DIE FURCHE · 4918 Literatur7. Dezember 2023Wenn dieLiteratur die Weltretten sollVon Rainer MoritzNein, Bücher machen – auch wenn eifrigeLiteraturvermittler das gern behaupten –keineswegs immer glücklich. Manchmallegt man sie enttäuscht oder gar verärgert beiseite,vor allem wenn sie hochgesteckte Erwartungennicht erfüllen.Die 1980 geborene US-Amerikanerin Celeste Ngfeierte gleich mit ihren ersten beiden Romanen –„Was ich euch nicht erzählte“ (2016) und „KleineFeuer, überall“ (2018) – weltweit Erfolge und zeigte,wie gut und unterhaltsam fein geplottete Familien-und Gesellschaftsromane keine Domäneihrer männlichen Kollegen sein müssen. BeideBücher erzählten von großen und kleinen familiärenDramen, von der ausgrenzenden Macht derÖkonomie im Kleinen und von nicht nur unterschwelligemRassismus – angereichert durch einhohes Maß an Emotionen, die nur selten ins bloßSentimentale abdrifteten.„Unsre verschwundenen Herzen“ bleibt diesemAnsatz treu und geht doch einen erkennbar anderenWeg. Denn was Ng in ihrem dystopischenRoman ausbreitet, ist die Fortführung einer restriktiven,allein auf das US-Wohl ausgerichtetenPolitik, wie sie sich in den letzten Jahren krasszeigte. Hauptfigur des in Cambridge, Massachusetts,angesiedelten Romans ist der zwölfjährigeNoah, Bird genannt. Er lebt mit seinem Vater, einemLinguisten, der eine Bibliothekarsstelle bekleidet,in einer bescheidenen Campuswohnung.Seine Mutter Margaret Miu, Schriftstellerin mitasiatischer Herkunft, hatte drei Jahre zuvor dieKleinfamilie aus anfangs rätselhaften Gründenplötzlich verlassen und war untergetaucht.Die USA, die Ng in eine nicht sehr ferne Zukunftversetzt, blicken auf eine schwere „Krise“ zurück,für die die autoritäre Regierung die „gelbe Gefahr“China verantwortlich machte. Ein gegen alles Asiatischegerichteter Rassismus macht sich breitund geht – Donald Trump und die Corona-Pandemielassen grüßen – Hand in Hand mit einer Politik,die das amerikanische Wohl über alles anderestellt. PACT („Preserving American Cultureund Tradition“) heißt das maßgebliche Gesetz, dasalles „Antiamerikanische“ und Asiatische an denPranger stellt, Denunziantentum fördert und zugleich– ein Nebenstrang des Romans – Kinder ausvermeintlich prekären Verhältnissen gegen denWillen ihrer Eltern kurzerhand zu Pflegeelterngibt. Birds Freundin Sadie ist eine der Betroffenen.Ngs Roman erzählt von der daraus resultierendenAngst und Verzweiflung, und wenn Birdaufbricht, um seine Mutter zu suchen, bringt dieAutorin, wie man es von ihr kennt, die widerstreitendenGefühlswelten der Beteiligten überzeugendnah. Leider bleibt es dabei nicht. Birds MutterMargaret hat sich abgesetzt, weil sie gegen dasSystem und die PACT-Verwalter rebellierte undihre Familie nicht in Gefahr bringen wollte. Zeilenaus einem ihrer Gedichte, die „missing hearts“,„verschwundene Herzen“ beklagen, werden zur Erkennungslosungder Systemgegner und als Graffitieingesetzt. Die Streukraft der Literatur, so NgsBotschaft, schafft es, eine rassistische Regierungunter Druck zu setzen und Gleichgesinnte zu vereinen.Gleichzeitig formiert sich Widerstand gegendie Politik der Kinderverschleppung, und natürlichgeschieht das zwischen den Regalen derBibliotheken, wo man sich Kassiber zusteckt. Seltenwurde so naiv die Kraft von Literatur heraufbeschworen.Das alles ist furchtbar gut gemeint, überschreitetdie Kitschgrenze oft gewaltig – und führt vorallem dazu, dass Ngs erzählerische Qualitätenüber weite Strecken verlorengehen. „Unsre verschwundenenHerzen“ ist, leider, eines jener Bücher,die