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DIE FURCHE 08.02.2024

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5 · 1. Februar 2024

5 · 1. Februar 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Nicht glaubwürdiger wird Nehammers Abgrenzung durch den freitags präsentierten „Österreichplan“. Neben Schlagworten wie Leistung, Familie und Sicherheit – die für eine bürgerlich-konservative Partei durchaus stimmig sind, sofern es eine Gegenfinanzierung gibt – ist auch von „Anpassung“ und „österreichischer Leitkultur“ Von Doris Helmberger die Rede. Was das konkret bedeutet – jenseits des tatsächlich zwingenden Bekenntnisses zu Demokratie, Rechtsstaat und s war ein beeindruckendes Zeichen zivilgesellschaftlicher Le- es keinen parteiübergreifenden Schulter- Menschenrechten –, bleibt aber diffus. Man von der breiten Mitte getragen wurde und bendigkeit: Über 35.000 Menschen versammelten sich Freitag auf, Neos und ÖVP hielten sich aber zurück – derösterreichischer Art des Hauses denken, schluss gab. Grüne und SPÖ sprangen zwar muss nicht an Schnitzelprämien nach nie- vergangener Woche vor dem Parlament, um gegen Rechtsextremismus und sen, ob es gegen „rechtsextrem“ oder nur bensmodellen fragwürdig zu finden. mit dem Argument, es sei nicht klar gewe- um diesen Angriff auf die Pluralität von Le- offenbar gewordene Säuberungsfantasien „gegen rechts“ gegangen sei. Und „rechts“ sei Nicht nur diese anstandslose Übernahme blauer Begriffe stößt beim „Öster- zu demonstrieren. Die herbeigeströmten ja bekanntlich alles, was nicht links sei. Menschen trotzten nicht nur Regen und Kälte, sondern auch vorauseilenden Unkenru- Kickl als „rechtsextremer“ Solist? bekannte Taktik seiner Verbreitung. Wie reichplan“ sauer auf, sondern auch die altfen, dass sich wohl nur ein überschaubares Das ist tatsächlich ein Punkt. Dennoch in besten Message Control-Zeiten wurden Grüppchen auf dem Wiener Ring versammeln würde. Doch nein, Österreichs Zivilgewusste?) Missverständnis weiter zu prolonhäppchen (Stichwort „Genderverbot“) ge- ist die Situation zu ernst, um dieses (be- vorab gezielt Informations- und Aufregersellschaft kam in Scharen. Und das ist eine gieren. Längst müssten auch Liberale und streut – und von den Medien brav apportiert. „Die Medien lassen sich vom Kanzler wirklich gute Nachricht. Konservative die liberale Demokratie mit Getrübt wird sie freilich von so manchen Verve verteidigen. Aber tun sie das? instrumentalisieren“, kommentierte Antonia Gössinger in der Kleinen Zeitung dieses Ausfransungen, die sich bei der Manifestation selbst zeigten: Da waren nicht nur Stö- sei nicht nur rechtspopulistisch, sondern kollektive Versagen. Zumindest rhetorisch ja. Herbert Kickl renfriede, die mit palästinensischen Fahnen gegen den „Apartheids“-Staat Israel mer in der jüngsten Pressestunde – also laut und dabei die wichtigen Themen – von der „rechtsextrem“, erklärte Kanzler Neham- Ständig neue Säue durchs Dorf zu jagen demonstrierten. Da waren auch rechtsextreme Identitäre, die unbehelligt das Dach des nisse notfalls mit Gewalt zu ändern. Nimmt den Augen zu verlieren: Diese Unart zer- Definition bereit, die herrschenden Verhält- Sicherheitspolitik bis zur Klimakrise – aus benachbarten Palais Epstein erklimmen man ihn beim Wort, so läuft der aktuelle stört freilich Vertrauen – und ebnet den und ihren Slogan „Remigration“ mit bengalischen Feuern ausleuchten konnten. Ein nein zur Kickl-FPÖ – freilich endgültig ins Österreichs Medien aus der vergangenen taktische Stunt der Volkspartei – ja zur FPÖ, Demokratiefeinden weiter den Weg. Dass Armutszeugnis für Staatsschutz und Polizei. Leere. Denn wer dürfte mit einer Partei Woche doch noch lernen könnten: Das wäre Getrübt wird die Freude aber auch dadurch, dass diese Demonstration des Wider- potenziellen Staatsfeind führen lässt und koalieren, die sich bis dato von einem die zweite wirklich