DIE FURCHE · 4912 Gesellschaft7. Dezember 2023Von Sandra LobnigWichtigeStützeIm Spagat zwischenBeruf und Familieist der Kindergartenein wichtiger Lernortfür Kleinkinder.Bricht diese Säuleweg, geraten Elternins Strudeln.Da steht man in der Türzum Gruppenraumim Kindergarten undstaunt. Wie ist dasmöglich? Fast zwanzigKinder zwischen zwei undsechs Jahren tummeln sich darin,und alles, was man hört, ist gedämpftesPlaudern, hin und wiederhelles Kinderlachen und dasleise Quietschen eines Puppenkinderwagens,den eine Zweijährigebedächtig durch den Raumschiebt. In aller Ruhe belegen einpaar Buben im Jausen bereich ihreBrotscheiben mit Käse undGurken. Eine Gruppe Mädchenmalt konzentriert am Basteltisch.Auf dem grünen Teppichbodenstecken Kinder Holzschienenineinander. Und mitten imSchienennetz sitzt Anna-CarolaSwoboda, schulterlange brauneHaare, in Jeans und T-Shirt, umden Hals einen buntgestreiftenSchal mit Fransen. In ihren Händenhält sie je ein Schienenteil.„Schau, so kannst du das zusammenstecken!“,sagt die 42-Jährigezu einem der Kinder, und ihre mitbunten Perlen bestückten Ohrringependeln hin und her, als siedie Schienen auf den Boden legt.Hauptansprechperson für ElternSeit vier Jahren ist Anna-CarolaSwoboda die gruppenführendePädagogin in der „Sonnengruppe“im Kindergarten St. Josef im14. Wiener Gemeindebezirk, einerEinrichtung, die zur St. Nikolausstiftungder Erzdiözese Wiengehört. Zusammen mit der Gruppenassistentinbetreut sie zwanzigKinder. An diesem Dienstagmorgenist sie seit sieben Uhr imDienst. Swoboda hat den Raumvorbereitet, mit ihrer Assistentinden Tag besprochen und die ankommendenKinder begrüßt. Diekurzen Begegnungen mit den Elternin der Garderobe am Morgensind wichtig. „Ich bin fürdie Eltern Hauptansprechperson.Wenn es etwas Besonderes gibt,zum Beispiel wenn ein Kind geimpftwurde, erfahre ich das inder Früh und kann mich daraufeinstellen.“ Die Bedürfnisse derKinder wahrnehmen und daraufreagieren – beim Anziehen desT-Shirts helfen, Butter aufs Brotstreichen oder einen bestimmtenBaustein suchen –, das ist fürSwoboda ein wesentlicher Aspektihrer Arbeit als Pädagogin.Darin, sagt sie, liege der Schlüsselfür die Zufriedenheit der Kinder– und für die entspannte Atmosphäreim Gruppenraum.Die Kinder wissen, dass siejederzeit zu ihr kommen können.Und das tun sie auch. Klarabraucht Hilfe beim Anziehenihrer Patschen, Leon beschwertsich über ein anderes Kind, Luisakann das Schraubglas mit denPerlen nicht öffnen. Anna-CarolaSwoboda bleibt zugewandt undfreundlich. Verliert sie nie dieGeduld? „Immer weniger“, sagtsie lachend. Fast fünfundzwanzigJahre Erfahrung als Pädagoginwürden sich natürlich im Kindergartenalltagniederschlagen.Foto: iStock/Dejan_DundjerskiLesen Siezu diesemThema auchdas Interview„Es geht auchum Respekt“(27.8.2009) mitRaphaela Kellerauf furche.at.Geringer Lohn, Personalmangel und kaum Zeit für ihre Aufgaben erschweren Anna-Carola Swobodadas Berufsleben. Doch sie kämpft dagegen. Porträt einer Elementarpädagogin aus Leidenschaft.„Die Eltern wollenmit uns streiken“Und dann sagt die Pädagogin etwas,das so manche Eltern beruhigendürfte: „Bei meinen eigenenKindern, die jetzt schon 13und 17 sind, war ich nicht immerso geduldig. Zu Hause fehltdie emotionale Distanz, das istder Unterschied zur Arbeit.“ Swobodahat sich früh für ihren Berufentschieden. Als 14-Jährigebeginnt sie die Bildungsanstaltfür Kindergartenpädagogik (BA-KIP, heute BAfEP), eine fünfjährigeAusbildung, die mit der Maturaabschließt. „Als Jugendlichekann man sich noch nicht so gutvorstellen, wie es sich anfühlt, inder Gruppe zu stehen. Aber baldwar für mich klar: Ich habe meineBerufung gefunden.