unglücklich machen.Unsre verschwundenen HerzenRoman von Celeste NgAus dem amerikanischenEnglisch von Brigitte Jakobeitdtv 2022400 S., geb., € 25,70Foto: Peter-Andreas HassiepenVon Oliver vom HoveEin Autor muss seinen Protagonistenschon sehr liebgewonnenhaben, wenn er ihm bereitsden fünften Roman widmet.Aber Frank Bascombe ist fürRichard Ford auch sein beredter Langstreckenzeitzeuge,den er seit beinahevierzig Jahren, seit 1986, durch allerhandHöhen und Tiefen der US-Mittelstandsgesellschaftgeleitet hat. Anfangs war FrankSportreporter, dann scheiterte er kurzfristigals Schriftsteller, ehe er es als Immobilienmaklerzu einem nicht allzu üppigbemessenen Wohlstand gebracht hat.„In letzter Zeit denke ich öfter als früherüber das Glück nach.“ Mit diesem brillantenEingangssatz eröffnet Ford den neuenBascombe-Roman. Und tatsächlich: Esgeht in dem gesamten Buch um Glück. Umleichtfertig versäumtes wie um noch immerheftig gesuchtes.Roadtrip von Vater und SohnFrank Bascombe ist jetzt 74 Jahre altund umtriebig wie eh und je. Aber er wirdunerwartet eingeholt vom Unglück. Beiseinem Sohn Paul, 47 Jahre alt, hat mandie Nervenkrankheit ALS diagnostiziert.Frank muss sich fragen: Wie weitermachenmit einer solchen Diagnose?Wenn alle Zeichen auf Dunkelheit, Abschied,Verlust stehen? Wie den Sohnschützen, vor dem Aufgeben und der Verzweiflung?Können Götter helfen? FrankBascombe liest, wie er behauptet „zumEinschlafen“, einenübel beleumundetendeutschen Philosophen,zitiert gernden „ranzigen altenHeidegger“. Immerhin,der „befasstsich ja mit den unerwartetenVerknüpfungender Alltäglichkeitund derZeitlichkeit“.Aber Frank Bascombe ist Amerikaner,er kämpft. Er hat auch bislang nie aufgegeben.Also packt er den Sohn in seinAuto und fährt los. Das erste Ziel ist dieMayo-Spezialklinik in Rochester, Minnesota.Dort nimmt Paul Bascombe an einerexperimentellen Testreihe teil, die aberbei ihm keine Besserung bringt.Also beschließt Frank, seinem Sohnmit einer Art nationaler Wallfahrt eineAblenkung und beiden den Versucheiner Wiederannäherung nach einemnicht konfliktfreien Erwachsenenverhältniszu verschaffen. Die Route führt„ Es geht, wie in allenFord-Romanen, umdas Glücks versprechender amerikanischenVerfassung, um den‚pursuit of happiness‘. “Frank Bascombe ist zurück. In seinem neuen Roman„Valentinstag“ schickt Richard Ford seinen „Langstreckenchronisten“zum fünften Mal über die Seiten.Als wär’s eingutes Landim gemieteten Wohnmobil nach SouthDakota, zum Nationalpark, „wo die Gesichtervon vier Präsidenten wie Marionettender Steinzeit in einen Berg gehämmertwurden“. Es ist bald Valentinstag inAmerika, mittlerweile ein von den Republikanernbesetztes Datum. So unternehmendenn Vater und Sohn auch eine ArtProtestfahrt, quer durch ein politischverseuchtes Land.Zuweilen drängt sich Fords Erzählfreudein dieser Road-Novel dem Leser allzuminutiös und kleinteilig auf, wenn gleichsamjede Gangschaltung bei der Fahrt erwähntund jeder Lebensmitteleinkauf endétail geschildert wird. Der Roman wirktdann „überpflastert“, um sich beim Wortschatzdes bewährten Ford-ÜbersetzersFrank Heibert zu bedienen.Es geht, wie in allenFord-Romanen,um das Glücksversprechender amerikanischenVerfassung,um den pursuitof happiness.Nachts, schlaflos inMinnesota, ersehntsich Frank ein Bleiberechtin einemsinnvollen Leben.„Ein letztes Greifen nach dem Glück“, wieer es nennt.Gegenüber dem schlafenden Sohn empfindeter Gewissensbisse: „Was ich spüre,während ich ihn betrachte, ist unleugbarVernachlässigung. Durch mich. UndAngst, dass ich ihm nie die verdiente Aufmerksamkeitals Erwachsener geschenkt,dass ich ihn gönnerhaft unterschätzt undmanchmal vergessen habe, als wäre er, sowie er ist, nicht immer plausibel für mich.