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DIE FURCHE 07.11.2024

DIE

DIE FURCHE · 45 14 Diskurs 7. November 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Körperliche Martern und eine Stunde am Grab Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Vergangene Woche hat mich gemartert. Am Montag wachte ich mit Zahnschmerzen auf. Gott sei Dank wohne ich in der Nähe einer Zahnambulanz. Ich solle mich nur kurz nebenan hinsetzen und werde gleich aufgerufen, meinte die Dame am Empfang. Nach einer halben Stunde entschied sich mein Smartphone dazu, den Geist aufzugeben. Wann sind Sie zuletzt – ohne Uhr, Zeitgefühl und jegliche Ablenkungsmöglichkeiten – einfach nur so dagesessen und haben gewartet? Was sich wie eine Unendlichkeit anfühlte, war schlussendlich eine Wartezeit von zweieinhalb Stunden. Für meinen Geschmack noch immer unendlich. Vor allem, weil ich mich gerade „ Wo sind diese magischen Zeitspannen geblieben? Diese Momente, die direkt ins Herz fahren und für immer abgespeichert bleiben? Haben Sie einen Rat für mich? “ in meiner stressigsten Arbeitsphase des Jahres befinde. Als ich schließlich drankam, fühlte ich mich wie ein Stück Fleisch beim Metzger. Die Ärztin griff kommentarlos zu Spritze und Skalpell. Als ich die Ambulanz verließ, waren die Schmerzen noch stärker als zuvor. Binnen einer Nacht entzündete sich mein Oberkiefer, und meine rechte Backe schwoll auf die Größe eines Baseballs an. Anscheinend dachte sich mein Körper „yolo – wenn wir schon dabei sind, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt für deine Periode“ – und schenkte mir noch heftige Unterleibskrämpfe. Was für ein schöner Weckruf meines eigenen Körpers, dachte ich mir, als ich schmerzgeplagt aufwachte und in gebückter Haltung meinen Koffer für meine Reise in die Heimat packte. Natürlich fuhr ich zu meiner Familie aufs Land, um unserer Verstorbenen zu gedenken. Heuer begleitete ich meinen Vater zum Grab meiner Großmutter. In der einen Stunde, die die Messe am Friedhof dauerte, strahlte die Herbstsonne in mein Gesicht – und ich fühlte mich zum ersten Mal seit Tagen gelöster. Ich genoss die sanfte Wärme und das goldene Licht, das das umliegende Laub in Rot und Orange strahlen ließ. Während der Priester vom Himmel und von Heimat sprach, verwandelte sich der angenehme Sonnenstrahl aber in ein penetrierendes Stechen auf meiner Stirn. Ich spürte, wie einzelne Schweißperlen meine Wirbelsäule entlangronnen, und mir wurde schwindelig. Nach jedem „Vater unser“ betete ich, dass es das letzte sei, und jedes Mal wurde mein Hoffen von der Blasmusik unterbrochen. Ich sag es Ihnen, ich bin sicher 17 Jahre gealtert in dieser einen Stunde vor dem Grab. Als ich noch bis zwei Uhr morgens meiner Arbeit als freie Journalistin nachkam, bemerkte ich ein leichtes Halskratzen. Es war der Vorbote für die Erkältung, die mich endgültig niederstreckte. So liege ich erschöpft und verschnupft auf meiner Couch, während ich Ihnen schreibe. Bei all meiner „notwendigen“ Zeitaufwendung – sei es arbeitsbedingt oder familiär – frage ich mich: Wo sind diese magischen Zeitspannen geblieben? Diese Momente, die direkt ins Herz fahren und für immer abgespeichert bleiben? Und ich frage mich, was ich tun kann, um diese Momente wiederzufinden. Haben Sie einen Rat für mich? Seien Sie mir bitte nicht böse (warum sollten Sie das auch sein? Hach, ich merke, ich verfalle ins People-Pleasing), aber für heute muss ich es gut sein lassen. Genießen Sie die goldenen Herbststunden und vergessen Sie nicht die Sonnencreme! KOMMENTAR Von Trump bis Rosenkranz: Sich wundern, was alles möglich ist „ Karl Nehammer hat zuletzt an Statur