DIE FURCHE · 1918 Literatur & Musik8. Mai 2025THEATER AN DER WIENEine barocke Hamlet-Oper als heutigesFamiliendramaVon Walter DobnerEs ist ein starkes Bild, das am Anfang zusehen ist und am Ende dieser Neuproduktionwiederkehrt: Ophelia in einerblutverschmierten Badewanne. Das Ende einerblutigen Tragödie. Einer Familientragödie,wie sie sich auch heute abspielen könnte.Aus diesem Blickwinkel interpretiert RegisseurinIlaria Lanzino im Theater an der Wiendas Sujet des dreiaktigen barocken Drammaper musica „Ambleto“ von Francesco Gasparini,der zu seiner Zeit eine Komponistenautoritätwar: als Geschichte einer heutigen „UpperClass-Familie, die in den Abgrund stürzt.“Dass das Geschehen in die Gegenwart transferiertwird, lässt sich auch unschwer an dembunten Kleidungswirrwarr (Vanessa Rust)und am Bühnenbild von Martin Hickmann ablesen.Dieses gewährt vor allem Einblicke inSchlaf- und Badezimmer, konfrontiert ebensomit einer überdachten Treppe. Eine Metapher,ein Sinnbild für das Auf und Ab in der Existenzjedes menschlichen Lebens? Man kannes so interpretieren.Die unkonventionelle, aber auch mutigeDramaturgie von Christian Schröder ist gewissauch dem Umstand geschuldet, dass mandiese in der venezianischen Faschingssaison1705/06 uraufgeführte – übrigens nicht aufShakespeares Schauspiel, sondern auf einerdänischen Chronik basierende - erste „Hamlet“-Opererst einmal rekonstruieren musste,um sie wieder zum Leben zu erwecken.Denn nur Teile der Partitur sind überliefert,sämtliche Rezitative verloren gegangen. EineChance, nicht nur einige davon nachzukomponieren,sondern anhand der vorhandenenArien die originale, einigermaßen verworreneGeschichte zu entflechten, sich dabei auch anShakespeares Schauspiel zu orientieren. Dasschärft den Blick auf das Handeln der Figuren,demonstriert – ohne mit Schuldzuweisungenaufzuwarten – vor allem bei Hamlet, wie sehrVerlust, Schmerz und Enttäuschung zur Triebfedereines Handelns werden können, welcheswesentlich zur Tragödie anderer beiträgt.Überraschend gut passte zu dieser sehrheutigen, zuweilen hart die Grenzen des Geschmacksstreifenden szenischen LesartFrancesco Gasparinis affektgeladene barockeMusik. Die einzelnen Darsteller können darinprägnant ihre jeweiligen Gefühle ausdrücken,werden trotz der ihnen wiederholt abgefordertenVirtuosität nie zu unpassender Outrageverführt.Raffaele Pe agierte in der Doppelrolle Hamletund musikalischer Leiter. Elisa Citterio befehligteals Konzertmeisterin souverän dasbrillante Originalklang-Ensemble La Lira diOrfeo. Aus den Solisten stachen neben MaayanLichts höhensicherem Laertes vor allemAna Maria Labins Gertrude und Erika Baikoffals überaus emphatische, auch schauspielerischvielgeforderte Ophelia hervor. Jedenfalls:ein trotz Einschränkungen überausambitionierter Versuch, barocker Opernhistorieein in weiten Teilen spannendes neues Lebeneinzuhauchen.AmbletoTheater an der Wien, bis 17.5.2025Das Ende einer blutigen Tragödie: Ophelia (Erika Baikoff)in der Badewanne.Foto: Herwig PrammerMord an derMoldauVon Walter GrünzweigEgon Erwin Kisch, geboren 1885in Prag und gestorben 1948ebendort, ist eine der bemerkenswertestenPersönlichkeitenin der Geschichte des deutschsprachigenund internationalen Journalismus.Vom ubiquitären Prager Lokaljournalistenentwickelteer sich zum „rasendenReporter“, dessen Reisensich von der Sowjetunionüber die VereinigtenStaaten bishin nach Australienerstreckten. Sein Mi-„ Das Jahr 1910 istnicht zufällig gewählt,denn für das Frühjahrerwartet man denHalleyschen Kometen,der die allgemeinek. u. k. Weltuntergangsstimmungnoch verstärkt. “litärdienst währenddes Ersten Weltkriegsführte ihn ins linke Lager.Nach einem kurzenIntermezzo