“Nach schlingernder Fahrt durch Eisund Schneetreiben am Mount Rush moreangekommen, stellt sich unter der steinernenAufsicht von vier Präsidenten ‒ Washington,Jefferson, Theodore Roosevelt,Lincoln – am Valentinstag die erwartete„Reverenz an den amerikanischen Patriotismus“bei den beiden Bascombes nichtein. Es herrscht noch Trump-Zeit im Land.Ringsum plädieren die Klebe etikettenauf den Autos vor allem für Trump, wenigefür Biden.Der gerettete AugenblickRichardFordMit seinenErzählungenrund um seinenRomanheldenFrank Bascombewurde der amerikanischeSchriftsteller(*1944)weithin bekannt.Für den Roman„Unabhängigkeitstag“erhielt er 1995den Pulitzer-Preisund den PEN-Faulkner Award.Frank sagt von sich selbst: „Die Kunstdes geretteten Augenblicks ist die einzige,in der ich halbwegs gut bin.“ Das istihm auf dieser letzten Fahrt mit dem sterbendenSohn gelungen. Wieder allein,sieht er sich bestärkt in seiner Ansicht,„dass es letztlich nichts anderes gibt alsdie ungeprüften Wege“. Damit widersetzter sich Heideggers Daseinsbegriffals „Sein zum Tode“: „Mir ist bewusst geworden,dass Heidegger das Leben – dasschon schwer genug ist – noch ein kleinesbisschen schwerer macht.“ Stattdessengelangt er zur bescheideneren Definition,„an die ich immer noch am ehestenglaube ‒ frei nach Augustinus ‒, nämlichdass Gut vor allem die Abwesenheit vonSchlecht ist und Glück die Abwesenheitvon Unglück“.Das Lektorat hätte sich übrigens mehranstrengen können. Viele orthografischeFehler nerven, vor allem aber die wiederkehrendenfalschen Kommata.ValentinstagRomanvon Richard FordAus dem Englischenvon Frank HeibertHanser 2023384 S., geb.,€ 28,80
DIE FURCHE · 497. Dezember 2023Musik & Literatur19Von Walter DobnerKurt Schwertsiks „Alice. Einephantastische Revue“ (Kostümeund Bühne: Mirjam MercedesSalzer) ist eine gedankenvollkonzipierte und szenischklug gestaltete Produktion. Außerdem istsie ein Beispiel dafür, dass zeitgenössischesMusiktheater durchaus unterhaltsam seinkann. Dabei ist „Alice“, wenn auch in Durund Moll konzipiert, ein durchaus avanciertesMusiktheater. Die Musik, mit der derseinerzeit auch bei den Darmstädter Ferienkursensozialisierte Komponist ausgewählteSzenen aus Lewis Carrolls Klassikern„Alice’s Adventures in Wonderland“und „Through the Looking-Glass“ illustriertund kommentiert, besticht durch Eindrücklichkeit,Diskretion, hintergründigenCharme und meisterliche Kunstfertigkeit.Zudem verbindet sie sich ideal mit demLibretto, das Co-Regisseurin KristineTornquist aus Lewis Carolls hintergründigenTexten gefiltert hat und in 26 aphoristischenSzenen auf die Bühne bringt. Vonder blauen Raupe, der Herzkönigin, demHutmacher, den geschwätzigen Blumen,der Maus, Tweedledum und Tweedledeebis zur schrillen Tea Party und den Auftrittender genauso pointiert aufs Korn genommenenKönigsfamilie ‒ um nur einigeder Szenerien anzudeuten ‒ findet sichso gut wie alles in diesem ironisch gefärbtenPanorama, hinter dem sich die Reminiszenzenüber das Erwachsenwerden einerPerson verbergen.„You are nothing but paper. Nothing butpieces of paper!