DIE FURCHE · 36 4 Das Thema der Woche Lernziel: Leben 7. September 2023 Hinaus in den Beruf Mit ihrer Mehlwurmzucht haben die Schülerinnen und Schüler der LFS Hollabrunn im Frühjahr zahlreiche Preise gewonnen. Viele haben Jobangebote erhalten und auch angenommen. Von Katja Heine es mir, und ich vergesse es. Zeige es mir, und ich erinnere mich. Lass es mich tun, und ich behalte es.“ Dieser Satz von Konfuzius ist „Sage für Martina Mayerhofer Programm. Sie ist Lehrerin an der Landwirtschaftlichen Fachschule (LFS) Hollabrunn. Nach beruflicher Tätigkeit in der freien Wirtschaft arbeitet sie seit mehr als zehn Jahren als Lehrerin an der berufsbildenden Fachschule in Niederösterreich. Was sie an ihrer Arbeit schätzt: „Die Schülerinnen und Schüler gehen ins Leben und in ihre Berufe und wissen, was zu tun ist.” Die LFS Hollabrunn ist eine von 82 Agrarschulen in Österreich. Dort wird praxis- und forschungsnah in land- und forstwirtschaftlichen Bereichen unterrichtet, das Angebot reicht je nach Fachrichtung von Landwirtschaft und Weinbau über Kleintierhaltung bis hin zu Betriebs- und Haushaltsmanagement. Die Schulen arbeiten mit Lehrbetrieben zusammen, um die praktische Anwendung des theoretisch vermittelten Wissens zu ermöglichen – ganz nach Konfuzius. Außerdem werden den Schülerinnen und Schülern Praktika außerhalb des Unterrichts empfohlen. Die Scheu vorm Unbekannten nehmen Mehr zum Thema Ernährungs- Alternativen finden Sie in Marlene Erharts Text „Das Essen der Zukunft“ (8.7.21) auf furche.at. Praxisorientiertes Lernen hat viele Gesichter. In Hollabrunn etwa züchteten Jugendliche in einer Übungsfirma Mehlwürmer. Über Erfolge, die nicht an der Schultüre Halt machen. Die Schule als Firmensitz Nina Fichtinger hat sich an der Landwirtschaftlichen Fachschule in Hollabrunn für den Zweig „Kleintierhaltung“ entschieden, nachdem sie über Freunde von der Schule erfahren hatte und begeistert war: „Mich haben Tiere schon immer interessiert. Hier können wir vor Ort mit den Tieren arbeiten, wir lernen über Tierpflege, Terraristik, Aquaristik, Veterinärmedizin und vieles mehr.“ Am Ende ihrer vier Schuljahre wird Nina Fichtinger nach bestandener Prüfung eine Ausbildung zur Facharbeiterin in der Tasche haben. Nach einem weiteren Jahr könnte sie zusätzlich auch die Matura absolvieren. Im beginnenden Wintersemester wird sie die Tierpflegerprüfung ablegen, um dann in einer Tierarztpraxis zu arbeiten. „Dass Kleintierhaltung hier unterrichtet wird, ist in ganz Österreich einzigartig, die nächste Schule dafür wäre in Frankreich“, erklärt die Schülerin. Die LFS Hollabrunn sei für sie die perfekte Wahl gewesen, denn: „Man lernt, wie es in der Praxis wirklich ist“, sagt sie. Um die Praxiserfahrung zu vertiefen, nimmt jede Abschlussklasse der Schule an dem Projekt „Junior Company“ teil. Getragen wird das Projekt von der „Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Österreich“ und maßgeblich gefördert vom Bildungsministerium, der WKÖ und der Bildungsstiftung MEGA. Anders als bei herkömmlichen Übungsfirmen haben Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 19 Jahren dabei die Möglichkeit, reale Unternehmen zu gründen und Produkte und Dienstleistungen in diesem Rahmen selbst zu entwickeln und anzubieten – angefangen von der Findung der Geschäftsidee, über Teambuilding, Mitarbeiteraufbau und -führung, Planung und Produktion bis hin zu Marketing, Verkauf und Geschäftsabschluss. „ Es ist egal, welche konkrete Ausbildung man macht – es muss Spaß machen, nur dann kann man erfolgreich sein, nur dann ist man gut. “ Martina Mayerhofer Die Klasse von Nina Fichtinger hat dabei das Unternehmen „Insectograin“ gegründet. Fichtinger hat die „Junior Company“ als Produktionsleiterin maßgeblich mitgetragen. Die Schülerinnen und Schüler haben eine Bio-Mehlwurm-Zucht für Produkte aus Mehlwurmmehl – wie etwa Muffins, Kekse und