gute Nachricht. stands – anders als in Deutschland – nicht unverbrüchlich zu ihm steht? doris.helmberger@furche.at Mit Trump zögen in die USA Autokratie und Bündnisbruch ein, sagt Reinhard Heinisch. Über die verbleibenden Trümpfe des amtierenden Präsidenten. Seite 5 Eine OGH-Entscheidung zum Thema „Kind als Schaden“ hat für Aufregung gesorgt. Laut Barbara Steininger führt das Urteil zu mehr rechtlicher Einheitlichkeit. Seite 15 An seinen Grenzen endet Europas Menschlichkeit. Kaum ein Spielfilm „dokumentiert“ dies so eindrücklich wie Agnieszka Hollands Flüchtlingstragödie „Green Border“. Seite 20 Aus den Gärten vertrieben, auf den Straßen getötet: Der Igel ist zunehmend bedroht. Wie man den sensiblen Tieren durch den Winter hilft. Seite 22 Ein Drittel der Österreicher leidet unter Insomnie. Das Buch der Medizinerin Birgit Högl zeigt, wie man ein gutes Verhältnis zum Schlaf entwickeln kann. Seite 23 Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 4 · 25. Jänner 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Kickl. Der FPÖ-Chef steht dazu und wird nicht müde zu betonen, dass er die „Identitäre Bewegung“ als „patriotische NGO“ wahrnehme. Im Zuge des Potsdam-Skandals fragte ein deutscher Journalist den österreichischen Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Leidinger nach dem Unterschied Von Brigitte Quint zwischen den Identitären und der FPÖ. Die Antwort: „Auf inhaltlicher Ebene ist, insbesondere zwischen Identitären und der n Deutschland sind Millionen auf die Fünf Regierungsbeteiligungen auf Bundesebene kann die FPÖ in ihrer Geschichte schied mehr zu machen.“ Vielmehr würde freiheitlichen Parteijugend, kein Unter- Straße gegangen, um ein Zeichen „gegen rechts“ zu setzen. Extremismusforscher, Holocaustüberlebende, zeit in Koalitionen vertreten, das Damoklessetzen, um sie zu normalisieren. Mit Erfolg. vorweisen, in drei Bundesländern ist sie der- die FPÖ Begriffe der Identitären gezielt ein- Wirtschaftstreibende und Kirchenvertreter warnten eindringlich vor der AfD. ten klar und deutlich über dem Land – und vom „Volkskanzler“, obwohl der Ausdruck schwert „Volkskanzler“ schwebt seit Mona- Herbert Kickl schwadroniert seit Monaten Das Aufdecken eines Treffens in einer Potsdamer Villa, auf dem der Österreicher Marblenden. Dennoch ist der wahre Grund für stammt. Auch „Lügenpresse“ und „System- scheint so manchen zu blenden, ja zuver- aus dem Nazi-Deutschland der 1930-Jahre tin Sellner seine völkischen Deportations- diese „Gelassenheit“ ein anderer: Die Mär, parteien“ sind eindeutig Nazi-Vokabular. fantasien kundtat, fungierte offenkundig die AfD wäre nicht mit der FPÖ vergleichbar. Kickls Sprache ist verräterisch – und der für viele Menschen als Augenöffner. Doch die ist ausgemachter Unsinn. Aufschrei in großem Stil bleibt aus. Die Massenproteste in Deutschland haben das Potenzial, auch die Zivilgesell- Verfassungsschutz hätte Partei im Blick tute for Strategic Dialogue, hat Recht, als sie Julia Ebner, Forscherin am Londoner Instischaft in Österreich wachzurütteln. Laut Der Aufschrei in Deutschland ist deshalb so groß, weil vielen jetzt erst so rich- in Deutschland, längst vom Verfassungs- in der ZIB 2 erklärte, dass die FPÖ, wäre sie Umfragen erhielte die FPÖ derzeit 26 Prozent der Stimmen, einige Forschungsinstitute sehen sie bereits bei 30 Prozent. Wer für einige bürgerliche und konservative Am kommenden Freitag soll in Wien tig bewusst wird, dass die AfD tatsächlich schutz beobachtet werden würde. und wo sind die 70 Prozent, die nicht mit Gruppierungen eine Alternative geworden ein „Lichtermeer“ unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ stattfinden. Im Demo- der FPÖ (die das Treffen in Potsdam mit keinem Wort verurteilt hat) sympathisieren? se Tatsache gewöhnt hat, ist die FPÖ aber Aufruf zum „Aufstehen gegen Rechtsextre- ist. Nur weil man sich in Österreich an die- Bislang