkrankungenoder kognitive Defizite(Brain Fog) wie z.B. Konzentrationsstörungensowie Stimmungsschwankungen undAngstzustände. Erstaunlich häufig ist einetiefgreifende Müdigkeit nach sogar milderKRANKHEITSURSACHENFünf MechanismenNach über fünf Jahren Erfahrung mit LongCovid haben sich fünf mögliche, teils überlappendeMechanismen herauskristallisiert,die der Entstehung dieser komplexenErkrankung zugrunde liegen könnten:• eine direkte Zerstörung von viralinfizierten Zellen• die Persistenz von Viren oder Virusbestandteilenüber längere Zeiträume• eine den ganzen Körper betreffende(systemische) Entzündung• eine v.a. die kleinsten Gefäße betreffendeEntzündung mit Blutgerinnungsstörung• eine Immunreaktion gegen körpereigeneEiweißstoffe (Autoimmunreaktion) (G. Wick)Siehe das Porträtüber LucindaCrimson vonDagmar Weidinger(„Die Kunst,nicht aufzugeben“,30.11.24),auf furche.at.Die Folgekrankheiten nach einer Corona-Infektion führenoft zu gravierenden und jahrelangen Einschränkungen. NeueForschung erweitert unser Verständnis – und gibt Hoffnung.Auf der Spurvon Long Covidkörperlicher Anstrengung (PEM: Post-Exertional Malaise) und schließlich daschronische Erschöpfungssyndrom (CFS:Chronic Fatigue Syndrome) und seineschwere Manifestation, der Kombinationeines CFS mit Muskelschmerzen und Enzephalomyelitis(ME/CFS). Ebenso das meistden ganzen Körper betreffende MuskelundGelenksschmerzen charakterisierteFibromyalgie-Syndrom (FMS).Die Zerstörung von Zellen durch das Coronavirusblockiert die Funktion von Organen.Immunzellen versuchen zwar, diesenProzess durch Abtötung infizierter Zellenzu verhindern, können diesen Abwehrprozessbei einer überwältigenden Virusproduktionaber nicht erfolgreich abschließen.Die Persistenz von SARS-CoV-2 als komplettes,nicht mehr infektiöses Virus oderin Form verschiedener Bruchteile der Virusstruktur(„Überbleibsel“), z.B. im Darm,wirkt wie ein Totimpfstoff, der im Körperlange lagert und das Immunsystem ununterbrochenzu weiterer, gelegentlich massiverReaktion anregt. Das kann u.a. dazuführen, dass im Organismus versteckte, d.h.ruhende, auf ihren eventuellen „Auftritt“wartende Viren, wie das bei 95 Prozentder Menschen vorhandene Epstein–Barr„ Mit einer finanziell relativgünstigen Behandlungsstrategiekonnten bei teilsschon bewegungsunfähigenBetroffenen erstaunlicheErfolge erzielt werden. “Virus (EBV), aktiviert werden und ihrerseitszu Long Covid führen. Eine den ganzenKörper betreffende Entzündung kannviele der Symptome von Long Covid verursachen,wie z.B. Rheuma-ähnliche Beschwerdenund v.a. ME/CSF und FMS.Eine weitere, immer mehr in den Vordergrundrückende Ursache für die Entwicklungvon Long Covid ist eine Störung desGerinnungssystems und als Folge die Entstehungmassiver Thrombosen, die z.B. zuHerzinfarkt oder Schlaganfall führen können.Ein erst in letzter Zeit weltweit – auchvon unserer Arbeitsgruppe – erforschtesPhänomen ist die Entstehung ganz kleiner,bis in die engsten Gefäße im ganzen Körpervordringender Mikrothromben, dienicht nur einzelne Organe, sondern ganzeOrgansysteme wie das zentrale Nervensystemund die Muskulatur durch Unterversorgungmit Blut lahmlegen.Schlummernde AutoimmunkrankheitenDas Auftreten von Autoimmunerkrankungennach Virusinfektionen, wie z.B.Influenza, Herpes und v.a. EBV ist schonlange bekannt. Das Coronavirus scheintdiesbezüglich aber doch wesentlich wirksamerzu sein als andere Viren und wirddaher von Experten bereits als „Autoimmunvirus“bezeichnet. Dieses Phänomenberuht vor allem – aber nicht nur– auf zwei Mechanismen: Erstens, die erwähntesystemische Entzündung bringtFoto: Martin Hermann, Medizinische Universität Innsbruck„schlummernde“ Autoimmunerkrankungenzum Aufflammen; und zweitens gibtes Anteile von Virusproteinen, die strukturelleÄhnlichkeiten