“Spricht Anna-Carola Swobodaüber die ihr anvertrauten Kinder,spürt man, wie sehr sie ihram Herzen liegen. Vor allem jene,die zu Hause nicht all das bekommen,was sie brauchen. Dieungeteilte Aufmerksamkeit ihrerEltern etwa. „Viele Kinder müssensich gegen die digitalen Mediendurchsetzen. Wir ermunterndie Eltern deswegen sehr, ihrHandy wegzulegen, zum Beispielwenn sie ihr Kind bringen oderabholen.“ Die Pädagoginnen merkenauch, wenn Kinder daheimzu viele digitale Medien konsumieren.An den kurzen Konzentrationsspannender Kinder, anden Themen, die sie ins Spiel einbringen,an den Schwierigkeiten,die sie haben, ins Spiel zu finden.Aber: „Wir arbeiten bewusstdagegen, mit den Kindern undden Eltern.“ Überhaupt bekommtSwoboda viel von dem mit, wasKinder beschäftigt. „Sie sind ein-„ Ihre Aufgabe ist nicht die einerAnimateurin, die die Kinder unterhält.Sie hilft ihnen, ins Spiel zu finden,wenn sie das allein nicht schaffen.“fach ehrlich. Und sie zeigen durchihr Verhalten, wie es ihnen geht.“Schwierige Familiensituationen,schlechte Nächte, Frust wegen eineskaputten Spielzeugs: Manchmalbenötigt ein Kind eine ExtraportionZuwendung, die es vonSwoboda bekommt.Hohe AnforderungenBis heute ist Anna-Carola Swobodaleidenschaftlich gerne Elementarpädagogin,auch wennsie – wie so viele ihrer Kolleginnen– unter den suboptimalenRahmenbedingungen leidet. Zuwenig Bezahlung für einen anstrengendenJob, Personalmangel,der sich auf die Bildungs- und Betreuungsqualitätauswirkt, hoheAnforderungen in zu wenig Zeit.Vier Stunden sind bei ihrer Anstellungvon 30 Wochenstundenfür Vor- und Nachbereitung vorgesehen,für Reflexion, Beobachtungder Kinder und Verschriftlichung,für Planung und diePortfolioarbeit für jedes einzelneKind. Das sei viel zu knapp bemessen.Vor allem wenn man denviel großzügigeren Schlüssel vonVorbereitungs- und Unterrichtszeiteiner Volksschullehrerinzum Vergleich heranzieht. „Mindestenszwei Stunden mehr proWoche wären ideal, etwa für denfachlichen Austausch mit Kolleginnen,der sehr wertvoll ist.“Allein was die ihr entgegengebrachteWertschätzung angeht,hat sich in den vergangenen Jahrenund Jahrzehnten etwas zumPositiven verändert. Als „Kindergartentante“,die nichts anderesmache, als mit den Kindernzu spielen, werde sie kaum mehrgesehen. „Heute wird der Kindergartenals erste Bildungseinrichtungwahrgenommen, in derder Grundstein für die Bildungder Kinder gelegt wird.“ Wobeidas Spielen nach wie vor eine zentraleRolle dabei spiele. Denn „Unterricht“wie in der Schule gibt eskeinen. „Das Spielen ist das Lernenund das Lernen das Spielen“,erklärt Swoboda. Ihre Aufgabeist nicht die einer Animateurin,die die Kinder unterhält. Sie hilftden Kindern, ins Spiel zu finden,wenn sie das allein nicht schaffen,und bereitet die Lernumgebungentsprechend der Interessen undEntwicklungsthemen der Kinder
DIE FURCHE · 497. Dezember 2023Gesellschaft13Ein besserer Zugang zur Ausbildung, ein einheitlicher Betreuungsschlüssel und mehr finanzielleMittel: Um die Kinderbetreuung auszubauen, muss die Politik diese erst aufrechterhalten können.Geld alleine reicht nichtWer sind die Menschen, diedas gesellschaftliche Gefügezusammenhalten? DIE FURCHEholt in einer Porträtreihein unregelmäßigen Abständensogenannte Systemerhalterinnenund -erhalter vor den Vorhang.vor. In ihrem privaten Umfeld erzähltSwoboda gern über ihrenJob und die Arbeitsbedingungen,auch um für den Wert ihrer Arbeitzu sensibilisieren.Darüber hinaus nimmt sie anden Betriebsversammlungen teil,die gewerkschaftlich organisiertwerden. Sie und ihre Kolleginnenerhalten von den Eltern dabei vielRückendeckung – selbst wenn dieEinrichtung deswegen geschlossenbleibt. „Viele Eltern habenuns gefragt, ob sie mitstreikenkönnen“, erzählt sie. Und: „Vonden Eltern wird uns viel Anerkennungentgegengebracht. Sie wissen,was sie an uns und am Kindergartenhaben, und sagen unsdas auch.