hat Österreich in der deutschen keinen Deut wählbarer geworden: Die systematische Nähe der AfD wie der FPÖ zur ziel explizit die FPÖ genannt, die „genaumismus und Rassismus“ wird als Protest- Angelegenheit die Rolle des Zuschauers eingenommen. Es verhält sich wie eine Außenstehende, die die Entwicklungen beim sichtlich. Laut „SOS Mitmensch“ haben Tag will Bundeskanzler Karl Nehammer radikalen rechtsextremen Szene ist offenso schlimm“ wie die AfD sei. Am selben Nachbarn zur Kenntnis nimmt, kommentiert, aber nicht auf die Idee kommt, dass ren dreimal großflächige bezahlte Insera- Der deutsche Weckruf hat wohl einige AfD-Politiker in den vergangenen zwei Jah- in Wels gegen die Gender-Sprache wettern. die eigene Lage mindestens vergleichbar te im rechtsextremen identitären Magazin wachgerüttelt. Aber leider nicht alle. wäre. In Wahrheit ist das Kind längst in den Info direkt geschalten. Nur ein Anzeigenkunde war noch zahlkräftiger: Herbert Brunnen gefallen. brigitte.quint@furche.at Sehnsüchtig blickt man von der Republik Moldau aus nach Brüssel – und fürchtet gleichzeitig die „Balkan-Falle“. Susanne Glass stattete dem Land einen Besuch ab. Seite 8 Die FURCHE-Redakteurinnen Brigitte Quint und Manuela Tomic streiten diese Woche darüber, ob die Kandidatur von Dominik Wlazny die Linke dämpfen könnte. Seite 14 So sehr die Kirchen zu Israels Existenzrecht Stellung beziehen müssen: Den Nahostkonflikt heilsgeschichtlich aufzuladen, ist nach Ulrich Körtner kontraproduktiv. Seite 15 Eine „Ariadne des Musicals“ nannte Marcel Prawy einst Leonard Bernsteins „Candide“. Seine „Comic Operetta“ und „Ariadne“ gibt es nun beide in Wien zu erleben. Seite 18 Antonin Svoboda zu seinem Film „Persona non grata“, der die Missbrauchsgeschichte der Skirennläiuferin Nicola Werdenigg aufarbeiten will. Seite 22–23 Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 DIE FURCHE · 6 12 Diskurs 8. Februar 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Hader und Bauernproteste „Am Land sind sie nicht böser“ Interview mit Josef Hader Nr. 5, Seiten 10–11, sowie „Bauernproteste und Landvolkbewegung“ von Christian Jostmann Nr. 5, Seite 17 Dass das Land wieder Thema in der FURCHE war, das tut gut. Josef Hader bringt die Themen sehr gut auf den Punkt! Dennoch: Wie viele der 100.000 deutschen Traktoren des Jahres 2024 tragen Galgen und Fahnen von 1929? Warum können solche „Ausfransungen“ im Unterschied zu Palästinenserflaggen auf Demos gegen rechts eine ganze Protestbewegung diskreditieren? Ich sympathisiere mit beiden Protestbewegungen, aber es gehört offenbar viel mehr Mut dazu, sich einem Bauernprotest anzuschließen. Wo haben die Bauern recht? Beispielsweise hat Landwirtschaft zwar noch viele ökologische Schäden gutzumachen, die sie angerichtet hat. Aber die Natur ist auf jeder Hoffläche anders, und der niedersächsische Weg hat gezeigt, dass nur die Zusammenarbeit zwischen ortskundigen Naturschützern, einzelnen Bauern und der Politik wirklich Erfolg verspricht. Die Natur kann mit einer Bürokratie nichts anfangen, die über ganz Europa hinweg vier Prozent Flächenstilllegung erzwingt. Wenn nun französische Bauern auf die vielen Flächenstilllegungen durch Versiegelung aufmerksam machen, indem sie ein Stück Autobahn mit Erde überdecken, um dort zu pflügen und zu säen, was ist daran politisch rechts? „Die militärische Pattsituation ist erreicht“ Früchte der Convivencia Bauernproteste und Landvolkbewegung Konfliktforscher Hans-Georg Ehrhart über die Hürden, Muslime, Juden und Christen lebten im mittelalterlichen Andalusien zusammen. Kein religiöses Paradies, deutschland. Das Symbol auf ihren Fahnen taucht 1928 eskalierten die Proteste der Bauern in Nord- die Frieden in der Ukraine verunmöglichen, und lähmende Nationalismen. · Seiten 6–7 das Erbe wirkt bis heute weiter. · Seite 9 2024 wieder auf. · Seite 17 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Österreichs