DIE FURCHE · 492 Das Thema der Woche Geben und nehmen7. Dezember 2023AUS DERREDAKTIONNein, beim dieswöchigen Titel „Geben und nehmen“ haben wir nicht primäran René Benko gedacht. Dass das Signa-Desaster unbewusst eingeflossen ist,lässt sich aber nicht ausschließen. Wolfgang Machreich hat darüber mit demehemaligen „Weltbanker“ Kurt Bayer gesprochen. Im aktuellen Fokus vonVictoria Schwendenwein und Martin Tauss geht es freilich um das Gegenbildvon Benko – um das absichtslose Schenken von Aufmerksamkeiten oder Zeit;und um die hierarchiefreie „Nehmerkultur“ der Jäger und Sammler. Ebensoaktuell wie substanziell auch die weiteren Beiträge im ersten Buch: dieReportage von Tobias Müller über den wilden Geert Wilders, der BrüsselerLokalaugenschein von Brigitte Quint zu EU-Hilfen für die Ukraine und diekenntnisreiche Analyse des Völkerrechtlers Ralph Janik zu Israels Agierenin Gaza. Der Kompass eröffnet mit einem Essay von Andreas R. Batlogg zum8. Dezember – und warum man statt von „Mariä Empfängnis“ treffender von„Mariä Erwählung“ sprechen sollte. Empfehlenswert auch die neue Folge unsererReihe „Gesichter des Zusammenhalts“ über eine Elementarpädagoginsowie das „Diesseits von Gut und Böse“ über die Lehren aus dem Fall Sobotka.Faszinierendes über die literarische Resonanz des Erfinders Nikola Teslabietet schließlich das Feuilleton. Und am Ende liest die KlimaforscherinHelga Kromp-Kolb uns allen die Leviten: „Geben und nehmen“ – das gehtin einem Ökosystem nur, wenn man die eigenen Grenzen kennt. (dh)Das Gespräch führteVictoria SchwendenweinZwischen herzlicher Gabeund Bringschuld istSchenken ein schwierigesgesellschaftlichesKonzept, aus dem nichtzuletzt die Wirtschaft Profit schlagenmöchte. Der WirtschaftspsychologeErich Kirchler erklärt imInterview, wie es dennoch gelingt,sinnvoll zu schenken.DIE FURCHE: Der französische EthnologeMarcel Mauss hat denBegriff der „Schenkökonomie“ geprägt.Laut ihm ist „die Gabe“ einesoziale Lüge, mit der sich dieGesellschaft selbst täuscht. Warumgeben wir also etwas – worinliegt die psychosoziale Bedeutungder Gabe?Erich Kirchler: Schenken löstbeim Schenkenden angenehmeGefühle aus, einen warm glow.Es kann auch Aufmerksamkeit,Zuneigung, Anerkennung oderDankbarkeit signalisieren. Beschenktefreuen sich über die Aufmerksamkeitund erleben rechtunmittelbar den Drang, nicht nurdankbar zu sein, sondern sichauch erkenntlich zu zeigen. Dasuniversell gültige Gesetz der Reziprozitätkann den Eindruck einerTauschökonomie machen,aber deshalb müssen Geschenkenicht Ausdruck einer sozialen Lügesein.Allerdings kann Schenkenauch pervertiert und der eigentlicheSinn verfehlt werden: Je nachBeziehung zwischen Schenkendenund Beschenkten können zugroße Geschenke Verlegenheitoder den Druck auslösen, ebenso„großzügig“ sein zu müssen. Geschenkekönnen auch Frustrationauslösen, wenn klar wird, dassnicht auf die Bedürfnisse eingegangenwird oder aus Routine einVerlegenheitsgeschenk angebotenwird. Schließlich kann hinterder freundlichen Geste des Schenkensdie Agenda stehen, sich Entgegenkommenzu erkaufen. Diesschränkt die Autonomie des Beschenktenein und reicht bis zurBestechung.Foto: iStock/nito100Lesen Sie zumThema auchdie Expertendiskussion„Zwischen SpielverderberundKauffanatiker“(3.12.2009),auf furche.at.DIE FURCHE: Anlässe zu kaufenund Gründe zu schenken gibt esgerade rund um Weihnachten enmasse. Ist Schenken nicht vielmehrein Konzept, das allein derWirtschaft dient?Kirchler: Völlig