DIE FURCHE · 45 20 Ausstellung 7. November 2024 Lesen Sie auch: „Kunsthalle Krems: Blackness und black identity“ von Ursula Philadelphy (25.1.2023) auf furche.at. Von Theresa Steininger Es sind die direkten Blicke von Enyonam Tetteh-Klu und Johanna Staude, die entblößten Schultern von Belinda Ade Kazeem-Kamiński und Amalie Zuckerkandl und die überdimensional gezeigten Hände von Schieles „Reinerbub“ und Gregory Robert: Wenn Amoako Boafos farbenprächtige Porträts nun im Belvedere neben Werken der „Hausheiligen“ hängen, wird offensichtlich, wie sehr die Künstler der Wiener Moderne den aus Ghana stammenden Shootingstar beeinflusst haben. Heute ist Boafo ein Liebkind der Kunstszene, seine Werke weltbekannt. Und die Wurzeln dafür liegen auch in Wien, wie das Untere Belvedere nun in einer Schau zeigt: Denn 2014 kam er hierher – und fand viel Inspiration in jenem Museum, das ihm nun die erste institutionelle Einzelausstellung in Europa widmet. Dass er gerade in Österreich auch mit Anfeindungen umzugehen hatte, prägte seinen Stil ebenfalls, wie man zeigen will. Auge in Auge Foto: Roberts Projects ; © 2024 Amoako Boafo / Licensed by Bildrecht, Vienna Das Belvedere zeigt Werke des aus Ghana stammenden Künstlers Amoako Boafo – und stellt sie aus gutem Grund Klimt und Schiele gegenüber. „Blackness“ feiern „ Sich selbst porträtierte Boafo in ähnlichen Posen, wie dies Schiele gerne tat, zerbrechlich nackt hingestreckt und doch präsent zugleich. “ Da hängen farbenprächtige Bilder, die vor allem das Selbstbewusstsein der Dargestellten, allesamt People of Colour, in den Vordergrund rücken. „Gerade, weil er in Wien zuerst auf Ablehnung stieß, besann er sich noch mehr auf seine Identität und wollte seine Werke von Rassismus frei machen“, erzählt Kurator Sergey Harutoonian, der rund 50 Werke versammelt hat. Vor allem aber habe eine Auseinandersetzung mit der Ornamentik von Gustav Klimt und damit, wie Egon Schiele Körperpartien darstellte, seinen Stil geprägt, so der Kurator. Und wo er anfangs fotorealistisch arbeitete, fand er bald zu seiner charakteristischen Art, mit den Fingern zu malen, was seinen Werken eine starke Dynamik verleiht und ihn eine unverwechselbare visuelle Formensprache entwickeln ließ. Zusätzlich nutzt er ornamentale Details und Collage- Technik. Vor einem einfärbigen, abstrakten Hintergrund, der zu strahlen scheint, „feiert er Blackness“, wie Kurator Harutoonian es ausdrückt. Warum seine Porträts von People of Colour gerade ins Belvedere passen, fragt Direktorin Stella Rollig in den Raum – und gibt selbst die Antwort: Eben genau deshalb, weil Darstellungen von People of Colour sich bisher in diesem Museum kaum finden und wenn, dann als solche von Rollen, so etwa als schwarze Person, die Prinz Eugen flankiert. Gerade deshalb empfinde sie es als „Paukenschlag“, wenn nun zahlreiche Porträts von People of Colour in der Schau „Proper Love“ zu finden sind. Diese ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern nach Themen. Anfangs beschäftigt sich Boafo damit, wie seine Modelle teils angestarrt werden – und in seinen Werken die Blicke mit Stärke und Gelassenheit erwidern. Generell ist dem Künstler das schwarze Selbstverständnis und -bewusstsein ein wichtiges Thema. Der direkte Augenkontakt mit dem Betrachter findet sich dann auch bei den „Wiener Frauen“ im nächsten Raum wider, ob es nun eben die hier platzierte „Johanna Staude“ von Gustav Klimt ist oder eines von Boafos Modellen, die er oft vor einfärbigem Hintergrund und mit collagierten Gewändern in starkem Dekor malte. Bis hinein in den „Kuss“-Raum Sich selbst porträtierte Boafo in ähnlichen Posen, wie dies Schiele gerne tat, zerbrechlich nackt hingestreckt und doch präsent zugleich. Nicht nur er selbst ähnelt seinem Vorbild in seinen nuancierten Darstellungen von Männlichkeit. Auch sein Porträt von Jean-Michel Basquiat zeigt Parallelen zu dem bekannten Bild Schieles von Eduard Kosmack – und zwar dahingehend, wie der Körper aufgefasst und wie die beiden besonderen Charaktere in Farbe gefasst wurden. Oft strahlen Boafos Werke Lebensfreude und Zusammenhalt aus, wie beispielsweise „Huggs in Yellow“, in dem zwei Frauen einander umarmen und den freundschaftlichen Zusammenhalt feiern. Es sind vor allem die Pracht und Kraft seiner Arbeiten, die diese besonders machen. Damit ist er sogar im Oberen Belvedere vertreten, ja, bis in den oft stark bevölkerten „Kuss“- Raum hat er es geschafft. Der Klimtschen Ikone hat man „Joy Adenike“ in ähnlicher Pose wie die daneben hängende „Fritza Riedler“ gegenübergestellt – „Joy Adenike“ verschwimmt fast genauso mit Hintergrund, Möbel und Kleidung, wie es Klimts Figuren oft tun. Wegen der überdimensionierten Art, die Hände zu malen, hängt seinerseits Boafos Porträt von Gregory Robert neben Egon Schieles „Reinerbub“. Und ein Porträt mit Blumen im Hintergrund darf ebenfalls eine Klimtsche Landschaftsdarstellung ergänzen. Schön wäre, wenn sich viele von diesen Appetithäppchen im Oberen Belvedere motivieren ließen, auch „hinunter“ in die Personale Boafos zu gehen – und sich von seiner ganz bestimmten Art, Persons of Colours ein neues Selbstbewusstsein zu malen, für ihren Alltag inspirieren lassen. Amoako Boafo Proper Love Unteres Belvedere Bis 12.1.2025 Täglich 10–18 Uhr www.belvedere.at Shooting Star 2019 gelang Boafo der internationale Durchbruch. Sein Stil ist unverwechselbar. Während er Kleidung collageartig auf die Leinwand bringt, gestaltet er Körperpartien mit seinen Fingern (Amoako Boafo, Green Handbag, 2021).
DIE FURCHE · 45 7. November 2024 Film 21 „The Village Next to Paradise“ des somalisch-österreichischen Regisseurs Mo Harawe erzählt eine simple, aber tiefgründige Geschichte über das Hoffen auf eine bessere Zukunft. Nuancen des Glücks Von Matthias Greuling In Somalia kann man den ganzen Tag am Strand sitzen, aber es ist kein Strand, wie man ihn sich vorstellt: Denn das Land, das hier in den indischen Ozean abfällt, ist karg, trocken, kaum fruchtbar. Der Sand wirkt mehr wie Asche, der Staub wird im permanent windigen Küstengebiet kilometerweit verblasen. In dieser Gegend, in der somalischen Provinz, spielt „The Village Next to Paradise“ von Mo Harawe, einem somalisch-österreichischen Filmemacher, der in Mogadischu geboren wurde und auch dort aufwuchs, ehe er nach Österreich kam. Von hier aus arbeitete er an diesem Langfilmdebüt, das deshalb auch als österreichischer Film gilt und heuer im Mai in der Sektion „Un certain regard“ gleich zum wichtigsten Filmfestival der Welt nach Cannes eingeladen wurde. Es scheint, als hätte Mo Harawe das bereits geschafft, wovon die Figuren in seinem Film noch träumen: Den Ausweg und die Perspektive auf eine Zukunft zu finden, das schaffen in Somalia nicht viele. Stattdessen vertreiben sich die Menschen oftmals die Zeit mit dem Kauen