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DIE FURCHE 07.06.2023

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DIE

DIE FURCHE · 23 12 Gesellschaft 7. Juni 2023 „ Die Beziehung zu Lebensmitteln muss sich ändern – wenn man den Bauern kennt, der die Kartoffel anbaut, wirft man sie weniger leichtfertig weg. “ Das Gespräch führte Katja Heine Douglas McMaster ist Chefkoch und hat das weltweit erste „Zero Waste“-Restaurant in London gegründet, um seinen Beitrag gegen Abfall und Lebensmittelverschwendung zu leisten. Ein Gespräch über Klimaschutz, Wertschätzung, Scheitern und Gewinnen. DIE FURCHE: Wir sitzen hier vor zwei Gläsern Kirsch- und Quittenkombucha in einem puristisch-gemütlich eingerichteten Café im sechsten Wiener Bezirk. Sie beschäftigen sich seit fast zwanzig Jahren mit Lebensmitteln und Ernährung, sind viel gereist, um sich kulinarisch weiterzubilden, und haben 2016 Ihr Restaurant Silo in London gegründet. Sie kochen ohne Abfälle, regional und nachhaltig. Wie geht es Ihnen, wenn Sie in andere Lokale gehen – kann man den Beruf und die eigene Philosophie hinter sich lassen? Douglas McMaster: Mir ist wichtig, dass ich die Werte und Erwartungen, die ich an mich selbst habe, nicht anderen auferlege. Gestern zum Beispiel war ich in einem Restaurant, in dem das Essen relativ durchschnittlich war, um es so zu sagen. Aber auch diese schlechten Erfahrungen sind inspirierend. Man muss erleben, was nicht gut ist, was einen nicht inspiriert, um in spiriert zu sein. So habe ich auch die schlechten Erfahrungen in den Küchen, in denen ich gearbeitet habe, positiv gesehen. Aber grundsätzlich möchte ich betonen, dass ich die Menschen um mich he rum, ihre Weltansichten und – konkret – die Gerichte, die sie kochen, nicht bewerten möchte. Ich versuche, ein Vorbild zu sein und kein Missionar. Ich möchte nachhaltig und bewusst handeln, in der Gegenwart leben und sie, so wie sie ist, akzeptieren. Das schließt nicht aus, dass man einen positiven impact auf die Zukunft haben möchte. Aber diesen hat man durch bewusste Handlungen und Entscheidungen in der Gegenwart. LEBENSMITTELABFALL Das Klima in der Tonne Bis zu 40 Prozent der produzierten Lebensmittel weltweit werden weggeworfen. Die Lebensmittelverschwendung ist für etwa zehn Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es der drittgrößte Emittent nach China und den USA. Etwa 800.000 Tonnen Lebensmittel werden jährlich in Österreich weggeworfen. Für mehr als ein Viertel davon sind Privathaushalte verantwortlich. Ziel zwölf der SDGs („Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen, Agenda 2030) ist die Schaffung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster, bis 2030 soll die Lebensmittelverschwendung halbiert werden. Im Rahmen der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ werden verbindliche Ziele zur Vermeidung von Lebensmittelabfall festgelegt. (Katja Heine) „Zero Waste“ auf dem Teller: Das Ice-Cream-Sandwich aus Abfallprodukten von Butter und Brot schmeckt nach salzigem Karamell. Lesen Sie zum Thema auch „Urban Food Spots: Teilen statt Tonne“ (21.4.2016) von Doris Neubauer auf furche.at. Statistisch gesehen landen jedes Jahr alle weltweit bis Ende Mai produzierten Lebensmittel im Müll. Der „Zero Waste“-Koch Douglas McMaster erklärt im Interview, was dagegen getan werden kann. „Zündstoff für die Gier“ DIE FURCHE: Was hat Sie