DIE FURCHE · 36 22 Wissen 7. September 2023 Gezielte Kollision 110 Asteroiden flogen im letzten Jahr näher als der Mond an der Erde vorbei. Im September 2022 gelang es der NASA erstmals, eine unbemannte Raumsonde mit einem Asteroiden kollidieren zu lassen. Die Lehren daraus wurden nun in einer Studie zusammengefasst. Illu: Rainer Messerklinger Foto: iStock / MARHARYTA MARKO Asteroiden nähern sich oft gefährlich nahe der Erde. Vor einem Jahr hat die NASA gezeigt, dass sie Felsbrocken im All vom Kurs ablenken kann. Was das für die Zukunft bedeutet. Außerirdische Abwehr Von Manuela Tomic MOZAIK Zehnfingermärchen Auf einer schweren schwarzen Schreibmaschine lernte ich in der Hauptschule Maschinschreiben. Unsere Lehrerin, eine weißhaarige Frau mit großen Zähnen, schüttete in der ersten Stunde lose Schreibtasten wirr auf den Tisch: das Alphabet in seine Einzelteile zerlegt. In der zweiten Stunde öffnete die Lehrerin einen großen Kasten und hievte die Schreibmaschinen, die sie wie einen Schatz hütete, auf unsere Tische. Im Marsch mussten wir stundenlang Zeichenfolgen aufs Papier klopfen: xyz xyz xyz xyz ... iv iv iv iv iv ... Im Buchstabenrausch hämmerte ich viel schneller als die Anderen und geriet dabei aus dem Takt. Anstatt zu schimpfen, klebte mir die Lehrerin dutzende goldene Sterne in mein Heft. „Du wirst einmal eine fleißige Sekretärin“, sagte sie und tätschelte mein Köpfchen. Wenn ich heute Interviews führe und in Echtzeit auf meinen Laptop mitschreibe, spüre ich noch immer ihr Tätscheln und fühle, wie meine Kinderfinger tief in den Tastenschacht stürzen. Sekretärin bin ich keine geworden, aber Frau Holle mit den großen Zähnen wäre sicher stolz. Ich klopfe in die Tastatur, bis mir die Augen brennen. Es schneit Buchstaben, doch auf den Goldregen warte ich immer noch. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Von Klaus Stiefel Viele Leute, die es später in die Wissenschaft verschlagen hat, haben sich als Teenager für Science-Fiction interessiert und haben sich durch in einer phantastischen Zukunft angesiedelte Romane und Filme für die Forschung begeistert. In der Science-Fiction gibt es eine Reihe von Themen, die regelmäßig wiederkehren: Krieg im Weltall, schrecklich böse Aliens und ein Asteroid, der ohne menschliche Intervention auf der Erde einschlagen und alles Leben auslöschen würde. In letzterer Geschichte geht es dann meist so weiter, dass tapfere Raumfahrer, immer Amerikaner mit ernstem Gesicht (Bruce Willis!), zu dem Asteroiden fliegen und ihn sprengen: Dann ist die Erde ist gerettet! Änderung der Umlaufbahn Faszinierenderweise hat die Realität diese Geschichte nun fast eingeholt. Zwar war der konkrete Asteroid nicht direkt auf Kurs Richtung Erde und die Mission zu ihm war unbemannt. Aber es ist in einem Probelauf gelungen, einen Himmelskörper von seinem Kurs abzulenken. Vor ziemlich genau einem Jahr hat es die NASA geschafft, eine unbemannte Raumsonde so mit dem Asteroiden Dimorphos kollidieren zu lassen, dass sich die Umlaufbahn dieses Gesteinsbrockens geändert hat. Ein Artikel im Fachjournal Nature hat heuer die wesentlichen Lehren daraus zusammengefasst. Dimorphos existiert als Paar mit dem größeren Asteroiden Didymos. Dabei kreist Dimorphos um Didymos, wie eine Miniaturversion von Erde und Mond. Vor der Kollision mit der NASA-Raumsonde dauerte eine Umkreisung von Dimorphos um Didymos etwas weniger als zwölf Stunden, der Einschlag verkürzte sie um unerwartet lange 32 