Backmischungen – aufgebaut. Ihr Ziel: Schrittweise die Scheu vor dem Essen von Insekten zu nehmen. Die Ideenfindung und Umsetzung war mit 31 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse gar nicht so einfach. „Es gibt so viele Aspekte, die man bei einer Unternehmensgründung und -führung bedenken muss“, erzählt Fichtinger. Zunächst einmal müsse man sich über die Unternehmensidee im Klaren sein. Und ist das einmal geschafft, kommen auch bei den weiteren Schritten viele Fragen auf: „Was ist mit den rechtlichen Vorgaben – macht es einen Unterschied, ob Mehlwürmer für Tiere oder für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden. Was ist mit Allergenen? Wie geht man mit zwischenmenschlichen Problemen um? Was ist mit dem Marketing und mit der Verpackung?“ An den Erklärungen von Nina Fichtinger zeigt sich, was praxisbezogener Unterricht und die Unterstützung von engagierten Lehrpersonen bewirken kann. Schülerinnen und Schüler, die zum Teil im theoretischen Unterricht nicht so sehr brillieren, können hier aufblühen, und der Erfolg in Foto: iStock/CreativeNature_nl (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) der Praxis kann sich auch positiv auf die Leistung in der Theorie auswirken, wie Martina Mayerhofer anhand des Beispiels eines Schülers aus einer anderen „Junior Company“, der „Senfwelt“, erklärt. Durch diesen einen Schüler war das Unternehmen letztlich so erfolgreich, dass es nach dem einen Jahr verkauft wurde. Normalerweise wird das Projekt nach einem Jahr beendet, die „Junior Company“ sozusagen aufgelöst. Manchmal nehmen ehemalige Schülerinnen und Schüler die Idee später wieder auf und gründen ein Start-Up. Erfahrungen für das Leben Das größte „Take-Away“ der „Junior Company“ beschreibt Nina Fichtinger so: „Es kann auch etwas schiefgehen, wie im ‚echten Leben‘ – und es ist auch etwas schiefgegangen. Aber wir haben daraus gelernt. Soziale Schwierigkeiten beispielsweise müssen ausdiskutiert werden.“ Lehrerin Martina Mayerhofer schmunzelt dazu. Die Schülerinnen und Schüler hätten gelernt, Entscheidungen zu treffen und Mitarbeitende gut zu führen. Sie entwickeln soziale Kompetenzen und bekommen praktische Einblicke in die Wirtschaftsabläufe. „Oft prüfen wir die Theorie bei den Schularbeiten ab, wenn das Wissen dann aber in der Praxis angewendet werden muss, zeigt sich, dass dieser Schritt noch einmal ein viel tiefergehendes Verständnis erfordert“, sagt Mayerhofer und sie ergänzt: „Unsere Aufgabe als Lehrende ist, sie dabei zu unterstützen, ihre Fähigkeiten zu entfalten und selbst Verantwortung zu übernehmen.“ Das hat sie ihren Schülerinnen und Schülern auch beim Projekt der „Junior Company“ mitgegeben. Fichtinger gibt die Motivationsrede der Lehrerin wieder: „Es ist egal, ob wir gewinnen oder nicht, Hauptsache, wir haben Spaß!“ So sollten sie nicht nur mit „Insectograin“ in Wettbewerbe gehen, sondern durch das ganze Leben . Es gehe um die Sache selbst – nicht darum, sich zu profilieren. Martina Mayerhofer fügt hinzu: „Es ist egal, welche konkrete Ausbildung man macht – es muss Spaß machen, nur dann kann man erfolgreich sein, nur dann ist man gut.“ Freude muss es den Schülerinnen und Schülern der LFS Hollabrunn gemacht haben: Immerhin haben sie mit ihrer „Junior Company“ „Insectograin“ vier Preise gewonnen – unter anderem den Sonderpreis für soziale und ökologische Nachhaltigkeit. „Insectograin“ hat sich nach dem Schuljahr aufgelöst, unter anderem auch, weil viele der Schülerinnen und Schüler nach dem Pflichtpraktikum im Rahmen der Schule nun ein Jobangebot bekommen und angenommen haben. Die Mehlwürmer hat Nina Fichtinger zur weiteren Pflege mitgenommen – die Mehlwürmer und viel Erfahrung. Nächste Woche im Fokus: Der Westen ist viel mehr als eine Himmelsrichtung: Er steht für eine Weltanschauung und Weltmacht. Für die russische Philosophin Oxana Timofeeva ist er eine „politische Himmelsrichtung, in die viele aufbrechen wollen“ – und der andere offen oder verdeckt den Krieg erklären.