gewonnen. Ob er eine Regierung zimmern kann, die attraktiv genug ist, um autoritäre Kräfte im Zaum zu halten, ist aber fraglich. “ Die euphorischsten Glückwünsche kamen von den üblichen Verdächtigen: Über die „historische Rückkehr“ Donald Trumps jubelte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der seine diesbezügliche Präferenz – und seine Geringschätzung Joe Bidens – bei seinem einstigen Besuch in Washington kaum camoufliert hatte. Auch seine beiden rechtsextremen Minister Besalel Smotritsch und Itamar Ben-Gvir schickten via X Rosen nach Mar-a-Lago. Nicht minder leidenschaftlich gratulierte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Er jubelte über „das größte Comeback der US-Geschichte“ und sprach von einem „dringend nötigen Sieg für die Welt“. Verglichen damit fielen die Glückwünsche von Österreichs (geschäftsführendem) Bundeskanzler und Bundespräsidenten-Vertreter Karl Nehammer erfreulich nüchtern aus. Die USA seien ein „wichtiger strategischer Partner für Österrreich“, schrieb er auf X – und er freue sich darauf, die transatlantischen Beziehungen weiter auszubauen und zu stärken. Dass der wiedergewählte MAGA-Populist genau das Gegenteil vor Augen hat und diese Beziehungen rückbauen sowie die (militärische und finanzielle) Besachwaltung Europas weitgehend kappen möchte, ist Nehammer dabei wohl bewusst. Ebenso sind Trumps innenpolitische Pläne bekannt: Er will Millionen illegal Zugewanderte deportieren (vgl. Leitartikel Seite 1), politische Gegner juristisch verfolgen, das Militär gegen „radikale Linke“ einsetzen – und Generäle nicht auf die Verfassung, sondern (wie einst Hitler) auf sich selbst vereidigen lassen. So überraschend für viele der deutliche Sieg des Kapitol-Stürmers Donald Trump kam, so logisch fügt er sich in die globale Renaissance autoritärer, illiberaler und demokratiezerstörender Kräfte. „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“: Dieses geflügelte Wort des einstigen österreichischen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer hat mittlerweile weltweit Gültigkeit erlangt. Was hier in Österreich und in Hofers eigener Partei mittlerweile möglich ist, konnte man erst vor Kurzem staunend verfolgen. Kaum gemäß der bisherigen „Usancen“ mit hundert Stimmen zum Ersten Nationalratspräsident gewählt und trotz aller Lippenbekenntnisse, „das konstruktive Miteinander“ leben zu wollen, gab Walter Rosenkranz einem von Identitären betriebenen TV-Sender sein erstes Interview. Kurz danach empfing er in einer Art Geheimtreffen – im Beisein von Parteichef Herbert Kickl und ohne Information der beiden anderen Nationalratspräsidenten – Trump-Fan Viktor Orbán im Hohen Haus. Die „Wiener Erklärung“, die Kickl in der Folge „im Namen Österreichs“ unterzeichnete, ist nichts anderes als Papier gewordener Amtsmissbrauch. Dass Kickls Sympathisanten (viele davon aus den Reihen der Corona-Maßnahmengegner) ausgerechnet für den kommenden 9. November eine Demonstration für eine freiheitliche Regierungsbeteiligung ankündigten – also jenem Tag, an dem die Staatsspitze der Novemberpogrome von 1938 gedenkt – nannte Karl Nehammer am Nationalfeiertag völlig zu Recht „unerträglich“. Nicht zuletzt mit dieser bemerkenswerten Rede hat Nehammer – nach seiner klaren Absage an eine Koalition mit dem Systemsprenger Herbert Kickl – weiter an Statur gewonnen. Mehr denn je eröffnet sich für ihn nun die Option, sich endlich auch parteiintern vom (rechts-)populistischen Kurs seines Vorgängers Sebastian Kurz zu emanzipieren. Zugleich ist dieser Schritt nun für ihn auch alternativlos geworden: Längst hängt Nehammers eigenes politisches Schicksal von der erfolgreichen Regierungsbildung