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DIE FURCHE 08.05.2024

DIE

DIE FURCHE · 19 2 Das Thema der Woche Den Garten essen 8. Mai 2024 AUS DER REDAKTION Eskalation, Aufruhr, Abgrund: Das ist die globale (mediale) Realität, in der wir gerade leben – von Russland über Gaza bis zum Gift des Antisemitismus, das sich dieser Tage in allen Winkeln der Erde zeigt, just in der Woche des Gedenkens an die Befreiung vom Nazi-Terror. An der Columbia University, wo der Streit über Israels Politik und die Grenzen der Meinungsfreiheit zuletzt eskalierte, hat u. a. Paul Auster studiert – und schon damals selbst sein „Anderssein“ erlebt, wie Brigitte Schwens-Harrant in ihrem Nachruf schreibt. Wie sehr die globale Weltordnung in Aufruhr begriffen ist und wo hier Europa bleibt, erhellt der renommierte Politikwissenschafter Herfried Münkler. Beim 12. Pfingstdialog „Geist & Gegenwart“ wird er die Keynote halten, im FURCHE-Interview formuliert er schon jetzt seine Gedanken. Nicht minder spannend ist die letzte Folge unserer Reihe zu den großen Fragen des Immanuel Kant. „Was ist der Mensch?“: Über nichts Geringeres diskutieren die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und der Biologe Kurt Kotrschal. Auch die „Katholische Aktion Österreich“, die dieser Tage ihr 75-jähriges Bestehen feiert, stellt sich dieser Frage in angewandter Form. Und literarisch nähert sich ihr Karl-Markus Gauß in seinem neuen Buch „Schiff aus Stein“. Dass der Mensch immer auch Natur ist und braucht, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Fokus „Den Garten essen“ von Martin Tauss. Je größer der Aufruhr, desto größer die Sehnsucht, sich zu erden. (Doris Helmberger) Von Dagmar Weidinger Das Bücherregal schwingt zur Seite, und ein fröhliches „Hello, good morning!“ schallt durch den Raum. Kloe Wood, Besitzerin des „Botanical Bed and Breakfast“, betritt mit strahlendem Gesicht das Zimmer. Es ist acht Uhr, Frühstückszeit. Wood, die gemeinsam mit ihrem Partner Adam Carveth auf der anderen Seite der Regaltür wohnt, balanciert ein Tablett mit drei roten, bauchigen Schalen und einer duftenden Kanne Kaffee auf ihren Armen. Elegant stellt sie alles auf dem großen Holztisch ab und beginnt zu erklären: „Was haben wir heute? Es gibt Porridge mit Fuchsienblüten und Heidelbeeren. Alles regional angebaut. Die Blumen wachsen gleich hinter dem Haus in unserem Garten.“ Tatsächlich wird die 35-jährige Gastgeberin auch an den kommenden Tagen kein Frühstück ohne bunte Blüten- und Blättergarnierung servieren. Das hat nicht nur mit Genuss und Ästhetik zu tun, hier geht es um große Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, Klimaresilienz sowie neue Ess- und Konsumgewohnheiten. Ein Aufenthalt hier ist mehr als eine normale Übernachtung im Urlaub. Es bedeutet das Eintauchen in einen magischen Kosmos von essbaren Blüten, Nesseln und Wurzeln. Auch ist das über hundert Jahre alte Haus mit seinen dicken Mauern weit mehr als eine normale Pension. Es ist Labor für diverse botanische und ökosoziale Projekte der „Two Green Shoots“, wie sich Wood und ihr Partner nennen. „Ist das euer erster Aufenthalt in Glengarriff?“, fragt sie und deutet zum Fenster. Vom Haus aus sieht man bis zum Meer in die Bantry Bay. Sie ist eine von vielen Buchten im äußersten Südwesten Irlands. Fünf Landzungen greifen „ Ein Aufenthalt ist hier erst ab drei Nächten zu buchen. Die Reisenden sollen Zeit haben, sich mit der üppigen Natur vor Ort vertraut zu machen. “ hier wie die Finger einer Hand in den Atlantik. Durch den Golfstrom gibt es rund um Glengarriff ein ganz besonderes Mikroklima mit subtropischer Vegetation. Das Schwimmen im Atlantik ist hier so warm wie ansonsten selten in Irland. Der Ort hat dafür eigens Badeplätze gebaut – direkt neben Foto: Dagmar Weidinger exotischen Baumriesen wie dem Arbutus unedo, dem Westlichen Erdbeerbaum. Viele Touristen verirren sich dennoch nicht nach Glengarriff, und wenn dann eher solche, die