DIE FURCHE · 36 7. September 2023 Wirtschaft 5 Es ist eine der heiß debattierten Grundsatzfragen des Sommers, ob Steuern für Vermögende zum Wohle der Allgemeinheit erhöht werden sollten – oder nicht. Zwei Standpunkte. PRO Von Helene Schuberth Ja! Eine hart arbeitende Facharbeiterin, die brutto zirka 2.600 Euro monatlich verdient, trägt mit rund 27 Prozent davon durch Steuern und Abgaben zur Finanzierung von Sozialstaat und Infrastruktur bei. Netto bleiben ihr nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zirka 1.900 Euro übrig. Gehört man allerdings zu jenen 40 Prozent der Bevölkerung, die in den Genuss von Erbschaften kommen, zahlt man keine Steuer – auch jenes eine Prozent nicht, deren Erbschaften den Wert von einer Million übersteigen. Der Bezug eines steuerfreien leistungslosen Einkommens in diesen Größenordnungen brachte schon die historischen Vertreter(innen) des ökonomischen Liberalismus auf den Plan. Adam Smith, einer der Begründer des Wirtschaftsliberalismus, fand es mit Blick auf die festgelegten Erbfolgen für den Grundbesitz absurd, „dass jede nachfolgende Generation von Menschen nicht den gleichen Anspruch auf die Erde habe“. Noch deutlicher drückte es Thomas Jefferson aus: Die Erde gehöre den Lebenden; jeder habe sich an der gleichen Startlinie aufzustellen. Erst der Beitrag, dann die Privilegien Die Proponenten des ökonomischen Liberalismus scheinen heute in Österreich rar geworden zu sein. Anderswo fordern sie eine höhere Besteuerung von Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen und von Vermögenszuwächsen, weil sie der Meinung sind, dass sich sonst unproduktives Rentierverhalten durchsetzt. Diskutiert wird das überraschenderweise vor allem in den USA, wo vermögensbezogene Steuern jetzt schon zirka 12 Prozent des Steueraufkommens ausmachen – in Österreich sind es gerade einmal 1,5 Prozent. In einer marktorientierten, offenen Gesellschaft, so das Credo, sollen Privilegien nur als Belohnung für den persönlichen Beitrag zu dieser Gesellschaft beansprucht werden können – im Gegensatz zu Aristokratie und Feudalismus, wo Privilegien, Status und Reichtum ererbt werden. Österreich gleicht in dieser Hinsicht leider viel mehr einer feudalen Gesellschaftsordnung, als einem System, in dem das eigene Glück vom Status der Eltern abhängt. Das reichste Prozent besitzt hier bis zur Hälfte des gesamten Vermögens, die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur vier Prozent. Der Hauptgrund dafür: die ungleiche Verteilung der Erbschaften. Die ökonomische Forschung kommt übrigens unabhängig von Gerechtigkeitsüberlegungen zu einer positiven Beurteilung von Vermögens- und Erbschaftssteuern: Sie gelten als besonders wachstumsfreundlich. Ein bislang weniger beachteter Aspekt betrifft deren Wirkung auf die Bereitschaft zu arbeiten. So haben Ökonomen der Universität von Erben und Reiche zur Kasse bitten? „ Thomas Jefferson drückte es wie folgt aus: Die Erde gehöre den Lebenden; jeder habe sich an der gleichen Startlinie aufzustellen. “ München und Essex erst vor kurzem analysiert, dass Beschäftigte, in Erwartung hoher (steuerfreier) Erbschaften, weniger arbeiten. Dies ist angesichts des Mangels an Arbeitskräften in vielen Bereichen höchst problematisch. Gleichzeitig steigen die Erbschaften. Von derzeit rund 15 Milliarden steigt die Summe der jährlichen Erbschaften in den nächsten Jahren auf über 22 Milliarden Euro. Plakativ ausgedrückt: Der Erbe, der steuerfrei ein Zinshaus in Wien erhält, kann, ohne einer Erwerbsarbeit nachgehen zu müssen, von den zuletzt exorbitant gestiegenen Mieteinnahmen prächtig leben – finanziert vom vergleichsweise hoch besteuerten Arbeitseinkommen der Facharbeiterin, die vom 16. bis zum 65. Lebensjahr tagein, tagaus einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leistet. Die Autorin ist volkswirtschaftliche Leiterin beim ÖGB. Von Lukas Sustala Nein – bzw. Jein! Die nächste Steuererhöhung kommt bestimmt. Soviel weiß der gelernte Steuerzahler in Österreich. Den vielen medial wirksamen „Entlastungskampagnen“ zum Trotz rangiert das Land unter den Industrienationen auf Rang drei bei der Abgabenquote. Mitten in der Pandemie stieg diese auf den höchsten Stand in 20 Jahren. Für die Durchschnittsverdiener ermittelt die OECD, der Thinktank der Industrienationen, eine durchschnittliche Belastung mit Steuern und Abgaben von rund 46,8 Prozent, der dritthöchste Wert. Vor zehn Jahren lag Österreich noch auf Rang sechs. Nun ist – endlich – die kalte Progression, die Inflationssteuer, zumindest teilweise abgeschafft, sodass die heimliche, automatische Steuererhöhung gemindert wird. Doch es flammen laufend immer wieder alte Steuererhöhungsideen auf. Etwa von der SPÖ. Besonders hohe Erwartungen hat sie dabei für die Vermögenssteuer. Doch eine jährliche Abgabe auf die Vermögenssubstanz hat nicht nur bei Ökonomen einen schlechten Ruf und wurde von den meisten Ländern wieder abgeschafft. Sie ist für Österreich, dessen Wirtschaftsstandort bereits unter Druck ist, eine zusätzliche Gefahr. Bei der Erbschaftssteuer hingegen ließen sich durchaus Konstruktionen finden, die den Mittelstand außen vor lassen und die daher weniger wachstumsfeindlich wären – etwa mit großzügigen Ausnahmeregelungen für Betriebsvermögen. Illustration: iStock/guoya (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) CONTRA Aber dementsprechend gering werden auch die Einnahmen ausfallen. Keine Frage: Das österreichische Steuersystem ist ungerecht und reformbedürftig, in internationalen Standortvergleichen gilt das Steuersystem längst als Wettbewerbsnachteil. Allerdings sollte es bei Reformen wohl vor allem darum gehen, dass der Standort und damit verbunden der Wohlstand gestärkt werden und den arbeitenden Menschen deutlich mehr von ihrer Leistung bleibt. Dafür müssten Steuern und Lohnnebenkosten auf Arbeit signifikant sinken. Will Österreich etwa auf das Niveau der Niederlande kommen, müsste der Faktor Arbeit um bis zu 15 Milliarden Euro entlastet werden. Das ist ein Ausmaß, das keine Vermögenssteuer (und erst recht „ Wir rangieren unter den Industrieländer auf Rang drei bei der Abgabenquote – 48,8 Prozent für den Durchschnittsverdiener. “ keine Erbschaftssteuer) aufbringen könnte. Wer in Österreich also den Pfad einer nachhaltigen Steuerreform beschreiten möchte, muss den ersten Schritt vor dem zweiten setzen. Und der heißt: Wir müssen die Staatsausgaben bremsen. Denn die stark steigenden Ausgaben von gestern und heute drohen die Steuern oder Schulden morgen zu erhöhen. Wer also bei den Ausgaben nicht ansetzt, droht schlechtem Geld auch noch gutes Geld nachzuwerfen. Auch die nun debattierten Steuerideen werden gerne von ihren Proponenten mehrfach ausgegeben – für den Kampf gegen den Klimawandel, das Gesundheitssystem, die Bildung, außertourliche Pensionserhöhungen –, lange noch bevor sie tatsächlich eingehoben wurden. Das entlarvt viele der Vorschläge als Nebelgranaten. Sie setzen nämlich nicht bei den großen Herausforderungen an: Etwa bei der Frage, wie der Standort wieder wettbewerbsfähiger wird, oder wie das Budget Mittel für Zukunftsinvestitionen mobilisieren kann, ohne zusätzliche Steuern einführen zu müssen, oder wie liberalen Thinktanks zufolge das Steuersystem so umgebaut werden kann, damit sich Menschen auch wieder mehr Vermögen aufbauen können. Wer diese Reformen meidet und lieber nur über neue Steuern spricht, wird aber genau dazu beitragen, dass es auch nach der nächsten Wahl heißt: Die nächste Steuererhöhung kommt bestimmt. Der Autor ist Ökonom und Direktor des liberalen Thinktanks „NEOS Lab“.
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