entzaubert wirdder Sinn des Schenkens, wenndie Wirtschaft entdeckt, dass siemit den Gefühlen, die mit Schenkenund Beschenktwerden verbundensind, Geschäfte machenkann. Hinter den medial verkündetenFreuden von Weihnachts-,Geburtstags-, Muttertags-,Vatertags-, Valentins- undEt-cetera-„Geschenk-Aufforderungen“steht unschwer erkennbardie Absicht, Konsumierendezum Geldausgeben zu motivieren.Das weihnachtliche Geschenkszeremoniellund -karussell beschertdem Handel hohe Gewinne.Aber selbstverständlich habenauch Einzelne ihre angenehmenGefühle und zwischenmenschlichenFreuden, wenn sie die Ideedes Schenkens nicht aus den Augenverlieren, sich nicht von derWirtschaftsmaschinerie treibenlassen, Zeit finden, sich mit denBeschenkten und deren Wünschenzu befassen – und schließlicherleben, dass sich Beschenkteaufrichtig freuen.„ Geschenke können zu korruptemHandeln drängen. Deshalb finde iches gut, wenn Unternehmen die geplantenGeschenkausgaben gemeinnützigenOrganisationen spenden. “DIE FURCHE: Das klassische Weihnachtsgeschäftim Handel beginntseit einigen Jahren nichtmehr mit dem ersten langen Einkaufssamstagim Advent, sondernbereits mit dem „BlackFriday“. Gleichzeitig hat die Teuerungnach wie vor viele Menschenfest im Griff ...Kirchler: Die Teuerung stellt vielevor schwer lösbare Problemeund führt vielleicht dazu, dassnoch mehr Menschen genau überlegen,was sie schenken und wieviel Geld sie ausgeben wollen undkönnen. Schnäppchenjägerinnenund -jäger gab es schon vorherzur Genüge, und „Geiz ist geil“ istauch kein neues Schlagwort. Vielleichtsind die steigenden PreiseAuslöser dafür, sich mehr mitden Beschenkten auseinanderzusetzen,genauer zu überlegen undmehr an die Symbolkraft von Geschenkenals ihren materiellenWert zu denken. Mein Optimismushält sich diesbezüglich aberin Grenzen.MehrwertDie Freude über Geschenkewächstnicht mit deren Anzahl,auch wenn dieWirtschaft das suggeriert.Vielmehrhelfe es, auf Bedürfnisseeinzugehen,sagt Erich Kirchler.Schenken löst Erwartungen und Stress aus. Das widerspricht der Ur-Idee,meint der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Erich Kirchler. Ein Gesprächüber Kaufaufforderungen, Bedürfnisse und das perfekte Geschenk.„Geben muss keinesoziale Lüge sein“DIE FURCHE: Kinder haben oft eineganze andere Beziehung zuGeschenken. Als Erwachsene neigenwir dazu, sie mit Gaben zuüberhäufen. Aber brauchen Kindermaterielle Geschenke?Kirchler: Kinder wissen ab einembestimmten Alter genau, dass siezu Weihnachten oder zu welchenAnlässen auch immer Geschenkeerhalten werden. Sie entwickelnfolglich nicht nur Wünsche, sondernauch Erwartungen, die enttäuschtwerden, wenn sie nicht erfülltwerden. Kinder freuen sichüber Geschenke, wenn Schenkendeauf ihre Wünsche eingehen,aber die Freude steigt nichtmit der Anzahl oder dem Wert derGeschenke. Im Gegenteil, zu vielgeht nach hinten los. Zudem solltebedacht werden, dass Kindersich mit anderen Kindern vergleichenund der Vergleich zu Neid,Scham und anderen Gefühlenführen kann.DIE FURCHE: Auf der anderen Seitegibt es auch die Tendenz, auf Geldgeschenkezurückzugreifen. Inwiefern„pervertiert“ das den Sinn desSchenkens?Kirchler: Geldgeschenke sind jenach Beziehung legitim: Wenn dieOma oder der Opa Geldgeschenkegeben, kommt das häufig bei denEnkeln auch sehr gut an. Schönfinde ich, wenn die dann gekauftenSachen auch als Geschenk derGroßeltern gesehen werden. ZwischenFreunden oder Partnernfinde ich Geldgeschenke unpassend,es sei denn, der