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DIE FURCHE 08.05.2024

DIE

DIE FURCHE · 19 20 Architektur 8. Mai 2024 Von Isabella Marboe Hermann Czech ist die graue Eminenz der heimischen Architekturszene. Er ist einer ihrer eigenwilligsten, originellsten Protagonisten. Lang als Geheimtipp gehandelt, hat er längst Kultstatus erlangt. Czech ist Jahrgang 1936, sein gebautes Werk überschaubar, aber von einer gedanklichen Dichte, die ihresgleichen sucht. Seine Schriften und Projekte sind immer mit Erkenntnisgewinn zu lesen. Ihr Einfluss auf Rezeption und Produktion von Architektur ist groß und von internationaler Reichweite. Mit dem jungen, siebzehnköpfigen Kollektiv AKT gestaltete er 2023 den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. Er thematisierte die Auswirkungen des Biennale-Betriebs und Biennale-Tourismus auf die Stadt und gab deren Bevölkerung ein Podium – ein absolut zeitgemäßer Ansatz und typisch für Czech: Seine Architektur bezieht Stellung. Die Personale in der Galerie fjk3 am Franz-Josefs-Kai 3 zeigt auch viele ungebaute Projekte sowie Statements zur Stadt, die ihm immer noch wichtig sind. Der kritische U- Bahn-Netz-Entwurf des Jahres 1966 mit der arbeitsgruppe 4 (Friedrich Kurrent, Johannes Spalt, Hugo Potyka, Otto Steinmann), die Konzeptskizze für Hochhäuser jenseits des Donaukanals, 1972. Radial angeordnet, bleiben sie lang verdeckt und erscheinen schlank. Das Café der Schönbrunner Gloriette wollte Czech unter zwei Glaskuppeln auf die Flachdächer der Seitenflügel stellen. „Die jetzige Lösung zerstört ihre Silhouettenwirkung“, bemerkt er nicht zu Unrecht im FURCHE-Gespräch. Kein Abo? Jetzt DIE FURCHE 4 Wochen gratis lesen • frisch gedruckt vor die Haustür • online inkl. E-Paper für unterwegs • alle Artikel seit 1945 im FURCHE-Navigator Jetzt bestellen: Hier anmelden furche.at/abo/gratis +43 1 512 52 61 -52 aboservice@furche.at Pssst! Erzählen Sie es gerne weiter ;) Lesen Sie auch „Hermann Czech: Der Architektur- Denker“ von Isabella Marboe (17.11.2021) auf furche.at. Foto: Lisa Rastl „Ungefähre Hauptrichtung“: Die Galerie fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst zeigt eine außergewöhnliche Schau zum vielfältigen Schaffen des Architekten Hermann Czech. Gedanken werden Raum Größtmögliche Selbstverständlichkeit „Ungefähre Hauptrichtung“ heißt die Ausstellung; Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß, Fiona Liewehr und Hermann Czech kuratierten sie gemeinsam. Zu sehen ist „fast mein gesamtes Werk, bis auf 15 Prozent“. Realisierte, projektierte, zerstörte Bauten und Inneneinrichtungen, Wettbewerbsbeiträge, Entwürfe, Ausstellungsgestaltungen, originale Möbel, Lampen, Modelle und dicht beschriebene Zettel. Czech misstraut allen Sicherheiten und trifft doch immer höchst präzise Entscheidungen. „Im Prinzip gibt es in der Architektur zwei Hauptrichtungen“, sagt er. Die eine ziele auf den möglichst hohen Effekt der Kategorie „So etwas habe ich noch nie gesehen“. Die andere wolle jeweils das Beste machen, was möglich sei. „Das Beste ist sehr oft, wenn nicht sogar meistens etwas, das nach Nichts ausschaut“, so Czech, eindeutig ein Vertreter der zweiten Denkungsart. „Meine Hauptrichtung in der Architektur ist eine gewisse Selbstverständlichkeit. Ich wähle zunächst einen methodischen Einstieg und orientiere mich an den Tatsachen.“ Czechs Architektur nährt sich aus vielen Quellen. In jedem Projekt stecken enormes theoretisches Wissen, eine profunde Kenntnis der Wiener Moderne, insbesondere der Gedankenwelt von Adolf Loos, Josef Hoffmann, Josef Frank, Konrad Wachsmann und seine Methodik, dazu eine genaue Beobachtung menschlichen Verhaltens, gelebte Erfahrung und das zähe Ringen um die jeweils angemessenste Lösung. Seine große Stärke ist das kleine Format, so ist das „Kleine Café“ am Wiener Franziskanerplatz längst eine Institution. Es wurde erstmals 1970 umgebaut und „ Die Ausstellung hat zwei Eingänge und in diesem Sinn keinen Anfang. Man kann überall hängenbleiben, wie im Leben. “ Hermann Czech 1973/74 um eine ehemalige Fleischhauerei bis zum Franziskanerplatz hin erweitert. Ortsangemessen grün gestrichen wirkt es, als wäre es immer schon da gewesen. 