DIE FURCHE · 6 20 Ausstellung 8. Februar 2024 Die Nationalbibliothek zeigt mit einer Schau zum japanisch-amerikanischen Fotografen Yoichi Okamoto eine Ikone der Nachkriegsfotografie. Wie Österreich neu entstand Von Gerald Piffl Seit der ersten österreichischen Publikation zum Werk von Yoichi Okamoto im Jahr 1987 ‒ zwei Jahre nach seinem Tod von seiner Witwe herausgegeben ‒ ist in der Forschung viel passiert. Fotojournalistischen Arbeiten werden nicht mehr nur dokumentarische Funktionen zugeschrieben, vielmehr werden sie als Werke von Fotografinnen und Fotografen anerkannt, deren jeweilige Ästhetik herausgearbeitet wird. So zeigt man nicht mehr bloß das einzelne Bild, sondern es werden die Produktionsbedingungen, der zeitgeschichtliche Hintergrund, die Zusammenhän- Ein Teil der Geschichte Mit seiner Kamera begleitete Yoichi Okamoto (1915‒1985) viele historisch wichtige Entwicklungen und Ereignisse, genauso aber auch Szenen des Alltagslebens. Foto: Österreichische Nationalbibliothek „ Okamotos beste Fotografien aus dem Nachkriegs-Wien sind in ihrer Qualität mit der Werkgruppe ‚Homecoming Prisoners‘ von Ernst Haas, den er schätzte und förderte, vergleichbar. “ ge im Archiv und schließlich die Stellung in Bezug auf das Werk von Kolleginnen und Kollegen hinterfragt. Unter diesem Aspekt betrachtet zeigt sich die aktuelle Ausstellung zu Leben und Werk des japanisch-amerikanischen Fotografen Yoichi Okamoto ‒ ergänzt durch einen ausführlichen Katalog (Residenz Verlag) ‒ auf der Höhe der Wissenschaft. Der private fotografische Nachlass mit 20.000 Negativen und 900 Prints konnte im Jahr 2019 von der Österreichischen Nationalbibliothek erworben werden und wird seither dort erschlossen. Hans Petschar, Direktor des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek sowie Co-Kurator der Ausstellung, bereitete für die Schau die Biografie Yoichi Okamotos ausführlich auf. Geboren 1915 als Sohn japanischer Einwanderer in New York, arbeitete Okamoto bereits in den 1930er Jahren als Pressefotograf. Im Jahr 1945 kam er mit den US-Streitkräften nach Deutschland und in weiterer Folge nach Österreich, wo er einige Zeit später zum persönlichen Fotografen von General Mark W. Clark avancierte und dadurch immer nahe am Geschehen war. Das Ende des Zweiten Weltkrieges und des Dritten Reichs bedeutete nicht nur für das Land, sondern auch für die österreichische Fotografie eine Stunde Null. Daher wurde es ab 1948 Okamotos Aufgabe, als Leiter der Bildabteilung des USIS (United States Information Service) junge österreichische Fotografen in die Dokumentarfotografie amerikanischen Stils einzuführen. In dieser Funktion war er vor allem Mentor und Lehrer und führte im Laufe der Jahre 19 Berufseinsteiger als Staff-Fotografen an jene fotografische Praxis heran, die seit Mitte der 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten die führenden Illustrierten auszeichnete. Während die Fotografen der Pictorial Section der USIS die von den amerikanischen Besatzungsbehörden in ihren Gebieten neu aufgestellten Printmedien mit Bildern belieferten und dabei vor allem die durch den Marshall- Plan unterstützten Wiederaufbauarbeiten zeigten, genauso aber das Alltagsleben, US-Informationszentren und Amerika-Häuser, fotografierte Okamoto die wieder erstarkende österreichische Kunst- und Kulturszene sowie Straßenszenen mit reportagehaftem Charakter. Dabei ist der qualitative Unterschied zwischen den Aufnahmen Okamotos und jenen seiner Mitarbeiter oft augenscheinlich. Herausstechende Qualität Im beginnenden Kalten Krieg sind die Fotografien des USIS vor allem als propagandistisches Instrument zu sehen und eng mit der Nachkriegspolitik verknüpft. Diese Aspekte werden in der Ausstellung ausführlich heraus gearbeitet. Leider wird dabei manchmal das fotografische Moment nachgereiht. Fotografien als Objekten in Form von originalen (Vintage-)Prints hätte man in der Schau mehr Raum geben können. Okamotos beste Fotografien aus dem Nachkriegs-Wien sind in ihrer Qualität mit der Werkgruppe „Homecoming Prisoners“ von Ernst Haas, den er schätzte und förderte, vergleichbar. In diesem Zusammenhang könnte man hinterfragen, inwieweit Okamotos Wien-Bilder Ernst Haas als Inspiration dienten. Offenkundig wird die Qualität Okamotos in jenem Abschnitt der Ausstellung, der einer Schau in der Galerie Würthle gewidmet ist, in der Okamoto vor seiner Rückkehr in die USA 1954 seine Fotografien zeigen konnte. Hier sind einige Fotografien im Original versammelt, die damals zu sehen waren. Ab 1954 arbeitete Okamoto für den Pressedienst der US-Regierung und von 1963 bis 1969 als persönlicher Fotograf von US- Präsident Lyndon B. Johnson. Nicht weniger als 370.000 Fotos sind in diesen Jahren entstanden. Okamoto „erzog“ den Präsidenten dazu, ihn und seine Kamera nicht mehr zu bemerken, wodurch sehr private Einblicke in den Alltag des Präsidenten möglich waren. Die Ausstellung mit ihrem Katalog zeigt ein vielschichtiges Porträt eines Fotografen und seiner Zeit, das vor allem von den erhellenden Texten der Kuratoren und Autoren profitiert. BILD MACHT POLITIK Yoichi Okamoto. Ikone der Nachkriegsfotografie Bis 25. Februar Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek Weiter denken DER FURCHE PODCAST „Die Menschen am Land sind nicht blöder oder böser als in der Stadt“ Der Kabarettist, Schauspieler und Regisseur Josef Hader spricht mit FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger-Fleckl über seinen neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“, den vermeintlichen Kulturkampf zwischen Stadt und Provinz sowie die aktuellen Bedrohungen der Demokratie. furche.at/podcast
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