DIE FURCHE · 1914 Diskurs8. Mai 2025ERKLÄRMIR DEINEWELTIch drücke denDaumen fürMatteo ZuppiDen gesamten Briefwechselzwischen Hubert Gaisbauerund Johanna Hirzberger könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.Hubert Gaisbauerist Publizist. Er leitete dieAbteilungen Gesellschaft-Jugend-Familie sowieReligion im ORF-Radio.„ Eine besondereVerbindung zwischenFranziskus und mirhat es aber dennochgegeben, von derallerdings nur ichgewusst habe. “Da will ich Sie nun in Ihrer Erwartung nicht enttäuschenund – wie Sie zu Recht vermutet haben– doch noch ein paar Worte über den verstorbenenPapst schreiben, auch wenn es ausschaut, als müssteauch ich unbedingt noch eine kleine Eule ins eh schonüberbevölkerte Athen tragen.Zuvor habe ich noch eine dringende Bitte an Sie: DrückenSie – für mich, für den seligen Franziskus und vorallem für die Welt – den Daumen, dass der nächste PapstMatteo Maria Zuppi heißt! Den wünscht sich Franziskus,das weiß ich! Beiden geht es ja um eineoffene Kirche, dass sie die Menschenversteht, begleitet und umarmt.Dafür steht auch Zuppi.Es ist nun einmal so: Ich bin PapstFranziskus einfach dankbar für soviel „geistiges Rückenstärken“ undErmutigung. Leider habe ich ihnpersönlich nie getroffen. Aber immerhinhat er mir schriftlich ausrichtenlassen, dass er das Büchleinüber die Enzyklika Laudato si, dasich für meine Enkelin Caro und Co.geschrieben habe, eine „ausgezeichnete Idee in großartigerWeise verwirklicht“ genannt hat. Auch wenn’s wahrscheinlichnur ein Sekretär geschrieben hat – es machtsich gut auf der Rückseite des Buches.Eine besondere Verbindung zwischen Franziskus undmir hat es aber dennoch gegeben, von der allerdings nurich gewusst habe. Zumindest so lange, bis ich es allen erzählthabe, auch denen, die es vielleicht gar nicht hörenwollten. Es war – bzw. ist für mich noch immer– das gleicheModell seiner und meiner Armbanduhr (ich habe esrecherchiert!): relativ klein, in einer stillen Art elegant,schwarz und weiß, water-resistant, verlässlich. Ich trages immer noch und hoffentlich so lange, wie mir – undmeiner Uhr – eben Zeit gegeben ist. Aber schon ein bissltraurig – hier. Er braucht ja keine Uhr mehr – dort. Hätteer eine, dann müssten darauf keine Zeiger und keine Ziffernmehr stehen. Nur das Wort „immer“. Ähnlich wie einKünstler und lieber Freund tatsächlich eine Armbanduhrentworfen hat, an der zwar Zeiger, aber keine Ziffernsind, dafür aber das Wort „jetzt“. Das hätte für Franziskusauch sehr gut gepasst; er hat immer gewusst, wiespät es ist – und wie bald es zu spät sein könnte. Er warder Tag- und Nachtwächter, der immerdie Stunde der Zeit gerufen hat.Bobo-UhrenDa fällt mir jetzt – völlig unpassend– eine Geschichte aus jenerZeit ein, als man die besseren Leutin der Stadt, die etwas auf sich hielten,noch gerne „Bobos“ genannt hat.Da ist es auch um Armbanduhrmodellegegangen, allerdings um andere– und zwar am Handgelenk vonSpitzenpolitikern, denen man dann„luxuriösen Lifestyle“ vorgeworfen hat. Ich hatte damalsschon die Uhr des Franziskus entdeckt, aber eben nichtnur, weil seine mit meiner so geschwisterlich verwandtwar. Um eine dieser Bobo-Markenuhren könnte man vermutlicheinige hundert „Papstuhren“ kaufen. Vor dreiJahren hatte sich Franziskus tatsächlich eine neue gekauft,natürlich wieder die gleiche Marke und Ausführung– und die alte hat er für eine amerikanische Stipendienstiftungversteigern lassen. Erlös: über 50.000Dollar. Einfach zum Nachdenken.Mit der nochmaligen Bitte um besagtes Daumendrückengrüße ich Sie herzlich!KOMMENTARFriedrich Merz startet mit einem Kratzer im Lack ins AmtEs war ein Moment der Irritation in Deutschland. Als FriedrichMerz am vergangenen Dienstag im ersten Wahlgangzur Kanzlerwahl im Bundestag durchfiel, war das Staunengroß. Die Öffentlichkeit wurde Zeugin eines Bruches mit derparlamentarischen Konvention, die mehr ist als ein bloßes Ritual:Denn wer sich wie CDU, CSU und SPD in einer Regierungsmehrheitzusammengeschlossen hat, trägt diese Entscheidung in bewährterManier gemeinsam– auch in der Wahlkabine. Doch genaudas geschah diesmal nicht. 