1977 wurde im unteren Teil der Boden erneuert. Czech verlegte ausrangierte Grabsteine in einer bezugsreichen Form, zu der er unter anderem folgende Assoziationen notierte: Großwildhaut, Vagina dentata, Erdspalt, kurz: Eros und Tod. Sehr wienerisch, 2017– 2020 bauten Hermann Czech, Walter Angonese und ARTEC Architekten (Bettina Götz und Richard Manahl) das Sigmund-Freud- Museum zu einem der besten Ausstellungshäuser in Wien um. Entspannte Dichte In den Lokalen von Hermann Czech löst sich die dichte Überlagerung unterschiedlichster Stilmittel und Überlegungen in einer absolut entspannten Atmosphäre auf. Diese spezifische Qualität lässt sich im „Immervoll“, dem „Salzamt“, der „Wunderbar“, dem „CinCin“ unmittelbar und unkompliziert erleben. Das Restaurant Ballhaus, das er 1961–1962 mit Wolfgang Mistelbauer und Reinald Nohàl neu gestaltete, gehörte seinem Vater Josef, war sein erster Auftrag und zu seiner Zeit eine absolute Ausnahmeerscheinung. Die Methodik der Wahl ist eine manieristische Collage – noch dazu opulent gemustert – und damit damals förmlich visionär. „Es geht über eine vordergründig sachliche Vorgangsweise hinaus“, sagt Czech. „Wir haben scheinbar als Zitat Tapeten- und Stoffmuster sowie ein Sesselmodell von Josef Hoffmann verwendet. Allerdings liegen die Entwürfe Jahrzehnte auseinander. Stoff und Tapete sind von 1907 und 1913, 1936 in Wien geboren, ist Hermann Czech einer der eigenwilligsten, originellsten Protagonisten der heimischen Architekturszene. Neues Opernflair Mit der 1991–1994 geplanten Winterverglasung der Loggia (Bildmitte) verlieh Hermann Czech der Wiener Staatsoper eine neue Optik. der Sessel aus dem Jahr 1929.“ Der dafür entworfene Kerzenleuchter, der nun in einer Reedition wieder aufgelegt wurde, beruht auf der Beobachtung, dass Kerzen blenden. Deshalb hat er Ringe, oben matt, unten verspiegelt, die beim Abbrand das Kerzenlicht reflektieren, ohne zu blenden. Wie bemerkt man so etwas überhaupt? „Na ja, wenn Sie im Finstern stehen – im Luftschutzkeller zum Beispiel. Und Sie haben nur eine Kerze und sehen nicht, wer da jetzt dahinter sitzt, weil diese Flamme der einzige Lichtpunkt ist und blendet.“ Die Architektengruppe Propeller z baute die Galerie fjk3 im Jahr 2010 um, entfernte überflüssige Einbauten und legte auf diese Weise eine leicht geknickte Sichtachse über 35 Meter durch die gesamte Tiefe des Hauses frei. Sie reicht vom Eingang am Franz- Josefs-Kai bis zu jenem an der rückwärtigen Wiesingergasse. „Die Ausstellung hat zwei Eingänge und in diesem Sinn keinen Anfang. Man kann überall hängenbleiben, wie im Leben“, sagt Czech. „Man macht ja im Leben die Erfahrungen auch nicht in didaktischer Reihenfolge, sondern wie es halt kommt, und irgendwie ergeben sich Foto: APA/Helmut Fohringer dann Zusammenhänge.“ Auch die mental map dieser Ausstellung lässt sich so erschließen. Eine Treppe aus zwölf Millimeter starkem, schwarzem Stahl führt ins Untergeschoß, in die Welt der Lokale, Cafés und zu den Ausstellungen. Hier installierte Czech eine zweite Stiege. Sehr schmal, aus Holz, auf eine eigenwillige Art gewendelt: Sie ist ein räumliches Erlebnis. „Die Idee stammt von einem anderen Entwurf, der nicht ausgeführt wurde.“ Die Stiege hatte er für einen Dachaufsatz mit einem großen Sitzplatz von vier mal vier Meter geplant. Jeder, der hinaufstieg, wäre mit dem Kopf in der Mitte des Tisches aufgetaucht. Hermann Czech Ungefähre Hauptrichtung fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst Bis 9.6.2024, Mi–So 12–18 Uhr, Fr 12–20 Uhr fjk3.com

