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DIE FURCHE 07.12.2023

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DIE FURCHE · 4922

DIE FURCHE · 4922 Wissen7. Dezember 2023Von Martin TaussHUMANSPIRITSDie Kraft desWindpferdsEin Windpferd ist in Zentralasien einmächtiges Symbol: Es steht für Wachheitund Klarheit – und verweist aufeine grundlegende geistige Gesundheitdes Menschen. Diese uns innewohnendeNatur macht es prinzipiell möglich, selbstaus dem Chaos des „Wahnsinns“ wieder herauszufinden.In den 1980er Jahren wurdedas Windpferd zum Namensgeber einertherapeutischen Bewegung, die einen revolutionärenAnsatz zur Behandlung vonPsychosen – schweren und oft chronischengeistigen Verwirrungen – präsentierte.„ In den Irrwelten des Wahnsfand Edward Podvoll Wegweiser,die geistiges Wachstum selbstunter schwierigsten Bedingungenermöglichen können. “Begründet wurde die sogenannte Windhorse-Bewegungvon Edward Podvoll, einemamerikanischen Psychiater und Psychoanalytiker,der am 10. Dezember vor 20Jahren verstorben ist. Er hatte in New Yorkstudiert und arbeitete zunächst an einerpsychoanalytischen Privatklinik in Maryland.Ab den 1960er Jahren verbreitetensich meditative Praktiken über die Hippiebewegungim Westen. In Boulder, Colorado,entstand auf Initiative des tibetisch-buddhistischenLehrers Chögyam Trungpadie Naropa-Universität, die sich den Dialogvon östlicher Weisheit und empirischerWissenschaft auf die Fahnen geschriebenhatte. Podvoll war ein Schüler von Trungpaund übernahm dort ab 1974 die Leitung derAbteilung für Kontemplative Psychotherapie.Er verstand Psychosen als „spirituelleKrisen“ und versuchte, bei seinen Patientendie Fähigkeit zur Selbstbeobachtungzu stärken. Anstatt bloß passiv Medikamentezu schlucken, sollten sie als Expertenund Expertinnen für ihre geistigen Zuständeermächtigt werden.Jeder Mensch ist „psychosefähig“Betreute Wohngemeinschaften mit einereinfühlsamen Atmosphäre sind dafür alsoptimales Setting vorgesehen. Die „normaleWohnung“ sollte zum Ort der Genesungwerden. In der Praxis scheiterte das oft anden Ressourcen, denn ein ganzes Team geschulterPersonen, das zeitintensiv den Alltagmit den Patienten teilt, ist natürlichkostenaufwendig. Doch Podvolls Konzeptnahm viele innovative Entwicklungen inder heutigen Psychiatrie und Psychotherapievorweg – von der Aufwertung der„Peers“ (Expertise aus Erfahrung) bis zumEinsatz von Achtsamkeitspraktiken beiKlienten und Therapeuten.Die Lektüre von Podvolls Werken istauch heute noch faszinierend, denn sie erkundendie Irrwelten des Wahns auf systematischeWeise, quer durch Medizin,Kunst und Literatur. Jeder Mensch ist „psychosefähig“.In diesem „anderen Zustand“erlebt man sich wie in einer scheinbar ausweglosenWildnis. Auf diesem entgrenztenTerrain bemühte sich Podvoll um Leuchttürmeund Wegweiser, die geistiges Wachstumselbst unter schwierigsten Bedingungenunterstützen können. Er glaubte an dieKraft des Windpferds – daran, dass bereitskleinste „Inseln der Klarheit“ große Veränderungenanstoßen können.Foto: APA / Hans Klaus TechtWie sieht Österreichs bekanntesteKlimaforscherin den UN-Gipfel in Dubai?Helga Kromp-Kolb über technische Irrwegeund wichtige Fragen für den Wirtshaustisch.„Der COP-Tanker istzu langsam“Das Gespräch führte Martin Taussweiß, dass das manchen lästigist, aber solange das Zieleines guten Lebens für alleinnerhalb der ökologischen„IchGrenzen des Planeten nicht erreichtist und solange es meine physischeund geistige Gesundheit zulässt, werdeich weiter kämpfen.