Zivilgesellschaft ist wachsam: Das ist die erfreuliche Lehre aus den letzten Tagen. Weniger erbaulich ist die niedrige Lernkurve von Parteien und Medien. Eine (Selbst-)Anklage. Die Säue und das Dorf E Staatsanwaltliche Ermittlungen prägen die Innenpolitik. Höchstgerichte kippen Gesetze. Auch international greift die Justiz der Politik „ Ständig die wichtigen Themen aus den Augen zu verlieren: Diese Unart der Medien zerstört Vertrauen. “ in die Speichen. Kommt die Juristokratie? Justiz im Vormarsch Elisabeth Ertl 8350 Fehring Illustration: Rainer Messerklinger Foto: Carolina Frank Quereinstieg in die Schule: Plötzlich Lehrerin Seit 2003 stehen Chemikerinnen und Unternehmensberater in Klassenzimmern. Sind sie dem Lehrberuf gewachsen? · Seiten 12–13 „Am Land sind sie nicht böser“ Josef Hader widmet sich in seinem neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“ der Provinz. Im FURCHE - Interview spricht er über den (vermeintlichen) Gegensatz zwischen Stadt und Land, wütende Bauern, sein Verhältnis zur ÖVP und seine Sorge um die Demokratie. AUS DEM INHALT Bidens bürgerliche One-Man-Show Mehr Klarheit bei Wrongful Birth Wo sich Europa delegitimiert Stachelige Persönlichkeiten Die Stunde der Wölfe furche.at Seiten 10–11 Das Gespräch suchen Die Säue und das Dorf Von Doris Helmberger Nr. 5, Seite 1 Den Leitartikel habe ich mit großem Interesse und vor allem großer Freude gelesen. Er spricht das Zeitgeschehen genau richtig an! Während ich in Deutschland vergeblich nach den öffentlich wirksamen Stimmen in Presse, Radio und Fernsehen suche, die keine Polarisierung der Bürgerinnen und Bürger bezwecken oder eine einseitige Kommentar- und Berichterstattung an den Tag legen, kurz, die das Thema leider nicht mit der nötigen, allgemeinen Vernunft angehen, ist es in Ihrem Beitrag genau richtig portioniert. Wie gut, dass man bei Ihnen hindurchliest, was jetzt so heikel ist: die einfache Frage, gegen was denn nun demonstriert wird. Gegen rechts, rechtsextrem – oder gar versteckt gegen rechtsliberal-mittig ausgerichtete Meinungen, worunter ÖVP bzw. CDU/CSU natürlich fallen. Erst wenn wir wieder auf beiden Seiten konstruktiv das Gespräch suchen, ohne ausfallende Nebensächlichkeiten, wird es keine Extreme geben. Andreas Kammenos Karlsruhe Wo bleibt der Aufschrei? Es ist Zeit, aufzuwachen Von Brigitte Quint Nr. 4, Seite 1 Sie beschreiben folgerichtig die Situation der AfD und der FPÖ. Ganz richtig, wo bleibt der Aufschrei im großen Stil? Die Kulturhauptstadt Bad Ischl zeigte den „Pudertanz“. Warum wurde/wird z. B. nichts von den damaligen Gräueltaten in Ebensee gezeigt? Warum hat Bundeskanzler Karl Nehammer nichts Besseres zu tun, als sich in Wels mit der Gender-Sprache zu beschäftigen? Mit Kickl will er nichts zu tun haben, aber eventuell mit der FPÖ ohne Kickl! Ja, geht’s denn noch? Nehammer soll lieber an der Spitze beim Lichtermeer in Wien oder anderswo mitmarschieren! Franz Julius Scharf Linz Ein Gefühl der Übelkeit wie oben Die Sorge, dass Österreich ins rechte Lager driftet, ist älter als die Generation Z. Wir haben gegen Haider gekämpft, nun gegen seinen vermeintlichen Nachfolger. Und fragen uns gleichzeitig, warum dies nicht aufzuhalten ist. Nun, eine einfache Lösung ist nicht in Sicht, war es auch unter Haider nicht. Aber selbst mir als christlich-sozialem Menschen fällt es schwer, die derzeitige Situation hinzunehmen. Letzter Tropfen, der wiederum das Fass zum Überlaufen brachte, war die gestrige Ankündigung des ORF, die Bezeichnung „Christus“ aus der Zeitrechnung zu eliminieren, um die muslimische Bevölkerung nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich bin fassungslos. Wieder ein kleiner Dominostein im Gefüge. Hier geht’s nicht mehr um ein Linksrechts-Gefüge oder einen Gender- Wahnsinn. Es geht darum, dass immer mehr Leute die linke Schönfärberei nicht mehr aushalten. Die Zugeständnisse der ÖVP an die Grünen tun weh, deshalb wird die FPÖ nicht wählbarer. Man hat ein Gefühl der Übelkeit Das Dorf, die Angst, die Hetze Religionen – Würze der Demokratie? „Erinnern ist ein aktiver, politischer Prozess“ Der niederländische Ort Ter Apel wurde zum Stimmen nehmen zu, die Religion als „Ergänzung“ Jüdische Moderne: Das Theatermuseum stellt Sinnbild für die eskalierende Asyldebatte in Europa. zur Demokratie ansehen. Ein Blick in die Geschichte Persönlichkeiten der Wiener Kultur zwischen 1900 Eine Reportage.