DIE FURCHE · 19 8. Mai 2024 Film 21 Fernab der Trickfilm-Platzhirsche Pixar und Disney ist Pablo Berger mit „Robot Dreams“ ein ebenso einfacher wie berührender Animationsfilm gelungen. Wie die Tiere Von Walter Gasperi Detailreich bietet Pablo Berger in der Eröffnungsszene Einblick in den monotonen und einsamen Alltag eines New Yorker Hundes. Nicht nur bei diesem Auftakt sind Worte überflüssig, sondern auch in den folgenden hundert Minuten verzichtet der Spanier in seinem unter anderem mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten Animationsfilm auf jeden Dialog. Allein mit Bildern, Blicken, Gesten und der Musik wird erzählt. Menschen bleiben außen vor, die Leinwand wird ganz Tieren überlassen. Als ein Werbespot im Fernsehen einen Roboter als Freund anpreist, ist das Produkt rasch bestellt, und auch die Zusammensetzung der Einzelteile bereitet dem Hund kaum Schwierigkeiten. Aber nur kurz währt das Glück, denn bald werden Hund und Roboter bei einem Strandausflug getrennt. Doch der Hund versucht alles, um seinen Freund zurückzugewinnen. So einfach „Robot Dreams“, der auf der gleichnamigen Graphic Novel der US-amerikanischen Autorin und Illustratorin Sara Varon beruht, auf den ersten Blick mit seinen einfärbigen Figuren und der sorgfältigen Gestaltung jedes Bildes ist, so begeisternd ist doch seine Liebe zum Detail. Der Fokus liegt zwar ganz auf dem Hund und dem Roboter, doch immer wieder kommen auch andere Tiere von einer Kuh als Lieferant des Roboters über ein Krokodil und dessen Sohn als Schrotthändler bis zu einem Nashorn und einem Tintenfisch als Straßenmusikanten oder Kaninchen als Ruderern ins Spiel. Wenn diese unterschiedlichen Spezies friedlich zusammenleben, ist das wohl auch als Metapher für das menschliche Zusammenleben im multikulturellen Schmelztiegel New York zu lesen. Erzählerische Funktion haben diese Tiere keine, gewinnen im Grunde auch kaum Profil, sorgen aber für eine Vielfalt, die ebenso beglückt wie die liebevolle Gestaltung der Schauplätze, die sich an realen Plätzen des New Yorks der 1980er Jahre – vom Central Park bis zum Ocean Beach – orientieren. Charmant zitiert der Spanier, der selbst in New York studierte und an der New York Film Academy unterrichtete, dabei auch aus Woody Allens „Manhattan“ die berühmte Einstellung an der Queensboro Bridge. Über ein Jahr spannt Berger die Suche des Hundes, beschwört die wechselnden Jahreszeiten und stellt den Bemühungen „ Charmant zitiert der Spanier Berger, der selbst in New York studierte, auch aus Woody Allens Film ,Manhattan‘ die berühmte Einstellung an der Queensboro Bridge. “ Human and animal In „Robot Dreams“ haben Tiere menschliche Eigenschaften. Anspielungen an die Realität sind durchaus erwünscht. des Hundes die Erfahrungen des Roboters gegenüber. Großartig pendelt der Film in zahlreichen hinreißenden Szenen dabei immer wieder zwischen der Realität und einer Traumwelt, deren Glück immer wieder mit einem ebenso abrupten wie überraschenden Rückfall in die triste Wirklichkeit zerstört wird. Bis zum Ende versteht es „Robot Dreams“ so, immer wieder zu überraschen. Mag es dabei in diesem Animationsfilm, der Menschen jeden Alters begeistern kann, rein äußerlich auch um Tiere gehen, so ist Berger im Kern doch ein zutiefst menschlicher und von Menschenliebe durchzogener Film gelungen. Denn unglaublich liebevoll und charmant – und ebenso berührend wie beglückend – erzählt er von Einsamkeit und Freundschaft, von Trennung und Sehnsucht, aber auch von der Möglichkeit eines Neubeginns, in dem sich Melancholie über Verlorenes und Freude am Neuen die Waage halten. Robot Dreams E/F 2023. Regie: Pablo Berger. Animationsfilm Polyfilm. 