mit Proteinfragmentenvon menschlichen Organen haben.Wenn das Immunsystem gegenderartige Viruskomponenten reagiert, bestehtdie Gefahr einer „Verwechslungsreaktion“,und es kommt „irrtümlich“ zumAngriff auf das entsprechende Organ, z.B.in Form einer autoimmunen Herzmuskelentzündung.Dieser Mechanismus wird als„antigenes Mimicry“ bezeichnet.Der Verfasser dieser Zeilen ist selbstprofessioneller Immunologe und natürlichgegen Covid-19 geimpft. Die erstaunlichschnell entwickelten und rasch aufden Markt gebrachten Corona-Impfungenschützen vor schweren Ausbrüchen der Erkrankungund Tod. Neun von zehn gestorbenenPatienten auf Corona-Intensivstationenwaren ungeimpft!Dennoch ist hier fachliche Kritik angebracht,ohne dem Clan der Impfgegner zugerechnetzu werden: Extrem selten kommtes nämlich auch nach Covid-Impfungen zueinem „Post Vaccination Syndrom“ (PVS).Nebenwirkungen der Impfungen könnensich in schweren Fällen ähnlich manifestierenwie Long Covid nach einer akutenErkrankung. Auch die Ursachen sind kongruent.Das Stachel (S)-Protein an der Virusoberfläche,das von den beiden dominierendenmRNA-Impfstoffen in unserem Körpererzeugt wird (Pfizer-Biontec v.a. in Europa,Moderna v.a. in den USA), hat in bestimmtenAbschnitten große Ähnlichkeit mit Proteinenmenschlicher Zellen. Auch dieses „antigeneMimicry“ kann die Ursache von Autoimmunreaktionennach Impfungen sein.Kürzlich ist eine interessante, bisher nochnicht fachlich begutachtete Arbeit erschienen,in der bei vorher nicht erkrankten, geimpftenProbanden gezeigt wird, dass dasbei mRNA-Impfungen produzierte S–Proteinin manchen Fällen noch nach über 700 Tagen(!) im Blut nachgewiesen werden kann.Die Aussagekraft der Studie ist mit 15 Probandenallerdings sehr limitiert. Wir – undhoffentlich auch die Hersteller der Impfstoffe– warten diesbezüglich also gespanntauf Daten größerer klinischer Studien.Zusammenfassend gilt für dieses für dieÖffentliche Gesundheit so essentielle Themaallerdings noch immer die von MaryLasker, der 1994 verstorbenen Präsidentinder berühmten Lasker-Stiftung in denUSA, kolportierte Aussage: „Nun, wenn Siedie Impfung nicht mögen – versuchen Siees doch mit der wirklichen Krankheit!“Gerinnungshemmung als TherapieoptionTherapeutisch wesentlich sind strikteVerhaltensempfehlungen: Die meisten Fällevon Long Covid sind durch starke Ermüdungnach körperlicher Belastung gekennzeichnet.Daher ist es in allen Fällen – auchsolchen ohne exzessive Müdigkeit – ratsam,größere körperliche und auch intellektuelleAnstrengungen zu meiden. ImEnglischen gibt es für diese Strategie denAusdruck Pacing (ruhiges Auf- und Ab-Gehen);also achtsames Bewegen und Denken.Auch ohne signifikante Symptome ist Sportsofort nach Abklingen der Beschwerden –geschweige denn während einer leichtenForm der Erkrankung – tabu.Bei manchen schwer an Long Covid erkranktenPatienten konnten wir – wie auchandere Labors – einerseits Mikrothrombenim Blut nachweisen und andererseits die erwähnteReaktivierung von EBV beobachten.Diese Mikroaggregate können in Blutprobenmikroskopisch dargestellt und exaktgezählt werden. Ab einer bestimmten Konzentrationvon Mikrothromben und demgleichzeitigen Nachweis von reaktiviertenEBV erhalten die Patienten ein gerinnungshemmendesMedikament, zusammen miteiner breit virushemmenden Substanz. Inbesonders schweren Fällen folgt auch nocheine Blutwäsche (Plasmapherese). Mit dieserBehandlungsstrategie konnten bereitsbei zahlreichen, z.T. schon bewegungsunfähigenLong-Covid-Patienten erstaunlicheErfolge erzielt werden. Es geht also doch etwasweiter im Kampf gegen Long Covid!Der Autor ist em. o. Professor an derMedizinischen Universität Innsbruck undwar Gründungsdirektor des ÖAW-Institutsfür Biomedizinische Alternsforschungsowie ehemaliger Präsident des FWF.