· Seiten 5–6 zeigt: Dies ist problematisch. · Seite 9 und 1938 vor. · Seite 17 Bild: Karin Birner I Das Thema der Woche Seiten 2–4 Die Massenproteste in Deutschland sind ein Weckruf und sollten Österreichs Zivilgesellschaft mobilisisieren. Die Mär, die FPÖ wäre mit der AfD nicht vergleichbar, gilt es zu entzaubern. Es ist Zeit, aufzuwachen „ Kickl schwadroniert systematisch im Nazi- Vokabular. Doch der Aufschrei in großem Stil bleibt aus. “ Wie funktioniert das Gedächtnis bei Missbrauch und Trauma? Sobald es Täter und Opfer gibt, wird die Frage nach der Erinnerung heiß umkämpft. Über die neuen Memory Wars. Der Körper vergisst nicht Ein „Oldschool Hero“ gegen Rassismus Der pensionierte Polizist Josef Böck engagiert sich für mehr Sensibilität gegenüber Menschen aus Afrika. Ein Porträt. · Seiten 12–13 Bild: IMAGO / agefotostock Die junge Wilde Mit nur zehn Jahren schrieb sie ihr erstes Gedicht und sicherte sich so ihren Platz in einer Männerdomäne. Über Sibylla Schwarz, die unbeugsame Lyrikerin des Barock. Seiten 20 AUS DEM INHALT „Als Land sind wir nicht sexy“ Schadet die Bier-Partei der Linken? Fatale Theopolitik in Nahost Artistische Spielereien „Sensorium entwickeln“ furche.at in der Gesellschaft, die sich auch auf die Wirtschaft überträgt. Keine Unternehmer mehr in der Wirtschaft. Dafür gesponserte Nacktauftritte bei Kulturevents. Was sage ich als Christ denjenigen, die dann nach rechts abdriften? Ich habe mehr Angst vor einer derzeitigen SPÖ und den Grünen als einer großmäuligen FPÖ, die letztlich bei Regierungsverantwortung immer schon kleinlaut wurde. Mag. iur. Alois Hutterer LL.M. Linz Ringen um Segen Überlegungen zum Segen Leserbrief von Josef Gundacker Nr. 3, Seite 16 Im Leserbrief zum Thema der nun doch – nur unter nicht nachvollziehbaren, demütigenden Bedingungen – gestatteten Segnung homosexueller Paare wurde darauf hingewiesen, dass man einen Segen nicht fordern kann. Hierbei sei verwiesen auf Jakobs Kampf mit dem Gottesengel, in welchem Jakob diesem den Segen abringt und dann mit seinem neuen Namen Israel gesegnet wird. Nach diesem Kampf ist Jakob/Israel fähig, seinen Bruder Esau, dem er selbst den Segen des Vaters durch Täuschung gestohlen hat, als den zu erkennen, der er ist. Wir Kirchenmitglieder haben unseren gleichgeschlechtlich liebenden Brüdern und Schwestern den Segen nicht nur vorenthalten, sondern sie zusätzlich mit unseren sexualphobischen Projektionen jahrhundertelang diffamiert. Möge es der Kirche gelingen, sich dieser Schuld zu stellen, so wie Jakob im Kampf mit dem Engel durch diesen gestellt wurde und sich selbst erkennen musste. Man könnte den Kampf mit dem Engel auch als jenen der Kirche mit der modernen Rechtsstaatlichkeit der westlichen, offenen Gesellschaften sehen, die sich im Punkt der Homosexuellenrechte von den kirchlichen Vorgaben erfolgreich befreit hat. Auf welcher Seite kämpft Gott hierbei? Wohl dort, wo er zu finden ist: auf der Seite der Ohnmächtigen, Diskriminierten und Unterdrückten und nicht auf der Seite von den angemaßten Verfolger*innen. Mögen wir darum bitten, dass die Segenszeremonien nicht im Sekundentakt und in diesem Ritual wohl nicht entsprechender unfeierlicher Kleidung stattfindet, sodass eine die Liebe wertschätzende, festliche Atmosphäre entsteht. Dr. Lisa Bock Klinische Psychologin, Psychotherapeutin 5020 Salzburg Von Theologen unbeachtet