“ Das schreibt Österreichsbekannteste Klimaforscherin HelgaKromp-Kolb, die vor Kurzem ihren 75. Geburtstagfeierte, in ihrem neuen Buch „FürPessimismus ist es zu spät“. Anlässlich desWeltklimagipfels in Dubai (COP 28) bat DIEFURCHE die Expertin, die vor 30 Jahrenihren ersten „ZiB“-Auftritt hatte, zum Gesprächüber Technologie, Politik und Debattenkultur.DIE FURCHE: Was sagen Sie zum Austragungsortder Klimakonferenz? Kritiker sehenin den Vereinigten Arabischen Emirateneinen „Drogendealer“, der die fossileSucht eigentlich weiter bedienen möchte ...Helga Kromp-Kolb: Man sollte einen Ortwählen, wo ein gewisses Bemühen zu erkennenist – das ist in Dubai nicht der Fall.Andererseits konnte man hoffen, dass angesichtsder vielen Kritik auch dort eine neueHaltung von „Jetzt zeigen wir es ihnen aber!“entsteht. Die Chancen, dass bei der COP 28weitreichende Maßnahmen beschlossenwerden, sind aber nicht sehr hoch.DIE FURCHE: Umweltministerin Leonore Gewesslerzeigt sich im Bereich der erneuerbarenEnergien und beim neuen Ziel derEnergieeffizienz optimistisch. Wie ist IhreEinschätzung?Kromp-Kolb: Das sehe ich auch so, weiles da relativ wenig Widerstände gibt. Eswerden eine Verdreifachung der Erneuerbarensowie eine Verdoppelung der Effizienzrateanvisiert. Das kann gelingen,weil die arabischen Länder zwar noch völligauf fossile Energien ausgerichtet sind,zugleich aber beste Voraussetzungen fürErneuerbare haben. Auch beim Loss andDamage-Fonds für Schäden und Verlustedurch die Klimakrise sind Fortschritte zuerwarten.DIE FURCHE: Besonders umstritten ist das„Carbon Capture and Storage“, kurz CCS:Durch Abgasreinigung und unterirdischeSpeicherung soll ein Großteil des CO₂ ausder Atmosphäre ferngehalten werden. Washalten Sie von dieser Technologie?Kromp-Kolb: Hier lauert die Gefahr, dassgesagt wird, wir reduzieren die Emissionenauf technischem Weg. Die Technologiekann diese Versprechen aber nicht halten.Sie ist nicht skalierbar, noch dazu würdedie Abgasreinigung angesichts der hohenEmissionsraten sehr lange dauern. Daswäre nur bei großen Erfolgen im Klimaschutzdenkbar, also knapp vor einer CO₂-Nettonull. Die leistungsfähigsten Anlagenin den USA können die Erderwärmung umrund 15 Minuten pro Jahr verringern – dasist so gut wie nichts.„ Ich halte ein persönliches CO₂-Budget fürnotwendig: Klimagerechtigkeit zwischen densozialen Schichten ist ein wichtiger Punkt.“DIE FURCHE: Ein weiteres heißes Thema inDubai ist die Klimagerechtigkeit: Sie beziehtsich mittlerweile auch auf die Gerechtigkeitzwischen den sozialen Schichten.Ein Privatjet emittiert in nur vier Stundenso viel CO₂ wie ein durchschnittlicherEU-Bürger im ganzen Jahr. Braucht es Beschränkungenfür den Ressourcenverbrauchder Superreichen?Kromp-Kolb: Das ist ein wichtiger Punkt!Für jemanden, der fast nichts verbraucht,ist es doch frustrierend zu hören, dass wirunsere Gewohnheiten ändern sollen, währenddiejenigen, die in Saus und Braus leben,weiter ungeschoren davonkommen.Leider gibt es wenig Informationen zu denSuperreichen. Es ist schwer, an Daten heranzukommen,und das ist sicher keinZufall. Man sieht das jetzt auch beim Firmenimperiumvon René Benko, das aushunderten Subfirmen besteht. Offensichtlichwill es sich niemand mit dieser Gruppeverscherzen. Dass eine Initiative wie„Oxfam“ in diese Intransparenz hineinsticht,finde ich gut.DIE FURCHE: Als Beitrag zur Klimagerechtigkeitwird ein individuelles CO₂-Budgetdiskutiert. Hans Joachim Schellnhuber,der neue Generaldirektor am InternationalenInstitut für Angewandte Systemanalyse(IIASA) in Laxenburg, hat bereits einenVorschlag durchgerechnet, wonach jederBürger pro Jahr mit einem Konto vondrei Tonnen CO₂ auskommen sollte.Kromp-Kolb: Ich halte das für notwendig,es kommt aber auf die Rahmenbedingungenan. Eine Rationierung