DIE FURCHE · 198. Mai 2025Wissen23Long-Covid-Betroffene leiden nicht nur an ihrer Krankheit, sondern sind zusätzlich noch mitmassiven Belastungen im Gesundheitssystem konfrontiert. Ein ärztlicher „Insider-Bericht“anlässlich des Internationalen ME/CFS-Tags am 12. Mai.Allein auf weiter FlurVERSORGUNGSSITUATIONEs brauchtspezialisierteAnlaufstellenVon Martin TaussVon Paul Luv*Als Facharzt für Psychiatriewurde ich in meinem langjährigenBerufsleben in Krankenhausund Praxis immerwieder mit Long Covid konfrontiert.Aber auch innerhalb der eigenenFamilie: Meine Tochter, eine heute 33-jährigeKrankenschwester, hatte drei Covid-Impfungen (Comirnaty, Fa. Pfizer) erhalten.Trotzdem bekam sie 2022 sowohl im Februarals auch im Juni Corona-Erkrankungenmit teils schweren Symptomen. Von diesenerholte sie sich teilweise nicht mehr bzw.es kamen auch weitere Symptome hinzuwie unter anderem Denkschwierigkeiten,Brain Fog, eine massive Abnahme derkörperlichen und geistigen Belastbarkeit,rasche Erschöpfbarkeit, wiederkehrendestarke Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen,Kreislaufbeschwerden und Schlafstörungen.Eine zunehmende Depressionführte zu einer weiteren deutlichen Beeinträchtigungdes Gesamtbefindens.Fehlendes EinfühlungsvermögenMeine Tochter ist Mutter von zwei Kleinkindern(inzwischen vier und acht Jahrealt); ihr Ehemann ist berufstätig. Die Bewältigungder Kinderbetreuung war damalsnur mit familiärer Unterstützung möglich.Ab Juli 2022 benötigte sie regelmäßigeneurologische Behandlungen, anfangsim Krankenhaus. Diagnose: Post-Covid-19-Zustand Grad 3 mit systemischem Belastungsintoleranz-und Chronic FatigueSyndrom (CFS). Sie muss ein striktesPacing einhalten, d.h. jede körperliche undgeistige Anforderung genauestens dosieren,um nicht danach in einen noch stärkerenErschöpfungszustand (PEM) zu geraten– mit weitaus längerer Erholungszeit.An einen Arbeitswiedereinstieg war undist auch heute noch nicht zu denken. Nachlängerem Krankenstand erfolgte im Juni2023 die einvernehmliche Kündigung undder Antrag auf eine Berufsunfähigkeitspension.Was weiters folgte, waren massivbelastende Gutachtertermine – leider mitsehr wenig Einfühlungsvermögen.Zum Zeitpunkt, als das Gutachten erstelltwurde, war meine Tochter weder ausmeiner psychiatrisch-fachärztlichen Einschätzungnoch aus Sicht des behandelndenNeurologen arbeitsfähig. Das allesist in vielen Arztbriefen und Ambulanzberichtendokumentiert. Aber bereits dererste neurologisch-psychiatrische Gutachter(Schwerpunkt Neurologie laut frühererAusbildungsordnung) schätzte sie im September2023 als arbeitsfähig für mindestens20 Stunden pro Woche ein. Der Pensionsantragwurde somit abgelehnt.Mit Unterstützung eines Rechtsanwaltsging sie im Dezember 2023 gegen die Ablehnungvor: Die Klage erforderte einepräzise schriftliche Begründung, was fürmeine Tochter – vor allem angesichts derGedächtnisprobleme –eine massive psychischeBelastung darstellte.Vom Gerichtwurde ein weiterer,diesmal neurologischerGutachter bestellt.Auf Ersuchenihres Rechtsanwaltswurde gefordert, diepsychiatrische Qualifikationhinsichtlichder