Minuten. Interessanterweise war dafür der Einschlag der Raumsonde direkt verantwortlich, teils auch die kinetische Energie loser Gesteinsbrocken, die durch den Einschlag ins All geschleudert wurden. Vor dieser Mission war nicht klar, wie dieser sekundäre Effekt ausfallen würde. Doch die überraschend starke Änderung der Umlaufbahn von Dimorphos war genau darauf zurückzuführen. Die Raumsonde hieß übrigens DART („Double Asteroid Redirection Test“; dt. „Doppel-Asteroiden-Umleitungs-Test“), ein Wortspiel mit dem englischen Wort „dart“ (Pfeil). Die akademische Wissenschaft ist zwar oft eine humorbefreite Zone, aber wenn es darum geht, kreative Abkürzungen zu finden, neigen die Kolleg(inn)en gern zum Wortwitz. DART wog etwas mehr als 600 Kilogramm und hatte eine kleinere Raumsonde im Huckepack, die sich vor dem Einschlag löste und dessen Folgen dokumentierte. Auch mit Teleskopen von der Erde aus konnte man die Folgen der Kollision, nämlich die veränderte Umlaufzeit von Dimorphos, beobachten. „ Asteroiden, die durch menschliche Technologie gesprengt werden, waren lang Stoff für Science-Fiction. Faszinierenderweise hat die Realität diese Geschichte nun fast eingeholt. “ Die Mission ließe sich ohne Zweifel noch in ihrem Ausmaß vergrößern – durch eine massivere Raumsonde oder Sprengmittel auf der Sonde. Selbstverständlich wollte die NASA bei einem Probelauf keine thermonuklearen Sprengköpfe im All detonieren lassen. Aber wenn es darum geht, eine reale Gefahr von der Erde abzulenken, ist das sicher eine Option. Im Prinzip ist die Menschheit nun in der Lage, Felsen im All von ihrem Kurs abzulenken: eine erstaunliche Leistung! Wenn ein Asteroideneinschlag auf der Erde so massiv ist, dass es zu einer globalen Katastrophe kommt, ist die Lage extrem ernst: Das Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren war die Konsequenz eines solchen Einschlags – von einem Brocken mit einem Durchmesser von zehn bis 15 Kilometern – im heutigen Mexiko. Kritische Vorwarnzeit Um einen Einschlag abwehren zu können, muss man auch die Flugbahnen dieses außerirdischen Objekts vorhersagen können. Die NASA ist hier ebenfalls aktiv, und in Zusammenarbeit mit Teleskopen weltweit stellt die US-Raumfahrtbehörde eine Liste erdnaher Asteroiden zusammen, die auch auf der NASA-Webseite einzusehen ist. Bis jetzt wurden mehr als 32.000 solcher Objekte gefunden, davon 853 mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer. Von all diesen Asteroiden flogen im letzten Jahr 110 näher als der Mond an der Erde vorbei. Keiner davon zielte direkt auf unseren Heimatplaneten. Wenn das bei einem massiven Asteroiden der Fall wäre, dann ist eine entsprechend lange Vorwarnzeit äußerst wichtig: Die Planung von DART begann 2017, die Raumsonde wurde 2021 ins All geschossen und dann dauerte es noch weitere zehn Monate, bis sie Dimorphos erreichte. Da die Technologie nun etabliert ist, würde es im Ernstfall natürlich schneller gehen, aber für eine erfolgreiche Ablenkung eines die Erde bedrohenden Asteroiden sollten jedenfalls Jahre eingeplant werden. Derzeit herrscht Krieg in Europa und auch Sozial-, Klima- und Umweltprobleme sind Grund zur Sorge. Aber zumindest kann man beim Gedanken an Felsbrocken im All, die Kurs auf die Erde nehmen, nun ein bisschen besser schlafen. Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen.