es gerne langsamer mögen. Dementsprechend bietet auch Wood einen Aufenthalt erst ab drei Nächten an. Die Reisenden sollen Zeit haben, sich mit der Natur hier vertraut zu machen. Sie hat dafür ein eigenes Konzept entwickelt, von dem sie auf einem Spaziergang nach dem Frühstück berichtet. „Alternativ“ trifft „konservativ“ Kleine Steinpfade winden sich durch die üppig, zuweilen fast tropisch anmutende Vegetation des sogenannten essbaren Gartens. Gleich neben dem Eingang stehen jede Menge Kräutertöpfe. Vieles davon ist bekannt, aber einiges auch ein „Geheimtipp“, so etwa ein kleines schnittlauchartiges Gewächs mit rosa Blüten – der Lokal versorgt Wer bei Kloe Wood in Glengarriff (West Cork) nächtigt, erhält zum Frühstück wechselnde Kostproben aus dem eigenen Garten (Bild: Porridge mit Heidel beeren und frischen Blüten). Regional, saisonal und vor allem kreativ: Die Änderung der Essgewohnheiten kann im eigenen Garten beginnen. Zu Besuch bei einem nachhaltigen Vorzeigeprojekt im Süden Irlands. Zum Frühstück Blumen „Zimmerknoblauch“. „Diese Pflanze ist sehr widerstandsfähig und wächst überall im Garten“, sagt Wood. Man könne fast jeden Teil von ihr essen. Sie selbst streut die Blüten mit leicht süßlichem Knoblauchgeschmack gerne auf das Frühstücksomelett ihrer Gäste. Während wir weiter spazieren, erzählt uns die Gastgeberin ihre eigene Geschichte. „Ich bin in vielen Gärten groß geworden“, sagt sie. Ihre Mutter sei Künstlerin gewesen, der Vater Kriegskorrespondent für den Mittleren Osten. Zusammen hätten sie ihre beiden Töchter frei und mit vielen Pflanzen und Tieren aufwachsen lassen. Als Wood 13 Jahre alt war, übersiedelte die Familie in genau jenes Haus, in dem Wood und ihr Partner heute leben. Gemeinsam renoviert die Familie das alte Cottage, das zu Beginn mehr einer Ruine ähnelte. Die umgebende Natur erlebt Wood in ihrer Kindheit wie einen riesigen Abenteuerspielplatz. Dennoch will sie West Cork als Teenager so rasch wie möglich verlassen. „Ich war hungrig nach Freiheit“, erzählt Wood mit einem Augenzwinkern. So geht sie gleich nach der Schule nach Großbritannien, wo sie Zoologie, Nachhaltigkeit und Permakultur-Design inskribiert. Bei einem Praktikum lernt sie ihren späteren Partner Adam Carveth kennen. Der gebürtige Engländer aus Cornwall hat Botanik studiert und war bereits Gartenbauer Ihrer Majestät. „Alternativ“ trifft „konservativ“ – so lässt sich das erste Kennenlernen der beiden „Green Shoots“ beschreiben. „Adam war es gewohnt, Gärten nach dem königlichen Regelbuch anzulegen“, berichtet Wood und fügt hinzu: „Es gibt Unmengen an Vorgaben, was man tun darf und was nicht.“ Am strengsten sei die „Royal Horticultural Society“ (RHS) damit, was ein Unkraut sei. Kloe Wood schmunzelt: „Meine Mutter hatte nie ein Regelbuch. Für mich war das etwas Fremdes. Adam hat durch mich seine königlichen Regeln über Bord geworfen.“ Auch die Definition von Unkraut sei eine andere geworden. Nach einigen „Zwischenstopps“ auf den britischen Inseln war es ihre Mutter, die ihnen 2017 Haus und Grundstück anbot. Wood und Carveth wagen den Sprung zurück über die Irische See und übernehmen das Waldland am Fuß des Esk Mountain in Glengarriff. Ziel der beiden ist es von Anfang an, Lokales zu fördern und Neues auszuprobieren, immer sensibel, mit Fingerspitzengefühl und im Austausch mit den Menschen vor Ort. So griff Wood bei den anfänglichen Umbauarbeiten auf lokale Künstler und Handwerker zurück. „Ich mag es, Menschen, die ihr Handwerk geschickt und mit Herzblut ausüben, zu neuen Pro-

