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DIE FURCHE 08.05.2025

DIE FURCHE · 1910

DIE FURCHE · 1910 Religion8. Mai 2025Von Magdalena SchwarzDass das Phänomen„Konklave“ einen Nervtrifft, zeichnete sichschon vergangenesJahr ab, als der gleichnamigeFilm weltweit über 116Millionen US-Dollar einspielte.Diese Popularität ist beachtlichfür ein zweistündiges Drama über108 ältere Herren, die sich in derSixtinischen Kapelle einsperren,um den nächsten Pontifex zu wählen.Weiter angeheizt wurde dasKonklave-Fieber diesen Frühling:Papst Franziskus erkrankte undverstarb, und so schienen die aufder Leinwand dargestellten Intrigenplötzlich Realität werden zukönnen – und dadurch noch spannender.Ralph Fiennes hin oderher: Die brillanteste Fiktion istniemals so fesselnd wie die Wirklichkeit.Ein Ventil findet das Interessenun in einer online genutztenAusdrucksform: dem Meme(ausgesprochen „Miem“).Dabei handelt es sich um ironischeBilder, Texte oder Kurzvideos,die meist von Privatpersonenerstellt und auf Instagram,Facebook oder Tiktok verbreitetwerden. „Memes greifen auf humorvolleoder satirische Weisekollektive Erfahrungen oder kulturelleWerte auf und kommentierendiese“, sagt die KulturwissenschafterinEva Schörgenhuber.„Sie leben davon, bekannte Formate,Aussagen oder visuelle Elementein neue Kontexte zu überführen.“Wer ein bestimmtesMeme erfunden, verändert oderweitererzählt hat, das weiß am Endeniemand mehr. Das Prinzip istdasselbe wie beim Witz, den derWirt seinem Gast, der Gast seinerFrau und die Frau ihrer Arbeitskolleginerzählt – nur, dassMemes sich dank Digitalisierungrasend schnell und global verbreiten.(Rasant verbreitete sich vergangenesWochenende auch das KIgenerierteSelbstporträt Trumpsals Papst, vgl. Seite 1.)DouzePoints ...Die Dramatisierungund MachtinszenierungdesKonklaves ist vielenZuschauendenheute nur mehrdurch Film undFernsehen – wieetwa den SongContest – bekannt.GLAUBENSFRAGEEin Papst der MuslimeWen würden Muslime zum Papst wählen, wennsie denn könnten? Die Antwort liegt für vieleauf der Hand: jemanden wie Papst Franziskus.Er hat mit seiner offenen Haltung gegenüber der islamischenWelt Maßstäbe gesetzt. Er besuchte Abu Dhabi,Bahrain, Marokko und den Irak – symbolisch starkeOrte, die weit über die rituellen Gesten hinaus eineBrücke zwischen den Religionen schlagen sollten. Vor allemdas „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“,das Franziskus 2019 gemeinsam mit GroßimamAhmad al-Tayyeb von al-Azhar in Abu Dhabi unterzeichnete,gilt als Meilenstein im interreligiösen Dialog. So bedeutenddas Dokument in seiner Symbolkraft ist, es istleider weitgehend folgenlos geblieben. Es wurde kaumtheologisch weiterentwickelt, noch hat es den interreligiösenDiskurs in der muslimischen Welt grundlegendverändert. Das Papier wirkt wie ein Leuchtturm, der hellaufscheint, aber niemandem wirklich den Weg weist.Umso wichtiger wäre es, dass der nächste Papst dieseoffene, dialogorientierte Haltung nicht nur fortsetzt,Die Papstwahl versetzt auch Instagram, Facebook und TikTok inAufruhr. Memes sind zwar neu, doch kirchenkritische Satire istkeineswegs eine Erfindung des digitalen Zeitalters.Das Internet imKonklave-FieberWie ein Formel-1-Grand-PrixDie meisten der Konklave-Memes sind wohlgesinnt bis amüsant.Im Großen und Ganzen zelebriertdie Online-Community denprogressiven Franziskus sowieliberale Papst-Kandidaten, wieden philippinischen Kardinal LuisAntonio Tagle. (In konservativenOnline-Foren mag das anderssein). Die bissigeren Memes zieleneher auf die pompöse Selbstinszenierung,die Ungleichbehandlungvon Frauen oder den hohen Altersschnittbei der Papstwahl ab.Schörgenhuber kann nachvollziehen,warum das Konklave inden sozialen Medien mit Sportereignissenwie dem Formel-1-Grand-Prix, Super-Bowl-Finaleoder TV-Formaten wie „Germany‘sNext Topmodel“ verglichenwird. „Memes können komplexe,traditionsreiche Ereignisse – wiejene des Konklave – durch moderneReferenzen veranschaulichen“,erklärt sie. „Die geheimen Abstimmungen,ritualisierten Abläufeund symbolträchtigen Zeichen,wie der weiße Rauch, wirken heutenahezu inszeniert und laden zurpopkulturellen Neudeutung ein.“Die Dramatisierung und Machtinszenierungin einem Gruppengefüge,das den jüngeren Generationeneher aus Film und Fernsehenbekannt ist, würden sich ideal aufdas Konklave überstülpen lassen,sagt die Kulturwissenschafterin.