mit der SPÖ (und mutmaßlich den Neos) ab. Eine Mammutaufgabe, die nicht nur angesichts der weithin gegensätzlichen Parteiprogramme schwer zu stemmen sein wird, sondern durch das mittlerweile auf 3,9 (bzw. 4,1 Prozent) angewachsene Budgetdefizit fast unmöglich scheint. Dass sich nun mit Kanzleramts-, Verfassungs- und Europaministerin Karoline Edtstadler zwar Nehammers schärfste interne Konkurrentin, aber auch eine seiner fähigeren potenziellen Ministerinnen aus dem Regierungs-Rennen genommen hat (vgl. Glosse auf Seite 15), spitzt Nehammers „Alles oder nichts“- Situation weiter zu. Aussichtslos? Alternativlos! Angesichts solcher Rahmenbedingungen eine Regierung zu zimmern, die attraktiv genug ist, um die allüberall erstarkenden autoritären Kräfte im Zaum zu halten und die eigenen Sympathisanten einer Kickl-Koalition zu besänftigen, wirkt als beinah aussichtsloses Unterfangen. Und doch ist es mittlerweile alternativlos geworden. Und wer weiß: Vielleicht werden wir uns auch diesbezüglich noch wundern, was alles möglich ist. (Doris Helmberger) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin Digital: Ana Wetherall-Grujić MA Redaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. 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DIE FURCHE · 45 7. November 2024 Diskurs 15 Die zu Ende gegangene Weltsynode wird nur dann ein Erfolg, wenn sich die Ortsbischöfe zu Vorreitern der Dezentralisierung aufschwingen. Der gelernte österreichische Katholik bleibt diesbezüglich skeptisch. Schaumgebremste Hoffnung Wer sich in der katholischen Kirche für Veränderung engagiert, braucht Frustrationstoleranz. Es reichen da offenbar nicht einmal die nüchternen Zahlen: Die Kirchen sind leer, das Gottesvolk ist zur kleinen Herde geschrumpft und auch reflektierte Zeitgenossen konstatieren – mitunter erstaunt – dass nichts fehlt, wenn Gott fehlt. Man fühlt sich seit Jahrzehnten als Teil eines Häufchens Unentwegter, die die Kirche mit der Moderne zu versöhnen und gesellschaftliche Mindeststandards wie Gleichberechtigung von Mann und Frau oder transparente und partizipative Entscheidungs- und Personalfindung zu erreichen suchen. Eine Institution wie die katholische Kirche wusste sich bislang gegen diese Zumutungen zu wehren. Vor mehr als 25 Jahren wurde die österreichische Kirche von der Affäre Groër gebeutelt, dem ersten großen kirchlichen Missbrauchsskandal. Um die Wogen im Gottesvolk (und die Austrittswelle) zu stoppen, wurde damals der synodale Prozess „Dialog für Österreich“ begonnen. Die Themen, die dabei diskutiert wurden, waren genau dieselben wie zwei Jahrzehnte später beim „Synodalen Weg“ in Deutschland: Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt, Frauendiakonat, Einbindung der Ortskirche in Bischofsernennungen, Sakramentenzulassung für wiederverheiratete Geschiedene, „Achtung“ für Homosexuelle … ZEIT- WEISE Von Otto Friedrich „ Wiens Erzbischofsstuhl steht zur Neubesetzung an. Doch es gibt keine würdige und zeitgemäße Findungsmethode. “ dere sich einiges verbessert hat: Die „Bischofssynode“ wurde zur „Weltsynode“, bei der auch Laien – Männer und Frauen – stimmberechtigt waren (wenn auch in krasser Minderzahl gegenüber den Bischöfen). Dem Schlussdokument der Synode lässt der Papst kein eigenes Schreiben folgen: Den Usus, dass der Lehrer den Schülern am Ende sagt, wo der Hase läuft, lässt Papst Franziskus nun bleiben. Aber von den „heißen Eisen“ der Kirchenreform ist weiter nichts gelöst. Und damit da nichts passiert, wurden Themen wie das Frauendiakonat vom Papst aus der Agenda der Synode ausgesondert. Das ist kirchliche Herrschaftspolitik wie eh und je. Dass einem da