Krone der Schöpfung? Von Michael Rosenberger Nr. 1, Seite 10 Der Anthropozentrismus, den Herr Rosenberger kritisch hinterfragt, ist sowohl im Alten als auch im Neuen Testament grundgelegt. Gott geht es vor allem um das Heil des Menschen, dessen Würde in der Gottebenbildlichkeit begründet ist und die bloße Geschöpflichkeit der Tiere übersteigt. Dieser gravierende Unterschied wird leider von vielen Theologen nicht beachtet. Mag. theol. Adolf Rameder, 3343 Hollenstein In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie eine bezahlte Beilage von RSD Reise Service Deutschland GmbH. „Kugelexperte“ und Fußball-Analyst moderiert am 9. Februar die Lotto Bonus Ziehung Sportliche Lotto Bonus- Ziehung mit Roman Mählich Er gilt als Experte für Kugeln, vor allem, wenn „Kugel“ die liebevolle Umschreibung für einen Fußball ist. Da kennt er sich aus, und das wird er mit seinen Analysen auch wieder bei den kommenden Spielen der österreichischen Bundesliga unter Beweis stellen. Die Rede ist von Roman Mählich, ehemaliger österreichischer Fußballspieler und -trainer, der vor dem Frühjahrsauftakt der Bundesliga, am Freitag, den 9. Februar 2024 die zweite Lotto Bonus Ziehung des Jahres moderieren und einen etwas sportlichen Touch ins Ziehungsstudio bringen wird. Und selbstverständlich geht es auch diesmal wieder um einen zusätzlichen Bonus-Gewinn in Höhe von 300.000 Euro, der unter allen bei der Bonus-Ziehung mitspielenden Tipps verlost wird. Annahmeschluss für die Bonus Ziehung ist am Freitag, den 09. Februar um 18.30 Uhr, die Ziehung selbst wird um 18.47 Uhr live in ORF 2 ausgestrahlt. Fußball-Experte Roman Mählich wird den Frühjahrsauftakt der Bundesliga moderieren, widmet sich zuvor aber noch am 09. Februar den Lotto und Joker Kugeln. Foto: © ORF/Günther Pichlkostner IN KÜRZE GESELLSCHAFT ■ Karte für Asylwerber? Caritas und Diakonie kritisieren die diskutierte Idee, Barleistungen an Asylwerberinnen und Asylwerber durch ein Kartensystem zu ersetzen. Dem Argument, dadurch würden diese kein Geld mehr in ihre Herkunftsländer überweisen können, können sie nichts abgewinnen. Schon jetzt gebe es solche Überweisungen kaum, so die kirchlichen Hilfsorganisationen. „Mit so einer Karte macht man die Hürden für diese Person noch schwieriger“, sagte David Preukschat- Himler von der Wiener Caritas im ORF. „Österreich diskutiert jetzt seit Tagen über ein Problem, das es nicht gibt“, so das Urteil von Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. WISSEN ■ Drohende Wasserknappheit Flusssysteme sind vielerorts zentral für die Trinkwasserversorgung. Einer neuen Analyse in der Fachzeitschrift Nature Communications zufolge könnten Verschmutzungen bedingt durch Stickstoff aus der Landwirtschaft zu Wasserengpässen führen. Im worst case könnten im Jahr 2050 rund drei Milliarden Menschen unter Trinkwasserknappheit leiden. Der Publikation zufolge wären zuerst Regionen in Asien, Nordamerika und Afrika betroffen, später auch teilweise Gebiete von Polen bis zur Iberischen Halbinsel. Österreich muss den Prognosen zufolge aber keinen Wassermangel wegen Flussverschmutzung befürchten. PRÄSENTIERT FILMMONTAG THE GREAT DICTATOR Charlie Chaplins erster Tonfilm ist ob seiner Persiflage auf Adolf Hitler legendär. Die Umtriebe von Adenoid Hynkel finden – leider – viele Entsprechungen in der Gegenwart. Außerdem ist Chaplins Doppelrolle als Diktator und als jüdischer Friseur unerreicht. Christian Rathner/ORF und Otto Friedrich/ DIE FURCHE zeigen „Der große Diktator“. Montag, 12.2., 19 Uhr, Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Str. 2–4. www.kav-wien.at Foto: United Artists (gemeinfrei)