„Besonders geeignet für die Entstehungund Verbreitung von Memessondern vertieft. Ein möglicherKandidat, der für einige Muslimeein Hoffnungsträger sein könnte,ist der Lateinische Patriarch vonJerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa. Gerade Jerusalemist ein Ort, der wie kein anderer für das Spannungsfeldund das Potenzial religiöser Versöhnung steht.Seine Wahl wäre nicht nur ein Zeichen der Kontinuität,sondern auch ein Appell: Religion darf im Nahostkonfliktnicht länger als Teil des Problems gelten, sondernmuss Teil der Lösung werden. In einer Zeit, in derPopulismus weltweit zunimmt, braucht es ein Oberhaupt,das Brücken baut, nicht aus diplomatischer Höflichkeit,sondern aus tiefer theologischer Überzeugung.Franziskus hat diese Brücken begonnen. Wer auch immerihm folgt, sollte den Mut haben, sie zu betreten undweiterzubauen.Der Autor leitet das Zentrum fürIslamische Theologie an der Uni Münster.Von Mouhanad Khorchidesind Ereignisse, die visuell prägnant,emotionalisiert, kollektivwahrgenommen und offen für ironischeRe-Interpretationen sind.“Deshalb taugen neben politischenauch religiöse Ereignisse so gutfür die Meme-Produktion.Ganz so trivial, wie sie auf denersten Blick wirken, sind Memesalso nicht, sagt Schörgenhuber.Denn sie ermöglichen unter anderemgesellschaftspolitischeKritik. „Ähnlich wie satirischeFormate können sie politische Positionierungenvermitteln odersoziale Spannungen ironisch zuspitzen,und das auf visuell prägnante,spielerische und niederschwelligeWeise. Die meistenOnline-Witze über die Papstwahldienen der Unterhaltung, aber esLesen Sie schonFURCHE-Newsletter?Ihre ausgewähltenLieblingsthemen ab soforttäglich in Ihrer Mailbox.Bild: Magdalena Schwarz (unter Verwendung eines Bildes von APA / AFP / Dimitar Dilkoff)Jetzt neu:täglicheRessort-NewsletterJetzt anmelden:furche.at/newslettergibt durchaus auch Memes, die etwaironisch die mangelnde Diversitätder Kardinäle aufgreifen.Manche mögen die digitale Satirepietätlos oder blasphemisch finden.Neu ist das Phänomen abernicht. Denn Memes lassen sichlaut der Kulturwissenschafterindurchaus mit Karikaturen, Witzen,Flugblättern oder Graffiti vergleichen:„Die gezielte Subversionbestehender Normen teilen dieseFormen“. Seit Anbeginn des Buchdruckswurden politisch-oder sozialkritischeZeichnungen verbreitet.Diese waren oft substanzieller,wenn auch nicht unbedingt subtilerals die heutigen Memes. Wohlgemerktwar der Papst damalseiner der global mächtigsten Männer,der in der Weltpolitik kräftigmitmischte.Französischer FäkalhumorWährend der protestantischenReformation im 16. Jh. floriertedie anti-klerikale Satire. Zur Zeitder französischen Revolution warPapst Pius VI. das Motiv mehrererKarikaturen – kein Wunder,zeigte er sich doch empört überdie Säkularisierung und die neueErklärung der Menschen- undBürgerrechte. „Kann man sich etwasUnsinnigeres ausdenken alseine derartige Gleichheit und Freiheitfür alle zu dekretieren?“ erzürntesich das Kirchenoberhauptin einem öffentlichen Brief vom10. März 1791. In einer hämischenDarstellung aus demselben Jahrwischt sich ein französischer Bürgermit dem Schriftstück den Allerwertestenab. Satirisch-visuelleKritik an Papst und Kirche istalso keineswegs eine Erfindungder Internetkultur. Sogar das Wort„Meme“ hat eine Vorgeschichte. Esgeht auf den britischen EvolutionsbiologenRichard Dawkins zurück,der in den 1970ern die Theseaufstellte, dass sich Ideen in einerKultur nach ähnlichen Prinzipienverbreiten und miteinander wettstreitenwie Gene im Gen-Pool.Schörgenhuber prognostiziertübrigens, dass den Konklave-Memes ein jähes Ende droht. Denngerade Event-spezifische Hypeswie jener rund um die Papstwahlseien flüchtig. Wie die katholischeKirche das Interesse beurteilt, istunklar, jedenfalls sollte sie sich andie Aufmerksamkeit nicht gewöhnen.Denn genauso rasch, wie dieFußball-Weltmeisterschaft vieleHobbysportler zu Nationalteamtrainernund das Konklave einigeFilm-Fans zu Papst-Expertenmacht, so schnell ebbt der digitaleVatikan-Wahn auch wieder ab.„ Die geheimen Abstimmungen und Symbole, wieder weiße Rauch, wirken nahezu inszeniert undladen zur popkulturellen Neudeutung ein. “Eva SchörgenhuberJournalismusmit Sinn.