durchauslegitime Wunsch besteht, sichmit „kollektiven Geschenken“ einengrößeren Wunsch zu erfüllen.Das sehe ich nicht viel anders alsdie Idee von Geschenklisten, diezu Hochzeiten oder anderen Anlässenausgelegt werden.DIE FURCHE: Schenken ist bis heutestark ritualisiert, hat also auchklare Regeln über die angemesseneArt und Weise einer Rück-Gabe.Lässt sich das mit einem Wohltätigkeitsgedanken,wie er geradevor Weihnachten eine große Rollespielt, vereinbaren?Kirchler: Geschenke müssen angemessensein, sowohl im Privatenals auch unter Wirtschaftspartnern.Geschenke könnenden Handlungsspielraum der Beschenkteneinengen, deren Autonomieeinschränken und zukorruptem Handeln drängen.Deshalb finde ich es gut, wennUnternehmen entscheiden, keineeinzelnen Geschenke zu machen,sondern zu bestimmten Anlässen– zum Beispiel zu Weihnachten– die Entscheidung treffen,die geplanten Geschenkausgabengemeinnützigen Organisationenzu spenden.DIE FURCHE: Für ein gutes Geschenksoll man sich Zeit nehmen. Was istalso ein perfektes Geschenk?Kirchler: Zeit ist eine knappe Ressource,wie vieles andere auch. Jenach Beziehungsart finde ich espassend, gemeinsame Zeit – etwaeinen Theaterabend – zu schenken.Die Bewertung des perfektenGeschenks kann nur subjektiv erfolgen.Schenken soll jedenfallsbeiden – Schenkenden und Beschenkten– Freude machen undnicht Druck und Stress.Foto: Martin KernicErich Kirchler ist Wirtschaftspsychologean der Universität Wien und SeniorFellow am Institut für Höhere Studien.
DIE FURCHE · 497. Dezember 2023Das Thema der Woche Geben und nehmen3Das Ehrenamt ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und Ausdruck für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.Wer etwas für andere gibt, verrichtet einen Dienst an der Gemeinschaft, aber auch an sich selbst.Zeit nehmen, um Zeit zu gebenVon Victoria SchwendenweinUmgestürzte Bäume, hängengebliebeneFahrzeuge, gekappteStrommasten: Der heftigeSchneefall am ersten Adventwochenendeforderte österreichweittausende freiwillige Einsatzkräfte.Sie waren dabei eine wichtige Stütze zurAufrechterhaltung der Infrastruktur.„Österreich ohne Freiwillige ist undenkbar“,liest man etwa auf der Startseite derFreiwilligenmesse Wien ; und „Freiwilligenarbeitist das Sozialkapital unserer Gesellschaft“,heißt es auch in einigen derzahlreichen Aussendungen anlässlich desInternationalen Tags der Freiwilligenarbeitam vergangenen 5. Dezember. Daraus aberdie Auffassung abzuleiten, dass die Gesellschaftohne die 3,7 Millionen Freiwilligenim Land nicht funktioniert, ist ein Gedanke,der laut Sibylle Auer zu kurz greift. DiePolitikwissenschafterin leitet den Bereichfreiwilliges Engagement der Caritas Innsbrucksowie das Freiwilligenzentrum TirolMitte und ist Vertreterin der Interessensgemeinschaftfür Freiwilligenarbeit (IFGÖ).Sie meint: „Eigentlich besteht Gesellschaftper se daraus, dass Menschen kooperieren.“DIE FURCHE erreicht sie frühmorgensam Rande der Freiwilligenkonferenz zumThema „Alle(s) inklusive“ im Wiener Museumsquartierfür ein Videotelefonat. Wennes darum geht, über ehrenamtliches Engagementzu sprechen, sprüht die Politikwissenschafterinvor Energie. „Das Kostbarste,was man in unserer aktuellen Zeit schenkenkann, ist das Zeitgeschenk“, meint sieund verweist auf die Wissenschaft.Als Beziehungswesen sind Menschenvon Geburt an darauf angewiesen, dass anderefür sie sorgen. Auer spricht von einemGrundbedürfnis, das Körper, Psyche undSeele am Leben hält – das aber dennochAnstrengung erfordert: „Es braucht immerdie bewusste Entscheidung dazu – unddann auch das Durchhaltevermögen; dennFreiwilligenarbeit ist ja auch kein Ponyhof.