Reminiszenzen ans Scheitern des „Dialogs für Österreich“ kommen, sollte nicht verwundern. Gewiss gibt es im Schlussdokument dort Momente der Hoffnung, wo Transparenz und eine neue Leitungs- und Führungskultur angesprochen sind. Das eine große Problem dabei ist aber, dass es dazu keine genaue rechtliche Festlegung gibt. Das Kirchenrecht müsste massiv geändert werden, dazu hat man aus Rom noch nichts gehört. Und solange nicht auch der Jurisdiktionsprimat des Papstes in eine synodale Kirche eingebettet wird, kann „Heiße Eisen“: weiter ungelöst Der „Dialog für Österreich“ kulminierte 1998 in einer Versammlung mit Delegierten aus ganz Österreich sowie aller kirchlicher Lager, bei der diese Anliegen in „Voten“ große Mehrheiten erhielten. Als einer der beiden Autoren des Arbeitsdokuments für diese Delegiertenversammlung, der viel Hirnschmalz und (ehrenamtliche) Zeit investiert hat, um den Karren katholische Kirche aus dem damaligen Sumpf zu ziehen, hat mich die Ernüchterung, die diesem Prozess folgte, geprägt: Österreichs Kirchenspitze saß das Ganze aus, einige Bischöfe torpedierten die Voten unverblümt und Rom nahm die Forderungen aus Österreich zur Kenntnis, aber nicht ernst. Nun ist in Rom die Weltsynode zu Ende gegangen, in deren Prozejeder neue Pontifex mit einem Federstrich „Synodalität“ zur Makulatur werden lassen. Aktuell scheint mir aber ein zweites Problem noch dringlicher zu sein: Das Schlussdokument der Synode spricht sich zwar endlich klar für Dezentralisierung und Regionalität aus. Das kann aber von Rom nicht verordnet werden, sondern Ortsbischöfe und Bischofskonferenzen müssen aktiv werden – und das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Wenn man als Christ in Österreich die handelnden Personen vor Augen hat, können schon Zweifel kommen. Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, Vorsitzender der Bischofskonferenz, meinte etwa: „Dennoch kehre ich aus der Bischofssynode mit einer neuen Form von Hoffnung zurück: Sie ist ein Glaube, der noch nicht klar sieht und noch nicht genau weiß.“ Derartige Wortspende muss man nicht kommentieren. Transparente Bischofsernennungen? Wie wäre es da als erster Schritt für die Regionalisierung der Kirche, Modelle zu entwickeln, wie eine Ortskirche transparent in die Bestellung ihrer Bischöfe eingebunden werden kann? In der Geschichte gab es andere Weisen, Bischof zu werden als das gegenwärtige Geheimverfahren; und zur Synodalität der Ostkirchen – auch der mit Rom verbundenen – gehört ja die Bischofswahl. Bekanntlich steht der Wiener Erzbischofsstuhl zur Neubesetzung an, und die Medien kolportieren Namen. Einige der Genannten unterwerfen sich öffentlichen Bußritualen, dass sie nie und nimmer dieses Amt anstreben. Das ist keine würdige und zeitgemäße Findungsmethode. Der Linzer Bischofsvikar Wilhelm Vieböck, einer der oben angesprochenen „Unentwegten“, erinnerte im Kurier an Versuche unter dem Linzer Bischof Maximilian Aichern (1982– 2005), „der uns beauftragt hat, nach Möglichkeiten zu suchen, auf einer breiteren Basis zu möglichen Bischofskandidaten zu kommen. Das haben wir zwei Mal gemacht. Dann ist uns das von Rom abgedreht worden.