der Blätter des Kathstrauches, die eine berauschende Wirkung haben und im Land sozusagen eine Art Volksdroge sind. Der Anbau ist darob eines der lukrativsten Geschäftszweige Somalias, und das illegale Beliefern eines Kartells mit ebendiesen Blättern verschafft dem hart arbeitenden Mamargade (Canab Axmed Ibraahin), einem alleinerziehenden Vater, hoffentlich bald genug Geld, um seinem kleinen Sohn Cigaal (Cigaal Maxamuud Saleebaan) eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sein Plan: Cigaal soll in ein Internat, nachdem die örtliche Schule aus Mangel an Mitteln schließen musste. Das kostet Geld, das er sich mit vielen Gelegenheitsjobs erarbeiten will. Eben auch mit dem Schmuggeln von Kath-Blättern. Seine Schwester Araweelo träumt indes nach ihrer Scheidung von einem Neustart als Schneiderin. Allein: Ein leistbares Geschäftslokal muss man erst einmal finden. Alte Tugenden Es ist ein erstaunlich zärtlicher Film, den Mo Harawe hier vorgelegt hat; zärtlich im Sinne seines Umgangs mit den Figuren, die er ganz gemächlich entwickelt und ihnen eine immense Tiefe verleiht, auch wenn vor der Kamera wenig Ereignisreichtum herrscht. Das Innere der Figuren, vor allem des kleinen Buben, der als Halbwaise „ Das karge Leben in Somalia und die Aussichtslosigkeit sind hier niemals ein Wehklagen oder eine Depression, sondern immer von einer großen Sehnsucht erfüllt. “ Warten auf Besseres Mamargade und sein Sohn Cigaal nehmen die Herausforderungen des kargen somalischen Alltags an – auch wenn es durchaus fordernde finanzielle und soziale Probleme gibt. beim Papa lebt, kehrt Harawe ganz famos nach Außen, ohne seine Darsteller etwas vorgeben zu lassen. Sie spielen sehr bei sich, die Tonalität des Films basiert auf den Nuancen des Glücks, das ihnen innewohnt, wenn sie immer wieder Hoffnung schöpfen auf eine bessere Zukunft. Das karge, anstrengende Leben in Somalia, die Entbehrungen und die Aussichtslosigkeit sind hier niemals ein Wehklagen oder eine Depression, sondern immer von einer großen Sehnsucht erfüllt. Mag sein, dass diese Stimmung das Resultat der Kath-Blätter ist, aber eigentlich sind es die alten Tugenden, die da wie dort auf der Welt in allen Ländern und Religionen die gleichen sind: Es geht um Vertrauen, Zuversicht, Familie und Liebe. Und es geht darum, den eigenen Weg zu finden, bei dem es selbstverständlich Gegenwind geben muss. Ein unglaublich reifer Film. The Village Next to Paradise SOM/Ö 2024. Regie: Mo Harawe. Mit Canab Axmed Ibraahin, Cigaal Maxamuud Saleebaan, Axmed Kali Faarax. Filmladen. 133 Min. TRAGIKOMÖDIE Eine Reise zurück ins Leben Das Leben und der Tod liegen so nahe beieinander wie das Lachen und das Weinen. Wann immer sich Filme mit dem Sterben auseinandersetzen, fehlt selten die humorvolle Komponente – zumindest nicht in zugänglichen Filmen, die ein Publikum finden wollen. Zu diesen gehört auch „Marianengraben“ von Regisseurin Eileen Byrne, die damit den tragikomischen Roman von Jasmin Schreiber aus dem Jahr 2019 für das Kino adaptiert hat. Im Zentrum des Roadmovies – immer ein gutes Genre für melodramatische Lachnummern über den Tod, siehe „80 plus“ (FURCHE Nr. 40, Seite 21) – stehen die junge Paula (Luna Wedler) und der Senior Helmut (Edgar Selge). Sie trauert um ihren im Meer bei Rimini ertrunkenen kleinen Bruder, er will die Urne seiner verstorbenen Frau exhumieren und in Südtirol verstreuen. Das gemeinsame