dort hingebracht, wo Sie jetzt sind? McMaster: Ich würde sagen, man ist das Produkt seiner Erlebnisse. Ich komme aus dem Norden Englands, aus einer Arbeiterfamilie. Nach meinem Schulabschluss habe ich nach Alternativen zum Studium gesucht. Ein Freund von mir war Koch, und das hat mich inspiriert. Ich habe mich bei den besten Köchen Englands und schließlich weltweit beworben, habe in fünf verschiedenen Städten auf der Welt gearbeitet. Nirgends gab es ein Bewusstsein für die Umweltauswirkungen der Gastronomie – und auch heute gibt es das noch nicht im benötigten Ausmaß. Beispielsweise haben wir in einem der besten Restaurants in Sydney jeden Tag einen ganzen Lastwagen mit Lebensmittelabfällen gefüllt. Auch der Gebrauch von Einwegplastik und Vakuumverpackungen ist ein großes Problem. Ich habe gelernt, was ich nicht mag, mehr als ich gelernt habe, was ich mag. Aber auch das ist okay: Je mehr unterschiedliche Perspektiven man erlebt, desto größer wird das Bild von der Welt – wie Puzzlestücke, die sich zu einem Puzzlebild zusammenfügen. DIE FURCHE: Was ist das fundamentale Puzzlestück für Ihr „Zero Waste“-Restaurant gewesen? McMaster: Ich habe das Problem der Lebensmittelverschwendung in den Küchen und Restaurants der Welt gesehen. Es ist etwas grundlegend falsch in unserem Food-System, und das muss sich ändern. Ich will meinen Teil zur Veränderung beitragen. Als ich in Australien war, habe ich den Künstler Joost Bakker kennengelernt, Klimaschützer und großes Vorbild. Seine Frage „Glaubst du, dass es möglich ist, keinen Mülleimer zu haben?“ hat mich inspiriert. Keinen Mülleimer zu haben, zwingt uns, die Welt anders zu sehen – ich nenne es „vorsichtiges Chaos“, bis man sich auf die Veränderung eingestellt hat. Fotos: frankowski DIE FURCHE: Sie haben sich viele Gedanken zu Lebensmittelverschwendung gemacht. Können Sie diese mit uns teilen? McMaster: Abfall ist das Symptom eines Systems, das außer Balance ist. Grundsätzlich kommt Abfall in der Natur nicht vor, wir Menschen haben uns – unter anderem durch die Industrialisierung – zu weit von der Natur entfernt. Wir müssen wieder ein Bewusstsein für die Natur in unserer Gesellschaft schaffen und ein Verständnis dafür, woher die Produkte kommen. Die Beziehung zu Lebensmitteln muss sich ändern – wenn man den Bauern kennt, der die Kartoffel anbaut, wirft man sie weniger leichtfertig weg. Im Grunde ist Abfall ein Versagen unserer Imagination. Wir haben Abfall in unsere Welt designt, daher müssen wir ihn wieder hinausdesignen. Ich sehe Imagination als ein Geschenk, das uns bei der Problemlösung hilft. Und das hoffe ich auch mit meinem Restaurant zu tun. DIE FURCHE: Und Sie denken, dass es möglich ist, für alle der weltweit knapp acht Milliarden Menschen Ernährungssicherheit und vor allem -souveränität zu garantieren? McMaster: Ja und nein. Nein, wenn unser Food-System so bleibt, wie es ist. Ja, wenn wir es ändern. Haben wir das Wissen und die Ressourcen, unser Food-System und unsere Ernährungsweise umzustellen und sie nachhaltig zu machen? Ja, absolut. Aber es braucht den politischen Willen. Unser Food-System muss lokaler werden. Damit würde auch die Masse an Abfall drastisch verringert werden – nicht nur durch den Wegfall der Transportverpackungen, sondern auch durch die Reduktion der Lebensmittelabfälle per se, da eine neue (Ess-)Kultur und ein neues Bewusstsein entstehen