DIE FURCHE · 19 8. Mai 2024 Das Thema der Woche Den Garten essen 3 „ Der Sellerie war geschmacklich spannend, musste den Garten aber rasch wieder verlassen. Er wucherte und verdrängte dabei andere Arten. “ BOTANIK FÜR FEINSCHMECKER Kostbare Blüten jekten zu inspirieren.“ Auf diesem Weg entstand auch die Regaltür, die ihr eigenes Zuhause heute von jenem der Gäste trennt. Oder die vier Spinnenschaukeln, die im Garten aufgehängt sind. „Es gibt eine sehr gute Makramee- Knüpferin hier in der Nähe. Ich habe ihr von meiner Vorstellung erzählt, Schaukeln, die aussehen wie Spinnennetze, aufzuhängen“, berichtet Wood. Das Ergebnis ist ein spannendes Upcycling-Projekt, denn die Künstlerin knüpfte die Netze mit Schnüren aus wiederverwertetem Plastik. Wer mag, kann sich sanft in den Schaukeln wiegen lassen und die Blätter des umstehenden Riesenrhabarbers bewundern. In unmittelbarer Nachbarschaft steht eine chilenische Guave mit purpurfarbenen Beeren, nur eines von vielen exotischen Testobjekten der „Green Shoots“. Die Regenwald zone entlang der Küste mache derartige Projekte möglich, erklärt Wood. Subtile Sinnlichkeit Vier Dinge sind ihr für das Ausprobieren neuer Arten besonders wichtig: Die Pflanzen müssten dem Klima entsprechen, gut wachsen, vernünftige Ernte abwerfen, die einfach einzuholen und geschmacklich ansprechend sei, und – am wichtigsten: Sie dürfen nicht invasiv sein. Die Samen und Keimlinge dafür bestellt ihr Partner über das Internet. „Er liebt es, stundenlang dafür zu recherchieren“, erzählt Wood und fügt lachend hinzu: „Die Postler hier kennen bereits unsere speziellen Pakete mit dem Aufdruck keep upright.“ Jede neue Art wird zu Beginn mit äußerster Vorsicht in einem abgetrennten Bereich gezüchtet. So sei der „gigantische Sellerie“ zwar wunderbar gewachsen, wäre geschmacklich spannend, habe den Garten aber dennoch wieder verlassen müssen. „Wir stellten rasch fest, dass er über die Maßen wucherte und andere Arten verdrängte.“ Mit invasiven Arten beschäftigen sich Wood und Carveth auch beim eigenen Rhododendronprojekt. Der saftig grüne Strauch mit den üppigen rosa Blüten findet optimale Bedingungen an der irischen Küste vor. Mitgebracht aus dem Süden von viktorianischen Schiffsleuten, war er von Anfang beliebt und wurde landesweit in den royalen Gärten und Parks gepflanzt. Von dort breitet er sich bis heute massiv über Irland und die Britischen Inseln aus. „Die wenigsten Menschen wissen, wie gefährlich er ist“, sagt Wood ernst. So vergifte die Spezies des Rhododendron ponticum die Erde rundherum und dränge andere Pflanzen stark zurück. Und das in Windeseile aufgrund der raschen Ausbreitung der Samen. In West Cork sind Wood und Carveth daher Teil eines Teams, das sich der Eindämmung seiner Ausbreitung verschrieben hat. Hinter dem Ausprobieren von neuen exotischen und alten regionalen Arten im „essbaren Garten“ steht ein konkretes Anliegen. „Supermärkte liefern nur eine beschränkte Auswahl an Obst, Gemüse und anderen essbaren Pflanzen“, so Wood. „Pflanzen, die es ins Geschäft schaffen, sind für gewöhnlich sehr robust. Sie müssen lange Regalzeiten aushalten.“ Diese Auswahl bedeute eine drastische Reduktion an Geschmack und Nährstoffen. Da- Kloe Wood und Adam Carveth fanden über ihr Interesse für Pflanzen zueinander. Über die Frage, was eigentlich unter „Unkraut“ zu verstehen ist, haben die beiden „grünen Sprösslinge“ zunächst heftig diskutiert. Foto: Two Green Shoots/Kurt Lyndorff bei gäbe es viel mehr an essbarem Grün, so die Expertin für Nachhaltigkeit. „Wir haben uns an wenig Geschmack gewöhnt!“ Auch Woods Lieblingsfrucht, die Mispel, würde es nie ein Geschäft schaffen. Ihr Pro blem ist das Aussehen. Die braune, schrumpelige Frucht, die ein bisschen an kleine Äpfel oder Birnen erinnert, wird nicht umsonst im Englischen als cat’s bum fruit bezeichnet. Geerntet sollte sie erst werden, wenn sie bereits überreif am Baum hängt. Wer dann zugreift, hat eine herrliche Zutat für Chutneys, Marmelade oder Likör. „Am liebsten überbacke ich die Mispeln im Rohr. Ihr karamelliger Geschmack ist einmalig“, sagt Wood. Wer der Irin zuhört, spürt, wie emotional sie bei Begriffen wie flavour und sensory experience wird, also all den subtilen Geschmacksrichtungen, die es zu entdecken gibt. Das tägliche Frühstück für ihre Gäste lässt sie zum sinnlichen Fest werden, denn „über den Bauch sind wir alle