“ Als gelernter Katholik bleibt man skeptisch, dass sich Österreichs Bischöfe nun zu Vorreitern entwickeln. Der Autor war bis April 2024 stv. Chefredakteur der FURCHE. ZUGESPITZT Karos Föderal- Feminismus Karoline Edtstadler verlässt die Spitzenpolitik. Statt Ministerin der nächsten Regierung wird sie Anwältin in Salzburg und Nationalratsabgeordnete. War der Rückzug wirklich freiwillig? In der Bundes- ÖVP wurde es für „Karo“ eng: Nehammer erteilte ihr bei der Besetzung des EU-Kommissars einen Korb. Und nun war Edtstadler Gerüchten zufolge nicht einmal als Ministerin der nächsten Regierung gesetzt. Klingt nicht gerade, als würde man in der ÖVP viel übrig haben für eine selberdenkende, nicht immer parteilinienkonforme Frau. Und vielleicht ist „Frau“ auch schon Teil des Problems: Edtstadler zählt zu den wenigen ÖVP-Ministerinnen, die sich ohne Einschränkung als „Feministin“ bezeichnen. Kann so eine in der ÖVP nichts werden? In anderen Ländern hatten konservative Parteien freilich längst Frauen an der Spitze: Die britischen Tories hatten mit Margaret Thatcher schon vor 50 Jahren die erste, und nun mit Kemi Badenoch bereits die vierte Frau als Chefin. Doch wer weiß, vielleicht wird Edtstadler bald Salzburgs Landeshauptfrau. In der föderalistischen Logik Österreichs ist das ohnehin ein höheres Amt als irgendein Ministerposten in „Wean“. Hat die ÖVP für Karo einen Landesfürstinnensessel reserviert, es wäre föderal-feministisch. Philipp Axmann PORTRÄTIERT Hoffnungsträgerin einer geteilten Nation Für viele Moldauer verkörpert Maia Sandu den Wandel der ehemaligen Sowjetrepublik: Als Präsidentin hat die 52-Jährige ihr Land entschlossen auf EU-Kurs gebracht. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine kämpft sie dafür, dass der Westen die Republik Moldau als Verbündeten sieht – und die Gefahr aus Moskau ernst nimmt. Beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen siegte die Amtsinhaberin nur knapp mit 42 Prozent. Bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag setzte sie sich schließlich mit rund 55 Prozent der Stimmen gegen den prorussischen – und von massiver Desinformation des Kreml gestützten – Kandidaten Alexandr Stoianoglo durch. Ausschlaggebend für den Sieg der 52-Jährigen waren die Moldauer im Ausland, die ihre proeuropäische Haltung unterstützten . Mehr als 320.000 von ihnen stimmten in der Stichwahl ab – ein Rekord. Für jene, die eine Annäherung an Russland fürchten, gilt Sandu als klare Wahl. Auslands-Moldauern in Russland wurde die Stimmabgabe hingegen erschwert. Moldauische Behörden sollen ihnen nur 10.000 Stimmzettel zur Verfügung gestellt haben. Der Kreml schickte deshalb Menschen extra nach Belarus, um ihre Stimme abzugeben. In einem Video, das in den sozialen Medien kursierte, hält eine Gruppe Moldauer auf einem Flug nach Belarus Pässe in die Luft – ein Versuch Putins, sie mit russischer Propaganda zu schwächen. Geboren 1972 nahe der Grenze zu Rumänien, wuchs Maia Sandu in einer Zeit auf, als Moldau noch Teil der Sowjetunion war. Nach mehreren Studien, unter anderem der „Internationalen Beziehungen“, und einer Karriere als Ökonomin bei der Weltbank kehrte sie 2012 in ihre Heimat zurück und gründete die liberale „Partidul Acțiune și Solidaritate“ (Partei für Aktion und Solidarität). 2022 begannen unter ihrer Führung EU-Beitrittsgespräche. Sandu legte Reformen vor, um Korruption zu bekämpfen und Investitionen zu fördern. Kritiker warfen ihr im Gegenzug vor, die angeschlagene Wirtschaft des Landes zu vernachlässigen und die Interessen des Westens über jene Moldaus zu stellen. Die Mehrheit ihrer Landsleute hat Sandu dennoch das Vertrauen ausgesprochen: „Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit haben gewonnen“, meinte sie nach Veröffentlichung der Wahlergebnisse. Der steinige Weg in Richtung Europa, auf Kurs gegen Korruption, hat für sie und Moldau aber erst begonnen. (Miriam Al Kafur/APA) Foto: APA / AFP / Daniel Mihailescu Die amtierende Moldauer Präsidentin Maia Sandu überzeugte rund 55 Prozent ihrer Landsleute bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahl.

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