“Zeit für die DemokratiebildungOb Rettungsdienst, Caritas-Buddy, Pflegekoordination,Frauenschutz, Buchklub,Theatergruppe, Modelleisenbahnvereinoder Kirchenchor: Ehrenamt hat vieleGesichter und deckt viele gesellschaftlicheBereiche ab. Das geht auch aus demalle fünf Jahre erscheinenden „Berichtzum freiwilligen Engagement in Österreich“hervor, der zuletzt 2020 veröffentlichtwurde. Demnach engagieren sich jefünf bis acht Prozent der Bevölkerung inden Bereichen Sport und Bewegung, Katastrophen-und Rettungsdienste, kulturellesZusammenleben sowie Sozial- und Gesundheitsdienste.Annähernd ebenso vieleengagieren sich bei Umweltthemen und imkirchlich-religiösen Umfeld.Die Zeit, die in all diese Tätigkeiten investiertwird, betrachtet Auer auch als Kommunikationsmittel.So wie jede physische Gabeetwas vermittelt, drückt auch dieses Zeitgeschenkdie Botschaft aus, dass eine Personjemandem wichtig ist: „Das muss nichtan eine Person geknüpft sein, die ich privatkenne, sondern kann im gesellschaftlichenEngagement die Gesamtheit sein oder eineGruppe, die außerhalb meiner Blase lebt.“Konkrete Beispiele dafür finden sich vorallem in sozialen oder karitativen Vereinen.Auer und ihr ehrenamtliches Team inTirol begleiten unter anderem geflüchteteoder vertriebene Menschen, damit sie sichin der Gesellschaft besser zurechtfinden,nicht vereinsamen und im IntegrationsprozessUnterstützung finden. Sie bieten aberauch Besuchsdienste für pflegende Angehörigeund einsame ältere Menschen. EsFoto: Anja Panhubesind meist Personen, die die Freiwilligenzuvor noch nicht kannten, bei denen sievöllig andere Lebensrealitäten als ihre eigenenkennenlernen. Für die PolitikwissenschafterinAuer ist das ein wesentlicherFaktor für die Demokratiebildung: „Genaudas erhöht meine Möglichkeiten, Verantwortungzu leben, andere Sichtweisenkennenzulernen.“ Wer das nicht tue, laufeGefahr, sich immer nur in seiner Blase auszutauschenund in negativen Vorannahmenbestätigt zu werden.Demokratiebildung gibt es aber auchin jedem Chor, Hobby- oder Sportverein.Überall dort, wo Entscheidungen nichtnur für sich getroffen werden, werde Anpassungsfähigkeitgeübt, sagt Auer – undgeht damit auf eine biopsychosoziale Komponenteder Freiwilligenarbeit ein, diewährend der Corona-Pandemie zurückgedrängtwurde. Durch die fehlenden sozialenKontakte seien die Menschen nicht ausihrer Blase gekommen. „Wenn man so will:Die Trainingssessions für die Anpassungsfunktionhaben gefehlt“, meint Auer.Projekte statt lebenslangDie Wahrnehmung, dass junge Menschenimmer weniger für Ehrenämter zugewinnen seien, wird indes vom Sozialministeriumzurückgewiesen. Die Tendenzsei sogar steigend, heißt es. Insgesamt engagierensich 43 Prozent der 15- bis 25-Jährigengemeinnützig. Rund drei von zehn sindin Organisationen tätig. Die Art und Weisedes Engagements verändert sich aber. Heutesei es eben nicht mehr das altbekanntelebenslange und vererbte Engagement ineinem Verein, sondern eher eine projektbezogeneTätigkeit. „Grundsätzlich sindjunge Menschen sehr engagiert,“ teilt Auerdiese Einschätzung, „sie haben einenhohen Gerechtigkeitssinn und wollen andereWege finden.“Zudem führe die gesteigerte Mobilitätdazu, dass Vereins- und Ehrenamtsbeziehungenvielfältiger und projektbezogenerwerden. Ein gutes freiwilliges EngagementLesen Sie dazudas Interview„Eine Stadt suchtFreiwillige“(27.9.12) mitFreiwilligenmesse-GründerMichael Walkauf furche.at.