erreichbar“. Auch für ernstere Themen wie die Klimakrise, die ein ebenso wichtiger Motor für ihr Projekt ist. Wood und Carveth haben es sich zum Ziel gesetzt, ihren Gästen anhand des eigenen Gartens zu zeigen, was möglich wäre: Neben dem B&B bieten sie Workshops und Exkursionen für Gruppen und Schulklassen an. Sprösslinge „entlassen“ Und sie helfen Privatpersonen, ihre eigenen Gärten „essbar“ zu machen – mit möglichst resilienten Pflanzen. „Künftig werden wir immer mehr unvorhergesehene Witterungen haben“, sagt Wood. Wichtig sei daher, Gärten so anzulegen, dass sie längere Dürrezeiten oder monsunartige Regenperioden überstehen. Dafür ist vor allem das Zusammenspiel von großen und kleinen Pflanzen wichtig – am besten in Form eines „Waldgartens“, mit mehrjährigen Gewächsen. Diese versorgen sich untereinander; der perfekte Nachbau eines natürlichen Ökosystems. „Nur in einem solchen Garten wachsen resiliente Arten“, ist Wood überzeugt und bringt einen Vergleich: „Gärtnerinnen müssen ihre kleinen Sprösslinge so nicht mehr Jahr für Jahr bemuttern, sondern können sie in die Selbstständigkeit entlassen, in dem Wissen, dass sie sich gegenseitig unterstützen werden.“ Am Ende des Spaziergangs, wieder beim Haus: Wood deutet nach oben auf den Holzzaun, der die Veranda umgibt – aus Rhododendronstämmen gemacht. „Das Gute an dieser giftigen Pflanze ist ihr widerstandsfähiges Holz“, so die Botanikerin. „Es verrottet nicht und ist daher perfekt für Gartenarchitektur geeignet.“ Um die Menschen in der Umgebung für die mühsame Entfernung des Rhododendrons zu gewinnen, sei es nötig, ihnen die Vorteile der Arbeit zu präsentieren – in diesem Fall die Weiterverwendung des Holzes. Foto: Dagmar Weidinger Tour mit App: Was kann man hier essen? Der Garten von Kloe Wood und Adam Carveth erstreckt sich über ein weitläufiges Areal mit wilden Zonen sowie Obst- und Gemüsebeeten. Über Holz- und Steinwege kann man die Welt der essbaren Pflanzen erkunden. Die Bestimmung der Arten wird mittels Künstlicher Intelligenz erleichtert: Wer etwa mit der Handy-App „Flora incognita“ unterwegs ist, kann binnen kurzer Zeit zahlreiche Pflanzen identifizieren. Die 2014 in Deutschland entwickelte Anwendung umfasst 16.000 Spezies: Einfach die Kamera auf eine Blume halten, und schon spuckt das Programm wertvolle Infos aus, wie Essbarkeit, Verbreitung, Verwendungszweck, Invasivität etc. Jede gefundene Pflanzenart wird zusätzlich geografisch auf einer Karte verortet und auf dem Handy abgespeichert. So kommt man am Ende einer Tour mit einem digitalen Pflanzenarchiv nach Hause. Zimmerknoblauch Ob roh oder gekocht: Alle Teile der Pflanze (Tulbaghia violacea) sind essbar, von den Knollen über die Blätter bis zu den Blüten. Letztere sind nicht nur eine schöne Dekoration, sondern verleihen auch einen frischen Knoblauchkick, zum Beispiel für Salate oder Risottogerichte. Der Zimmerknoblauch ist kübelgeeignet und kann somit auch auf einem Balkon oder einer Terrasse angepflanzt werden. Fuchsien Die Blüten der Fuchsie (Fuchsia) eignen sich für Salate, Beilagen oder auch zum Würzen von Getränken. Bei Kloe Wood dienen sie zur geschmacklichen Abrundung des Frühstücksporridges (siehe Bild auf Seite 2). Die ebenfalls essbaren Früchte sind leicht säuerlich und sorgen in der Küche für eine zitronige Frische. Diese Fuchsienbeeren können unter anderem zu Marmelade oder Likör verarbeitet werden. Foto: Two Green Shoots/Kurt Lyndorff Foto: Two Green Shoots/Kurt Lyndorff Foto: Two Green Shoots/Kurt Lyndorff Taglilien sind langlebig, anpassungsfähig und gehören zu den pflegeleichten Gartenpflanzen. In Europa sind sie als alte Bauerngartenpflanzen traditionell verankert. Alle Blumen aus der Familie der Tag lilien (Hemerocallis) sind essbar. Es gibt sie in nahezu allen Farbtönen; die gelben und orangen schmecken besonders süß. Tipp: Streut man sie in Salate, geben sie diesen eine knusprige Note.

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