als Revolutionärzur Zeit derAusrufung der RepublikDeutschösterreichwurde er verlässlicher journalistischerParteigänger der Kommunistischen Internationale,sei es im Spanischen Bürgerkrieg,auf den Internationalen Schriftstellerkongressenin Paris und Madrid oder immexikanischen Exil.Martin Beckers und Tabea SoergelsIdee, eine dynamische und schillernde Figurwie Kisch in einen komplexen fiktionalenPrager Kriminalfall zu involvieren,wurzelt durchaus in der Werkbiografiedes Journalisten. In Beiträgen im PragerDer rasendeReporterGeboren in Prag ,lebte Egon ErwinKisch (1885–1948),nicht zuletzt beeinflusstdurch die politischenUmwälzungenseiner Zeit ,viel im Ausland.Er war Journalist ersten Ranges und besaß ein ausgeprägteskriminalistisches Interesse. In „Die Schatten von Prag“taucht Egon Erwin Kisch nun als Romanfigur auf.Foto: IMAGO / TTTagblatt und in der national orientiertenBohemia befasste er sich ausführlich mitder Prager Unterwelt. 1931 erschien eineSammlung von Kriminalgeschichten inseinem „Prager Pitaval“; sein „KriminalistischesReisebuch“ (1937) erstreckte sichauf „Verbrechen aus allen Zeiten und Ländern“.Allerdings ist die journalistischeArbeit in dem jetzt erschienenen historischenPrag-Krimi lediglichder Ausgangspunktder Handlung.Hier wird Kisch unmittelbarund hautnahmit einer Reihe von politisch-kriminellmotiviertenVerschwörern(den „Schatten“des Titels) konfrontiert.Er verhindertschlussendlich dieAusführung der finsterenPläne und trägtmaßgeblich zur Aufdeckungdes Komplottsbei, das bis in hohe Machtzentren reicht.Der Roman beginnt in der „kältestenNacht des Jahres 1910. […] Nur hier oder dazerschnitt eine spätabendliche Elektrischedie eisige Ruhe. Prag hielt Winterschlaf.“Aber die schläfrige Stimmung trügt: Aufeiner Bank am Franzens-Kai sitzt ein toterMann, Dr. Leidinger, Vizesekretär beider Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt,bei der auch Franz Kafka beschäftigt war.Eine Serie von Mordfällen folgt dieser Moldauuferleicheund Kisch, der auf einen„Solokarpfen“ hofft, einen exklusiven journalistischenScoop, erkennt nach und nacheine politische Dimension, die in der PragerIdentitätspolitik zwischen deutschenund tschechischen Nationalisten und Judenliegt. Dabei hilft ihm die ehrgeizigeLenka Weißbach, Medizinstudentin undvorübergehend auch journalistisch tätig,deren psychologische Intuition den soziologischenRealismus von Kisch hervorragendergänzt.Der Krimi eröffnet natürlich exzellenteMöglichkeiten für die Darstellung Pragsals Stadt und Gesellschaft kurz vor demWeltkrieg. Das Jahr 1910 ist nicht zufälliggewählt, denn für das Frühjahr erwartetman den Halleyschen Kometen, der die allgemeinek. u. k. Weltuntergangsstimmungnoch verstärkt. Das Autorenduo, ausgewiesenePrag-Kenner und genaue Leser derPrager Lokalpresse, führt uns wiederholtins fiktive, aber umso wüstere Café Batignolles,wo wir viele Größen – aber auch wenigerbekannte Figuren – der Prager deutschenLiteratur in verschiedenen Gradenmentaler Vernebelung kennenlernen. Unteranderem trifft man Jaroslav Hašek, Anarchist,aber gleichzeitig „ein hoffnungsloserRomantiker“, an dem man auch andereSeiten als den Autor des Schwejkentdeckt. Franz Kafka wird uns als sympathischerjunger Mann präsentiert, indessen „dunklen Augen“ Lenka „Wärmeund Spott zu gleichen Teilen entdeckt“.Man isst Fleischhaxerl (Kisch) und vegetarischgefüllte Paprika (Kafka), anderswotrinkt man Großpopowitzer und Absinthund raucht Zigaretten der auch aus demSchwejk bekannten Marke „Sport“.Veränderte PerspektiveAber es geht hier nicht nur um Expertisein der multikulturellen Lebenswelt derStadt um die vorletzte Jahrhundertwende.Was gerade die österreichische