funktioniertnur, wenn man die eigene Ration nichtverkaufen kann. Wenn Wohlhabende dieCO₂-Tonnen der Ärmeren erwerben können,werden sie die Verkäufer eventuellin große Schwierigkeiten stürzen. Es wirdgerecht, wenn Geld im System keine Rollespielt.DIE FURCHE: Wie erklären Sie das den vielenMenschen, die ohnehin schon Wohlstandsverlustezu befürchten haben? Oder jenen,die darin nur eine staatliche Gängelungoder gar den Beginn eines „globalen Klimatotalitarismus“sehen?Kromp-Kolb: Der 2014 verstorbene PhysikerHans Aubauer von der Uni Wien hatbereits ein ausgeklügeltes System für denUmgang mit nichterneuerbaren Ressourcenentwickelt. Solche Ansätze sollte manjetzt gesellschaftlich diskutieren, weil sieeinen Gerechtigkeitsaspekt enthalten. Verbotesind gerecht, wenn sie für alle gleichgelten – etwa wenn niemand mit dem Autoin die Wiener Innenstadt fahren darf. Beifinanziellen Maßnahmen wird es komplizierter.In Österreich wurde eine ökologischeSteuer eingeführt, die in Form eines„Klimabonus“ wieder an alle in gleicher Höheausgezahlt wird – die ärmeren Haushalteerhalten mehr zurück, als sie durch dieCO₂-Steuer zahlen. Doch das ist vielen garnicht bewusst. Die Regierung müsste solcheökosozialen Maßnahmen viel besserkommunizieren.

DIE FURCHE · 497. Dezember 2023Wissen23„ Es wäre wichtig, neben den Weltklimagipfelneinen weiteren Hebel in Bewegungzu setzen. Mit dem Tatbestand des ‚Ökozids‘wären Konzernchefs persönlich haftbar. “DIE FURCHE: In Ihrer „Krone“-Kolumne habenSie kürzlich auf den Tatbestand des„Ökozids“ hingewiesen: Das würde dazuführen, dass Politiker und Manager wegen„mangelnden Klimaschutzes“ verhaftetbzw. persönlich belangt werdenkönnen. Müssen sich dann auch KleinunternehmerSorgen machen bzw. wiestreng sollte das ausgelegt werden?Kromp-Kolb: Nein, da geht es nur um diegroßen Köpfe – Staat- oder Konzernchefs,die wider besseres Wissen große Mengenan CO₂-Emissionen in die Atmosphärezulassen. Ein Beispiel wären die CEOsdes Ölkonzerns Exxon, die bereits in den1970er Jahren über die drastischen Prognosenzum Klimawandel informiert waren,aber die menschengemachte Erderwärmungüber Jahrzehnte mit teurenPR-Kampagnen bewusst infrage gestellthaben, um ihr Geschäftsmodell zu retten.Hätte es den Tatbestand Ökozid bereits gegeben,könnte man sie persönlich haftbarmachen. Mit dem Tatbestand des Ökozidskönnte man neben den Weltklimagipfelneinen weiteren Hebel in Bewegung setzen.Das wäre wichtig, denn die nächstenKlimakonferenzen werden auch nicht inklimapolitisch fortschrittlichen Ländernstattfinden. Der Tanker der COP fährt zulangsam, und es fehlt an Wendigkeit.DIE FURCHE: Ihre Ausführungen zum Ökozidwurden in den sozialen Medien teilsäußerst kritisch kommentiert. Beim Onlinemedium„Exxpress“ kam dann folgendeFalschnachricht heraus: „Forscherinfordert: ‚Alle verhaften, die Klimaschutznicht ernst nehmen.‘“ Das zeigt, wieschnell die Diskussion durch Desinformationtorpediert werden kann …Kromp-Kolb: Man muss über die Medienpolitikin diesem Land nachdenken. Diezentrale Frage ist, wohin die Steuergelderfließen, noch dazu angesichts der finanziellschwierigen Situation für die Printmedien:Die Zahl der Journalisten geht zurück, dadurchgibt es weniger Potenzial für wichtigeRecherchen. Ein weiteres Problem ist dieQualität des öffentlichen Diskurses, sowohlin den Medien als auch an den Unis. Ich erinneremich, als 1978 über das AtomkraftwerkZwentendorf abgestimmt wurde, hatBundeskanzler Kreisky die Befürworterund Gegner unter den Experten zusammengebracht.Es wurde ehrlich über Inhalte gestritten,und jeder Bürger, jede Bürgerinkonnte sich sachlich eine Meinung bilden.Heute gibt es keine wirkliche Diskussionüber umstrittene Themen. Das ist gefährlich– insbesondere angesichts der globalenTendenz, Demokratien zu unterhöhlen.DIE FURCHE: Sie sehnen sich zurück in diePolitik der 1970er Jahre?Kromp-Kolb: Von Regierungsseite gibt esheute fast nur noch Selbstreklame, undvon der Opposition kommt nicht viel mehrals ein gehässiges „Alles ist falsch!