DIE FURCHE · 6 8. Februar 2024 Literatur 13 Das Interesse an Thomas Bernhard ist auch in Frankreich groß. Erst las man ihn eher philosophisch, dann psychologisch und dann politisch: als einen der wenigen positiven Imageträger für Österreich, als Verkörperung des schlechten Gewissens seines Landes. Von Ute Weinmann Thomas Bernhard gehört in Frankreich sicherlich zu den bekanntesten Schriftstellern der österreichischen Gegenwartsliteratur. Bereits bei Erscheinen von „Frost“ in Deutschland liest man 1963 in Le Monde: „Der Tag wird kommen, an dem Thomas Bernhard genauso berühmt sein wird wie Rilke und Hofmannsthal zu ihrer Zeit.“ Das Echo auf die französische Übersetzung („Gel“, 1967) ist zwar gering, die wenigen – durchaus positiven – Rezensionen kündigen allerdings bereits zwei Weisen der Rezeption seiner Werke an: einerseits eine ideologische, die den Roman unter dem Titel „Nazisme et conscience allemande“ in die engagierte deutsche (!) Nachkriegsliteratur einreiht, andererseits eine literarästhetische, die „Frost“ in der österreichischen Romantradition versteht, die existenzielle Themen in einer besonders dichten, komplexen Sprache aufwerfe. Während dieser ersten literarästhetisch-philosophischen Phase (von „Frost“ bis „Ja“) wird Bernhards Originalität und Modernität an der verwirrenden, aber zugleich fesselnden, musikalischen Schreibweise festgemacht. Sie entspreche dem luziden Wahnsinn der Bernhard’schen Anti helden, welche das Dasein in radikaler Opposition zur gesellschaftlichen Norm reflektieren. „Geistiger Sohn Wittgensteins“ Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen, häufig der bundesdeutschen Literatur zugerechneten Schriftstellern aus Österreich wird Bernhard von Anfang an als ein österreichischer Autor wahrgenommen und als „geistiger Sohn Wittgensteins“ und écrivainphilosophe apostrophiert, der sich sprachkritisch und ideologiebefreit in einer metaphysischen Leere bewegt. Die negative Österreich- Topografie bei Bernhard wird zunächst nur nebenbei und als Ausdruck einer in innere Konflikte verstrickten, tragischen Dichterpersönlichkeit bemerkt. Ab Mitte der 1970er Jahre interessiert sich auch ein kleiner Kreis von Übersetzern und Theaterschaffenden für den Dramatiker Bernhard, bei Publikum und Presse allerdings fallen die ersten Inszenierungen („Der Ignorant und der Wahnsinnige“, „Der Präsident“) durch. Die Kluft zwischen Bernhards Dramaturgie und den Erwartungen des französischen Publikums scheint unüberbrückbar: Die französische Thomas Bernhard, von Frankreich aus Theateravantgarde befindet sich in einer politisch-engagierten Kollektivtheaterphase („Théâtre du Soleil“), und das Publikum ist einem naturalistisch-psychologischen Inszenierungsstil verhaftet – während sich das Bernhards Dramaturgie näherstehende Theater nach Brecht erst allmählich seinen Weg bahnt. Als zwischen 1981 und 1985 die autobiografischen Texte und „Wittgensteins Neffe“ („Le Neveu de Wittgenstein“, 1985) auf Französisch erscheinen, entspricht die Hinwendung zum Autobiografischen der literarischen Tendenz in Frankreich. Man öffnet sich nach dem Niedergang des Nouveau Roman nun der Geschichte und dem (autobiografischen) Erzählen. Die in einer leichter zugänglichen Schreibweise verfasste Pentalogie („Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“ und „Ein Kind“) wird von einem größeren Leserpublikum als Schlüssel zum restlichen Werk rezipiert: Bernhard fasziniert als Person mit seinem von Krankheit und Tod gezeichneten Leben in der „entgegengesetzten Richtung“. Nun treten literarästhetische Interpretationen zugunsten von psychologisierenden zurück. Im Zuge der erhöhten Aufmerksamkeit für „Wien 1900“ sieht das französische Feuilleton in Bernhard jetzt einen „Samuel Beckett von Mitteleuropa“ und „Erben des goldenen österreichischen Zeitalters“, der als Bindeglied zwischen der Generation Robert Musils und der zeitgenössischen Literatur fungiere. Obwohl dem kulturell-touristischen positiven Österreich-Bild noch immer radikal entgegenstehend, wird der negative Österreich-Topos, nach und nach, etwas ungläubig mit einer konkreten österreichischen Realität in Beziehung