Leserschaftverwundern wird, ist eine veränderte Perspektiveauf Prag. Wien taucht nur einmalund auch nur indirekt auf, nämlich bei derDarstellung der Sprache des einflussreichenPrager Großkriminellen Kubitza als„vollendetes Wienerisch“. Die wichtige Referenzmetropolevon Prag ist vielmehr Berlin,eine Stadt, in der Lenka einige Semester Medizinstudiert hat, dabei aber vor allem dasfreizügige Leben für Lesben kennen- undschätzen gelernt hat. Vor ihrer Rückreisenach Prag bedauert sie, die „Stadt [zu] verlassen,die keine Ruhe kannte. Fort von denNachtlokalen, in denen Frauen fast so freiwaren wie Männer“. Sie will nicht „an dieStille denken, die an der Endstation ihrerReise auf sie wartete, an die Trostlosigkeit.“Die deutsche Sicht (Becker hat mehrereRuhrgebietsromane geschrieben, aberauch eine „literarische Seelenkunde Tschechiens“,betitelt „Warten auf Kafka“) dekonstruiertdurch diesen auch feministischfundierten Metropolenvergleich aufliebevoll-ironische Weise den Prager Mythos.Dabei wird die deutsche Hauptstadtkeineswegs idealisiert: „Die durchzechtenNächte in diesem schmutzigen, wuseligenMoloch. Wunderschön. Vorbei.“Wer hier an filmische Umsetzung denkt,liegt ganz richtig: Noch vor seiner Publikationgehörte „Die Schatten von Prag“ zuzwölf ausgewählten Stoffen, die auf demMünchener Filmfestival Produzenten derFilmbranche vorgestellt wurden. Im Untertitelwird dieser Roman als „Kischserster Fall“ angekündigt, und wenn manweiß, dass „Egonek“ entscheidende Hinweisezur Aufdeckung des SpionagefallsOberst Redl und dessen Selbstmord gelieferthat, ein frühes Glanzbeispiel für europäischeninvestigativen Journalismus,kann man sich vorstellen, was da noch sokommen könnte.Die Schatten von PragKischs erster FallRomanVon Martin Becker undTabea SoergelKanon 2025312 S., geb., € 24,70
DIE FURCHE · 198. Mai 2025Literatur19Von Rainer MoritzWer sich mit ernsthafterGegenwartsliteratur auseinandersetzenwill undsich von dieser ästhetischeAufbrüche erhofft,muss zwangsläufig damit rechnen, gefordertzu werden. Anspruchsvolles oder garInnovatives gibt es nicht zum intellektuellenNulltarif. Der 1976 geborene SchweizerJonas Lüscher gehört zu den Autoren, diesich nicht unter ihr Niveau begeben wollen.Unverkennbar in der Tradition der klassischenModerne des 20. Jahrhunderts stehend,versucht er deren Erzählverfahrenweiterzuentwickeln.Sein neuer Roman „Verzauberte Vorbestimmung“verweigert sich in allem einergängigen Markterwartung an ein süffiges,leicht konsumierbares Schreiben. Bereitsder ambitionierte Titel – eine Eindeutschungvon enchanted determinism, wasden magischen Effekt beschreibt, dass dieResultate der Künstlichen Intelligenz oftverzaubern, ohne in ihrem Hergang verstandenzu werden – und das possierlichkleinteiligeCover signalisieren unmissverständlich,dass es hier nicht um plumpenMainstream geht.Vermeintlicher FortschrittLüscher inszeniert in den fünf Kapitelnseines Romans ein Erzählen, das nicht aufeinen durchgängigen Plot ausgerichtet istund stattdessen durch Leitthemen und-motive einen Zusammenhang suggeriert,den die Leserinnen und Leser schrittweiseselbst herzustellen haben. Die Zeit- undRaumspanne reicht vom Ersten Weltkriegin Flandern bis hinein in eine nahe Zukunftim ägyptischen High-Tech-Kairo. Ein Ich-Erzähler fungiert als Reiseleiter, der in dieFerne aufbricht, nachdem er eine extremeLebensphase hinter sich hat – wie der AutorJonas Lüscher, der in den Anfängen der Corona-Pandemieschwer erkrankte, lange imKoma lag und dem Tod nur knapp entging.Dieser Erzähler führt anfangs in dasJahr 1915, als ein junger, von den Franzosenangeworbener algerischer Soldat gegendie Deutschen kämpft und einem Giftgasangriffgerade