DIE FURCHE · 198. Mai 2025Religion11Von Till SchönwälderSchlafe ausreichend,nimm dir Zeit zum Essen,habe einen strukturiertenTagesablaufund meditiere: In densozialen Medien erklären unzähligeselbsternannte Lebensberaterinnenund -berater ihren Followern,was sie tun müssen, umein zufriedenes und „gelungenes“Leben zu führen. „All das, wonachdie Menschen mühsam suchenund meinen, es bei Mentalcoacheszu finden, bekommen wirim Orden am Präsentierteller“,sagt Schwester Nathanaela Gmoserim Gespräch mit der FURCHE.Schwester Nathanaela ist Ordensfraubei den Benediktinerinnender Anbetung in Wien-Ottakringund arbeitet außerdem als Berufungscoachin.Das heißt, sie berätMenschen, die sich für einOrdensleben interessieren, abergenauso auch Klientinnen undKlienten, die auf der Suche nachihrer „Berufung“ im ganz weltlichenLeben sind. Eines stellt dieBenediktinerin dabei gleich zuBeginn des Gesprächs klar: „OhneEigenverantwortung geht esnicht.“ Dass einem im Ordenslebenalles abgenommen wird, seiein Gerücht. „Man ist verantwortlich,ich kann auch im Ordenslebenmein Leben gestalten undgut leben oder ich kann auch einfachnur dahin wurschteln.“Keine Lifestyle-BeratungDementsprechend skeptischist sie gegenüber Coaches, die insinuieren,man müsste nur einebestimmte Formel befolgen, umglücklich oder erfolgreich zu werden.„Es gibt heute so viele Berufungenund Möglichkeiten, dasmacht es für die Menschen zumTeil so schwierig, sich zu entscheiden.“Letztlich ist Schwester Nathanaelaüberzeugt, schlummerebei den allermeisten Suchendenbereits eine Berufung; „Ich kannnur anbieten, einen Raum aufzumachen,um diese freizulegen.“Mit einer Lifestyle-Beratung imherkömmlichen Sinn habe dasnichts zu tun. „Was soll ich studieren?Was mache ich nach einerKündigung oder nach der Pensionierung?“Ihre Klientinnen undKlienten seien zwischen 20 und65 Jahre alt. Alle verbinde aber ei-HINTERGRUNDBenediktinerinnenSchwester Nathanaela Gmoser(37) ist Ordensfrau derBenediktinerinnen der Anbetungin Wien-Ottakring. DieGemeinschaft entstand im 19.Jahrhundert im Geiste desHeiligen Benedikt von Nursia.Neben der benediktinischenLebensweise und der eucharistischenAnbetung zeichnetsie das soziale Engagementaus. In Österreich gibt eszwei Benediktinerinnen-Klöstermit 21 Schwestern. (TS)Viele Menschen sind heute überfordert, ihre „Berufung“ zu finden.Die Ordensfrau Nathanaela Gmoser bietet Coaching abseits derSelbstoptimierungsmaschinerie und Ratgeberliteratur an.„Aus dem Vorraumder Möglichkeitenkommen“Berufungscoaching soll Wege aufzeigen und den Menschen helfen, ihre Fähigkeiten zu entdecken.ne gewisse Unruhe, „zu spüren, dafehlt etwas oder ich bin nicht dort,wo ich sein sollte oder ich bin unsicher,ob ich am richtigen Platz bin“.So ein inneres Ringen könnequälend sein, so Schwester Na-Foto: Missiothanaela, „man kann dieses Gefühlzwar eine Zeit lang beiseiteschieben,aber irgendwann gehtdas nicht mehr“. In so einer Situationhelfe dann ein Berufungscoachingals Begleitung von außen.„Wir helfen den Menschen, ihreFähigkeiten zu heben, die Leutewissen es eigentlich, sie bringenes manchmal einfach nicht raus.“Wenn es an die Umsetzung geht,würden es viele zudem mit derAngst zu tun bekommen, „weilman eben tausend Möglichkeitenhat“, ist die Ordensfrau überzeugt.„Wenn man aber nie durcheine Tür geht, lebt man sein Lebenimmer im Vorraum der Möglichkeiten.