gesetzt. Mit dem wachsenden Interesse für das deutschsprachige Theater bringen auch Bernhards Theaterstücke erste Erfolge. Bemerkenswert ist, dass gerade das politischste, nämlich „Vor dem Ruhestand“, zum ersten Mal positive Kritiken erhält, wobei der Themenbereich Nationalsozialismus, Kollektivschuld und Alltagsfaschismus noch immer und ausschließlich mit Deutschland assoziiert wird. Aufnahme in den Literaturkanon In einer dritten Phase (1986 bis 1991) erreicht die Bernhard- Rezeption ihren Gipfel, der mit der französischen „Viennomanie“ (Begeisterung für das Wiener Fin de Siècle, Ausstellung im Centre Pompidou 1985/86) und dem Kippen des positiven in ein sehr negatives Image Österreichs („Affäre Waldheim“) zusammenfällt. 1988 erscheinen unter anderem der mit dem Prix Médicis étranger ausgezeichnete Roman „Alte Meister“ („Maîtres anciens“), 1990 bereits posthum „Auslöschung“ („Extinction“). Zwei Sammelbände (1986, 1987) und eine Monografie (1990) zu Bernhards Werk zeigen das wachsende Interesse der akademischen Kritik und die Aufnahme in den Literaturkanon. Bernhards Theaterstücke werden nunmehr von bekannten Regisseuren und in großen Häusern zur Aufführung gebracht: Der erste Publikumserfolg, „Der Theatermacher“, inszeniert von Jean-Pierre Vincent, fällt wohl nicht zufällig in die Zeit des „Heldenplatz“-Skandals – eine „Erregung“, die wohl nirgendwo anders außerhalb Österreichs eine ausführlichere Berichterstattung erfahren hat als in den französischen Medien. „ Nicht wenige französische Zeitungen sehen den ,Heldenplatz‘- Skandal und Bernhards Ableben in einem Zusammenhang. “ Das negative Österreich-Bild in Frankreich zieht die Aufmerksamkeit vor allem auf die Österreich-Kritik in Bernhards Texten, die nun auf einer – manchmal sehr platten – politisch-ideologischen Ebene gelesen werden. Bernhard avanciert mit anderen kritischen Künstlern wie Elfriede Jelinek oder Peter Turrini zu einem der wenigen positiven Imageträger für Österreich in Frankreich, gewissermaßen zur Verkörperung des schlechten Gewissens seines Landes. Die Person des Skandalautors einerseits, die Österreich-Attacken in den literarischen Texten andererseits Thomas Bernhards Sicht auf das Salzburger Landestheater vom 3.12.1955 mit dem Titel „Salzburg wartet auf ein Theaterstück“ finden Sie auf furche.at. Foto: IMAGO / TT Autor und Skandal Zwischen 1986 und 1991 erreicht das „Bernhard-Waldheim-Syndrom“ seinen Höhepunkt. Mitte der 1990er Jahre beruhigt es sich, Bernhard gilt fortan als moderner Klassiker. strukturieren nicht nur die Buchbesprechungen und Theaterkritiken, sondern fließen auch als Bernhard-Zitate in die politischsoziale Berichterstattung über Österreich ein; man meint, die politische Realität in Österreich zu erfassen, indem man Bernhards literarische Übertreibungen als österreichische Wirklichkeiten interpretiert. Mehr als zwei Jahre nach der Wahl Kurt Waldheims zum österreichischen Bundespräsidenten und auf dem Höhepunkt der außenpolitischen Isolation des Landes stirbt Thomas Bernhard am 12. Februar 1989. In der französischen Presse erscheinen zahlreiche hymnische Nachrufe über den epochenprägenden Schriftsteller, wobei nicht wenige unter dem Motto „Thomas Bernhard ist tot – das Österreich Waldheims atmet erleichtert auf“ den „Heldenplatz“-Skandal und Bernhards Ableben in einem Zusammenhang sehen. Um diese französische Lesart zu demaskieren, schreibt der in Frankreich lebende spanische Schriftsteller Fernando Arrabal in der anarchistisch-satirischen Zeitschrift L’Idiot International den Text „Insulte à la France“ („Beleidigung Frankreichs“), in welchem er Bernhard-Zitate aus „Heldenplatz“ und den testamentarischen Verfügungen in einen französischen Kontext setzt, also alle österreichischen Referenzen durch französische ersetzt. FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE

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