DIE FURCHE · 36 7. September 2023 Wissen 23 Viele Menschen sitzen von früh bis spät vor dem Computer. Fehlhaltungen und einseitige Bewegungsmuster fördern Rückenschmerzen als „Volkskrankheit“ unserer Zeit. Arzt und Yoga-Therapeut Peter Poeckh vermittelt dafür ein natürliches Heilmittel. Sorgsam hineingedehnt Von Martin Tauss Als Teenager war Peter Poeckh ein Tennistalent. Er bewegte sich schnell, spielte geradlinig und platzierte die Bälle oft haargenau. An den Wochenenden im Frühjahr tourte er mit Kollegen seines Tennisclubs in Brunn/Gebirge durchs Umland und kämpfte um Punkte bei den regionalen Meisterschaften. Doch bereits im Alter von 20 Jahren wurde seine Freude am Sport getrübt: Poeckh bekam es mit starken Rückenschmerzen zu tun. „Ich habe vieles ausprobiert und bin dann in einen Yoga-Kurs gestolpert“, erinnert sich der Arzt. „In den 1990er-Jahren wurde das noch oft ins esoterische Eck gestellt. Und es war recht exotisch, wenn man als junger Mann in so einem Kurs aufgetaucht ist. Doch die Wirkung war eindrucksvoll: Nach einem halben Jahr Yoga waren die Schmerzen weg.“ Für Peter Poeckh war das der Startschuss, um ein Medizinstudium in Angriff zu nehmen und sich seinem großen Lebensthema zu widmen: der gesunden Bewegung. „Yoga ist für mich nach 20 Jahren noch immer die wirkungsvollste Mischung aus Bewegung, Atem und geistiger Ausrichtung“, sagt der Sportmediziner und Yoga-Therapeut heute. Er studierte die medizinischen Grundlagen, begann aber auch mit einem groß angelegten Selbstversuch – und versuchte zu erkunden, was es braucht, um längerfristig schmerzfrei zu bleiben. „Dehnende und kräftigende Körperübungen sollten genau auf die jeweilige Situation abgestimmt sein“, so Poeckh, der sein Wissen heute auch als Buchautor, in Fernsehsendungen und Online-Videos weitergibt: „Bei starken Schmerzen im unteren Rücken empfehle ich, vorerst auf die Kräftigungsübungen zu verzichten. Da sollte man sich zunächst nur auf Mobilisations- und Dehnübungen fokussieren.“ Bedeutung der Faszien Vielen Menschen geht es so wie dem Mödlinger Arzt: Sie klagen bereits in jungen Jahren über Rückenschmerzen. Laut aktuellen Studien sind auch Kinder und Jugendliche zunehmend betroffen. Rund ein Viertel aller Menschen sucht mindestens einmal im Jahr therapeutische Hilfe wegen Beschwerden im Rückenbereich. Oft verschwinden diese innerhalb von ein bis zwei Wochen, manchmal halten sie aber auch länger an. „Die Zahlen zeigen, dass mittlerweile eine ganze Gesellschaft an Schmerzen im Bewegungsapparat leidet; also längst nicht mehr nur ältere oder körperlich schwer arbeitende Menschen“, berichtet Peter Poeckh. Woran liegt das? Organische Ursachen wie Bandscheibenvorfälle, Osteoporose, Rheuma, Gelenkabnutzung usw. machen nur ca. ein Fünftel aller Beschwerden im unteren Rücken (Lumbalgien) aus. Die große Mehrheit – ca. 80 Prozent al- Foto: Stefan Janko ler Fälle – sind auf sogenannte „funktionelle Probleme“ zurückzuführen. Bei diesen sind weder im Röntgen noch im MRT Anzeichen für eine Schädigung oder Entzündung zu erkennen. Denn die Ursache findet sich fast immer im umliegenden Gewebe der betroffenen Region – zwischen Muskeln, Sehnen, Bändern und Bindegewebe, so Poeckh: „Das bedeutet, dass das Zusammenspiel dieser Strukturen irgendwie beeinträchtigt ist. In den die Muskeln umhüllenden Faszien sitzen viele Schmerzrezeptoren, die oft nur deshalb aktiv sind, weil das Gewebe nicht elastisch ist. Es sind oft Spannungen und Verklebungen, die den Beschwerden zugrunde liegen.