“Dass die Menschenangesichts der vermeintlich sogroßen Zahl an Möglichkeiteneinfach nicht ins Tun kommen,sei für sie eine der Gefahren derheutigen Zeit.Auch für das Ordenslebenbrauche es gewisse Talente. Essei ein Missverständnis, zu glauben,dass es meist diejenigen„ Zu spüren, da fehlt etwasoder ich bin nicht dort, wo ichsein sollte oder ich bin unsicher,ob ich am richtigen Platz bin.So ein inneres Ringen kannquälend sein. “Schwester Nathanaela Gmoserseien, die sich für ein Leben imKloster entscheiden, die unfähigsind, „im echten Leben“ zurechtzukommen,„die jemandenbrauchen, der ihnen sagt, wiedas Leben läuft“. Ebenso, dassdie Orden sowieso jeden und jedeaufnähmen, weil sie ja nehmenmüssten, was sie kriegen. „Alldas ist falsch und wird auch keinevernünftige Ordensgemeinschaftmachen“, stellt SchwesterNathanaela klar. „Heute gehendiejenigen ins Kloster, die ganzbewusst diesen Schritt machen.Das sind vernünftige, gut ausgebildete,absolut lebensfähigeFoto: Unsplash.com/@geranimoPolitikwissenschafterMichaelGirkinger überdas Strebennach dem„besseren Ich“(20.9.2023) auffurche.at.Menschen, die sagen, ich hörediesen Ruf und diese Einladungvon Gott und ich antworte darauf.Und nicht, ich bin verzweifelt amLeben und jetzt flüchte ich michins Kloster.“Das würde auch auf Dauer nichtfunktionieren, denn das Ordenslebensei durchaus herausfordernd:„Es fordert gewissekörperliche und auch psychischeVoraussetzungen. Jede Ordensgemeinschaftverlangt auch eine abgeschlosseneAusbildung oder einStudium.“ Das bedeute nicht, dassman fix, fertig und perfekt seinmüsse, „aber ich glaube, es ist einbisschen eine Fehlinformation,die so herumgeistert, von wegen,die bringen halt nichts fertig, alsogehen sie halt ins Kloster“.So komme es nicht selten vor,dass sie ihren Klientinnen undKlienten davon abrate, in einenOrden einzutreten. „Erst neulichkam eine Frau zu mir, die unbedingtund sofort ins Kloster eintretenwollte. Ich habe dann gefragt,warum sie so einen Stresshat. Während des Gesprächs kamdann heraus, dass sie eigentlichnur aus einer anderen Situationrauswollte, das ist aber diefalsche Motivation“, so die Benediktinerin.Berufung sei immereine beidseitige Sache, sie gehesowohl von der Person aus, aberimmer auch von der Ordensgemeinschaft,die diese prüfen undbestätigen muss. „Ich kann nichtkommen und sagen, ich habe eineBerufung, ihr müsst mich nehmen.“Wenn eine Ordensgemeinschafteine Kandidatin oder einenKandidaten ablehne, bedeute dasnicht, dass sie sich das nicht antunwolle, „sondern weil manmerkt, das tut ja auch der Personnicht gut“.Aufholbedarf in sozialen NetzenDass die Ordensgemeinschaftenimmer kleiner und älter werden,ist ein Fakt und kann auchnicht so einfach umgekehrt werden,sagt Schwester Nathanaela.Aufholbedarf orte sie aber etwabei der Präsenz der Orden in densozialen Medien. „Da sehe ich eineLücke und wir versuchen diesegerade zu füllen.“ Bei der Berufungspastoralinitiative„Gott ruft“wolle man mit Youtube-Videos imVlog-Stil die verschiedenen Spiritualitätenund Charismen der Ordenerklären, auf der Webseitegott-ruft.com können Interessierteaußerdem einen Berufungscheckmachen. Es seien in letzter Zeit immermehr junge Ordensleute undPriester online und in den sozialenNetzen unterwegs. So könneman auch dazu beitragen, mehrfaktenbasiertes Wissen über dasOrdensleben unter die Leute zubringen, und sie vielleicht auch dazubringen, selbst nachzufragenund nachzuforschen.Diese Seite entstand inKooperation mit den OrdensgemeinschaftenÖsterreichs.Die redaktionelleVerantwortung liegt beider FURCHE.

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