Diagnose Depressiondarzulegen. Wie dasGutachten später zeigte,war diese Qualifikationbeim Gutachterpraktisch nicht gegeben. Laut Gesetz warer jedoch ausreichend zur fachärztlich-psychiatrischenBegutachtung befugt. Das Ergebnis:Im Gutachten wurde meine Tochterneuerlich mit 20 Stunden pro Woche als arbeitsfähigeingestuft. Fazit: In beiden Gutachtenwaren zahlreiche Fehler enthalten.Letztlich blieb meiner Tochter nur mehrein vom Rechtsanwalt eingebrachter „Gutachtenserörterungsantrag“bei Gericht –allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg.Die präzise Ausformulierung der Kompetenzmängelund Widersprüche im Gutachtenwar neuerlich eine massive psychischeBelastung für sie. In der Stellungnahmedes Gutachters wurde jeder Punkt mitminimalster Begründung und zugleichhöchster Überheblichkeit abgeschmettert.Die entscheidende Richterin pflichtete demGutachter bei der abschließenden Erörterungim Dezember 2024 bei: Das Verfahrenhat somit insgesamt eineinhalb Jahregedauert.Foto: iStock/FredFroese (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)Mangelnde KompetenzDas ist leider kein Einzelfall: Die ärztlicheKompetenz ist bei Diagnosen wie LongCovid oder Chronic Fatigue Syndrom oftnoch mangelhaft bis gar nicht vorhanden.Trotzdem werden die Betroffenen weiterhinvon solchen Ärzten untersucht und behandelt.„Bei ihnen sind alle Untersuchungenunauffällig“ oder „Vielleicht sollten sieeinmal zum Psychiater gehen“: Durch solcheAussagen fühlensich die Patienten und„ ,Bei ihnen sindalle Untersuchungenunauffällig‘ oder,Vielleicht solltensie zum Psychiatergehen‘: Durch solcheAussagen fühlen sichdie Betroffenenüberhaupt nichtverstanden. “Systemversagen?Der Autor will anhandder Geschichteseiner betroffenenTochter(Diagnose Post-Covid-19 Zustand)den „erschütterndenUmgangvon Pensionsversicherungen,Krankenkassen,ärztlichen Gutachternund Gerichten“aufzeigen.Patientinnen überhauptnicht verstanden,da sie ja selbstmerken, dass etwasin ihrem Körper nichtstimmt.Meine Tochter hatdas Glück, dass sichihr Zustand mit vielenTherapien sehr schleppend,aber doch bessernkonnte. Ihre Stimmungist bereits vielbesser geworden. Belastbarkeitund Ausdauerhaben zugenommen; sie kann denAlltag effektiver bewältigen. Auch dasDenkvermögen hat sich wesentlich gebessert,was von unschätzbarem Wert ist. Abernoch immer ist sie von einem Normalbefindenweit entfernt. Ohne fortgesetztes Pacingwäre ihr Alltag nicht machbar: Sie muss täglichihre Ruhepausen einhalten. Ob sie jemalsdie „alte Normalität“ erreichen wirdund wieder in ihrem geliebten Beruf alsKrankenschwester arbeiten kann, ist nachwie vor nicht definitiv zu beurteilen.Der Autor (*Name von der Red. geändert)ist Facharzt für Psychiatrie, Arzt für Allgemeinmedizinsowie Psychotherapeut.Es soll ein kräftiges Zeichen am WienerHeldenplatz sein: Am InternationalenME/CFS-Tag am 12. Mai werden u.a.eine Installation aus Feldbetten sowie eineKranzniederlegung die Lage der Betroffenensichtbar machen (ME: Myalgische Enzephalomyelitis;CFS: Chronisches Fatigue Syndrom).Es ist eine Protestaktion der