621 Stimmen wurden abgegeben, 310votierten dabei für Merz als Kanzler, 307 dagegen (316, also dieHälfte der Stimmen aller Abgeordnetenplus eins, hätte er gebraucht;es galt der Grundsatz der geheimenWahl). Dabei hätten die dreiRegierungsparteien insgesamt 328Stimmen zusammengebracht. Darauserschließt sich, dass sich offensichtlich18 Abgeordnete des MerzLagers der Stimme enthielten oderbewusst gegen Merz votierten. EineTatsache, die schon jetzt als historischer Tabubruch bezeichnetwerden kann. Denn die Abgeordneten hatten durch ihre Entscheidungnicht nur einen Kollegen geschwächt, sondern die Handlungsfähigkeitdes Parlaments aufs Spiel gesetzt – und zwar innerhalbeines der sensibelsten politischen Akte der Demokratie.Politische Unverbindlichkeit im Schutz der geheimen WahlÜber die Motive der „Abtrünnigen“ kann derweil nur spekuliertwerden. Wollten sie Merz einen Denkzettel verpassen?Vieles spricht für diesen kalkulierten, aber symbolträchtigen„ Das Mandat eines Abgeordnetenist kein privates Gewissensexperiment.Wer eine Koalition eingeht, ihrenVertrag unterschreibt, übernimmtVerantwortung.“Dämpfer. In politischen Kreisen kursiert die Vermutung, dasses sich bei den Abweichlern um Abgeordnete aus den Reihen derUnion (CDU/CSU) gehandelt haben könnte – insbesondere ausdem liberalen Flügel der CDU oder von jenen, die Merz’ autoritärenFührungsstil skeptisch sehen. Auch aus der CSU, die traditionellsensibel auf Fragen der Mitgestaltung reagiert, könnteneinzelne Nein-Stimmen gekommen sein – nicht aus grundsätzlicherAblehnung, sondern aus Unmut über mangelnden Einfluss.Manche interpretierten das Abstimmungsverhalten garals Ausdruck von Gewissenstreue – als Moment demokratischerReifung. Doch dieser moralischeAnstrich verklärt, was in Wahrheitein beunruhigendes Symptomist: ein schwindender Respekt vorstaatlicher Verantwortung.Denn das Mandat eines Abgeordnetenist kein privates Gewissensexperiment.Es ist ein öffentlicherAuftrag. Die Wahl eines Kanzlersist kein Ausdruck parteilicherVorlieben, sondern ein elementarer Akt demokratischer Verpflichtung.Wer eine Koalition eingeht und ihren Vertrag unterschreibt,übernimmt Verantwortung – auch für Entscheidungen,die nicht mit persönlicher Sympathie einhergehen. Sich dem zuentziehen, im Schutz der geheimen Wahl, ist kein Ausdruck innererFreiheit, sondern ein kalkulierter Akt politischer Unverbindlichkeit.Natürlich ist es legitim, Merz’ Führungsstärke in Frage zustellen, seinen Stil kritisch zu sehen. Aber genau dafür ist dasVorfeld der Koalitionsverhandlungen da. Wer nach all diesenProzessen dennoch in der Mehrheit bleibt,trägt das Ganze – oder stellt sich ehrlichund in aller Öffentlichkeit dagegen. Was inder ersten Runde aber stattfand, war dasGegenteil: ein politischer Schlingerkurs Von Brigitte Quintohne Konsequenz.Bis zur zweiten Abstimmung mussten dann Gespräche geführtund wohl interne Kompromisse geschlossen werden. Da die Geschäftsordnunggeändert werden musste, damit der zweite Wahldurchgangnoch am selben Tag durchgeführt werden konnte,mussten Merz und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil noch dieZustimmung anderer Parteien einholen. Besonders brisant: Auchvon den Linken, um nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen zusein. Am Ende erhielt Merz dann mit 325 Stimmen doch noch einesolide Mehrheit. Doch der Makel bleibt. Natürlich bei Merz selbst.Aber auch bei jenen, die ihre Stimme als Machtspiel missbrauchthaben – auf Kosten der institutionellen Stabiltät.Das gefährliche Spiel mit der symbolischen OppositionGerade in einer Zeit, in der die Demokratie unter Druck steht –von außen durch autoritäre Strömungen, von innen durchschwindendes Vertrauen – sind verlässliche Verfahren entscheidend.Wer in einem solchen Moment mit symbolischer Oppositionspielt, riskiert mehr als eine Delle im Karriereprofil einesKandidaten. Er riskiert die Glaubwürdigkeit von demokratischenProzessen.Die Lehre aus diesem Vorgang ist unbequem: Die geheime Wahlschützt das Gewissen – aber sie entbindet nicht von der Verantwortung.Wer sich zum Regieren bekennt, muss es auch tun. Nichtirgendwann. Sondern genau dann, wenn es darauf ankommt.Medieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Viktoria Kapp BA, Dipl.-Soz. (Univ.)Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin Tauss, Astrid Wenz-Theriault MAArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. 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DIE FURCHE · 198. Mai 2025Diskurs15Was als postmoderne Relativierung der Wahrheit begann, endet in der postfaktischen Entwürdigungdes Meinungsgegners – mit dem Ziel, das demokratische Leben zu zerstören. Ein Gastkommentar.Von Kant zu Kickl:Ein AbsturzAls ich in den 1970er Jahren Philosophiestudierte, wurde viel überargumentative Umgangsformendiskutiert. Schon damals gab esStimmen, die von der „objektivenWahrheit“ sprachen, als ob es sich dabei um einInstrument der Unterdrückung von Meinungsvielfalthandelte. Wahrheitsrelativismus wareine ernstzunehmende Position angesichts dervielen Kulturen. Damals ahnte freilich kaumjemand, wohin die Liberalität in Wahrheitsfragenführen sollte.Wenn heute ein Politiker von der „Coronalüge“spricht, dann braucht er gar nicht mehrzu präzisieren, worüber wer wann wo gelogenhat. Es ist unter dem Vorzeichen des Wahrheitsrelativismuseinfach das gute Recht einer jedenPerson, ihre eigene Meinung öffentlich kundzutun,ohne noch im anderen das – mit Kant gesprochen– Vernunftwesen zu achten.Erst kürzlich nannte Herbert Kickl anlässlichder Wien-Wahl den siegreichen sozialdemokratischenBürgermeister „diesen bladenHerrn Ludwig“. Und das war eine sehr mildeForm jener verwilderten Sprache, welche derObmann der rechtspopulistischen FPÖ immerwieder zum Einsatz bringt, teils zur Gaudi,teils als verbalen Totschlagversuch. Die WienerEx-Koalition aus Sozialdemokaten undGrünen sei eine „Gruppe von Amokläufern“gewesen, „der Kanzler ein Blindgänger undder Präsident VdB der größte Staats- und Demokratiegefährder“.Von „roten und schwarzenMaden“ ist die Rede, auch davon, dass derBundespräsident „eine senile Mumie“ sei, „eineSchlaftablette, die seit Jahren im Wachkomaliegt“.Hass auf „die da oben“Man könnte über derlei Entgleisungenschweigend hinweggehen, aber das würdenichts helfen, denn sie werden in den SozialenMedien augenblicks zu Lachschlagern, wobeidas politische Kabarett den allzeit bereitliegendenHass auf „die da oben“ anstachelt. In denUSA beschimpfte der amtierende Präsident dieDemokraten als „radikale Irre“, „Kriminelle“und „kranke Leute“, unangepasste Richter als„linksradikal“, seinen Vorgänger als sabbernden,senilen, „verrückten Typen“.Foto: Christian JungwirthZwischen Österreich und Amerika