“, heißt es am Ende dieserRevue. Letztlich sind es nur Papiertiger, mitdenen sich Alice in diesem an Skurrilitätenreichen träumerischen Wunderland he rumschlagenmuss. Das demonstrieren auch dieschrulligen Papierkostüme in dieser vonMax Kaufmann inszenierten Produktiondes Serapions Theater unmissverständlich.Sieben höchst engagierte Solistinnen undSolisten – im Mittelpunkt Ana Grigalashvilials schweigende Alice ‒ und 24 In strumentalistinnenund Instrumentalisten desDas Rote Orchester unter François- PierreDescamps sorgten für den geforderten musikalischenRevue-Mix. Diskursive Unterhaltungmit Mitteln der Gegenwart. Mansollte es gesehen haben, und bis Silvesterbietet sich dazu Gelegenheit genug.Foto: Odeon/Stefan SmidtZweimal „Wien modern“: eine Kurt-Schwertsik-Uraufführung im Odeon und Terry Rileys Minimal-Music-Klassiker „In C“ im Semperdepot.Zauber undKlangmagieder ModerneAlice inWienEine charakteristischeSzenenauswahlaus LewisCarrolls Klassikerstellt die Grundlagefür die neueProduktion vonKurt Schwertsikdar, die auch durchRegie und Kostümebeeindruckt.„ Längst gehört es zum guten Ton,wenigstens das eine oder andere‚Wien modern‘-Event zu besuchen. “Seit 35 Jahren ein FixpunktAls der damalige Musikdirektor der StadtWien und Musikchef der Wiener Staatsoper,Claudio Abbado, am 26. Oktober 1988 mitden Wiener Philharmonikern und dem WienerJeunesse-Chor im Musikverein das erste„Wien modern“-Festival eröffnete, warennur wenige von einem Langzeiterfolg diesesmittlerweile zur Selbstverständlichkeitgewordenen Projekts überzeugt. AberWiens Publikum, selbst wenn Klischeeszuweilen immer noch das Gegenteil transportierenwollen, ist seit jeher „moderner“,aufgeschlossener, als es oberflächliche Betrachterwahrnehmen wollen.Längst gehört es zum guten Ton, wenigstensdas eine oder andere „Wien modern“-Eventzu besuchen. Wie oft hat manhierzulande auch schon die Möglichkeit,Terry Rileys 1964 in San Francisco vor bloßhundert Zuhörerinnen und Zuhörern uraufgeführtesMusikstück „In C“ mitzuerleben?Beim Abschlusskonzert von „Wien modern“im Semperdepot ‒ korrekt: dem Atelierhausder Akademie der bildenden Künste Wien –waren es ungleich mehr Besucherinnenund Besucher, die sich von den unterschiedlichenKlangwelten dieses längst Kultstatuserlangten Opus faszinieren ließen.„‚In C‘ war für mich der Versuch, Demokratiein die Ensemblemusik zu bringen“, hatder Komponist als Anstoß für dieses Opusgenannt. Ebenso wollte er damit die Tonalitätwieder hoffähig machen. „In C“ basiertauf 53 um den Ton C kreisenden kurzen Motiven,die immer wieder wiederholt werden.Wie lange, welche, vor allem wie dichteKlanggewebe sich daraus ergeben, wierhythmisch profiliert diese ausfallen, dasalles entscheiden die Ausführenden. Wieviele es sind und auf welchem Instrumentariumsie dieses Werk, mit dem das Tor zurMinimal Music geöffnet wurde, realisieren,lässt Riley offen.Diesmal stellten sich zwanzig Musikerauf Dudelsäcken, Bombarden und Binioùunter dem bretonischen DudelsackvirtuosenErwan Keravec dieser Herausforderung.Sie zeigten, verteilt auf einem der Stockwerkedes Semperdepots, eine Stunde lang,was sich alles aus Rileys minimalistischenVorgaben lesen lässt, welch vielfältige undüberraschende Klangmuster sich dabei eröffnen.Eine von Licht (Yves Godin) begleiteteKlangreise in einem Raum, der nichtnur die dafür passende Akustik aufwies,sondern dessen auf klare Linearität zielendeArchitektur mit Rileys gleichfalls aufdas Wesentliche konzentrierter Musik idealharmonierte.