ÖsterreichischenGesellschaft für ME/CFS, die 2017 „von Betroffenenfür Betroffene“ gegründet wurdeund die weiterhin auf den Versorgungsmangelbei dieser schweren chronischen Erkrankungaufmerksam machen will. ME/CFS-Betroffeneverschwinden meist still und leiseaus der Öffentlichkeit, weil sie keine Kraftmehr haben, ihren Beruf und Alltag zu bewältigen.Ein „Randproblem“ ist die Erkrankung,die vor allem nach viralen Infektionenauftritt, jedenfalls schon lange nicht. In Österreichsind bis zu 80.000 Menschen betroffen,die Dunkelziffer dürfte nach der Corona-Pandemie aber weitaus höher sein.Betroffene erleben Medical GaslightingBislang gibt es nur sehr wenige Ärzte undÄrztinnen, die auf dieses Krankheitsbild spezialisiertsind, und diese Experten sind heillosüberlaufen. Tatsächlich sind ME/CFS-Patienten völlig unterversorgt; es fehlt dienotwendige Infrastruktur. „Aus Forschungund Praxis ist bekannt, dass die Betroffenenerst nach jahrelangen, frustrierenden Behandlungserfahrungenzu einer richtigen Diagnosekommen“, berichtet der Linzer Psychologeund Gutachter Markus Gole im Gesprächmit der FURCHE. „Von ärztlicher Seite erfahrensie oft Stigmatisierung, behördenseitigwird die Erkrankung verleugnet und nichtanerkannt. Insgesamt lässt sich sagen, dassdie Betroffenen mit mangelndem Wissen zuME/CFS im Gesundheitssystem konfrontiertsind; das betrifft ebenso die Gutachter.“(siehe auch Artikel links) Die Folge: Die ohnehinLeidenden machen die schmerzhafte Erfahrung,dass sie sich mit ihren Beschwerdennicht ernst genommen fühlen. Viele klagen,die behandelnden Ärzte würden ihnen nichtglauben; grundlegende Symptome würden ignoriertoder fälschlicherweise als psychischeErkrankung interpretiert: Erfahrungen, dieman als Medical Gaslighting bezeichnet unddie vor allem von Frauen berichtet werden.Immerhin wurde letztes Jahr der Aufbaueines Nationalen Referenzzentrums fürpostvirale Syndrome an der Med-Uni Wienin die Wege geleitet. Es soll u.a. die entsprechendeME/CFS-Forschung vorantreiben undSchulungen für Gesundheitsberufe anbieten.Markus Gole sieht zudem „die Notwendigkeitmultidisziplinärer Versorgungszentren“,wo Medizin, Psychologie, Physio- undErgotherapie, Ernährungsberatung, Sozialarbeitund Pflege in enger Abstimmung verfügbarsind. Wie die für eine adäquate Versorgungvon Menschen mit ME/CFS dringendnotwendigen Behandlungsstellen umgesetztwerden können, haben die beiden Leiterinnendes Nationalen Referenzzentrums, KathrynHoffmann und Eva Untersmayr-Elsenhuber,kürzlich in einem neuen Leitfaden präsentiert.„Spätestens ab jetzt ist der Grund für dasFehlen dieser Anlaufstellen nicht mehr vorgeblichfehlendes Wissen“, bemerkt dazu derNeurologe und Long-Covid-Experte MichaelStingl in einem Facebook-Statement. HöchsteZeit also, sie auch umzusetzen.Protestaktion am Internationalen ME/CFS-TagOrganisiert von der Öst. Gesellschaft für ME/CFSHeldenplatz, 1010 Wien, 12. Mai, 16–18 UhrNationales Referenzzentrum für postviraleSyndromehttps://www.meduniwien.ac.at/web/referenzzentrum-postvirale-syndrome

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