“ Solche Rückenschmerzen entstehen durch langes Sitzen und Stehen, eine falsche Haltung und zu wenig oder einseitige Bewegung. Auch Stress schlägt sich leicht auf die Rücken- und Nackenmuskulatur. Diese weit verbreiteten Schmerzursachen will nun auch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) angehen. Im September startet bundesweit die Kursreihe „Gesunder Rücken“, in denen maßgeschneiderte Übungen vermittelt werden, um Verspannungen abzubauen und vorzeitige Abnützungen zu verhindern. Diese Aktivprogramme sind auch Ausdruck einer veränderten therapeutischen Sichtweise: Vor nicht allzu langer Zeit empfahlen viele Ärzte ihren schmerzgeplagten Patienten noch oft, sich zu schonen. Wer will sich auch schon bewegen, wenn alles wehtut? „Nichtstun und Bettruhe helfen bei diesen Rückenschmerzen jedoch keineswegs“, sagt Poeckh. „Die Schmerzen werden sich mittelfristig sogar verstärken, weil der Körper steif wird und Muskeln sowie Faszien nicht stimuliert werden.“ Volkswirtschaftliche Last Sein Credo: Um das Problem der funktionellen Beschwerden am Schopf zu packen, muss man sie an der Wurzel behandeln. Regelmäßige Bewegung sei dabei „das natürlichste und beste Mittel“, um lange gesund und fit zu bleiben. Das ist letztlich eine gute Nachricht: Es braucht keine Medikamente oder Operationen – mit einfachen Übungen lässt sich bereits ein großer Effekt erzielen. Umso verwunderlicher, dass es von politischer Seite bislang wenig Bewegungsanreize gibt. „Schon lange wird ‚Prävention’ schlagwortartig beschworen, aber gemacht wird viel zu wenig“, kritisiert Poeckh. „An den Schulen etwa wurde es in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft, auch nur eine einzige Turnstunde mehr im Stundenplan unterzubringen. Es ist mir ein Rätsel, warum man die Kinder heute bis am Nachmittag im Gymnasium herumsitzen lässt.“ Schließlich drohe volkswirtschaftlich eine massive Belastung des Gesundheitssystems durch Muskel-Skelett-Krankheiten: Die Bevölkerung nimmt zu; die Menschen werden immer älter; und viele Jugendliche sitzen lieber vor dem Computer als sich draußen zu bewegen. Andererseits sei das präventive Bewusstsein zuletzt gewachsen – eben weil viele merken, dass sie bereits ein Problem haben, meint Poeckh: „Dass Sitzen als ‚das neue Rauchen’ gilt, ist seit der Coronakrise geläufiger. In vielen „Gesunder Rücken“ Im September startet die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) mit einer kostenlosen Kursreihe zur Rückengesundheit (www.aktivgruppen.at). „ An den Schulen wurde es nicht geschafft, auch nur eine einzige Turnstunde mehr unterzubringen. Warum lässt man die Kinder im Gymnasium so viel herumsitzen? “ Yoga & Therapie Peter Poeckh in Aktion: Individuell abgestimmte Übungen unterstützen den Heilungs- und Regenerationsprozess. Firmen gibt es jetzt Stehpulte und Online-Meetings. Die Menschen sind eher bereit, während ihrer sitzenden Tätigkeit mal aufzustehen und sich durchzustrecken. Doch die Belastungen durch zu viel Sitzen werden laut Prognosen weiter rapide ansteigen.“ Der Yoga-Therapeut spielt jetzt wieder mehr Tennis, und mit dem Golf hat er eine weitere Sportart begonnen, die den Rücken belasten kann. „Ich gehe dafür auch laufen und mache täglich ein Programm mit Ausgleichsbewegungen.“ Auf den Körper zu hören, sei schließlich eine Fähigkeit, die im Yoga geschult wird: „Dann ist Bewegung Trumpf.“ Rücken - Schultern - Nacken Endlich schmerzfrei mit den besten Trainingsprogrammen Von Peter Poeckh Suedwest Verlag 2023 160 S., kart., € 20,95,–
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