noch entkommt. SeinEntsetzen über die neue durchtechnisierteKriegsführung mündet in seiner Verweigerungund dem Appell „Einer musste damitaufhören“. Wer nun erwarten würde, inder Folge einen pazifistischen Antikriegsromanvorgesetzt zu bekommen, sieht sichenttäuscht. Denn alsbald geht es um Jahrzehnteweiter, und wir sehen den einstigenKombattanten als gealterten Briefträger inLyon, wo er sich mit einer Kellnerin überihren Heimatort Hauterives im DépartementDrôme unterhält.Dorthin zieht es Lüschers Erzähler, indie kleine Gemeinde, wo sich ein andererBriefträger namens Ferdinand Chevaleinen architektonischen Traum erfüllte.Mit kritischem Blick und stilistischer Brillanzunternimmt Jonas Lüscher in seinem neuenRoman „Verzauberte Vorbestimmung“ eineambitionierte Reise durch Raum und Zeit.Der Mensch,die Technik,die ZukunftJahrelang sammelte er auf seinen TourenSteine und baute daraus einen bizarrenTraumpalast, seinen „Palais idéal“. WurdeCheval anfangs als Kauz, als Verrückterverschrien, fand das Bauwerk des „Westentaschen-Pharaos“nach und nach Anklangbei Künstlern wie André Breton oder PabloPicasso und entwickelte sich zu einerTouristenattraktion.Die Gänge des Erzählers durch Hauteriveswerden durch die Lektüre seines KollegenPeter Weiss grundiert, der einst selbstwährend einer Lebenskrise nach Frankreichfuhr und dem sonderbaren PostbotenCheval einen Essay widmete. Weiss, der eineReferenzgröße für den ganzen Romanbleibt, ist es auch, der das bestimmendeThema anklingen lässt. Sein frühes Gemälde„Die Maschinen greifen die Menschenan“ sagt unverhohlen, worum es JonasLüscher in seinem so disparat, so unverbundeneinherkommenden Roman geht:um die Bedrohung des Menschen durchdie Technik und die Industrialisierung, diejeden Fortschritt nutzt, um Profit zu erzielen,koste es, was es wolle.Von Südfrankreich aus geht es, vorbeiam Kernkraftwerk Marcoule, weiter nachVarnsdorf, das einst als „Manchester Böhmens“galt. Die Webereien dort geben Anlass,ein neues historisches Kapitel aufzuschlagen,an die Ludditen zu erinnern, jeneTextilarbeiter, die im England des frühen„ Die Sicht auf eine hoch komplexeWelt braucht eine Sprache, die demgerecht wird. Über eine solche verfügtJonas Lüscher zweifelsohne. “Foto: iStock/duncan1890 (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)19. Jahrhunderts gegen die Verschlechterungihrer Arbeitsbedingungen kämpftenund zum Sturm auf die Maschinen bliesen.Führten die Exkursionen des Erzählerszuerst in die Vergangenheit, nach Flandern,Südfrankreich oder Böhmen, so bewegensich die (nicht zum Stärksten desBuches zählenden) Schlusskapitel in diedurchtechnisierte Gegenwart, ja in dieZukunft. Mit Befremden und Widerwillenstreift der Erzähler durch die gespenstischePlanstadt Neu-Kairo, wo Administrationszentrenund riesige Hotelanlagenerrichtet wurden und wo es für ein „natürliches“menschliches Leben keinen Platzmehr zu geben scheint.Wie gesagt: „Verzauberte Vorbestimmung“thematisiert auf seinen verschlungenenPfaden, was die Technik den Menschenzumutet – unter der Prämisse einesvermeintlichen Fortschritts und einer kapitalistischenWohlstandssicherung, diegesellschaftliche Spaltungen in Kaufnimmt. Trotzdem bleibt in Lüschers Technikschelteein Zwiespalt, den der Erzählernicht zu leugnen vermag. Denn dieser weißganz genau, dass er während der Pandemiedem Tod nur von der Schippe sprang, weiler als eine Art Cyborg von hochmodernenmedizinischen Apparaturen umzingeltwar, denen er sein Überleben verdankte.Diese Ambivalenz tut Lüschers Roman gut.Warnung vor KlammergriffWas haben wir mit „Verzauberte Vorbestimmung“nun vor uns? Einen Geniestreich,der zeigt, dass moderne Literaturnicht