102 Min. HORRORFILM Zu Hause herrscht das blanke Grauen Nicht erst seit Lovecrafts Erzählung „Die Ratten im Gemäuer“ üben unerklärliche Geräusche hinter der Tapete eine unheimliche Faszination aus. Diesem Gefühl des Unbehagens ist auch der Horrorstreifen „Knock Knock Knock“ auf der Spur, in dem der schüchterne und in der Schule gehänselte Peter (Woody Norman) seltsame Klopfgeräusche aus der Wand seines Kinderzimmers hört. Er klopft zurück – und bald kommuniziert er mit einem Mädchen, das ihm einreden will, dass seine Eltern nicht das sind, was sie scheinen. „Knock Knock Knock“ braucht lange, um in die Gänge zu kommen, überzeugt dann aber mit umso heftigeren Schocksequenzen. Das Motiv der Spinne (im Original heißt der Film „Cobweb“) wird bildästhetisch schön durchvariiert, um eine Atmosphäre zwischen kindlichem Trauma und märchenhafter Imagination zu etablieren. Regisseur Bodin, der hier sein US- Debüt vorlegt und Genrefreunden bereits aufgrund der französischen Netflix-Serie „Marianne“ (2019) aufgefallen sein dürfte, agiert durchaus kompetent. Mit der subtilen Charakterzeichnung von „Marianne“ kann der Film jedoch nicht mithalten, dafür geben die Figuren zu wenig her. Den Nebenstrang rund um eine besorgte Vertretungslehrerin (Cleopatra Coleman) hätte man komplett streichen können. Dafür holen die unheimlichen Eltern aus ihren wenigen Dialogzeilen das Maximum heraus: Der als psychopathischer Superheld aus der Serie „The Boys“ bekannte Antony Starr lässt einem nur durch sein Grinsen einen Schauer über den Rücken laufen, während Lizzy Caplan als bemühter Mutter ständig das Lächeln einzufrieren droht. Der wahre Horror, er ist in den eigenen vier Wänden zu Hause. (Philipp Waldner) Knock Knock Knock (Cobweb) USA/BG 2023. Regie: Samuel Bodin Mit L. Caplan, A. Starr, W. Norman. Tobis. 88 Min. Der achtjährige Peter (Woody Norman) blickt durch die Wand in die Abgründe seiner Eltern. EPISODENFILM Absurde Szenen eines Regimes PRÄSENTIERT Dass trotz der Repression durchs Mullah-Regime iranische Filme auch auf Festivals reüssieren, zeigt, dass Kunst und Kreativität bis heute nicht zu brechen waren. „Irdische Verse“, der Episodenfilm von Ali Asgari und Alireza Khatami, ist ein Zeugnis, wie man geradezu lakonisch und mit rabenschwarzem Humor das System sich selbst ad absurdum führen lässt. Auch wenn einem das Lachen im Hals steckenbleibt. Neun Szenen, in denen Bürger gefilmt werden, die jeweils vis-à-vis einem unsichtbaren (aber hörbaren) Gegenüber sitzen und ein normales Anliegen haben, reiht der Film aneinander. Ein frischgebackener Vater will den Namen David für seinen Sohn eintragen lassen – doch der nicht zu sehende Standesbeamte verweigert dies. Eine Taxifahrerin fordert ihr abgeschlepptes Auto zurück, doch die Polizeiangestellte will sie der Missachtung der Tschador-Pflicht überführen. Ein anderer holt seinen Führerschein ab, doch der Scherge hinter der Kamera zwingt ihn, sich auszuziehen und die eintätowierten Verse des persischen Dichters Rumi vorzulesen, um ihn dann für psychisch ungeeignet zu erklären, ein Fahrzeug zu lenken. Und ein Arbeitssuchender soll Koransuren zitieren (was er nicht kann), damit er als Bauarbeiter genommen wird. Oder es meldet sich eine junge Frau auf eine Stellenanzeige – und muss sich sexueller Anzüglichkeiten des präsumtiven Arbeitgebers erwehren … Neunmal Alltag im Iran, in dem sich die Büttel des Regimes über Bürger hermachen. Seit Kafka weiß man ja: Absurdes kann an die Existenz gehen. „Irdische Verse“ gibt dieser Absurdität ein Gesicht – auch wenn die Täterinnen und Täter eben nicht zu sehen sind. Großartiges Kino. (Otto Friedrich) Ein Vater (Bahram Ark) will seinen Sohn David nennen – was dem Standesbeamten missfällt. Irdische Verse (Ayeh haye zamini) Iran 2023. Regie: Ali Asgari, Alireza Khatami Mit Bahram Ark, Arghavan Shabani, Servin Zabetian. Filmladen. 77 Min. FILMMONTAG GOTT EXISTIERT ... ... in Brüssel! Christian Rathner/ORF und Otto Fried- rich/FURCHE- Autor zeigen und analysieren Jaco Van Dormaels Komödie mit biblischen Anklängen, „Das brandneue Testament“ (2015). Montag, 13. Mai, 19 Uhr, Otto-Mauer- Zentrum, 1090 Wien, Währinger Str. 2–4, Infos: www.kav-wien.at

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