“ Im Spagat zwischenBeruf und Familie verlassen sichdie Eltern auf den Kindergarten.Bricht diese Säule weg – weildas Kind krank ist oder die Einrichtungmal einen Tag geschlossenbleibt –, kommen sie schnellins Strudeln. „Während der Pandemieist uns das allen sehr bewusstgeworden, als Eltern nachdem ersten Lockdown erleichtertgesagt haben: ‚Wie gut, dass ihrwieder da seid!‘“„ Swoboda nimmt an denBetriebsversammlungenteil, die gewerkschaftlichorganisiert werden.Von den Eltern erhält sieRückendeckung – selbstwenn die Einrichtung deswegengeschlossen bleibt. “Von Victoria SchwendenweinDas Land Vorarlberg sorgte zuletzt für Aufsehen. Weil es imLändle keine einzige öffentliche Bildungsanstalt für Elementarpädagogikgibt, will die Landesregierung zur Sicherung despädagogischen Nachwuchses nun selbst die Schulgebühren übernehmen.Pro Jahr wird mit Kosten von ungefähr 600.000 Euro gerechnet.Bislang werden Vorarlbergs Elementarpädagogen nämlich im Kollegeiner katholischen Privatschule ausgebildet, deren Trägerverein dieKosten mittels Schuldgeldeinnahmen deckt. Langfristig werde daherauch angedacht, die Bildungsanstalt für Elementarpädagogik in eineöffentliche Schule überzuführen, für die dann kein Schulgeld zu bezahlenwäre, heißt es aus der Vorarlberger Landesregierung.Hinter der Diskussion steht auch in Vorarlberg die Frage, wie bereitsim Kindergarten leistbare und qualitativ hochwertige Bildungsowie Betreuung ermöglicht werden können. Dass die Bundesregierungdurch den Finanzausgleich zuletzt mehr Geld für die Elementarpädagogikfreigemacht hat und dieLänder in den Ausbau des Betreuungsangebotessowie günstigere Betreuungsplätzeinvestieren wollen, findetdurchwegs positive Resonanz.Trotzdem warnen die Interessenvertretungenund Berufsvereinigungenvor einer zu kurz gegriffenen Euphorie.Zwar sollen bis 2030 jährlich 200 Mil lionenEuro aus der Bund-Länder-Vereinbarungsowie 500 Millionen aus dem„Zukunftsfonds“ – insgesamt 4,6 Milliarden Euro – fließen, doch dieseZahlen relativierten sich schnell, wenn man bedenke, dass aktuellallein in Wien 1300 Elementarpädagoginnen und pädagogen fehlten,sagte etwa Natascha Taslimi (Netzwerk elementare Bildung Österreich,NeBÖ) zur APA.Das große PolitikumWie sie sehen es viele in der Branche. Grundsätzlich habe die Regierungfür sie zwar wichtige Schritte gesetzt, jedoch könne damit alleinnicht aufgeholt werden, was in 30 Jahren Bildungspolitik versäumtworden sei. Taslimi etwa benennt als größtes Problem den Mangel anqualifiziertem Personal.Drei Jahrzehnte lang sei im Kindergartenbereich eine Nivellierungnach unten betrieben worden, indem man unter anderem nicht ausgebildetesPersonal zugelassen habe. Das Ergebnis sei, dass das System„vor dem Zusammenbruch“ stehe: Die nicht Ausgebildeten seien denAnforderungen nicht gewachsen, während die Ausgebildeten demBeruf den Rücken kehren würden, weil sie das Gefühl hätten, dassihre Ausbildung ohnehin nicht geschätzt werde. Als Maßnahme gegenden Personalmangel seien zwar viele neue Ausbildungswege geschaffenworden, sagt Taslimi: „Aber wenn die Arbeitsplätze nichtattraktiver gemacht werden, wird das alles nichts nutzen.