liegt derAtlantik, aber was die Enthemmung der Sprachebetrifft, so schließt hier eine Verrohungan die andere. Denn es geht um dasselbe Ziel.Man möchte endlich Schluss machen mit denmoderaten, überlegten Gesprächsformen, inderen Rahmen wahrheitsorientierte Kompromisseausgehandelt wurden, die dem Gemeinwohldienten. Stattdessen will man ein öffentlichesKlima schaffen, in dem die Angst umgeht.Wer sich gegen die Willkür der Herrschendenauflehnt, muss damit rechnen, als „verbrecherisch“oder „wahnsinnig“ etikettiert zu werden.Zugleich versammeln die Machtträger ihreDIESSEITSVON GUTUND BÖSEVon PeterStrasser„ Verwilderte Sprachewie die vom ,bladenHerrn Ludwig‘könnte am Endeeine Gewaltdynamikin Gang setzen.“Anhängerschaft um sich, indem sie mit patriotischenParolen und WohlstandsversprechungenStimmung machen, ohne sich noch umFakten zu kümmern. Was als Wahrheitsrelativismusan den Denkschulen begann, endet alsbrutales Anything goes – als Politik der Willkür.In diesem Kontext der wahrheitsignorantenMobilisierung funktionieren die Worte der Verächtlichmachungund des Hasses als Vorlaufbewegungzu handgreiflichen Aktionen.Muss man nicht etwas unternehmen gegendie Maden und Zombies im System? Man sollte,man muss! Am 6. Jänner 2021 verfolgt DonaldTrump am Fernseher den Sturm auf das Kapitol,Sitz des US-Kongresses. Er genießt den Staatsstreich,den seine „Proud Boys“ schwerbewaffnetanführen, ihre Rädelsführer begnadigt derfrisch ins Amt eingeführte Präsident.Es gibt Diktaturen des Schweigens. In ihnenfunktionieren die Menschen mit wenigen,todesmutigen Ausnahmen wortlos, widerspruchslos.Man denke an Russland, China,Nordkorea oder das Volk unter der Fuchtel derMullahs. Demgegenüber sehen sich die Möchtegerndiktatorenund psychopathischen Politpopulistenim Westen gezwungen, den Auffassungsgegnermöglichst wortreich zu verunglimpfen.Es mag in manchen Ohren paradoxklingen, aber dies ist ein Beleg dafür, dass dasdemokratische Leben, wenn auch in irritierterund bedrohter Form, vital existiert. Nochspringt das Gewissen der Öffentlichkeit auf dasLügengespinst der rabiaten Populisten mehrheitlichan. Aber wie lange überwiegt die Abscheuvor Lüge und Denunziation den auf derLauer liegenden Mobbingimpuls?„Schlemmerei“ auf Staatskosten?Es gibt also nicht nur Höflichkeitsgründeoder übertriebene Empfindlichkeiten, warumman gegen die Verwilderung des politischenDiskurses anschreiben sollte – wie im Fall des„bladen Herrn Ludwig“. Denn obwohl sich dieseriösen Medien distanzieren mögen, betrachtetdas zum politischen Amüsement neigendePublikum die negativ markierte Person fortanmit anderen Augen. Nicht nur Hohn, auch Misstrauenregt sich, nämlich dahingehend, ob sichdie Leibesfülle des angegriffenen Politikersnicht einer „Schlemmerei“ auf Staatskosten,gar einer korrupten Amtsführung verdanke.Und das ist ein ziemlich harmloses Beispiel …So gesehen ist die Sorge angebracht, ob diewahrheitsentkoppelte Verrohung der Spracheunter Sozialstress – wir leben in Zeiten des Klimawandels,der Rezession, zunehmender Ungleichheit– nicht politische Verwerfungen zurFolge haben könnte. Diese könnten ihrerseitseine Gewaltdynamik in Gang setzen, deren totalitäreFolgen die Geschichte unseres Landesnicht zum ersten Mal verunstalten würde.Der Autor ist Professor i.R. für Philosophie ander Universität Graz.ZUGESPITZTKompromittierenfür KardinäleEs muss kein lediges Kind sein wieim Film „Konklave“. Es gab undgibt auch andere Möglichkeiten, potentiellePapstkandidaten unmöglichzu machen. Die volle Pracht derKompromittierung werden Menschenjenseits der Sixtinischen Kapellezwar niemals