„ Ein gutes freiwilliges Engagementhat einen Anfang und ein Ende.In einem bestimmten Zeitraum tätigzu werden, zeugt nicht von fehlendemDurchhaltevermögen. “SPRACHWANDELIm EinsatzDiese Mädchensetzten sich heuerin Oberösterreichbeim Projekt„72 Stunden ohneKompromiss“ der„youngcaritas“ undder katholischenJugend ein. Die Initiativeerhielt eineAuszeichnungbeim ersten Ehrenamts-Staatspreis.hat laut Auer daher auch Anfang und Ende.In einem bestimmten Zeitraum tätig zuwerden, zeugt demnach nicht von fehlendemDurchhaltevermögen, sondern von einerbewussten Entscheidung. Der Grundgedanke– sich Zeit zu nehmen, um Zeit zugeben – bleibt dabei unverändert.Was sich allerdings ändert, sind die Anforderungenan Organisationen, die trotzneuer Novelle im Freiwilligengesetz aufeinheitliche Strukturen pochen. Vertretersprechen davon, die Ausbildungsqualitätund Professionalisierung der ehrenamtlichenTätigkeiten zu steigern. Gleichzeitigdürften Ehrenamtliche langfristig abernicht zum günstigen Ersatz für Hauptamtlichewerden.Positiv bewertet werden die gesetztenSchritte dennoch: Darin enthalten sind etwader Ausbau von Beratungsmöglichkeiten,wenn sich jemand freiwillig engagierenmöchte, mehr Geld für die Freiwilligenzentrenin den einzelnen Bundesländern undmehr Sichtbarkeit durch einen „Staatspreisfür freiwilliges und ehrenamtliches Engagement“.Derselbe wurde am Vorabend desInternationalen Tags des Ehrenamtes imMuseumsquartier erstmals vergeben. Ingleich zwei von fünf Kategorien schafftenes Frauenschutzmaßnahmen an die Spitze.Auch sie sind ein wichtiger Hinweis für dasEngagement von Freiwilligen an jenen Stellen,wo öffentlichen Institutionen die Möglichkeitenausgehen – und Freiwillige sindmehr denn je Multiplikatorinnen. PositiveErfahrungen mit dem Ehrenamt führendazu, dass sich mehr Menschen für andereeinsetzen – oft, um etwas zurückzugeben.Dies sei vor allem im kirchlichen Bereichlange zurückgestellt worden, sagt Auer.Selbstfürsorge als erweiternde Dimensionder gesellschaftlichen Verantwortungrücke aber zunehmend ins Bewusstsein.Denn wer sich freiwillig engagiert, möchteletztlich auch etwas für sich selbst tun,sagt Auer: „Gutes tun tut auch mir gut.“Wie von der „Gabe“ nur die „Mitgift“ blieb„Die Gabe“: So heißt das klassische Werk des französischen Ethnologen Marcel Mauss,in dem er den Austausch in archaischen Gesellschaften untersucht (siehe Seite 2). Maussbringt die Gabe mit dem zweideutigen englischen Begriff gift zusammen, um die Prinzipienvon Arbeit, Dienstleistung, Sozialstaat und Wohlfahrt zu analysieren. Tatsächlichbezeichnete Gift in der ältesten Bedeutung auch im Deutschen die Handlung des Gebens.Daraus entwickelte sich der Begriff für etwas, das dargereicht oder verabreicht wird.Verwendete etwa Goethe die Gift noch als Ausdruck einer Schenkung, verschwand dieseBedeutung später im 19. Jahrhundert aus dem deutschen Sprachraum, während sie imEnglischen erhalten blieb. An diesen ursprünglichen Wortsinn erinnert heute nur nochdie Mitgift, die Aussteuer in Form von Geld und Gut, die einer Frau von den Eltern indie Ehe mitgegeben wird. Aber auch dieser Begriff erinnert heute bereits an eine verschwindendeWelt. Was also bleibt? In der deutschen Sprache behält Gift seine auf dasGriechische zurückgehende Bedeutung von Schadstoff.(vs/mt)
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