im Mustopf des Epigonalen verharrenmuss? Oder ein aufgeblähtes Sammelsurium,das künstliche Bedeutsamkeitsuggeriert? Sicher ist, dass Lüschers plotfernesErzählen viele Vorgänger hat unddass er gewiss nicht der Erste ist, der vordem Klammergriff moderner Technologienwarnt. Doch ebenso unbestreitbar ist, dassLüschers Schreiben eine hohe stilistischeBrillanz aufweist und dankbar macht, etwasanderes lesen zu dürfen als die bei seinenKolleginnen und Kollegen so beliebtenstakkatoartigen, simplen Satzfolgen. DieSicht auf eine hoch komplexe Welt brauchteine Sprache, die dem gerecht wird. Übereine solche verfügt Jonas Lüscher zweifelsohne– und über die Fähigkeit, faszinierendvergangene Welten zu erschließen und dieArbeiteraufstände in England ebenso plastischzu schildern wie die Palastträumeeines französischen Postboten.VerzauberteVorbestimmungRomanvon Jonas LüscherHanser 2025352 S., geb., € 26,80LEKTORIXDES MONATSMit Wörtern sausenBuchpreis von FURCHE,Stube und Institut für Jugendliteraturwolkenschaumgedichte fürkinderVon MichaelHammerschmidIllustrationen vonMaría José deTelleríaJungbrunnen 202532 S., geb., € 18,–Ab 3 JahrenVon Juliane Zachwar / bevor ich war?“ – das isteine Frage, die Menschen schon„wasin ihrer Kindheit und später immerwieder intensiv beschäftigt und für diees keine Antwort gibt. Vielmehr führt siezu weiteren Fragen. Das zeigt der in Wienlebende Autor Michael Hammerschmid,der dieses Jahr für seinen Lyrikband „waskeiner kapiert“ (für Leserinnen und Leserab 13 Jahren) mit dem ÖsterreichischenKinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnetwird, gleich im ersten Gedicht seinesneuesten Bilderbuchs. In den zwölf Gedichten,die auf je einer Doppelseite zusammenmit den ausdrucksstarken, dynamischenund leuchtenden Bildern von María Joséde Tellería präsentiert werden, geht es umden Alltag und die Weltwahrnehmung vonIllustration: © 2025 Verlag Jungbrunnen WienKindern, um das leichte Spiel genauso wieum große Fragen. Der Autor verzichtet inseinem Schreiben auf Groß- und Kleinschreibung,geht auch mit der Interpunktionsehr sparsam um, womit er Lesendezum Innehalten bringt. Dadurch entwickeltjedes Gedicht seine eigene Geschwindigkeit,einen eigenen Rhythmus. In „fahrradfahren“etwa steigert sich das Tempovon Zeile zu Zeile, sodass man beim Lesendas Gefühl hat, selbst einen Berg hinunterzu sausen und die Geschwindigkeitam ganzen Körper zu spüren. Mal schneller,mal langsamer, mal stockender, malgeschmeidiger lesen sich die sprachspielerischenTexte und immer ist zu spüren,wie nahe der Autor an den Kindern dranist. Wenn es etwa im Gedicht „nur noch“heißt: „einmal bitte / noch mal spaß / nurnoch / zweimal / nur noch / einmal“ spielensich vor dem inneren Auge der Vorlesendenund Kinder vermutlich viele ganzverschiedene Szenen ab. Michael Hammerschmidzeigt auch, dass Kinder im Verhandelnschon von klein auf groß sind. Und: ImGegensatz zu ihren Diskussionspartnernermüden sie die ewig gleichen Diskussionennicht, im Gegenteil, für „noch malspaß“ ist es das allemal wert.In anderen Gedichten wie „in der früh“,„zwischen den tropfen“ oder „ich spüreden boden“ vermittelt der Lyriker einfühlsam,wie intuitiv Kinder handeln können,wie wach und intensiv sie vieles wahrnehmen,wie sehr sie im Moment leben unddanach handeln, wie sie sich fühlen: „hiergeh ich / nicht weiter / hier bleibe ich /stehen / hier ist es schön / hier hören diefüße auf“, heißt es in „hier bleibe ich stehen“.Dazu stellt die Illustratorin in leuchtendenwarmen Farben Kinderfigurenaufs Blatt, die entspannt und gut gelauntdurch ihre Welt gehen und rollern. Da geselltman sich gerne dazu.
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