“Seitens des Bundes will man mit einer neuen Maßnahme darauf reagieren:Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Die Offensive „KlasseJob“ des Bildungsministeriums hat im September 600 Personen,die zuvor in einem anderen Berufsfeld tätig waren, in die Klassen desLandes gebracht. Darauf will man nun aufbauen und verstärkt fürdie Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Elementarpädagogikan Kollegs und Pädagogischen Hochschulen werben. Die Oppositionreagierte verhalten auf den Vorstoß.Die Neos etwa orten Fehlerpotenzial, wenn nicht ausgebildete Personenzu früh in die Gruppen geschickt würden. Um die Situationin der Elementarpädagogik zu entschärfen, brauche es dringend verbesserteArbeitsbedingungen, meint etwa die pinke BildungssprecherinMartina Künsberg Sarre.Wie diese aussehen sollen, skizzierten„ Grundsätzlich hat die Regierungwichtige Schritte gesetzt, jedochkann damit nicht aufgeholt werden,was in 30 Jahren Bildungspolitikversäumt worden ist. “tausende Menschen, die im Oktober inWien für Verbesserungen in den Kindergärtendemonstrierten. Es brauchekleinere Gruppen mit mehr Personal,genug Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit,bezahlte Reflexionszeit sowieösterreichweit einheitliche Strukturbedingungen,hieß es dabei. Vorallem der Personal-Kind-Schlüssel seiimmer noch von den einzelnen Ländern abhängig und erfülle nichtdie Bedürfnisse der Gruppen.Die Länder kommen diesen Anliegen inzwischen zumindest in derVerkleinerung der Gruppen und einer besseren Entlohnung schrittweisenach. So hat etwa das Bildungsressort der Steiermark angekündigt,dass die steirischen Elementarpädagoginnen und -pädagogenab 2024 unabhängig vom Arbeitgeber gleich viel verdienen sollen.Im Schnitt könnte das für sie rund 250 Euro brutto mehr im Monatbedeuten.Mit dem „Zukunftsfonds“ kündigte die Politik zudem ab Herbst2024 einen neuen Kinderbetreuungs-Monitor an, über den beispielsweiseDaten zu Besuchsquoten, Betreuungsangebot, aber auch Personalausstattungauf Bundesländerebene abrufbar sein sollen. NataschaTaslimi begrüßt diese Entwicklungen, aber sie betont: „Es mussder Regierung und auch den Ländern bewusst sein, dass sie dranbleibenund auch regelmäßig liefern müssen, was getan wird, um dasBerufsfeld Elementarpädagogik zu verbessern.“Positives Feedback freut dieElementarpädagogin natürlich.Konkrete Verbesserungen derRahmenbedingungen seien abermindestens genauso wichtig.Nicht zuletzt um die Arbeit als Pädagoginattraktiver zu machen.Denn Jüngere kommen nicht genügendnach, viele ältere Kolleginnenorientieren sich beruflichum. „Man muss schon sehr stressresistentsein, um diesen Beruflange ausüben zu können. Dazukommt die körperliche Belastung:Man bewegt sich oft am Bodenund sitzt viel auf zu kleinenSesseln.“ Gut auf sich zu schauen –psychisch und körperlich –, wurdeSwoboda bereits in der Ausbildungnahegelegt. Sie hat dasimmer ernst genommen. Als Ausgleichzur Arbeit geht sie spazieren,tauscht sich mit Kolleginnenaus und macht Pilates. Und danngeben ihr Begegnungen wie dieseimmer wieder neuen Schwung:„Vor Kurzem traf ich eines meinerallerersten Kindergartenkinder.Er hat gerade als Elementarpädagogezu arbeiten begonnen,das hat mich schon sehr gefreut.“heilsarmee.atDie Heilsarmeegibt es noch.Armut undObdachlosigkeit auch.Spenden hilft.SPENDENKONTO:IBAN: AT26 3200 0001 0812 8910 • BIC: RLNWATWWRaiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien
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