“. Leiderhat auch ein Personenkult Einzug indie Politik gehalten, wie man in der Inszenierungvon Ex-Kanzler Kurz sehen konnte.Wenn sogar Leute aus seiner eigenenPartei gesagt haben: „Wir wissen eigentlichgar nicht, wofür er steht“, dann wardas Personenkult. Große Persönlichkeitenhaben es nicht notwendig, sich selbst inden Vordergrund zu rücken. Gandhi zumBeispiel wollte nicht der große Anführersein; er hatte ein wirkliches Anliegen.DIE FURCHE: Werden Sie persönlich angefeindet?Kromp-Kolb: Ja, natürlich, aber das mussman aushalten. Ich versuche zunächst immer,höflich zu antworten.DIE FURCHE: Als Journalist findet man nurselten positive Nachrichten zum ThemaKlimakrise. Eben kam jedoch eine Studievom „Institute of Science and TechnologyAustria“, wonach sich die Himalaya-Gletscherdurch kalte Winde gegen den Klimawandelquasi wehren. Haben Sie auch eineerfreuliche Meldung für uns?Kromp-Kolb: Die Treibhausgase sind inden letzten Jahren weiter gestiegen, aberauch der CO₂-Anteil, der vom Land undvom Meer aufgenommen wurde, ist mitgewachsen.Wir können nicht davon ausgehen,dass das unbegrenzt so weitergeht,aber bis jetzt hilft uns die Natur.DIE FURCHE: Manche glauben an einendurch technologische Innovation vorangetriebenen„grünen Kapitalismus“, anderefordern systemische Veränderungen. Wostehen Sie in diesem Spektrum?Kromp-Kolb: Man kann nicht erwarten,dass Individuen für den Klimaschutz aufDauer ein beschwerliches Leben auf sichnehmen. Ebenso kann man nicht davonausgehen, dass ein Unternehmer seineExistenz infrage stellt, nur weil er klimafreundlichwirtschaften will. Wir brauchenneue politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen,um Nachhaltigkeit zufördern. Der Lebensstandard in den westlichenLändern wird zurückgehen müssen,sonst gibt es keine gerechte Welt. Es gehtdarum, sich vom Überfluss zu befreien unddadurch mehr Lebensqualität zu gewinnen.Das führt zu den Fragen: Was ist unswirklich wichtig, was wollen wir beibehalten?Was können wir loslassen? Ich sehe leidernicht, dass diese Diskussion schon amWirtshaustisch angekommen ist.DIE FURCHE: Wie eine aktuelle Umfrage derÖsterreichischen Akademie der Wissenschaftenzeigt, glauben 89 Prozent der Österreichernicht, dass sich der Klimawandelnoch in den Griff bekommen lässt. Wasgibt Ihnen persönlich Mut und Hoffnung?Kromp-Kolb: Obwohl unser Land im internationalenVergleich nicht sonderlichgut dasteht, ist in der letzten Legislaturperiodemehr passiert als in den 30 Jahrenzuvor. Darüber hinaus bin ich optimistischim Sinne von „Wir können etwastun“. Ich bin überzeugt, dass wir im Zugeambitionierten Klimaschutzes eine gerechtereGesellschaft und eine gerechtereWelt schaffen können.Für Pessimismusist es zu spätVon HelgaKromp-KolbMolden 2023224 S., geb.,€ 26,–WeltklimagipfelDie 28. UN-Klima konferenzfindet bis 12. Dezemberin Dubaistatt. Diskutiertwerden u. a.Technologien wieAbgasreinigung(CCS), „grüner“Wasserstoff oderKernfusion.Pssst!Literaturfreunde aufgepasst: In der nächsten Ausgabeerwartet Sie unsere Literaturbeilage „booklet“. Freuen Sie sichauf Buchrezensionen, literarische Essays und Porträts.alle Artikelseit 1945NAVIGATORNoch kein Abo? Jetzt 4 Wochen testen und „booklet“ lesen: www.furche.at/abo/gratis

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