„Bewegung im Raum“ lautete das diesjährige„Wien modern“-Motto. Und auch daraufwurde an diesem besonderen Abend ausdrücklichBezug genommen. Denn die Besucherkonnten, je nach Belieben, auf denStufen Platz nehmen oder sich während derAufführung frei im Raum bewegen. Wemdies zu wenig war, der konnte der Musikauch im Liegen folgen. Denn Rileys auchvon indischem Raga-Gesang inspiriertesOpus, mit dem er der seinerzeitigen Avantgardeeinen Schock versetzt hat, lädt auchzur Entspannung oder Meditation ein.Alice. Eine phantastische RevueOdeon, 8., 9., 29., 30., 31.12., jeweils 20 Uhrwww.wienmodern.atwww.odeon-theater.atGANZ DICHTVON SEMIER INSAYIFDie Poesie dialektaler Gesänge & des EnjambementsEs sind 51 Dialektgedichte in drei Kapitel eingeteilt.Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln ergebengemeinsam den Titel des neuen Gedichtbandesvon Eva Lugbauer, nämlich: „faschaun farena fagee“.Spielerisch und sich ihrer selbst bewusst stellen die Gedichtedas Sprachmaterial aus und erinnern immer wiederan konkrete Poesie. Mit ihrer präzisen Komposition, ihrenintensiven Rhythmen mit Wiederholungen, Variationen,refrainartigen Passagen, Alliterationen, Reimen undihrer klanglich melodiösen Struktur, sind sie in der Lage,sich eindringlich und leicht zugleich unter die Haut zu singen.Da heißt es zum Beispiel im ersten Gedicht mit demTitel „faschaun“: „drei schdund/samma gsessn/en kafeehaus/haummagredt/haumma bofed/haumma gschaud//da disch glaunzad/zwischn uns/en kafeehaus/oeswiar a see/en winta/und es daud// …//drei schdund/ und ewaas ned/wos e gredt hob/drei schdund/und meine setz/hots fawaad//…“Liebe, Lust und Verbundenheit, Sackgassen, Trauerund Verlust sind u. a. häufige Motive. Es wird durchgehendKleinschreibung verwendet und auf Satzzeichenverzichtet. Überhaupt zeugt die Orthografie von einerpoetischen Eigenwilligkeit „des Ohres“.Existenziell und prall gefüllt mit Humor, Sinnlichkeitund gleichzeitig feiner Fragilität stellen die Gedichte mitWiderstandskraft einen Gegenentwurf zum EffizienzundFunktionalitätsparadigma dar. Im Gedicht „fagroom“heißt es: „en deine aung/en deine haud/en dein boesda/en da ead//woxn bleamen/aus dia“.Ein Herz der Gedichte von Patricia Mathes ist programmatisch.Jedes Gedicht trägt als Ausgangspunkt eineRedewendung oder ein Sprichwort in sich. Bei einigenschwingen diese noch erkennbar mit, bei anderen scheinensie völlig verschwunden oder gerade noch als DuftoderErinnerungsspuren existent.So erklärt sich auch der Titel des Manuskriptes: „Schneevon gestern“. Als wäre der sprichwörtliche Sprachschneenur noch an schattigen Plätzen im Gedicht auffindbaroder gar schon geschmolzen und in andere Aggregatzuständeübergegangen. „als würdest du erst noch/gezeichnetwerden müssen/um dich selbst//zeichnen zu können/zur ersten skizze/die weiß welcher//umriss reicht/demblatt/das man dir gab/nicht überzustehen/“.Ein anderes Herz der ungebundenen und ungereimtenGedichte stellen ihre eigenwilligen Wendungen und Verschiebungendar, die imstande sind, völlig unerwarteteBilder und Zusammenhänge zu generieren. „… du klopfst/deinen hall so tief/in den wind bis er/schwarz genug ist/dich lesbar auf zu hören//“. Auffälliges poetisches Mittelist u. a. das Enjambement, das über die Verszeilen- undStrophengrenzen hinweg zu vielfältigen Bedeutungszusammenhängenund Lesarten (ver)führt.So werden Herz, Hirn, Geist und Leben poetisch ab-, aufundumgehängt, bis sie Sprache, Sinn, Bilder und Erfahrungenhinterfragen und zum Schweben bringen. „die schriftwird/wenn sie einschläft/nur im westen untergehen/diefrage wird sich/genau nach ihrem/schatten stellen/“.„ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in derAlten Schmiede (nächstes: 7.12.2023) Lyrik vor.faschaunfarena fageeGedichtevon Eva LugbauerLiteratureditionNiederösterreich2023192 S., geb.,€ 24,–
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