erfahren; aberein paar Eindrücke von der Kunstder Intrige konnte man im Vorfelddieses Konklaves durchaus gewinnen.Der Klassiker waren körperlicheUnzulänglichkeiten, im Fall vonKardinalstaatssekretär Pietro Parolinetwa das Gerücht von einemSchwächeanfall. Raffinierter war daschon das Bändchen „CardinalemCollegii Recensio“, das offenbar allePurpurträger als Willkommensgeschenkerhielten – und das hübscheEinblicke in die Giftküche der Franziskusgegnerbot. Luis Tagle zeigeetwa als „asiatischer Franziskus“gern Emotionen und habe „inkohärente“Moralpositionen; und KardinalMatteo Zuppi sei überhaupt einlinker Modernist und zudem Freimaurerfreund.Péter Erdő hingegenkönne wieder für rule of law im Vatikansorgen; und Robert Sarah wäreendlich wieder ein defender of thefaith. Wie der Heilige Geist das allessieht, war bei Redaktionsschluss leidernoch unbekannt. Über den Umstand,dass Matteo Zuppi einmal„Imagine“ von John Lennon sang,sieht er womöglich sogar hinweg.Doris HelmbergerPORTRÄTIERTMit dem Klavier Grenzen überschreitenEr begegnet dem Klavier wie einem Körper, mitseinem eigenen, mit dem ganzen Körper. Er hautin die Tasten und greift in die Saiten, er stöhnt undsummt – dann wieder treibt er mit leisen Tönen seinemPublikum die Tränen in die Augen. Seine Solokonzerteschreiben Orte in die Musikgeschichte ein: Oslo, Bremen,Lausanne, Kyoto, Osaka, Nagoya, Tokio, Sapporo,Bordeaux, Wien ... – und nicht zuletzt Köln, wo vor 50Jahren das mit rund vier Millionen Exemplaren meistverkaufteSolo-Album eines Jazzpianisten entstand.Just an dem Tag, als die deutsche Wehrmacht endlichkapituliert, am 8. Mai 1945, erblickt Keith Jarrett in Allentown,Pennsylvania, das Licht der Welt. Bereits mit fünfJahren tritt das Ausnahmetalent in einer TV-Show auf,sein erstes Solokonzert spielt der US-amerikanischePianist mit sieben. Mit seiner damaligen KlavierlehrerinNatalie Guyer bleibt er bis zu deren Tod 1987 in Kontakt.Jarrett hat finanziell schwierige Jahre zu überstehen,bis ihn Art Blakey für die Jazz Messengers holt, JackDeJohnette ihn hört und an Charles Lloyd empfiehlt, indessen Quartett Jarrett vier Jahre lang hymnische Erfolgefeiert, während er parallel weiterhin auch im Trio mitPaul Motion und Charlie Haden spielt.Mit einer Einladung des Plattenproduzenten ManfredEicher nach Oslo beginnt 1971 die gemeinsame Geschichtemit dessen Firma ECM, die Jarretts unwiederholbare,einzigartige, weltweite Soloauftritte festhält.Mit Jack DeJohnette und Gary Peacock lässt der Pianistdas Great American Songbook neu auf- und weiterleben.Sein Umgang mit dem Instrument scheint ebenso innigwie auch exaltiert, kaum zu glauben, dass es Phasenin Jarretts Leben gibt, in denen ihm das Spielen schwerfällt.Doch die gibt es. Lange leidet er an einem Fatigue-Syndrom, das Album „The Melody at Night, with You“,seiner zweiten Frau gewidmet, entsteht 1998 in undtrotz völliger Erschöpfung. In den letzten Jahren trittder Pianist – nach Schlaganfällen lässt ihn seine linkeHand im Stich – nicht mehr auf.Er, der unter anderem auch Bach, Mozart und Schostakowitschinterpretierte, erhielt 2003 als erster den oftals Nobelpreis der Musik bezeichneten schwedischenPolar Music Prize alleine; zuvor war dieser immer an jeeinen Vertreter von klassischer und populärer Musikgegangen. Es ist nicht die einzige Überschreitung vonGrenzen, die diesem Klaviervirtuosen gelungen ist. (Brigitte Schwens-Harrant)Foto: Getty Images / Hiroyuki ItoKeith Jarrett im Juni 2001in der Carnegie Hall beimJVC Jazz Festival: Er feiertam 8. Mai 2025 seinen80. Geburtstag.
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