Ziel Italien steht also schon fest – und die Reise dorthin ist voller Hindernisse und Annäherungen. Weil Paula sich in Rimini das Leben nehmen will, bekommt alles eine dramatische Komponente, die sich aber durch die neu entstandene Freundschaft zu Helmut etwas relativiert. Vor allem, als Paula von dessen schwerer Krankheit erfährt. Paula weiß nicht mehr, ob Rimini wirklich ihr Ziel sein soll. Der erste Langspielfilm von Eileen Byrne ist handwerklich ordentlich gemacht, und auch die Besetzung tut das Ihre, um für genug Rührung und emotionale Momente zu sorgen. Ein Film, den man sehen kann, aber nicht muss. TV-Niveau überschreitet er dennoch, was vor allem an den schönen Bildern von Kamerafrau Petra Korner liegt, sowie an den Schauplätzen und dem gediegenen Schnitt von Barbara Seidler. Der Film zeigt auch: Nicht alles muss immer innovativ sein, um gut zu funktionieren. (Matthias Greuling) Marianengraben D 2024. Regie: Eileen Byrne. Mit Luna Wedler, Edgar Selge. Polyfilm. 87 Min. Zwischen Helmut (Edgar Selge) und Paula (Luna Wedler) entwickelt sich eine zarte Freundschaft. FILMBIOGRAFIE Der Champagner ist weiblich PRÄSENTIERT Die französische Champagne im frühen 19. Jahrhundert: Mit 27 Jahren wird Barbe -Nicole Clicquot Ponsardin (Haley Bennett) zur Witwe. Die exzentrische und rebellische Art ihres Mannes äußert sich in psychischer Labilität und führt zu dessen frühem Tod. Sie will die Leitung des gemeinsamen Weinguts übernehmen und somit François’ (Tom Sturridge) Fortschrittsdenken weiterführen – ein gewagter Schritt, besonders zu einer Zeit, in der für Frauen kein Platz in der Geschäftswelt vorgesehen ist. Bald weht ihr der scharfe Wind der patriarchalen Realität ins Gesicht; finanzielle und politische Rückschläge lassen das Selbstbewusstsein der jungen Frau bröckeln. In diesen Zeiten kann sie sich auf die Unterstützung ihres Weinhändlers und Beraters Louis Bohne (Sam Riley) verlassen. Mit dessen Hilfe als neuem Handelsvertreter schafft sie es, Napoleons Handelsembargo zu umgehen, den Grundstein für die moderne Champagner- Herstellung zu legen und zur „Grande Dame“ der Champagne zu avancieren. Basierend auf der wahren Geschichte Barbe-Nicole Clicquot Ponsardins setzt Thomas Napper das Leiden, Leben und Lancieren neuer Ideen von Barbe-Nicole als eindrucksvolles Frauenporträt in Szene. Für seine titelgebende Protagonistin tritt Haley Bennett auf die Bühne, die Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence optisch zum Verwechseln ähnlich sieht, aber mit einem breiteren Spektrum ausdrucksstarker Mimik zu Glänzen versteht. Napper holt eine der ersten großen Geschäftsfrauen der Welt vor den Vorhang und packt deren Lebensgeschichte in ein 90-minütiges Biopic, das man auch auf eine ganze Miniserie hätte ausdehnen können. (Sarah Riepl) Die „Witwe Clicquot“ (Haley Bennett) lebt bis heute im Champagner-Regal weiter. Die Witwe Clicquot GB/FR 2023. Regie: Thomas Napper. Mit Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley, Leo Suter. Polyfilm. 90 Min. Foto: Filmladen FILMMONTAG VOR DER MORGENRÖTE Josef Hader in Maria Schraders Film über Stefan Zweigs letzte Lebensjahre. Im Anschluss spricht Otto Friedrich mit Klemens Renoldner, Gründungsdirektor des Stefan-Zweig- Archivs. Montag, 11. November, 19.30 Uhr Votivkino, 1090 Wien, Währinger Str. 12 Infos & Tickets: www.votivkino.at
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