würden. Und ich möchte noch hinzufügen, dass weder die Industrialisierung noch der Kapitalismus per se schlecht sind, es sind bloß Bezeichnungen für gewisse Strukturen. Das Problem ist die Gier in diesen Strukturen. Gier ist, was dieses System zum Scheitern bringt. Angst vor dem Mangel ist Zündstoff für die Gier. DIE FURCHE: Vermutlich müssten wir unsere Ernährung dann neu denken. Kaffee beispielsweise kann in Österreich schwer angebaut werden. McMaster: Man kann nicht immer alles haben, das stimmt. Aber wir müssen nicht rückschrittlich sein. Es gibt Wege, Kaffee klimafreundlich zu importieren. Bei meinem Restaurant Silo haben wir beispielsweise ein Segelschiff, das mit Lebensmitteln um die Welt segelt und etwa Kaffee aus Übersee zu uns nach London bringt. Ich bin zuversichtlich, dass in Zukunft noch weitere technische Möglichkeiten für klimafreundlichen Transport hinzukommen. Es wird einen Weg geben, aber es wird teurer sein als bisher – und so sollte es auch sein. DIE FURCHE: Was ist Ihre wichtigste Botschaft zum Thema Lebensmittel? McMaster: Es gibt so viele „leere Teller“ in der Gastronomie. Ich meine das nicht im wörtlichen Sinne, natürlich sind die Teller im Restaurant nicht leer. Aber das Essen dort hat oft keine Geschichte. Und mir ist wichtig, dass es ein Bewusstsein gibt für die Geschichte hinter dem Essen auf dem Teller. Das ist oft nicht der Fall, in diesem Sinne sind diese Teller leer. Das Essen steht für nichts, legt keine Rechenschaft ab darüber, wie es auf den Teller kam. Denn irgendetwas hat in der Regel dafür gelitten: die Umwelt, die Lieferkette. Das liegt daran, dass unser System noch nicht nachhaltig ist, dass es außer Balance ist. Es muss diesbezüglich mehr Sensibilisierung geben, damit sich etwas ändert. Wie ich immer sage: Es geht nicht nur darum, was auf dem Teller passiert, sondern vor allem darum, was außerhalb passiert.

DIE FURCHE · 23 7. Juni 2023 Gesellschaft 13 Der am 19. Mai 2023 verstorbene Schriftsteller Dževad Karahasan erhält posthum den Fritz-Csoklich-Demokratiepreis. Styria Media Group, Kleine Zeitung, Die Presse, DIE FURCHE und die Styria Buchverlage ehren damit einen großen Brückenbauer und Versöhner. Erzähler, Grenzgänger, Mystiker Von Doris Helmberger Karahasan war ein großer Erzähler, der das kleine, vergessene, verwundete Bosnien zum Ort „Dževad der europäischen Literatur machte. Mit seinem Werk hat er das Fenster zu einem tiefgehenden Verständnis der dort lebenden Menschen weit aufgestoßen. Die vielfältigen Verwerfungen und Verletzungen nach dem Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates beschrieb er mit leiser, dafür umso eindringlicherer Stimme.“ Mit diesen Sätzen beginnt die Jury ihre Begründung für die Zuerkennung des diesjährigen Fritz-Csoklich-Demokratiepreises an Dževad Karahasan. Noch pünktlich zu seinem 70. Geburtstag im Jänner dieses Jahres hatte er mit „Einübung ins Schweben“ einen neuen Roman vorgelegt – ein „lyrisches Panoptikum des Krieges“, wie FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic in ihrer Besprechung am 18. Jänner schrieb. Nur vier Monate später, am 19. Mai, ist Karahasan in Graz verstorben – und seine leise, dafür umso eindringlichere Stimme ist für immer verstummt. „Er war die Stimme Sarajevos in Österreich – und zugleich stimmt diese Aussage nicht, denn Dževad Karahasan erinnerte mit seinen Romanen, Dramen und Essays ja gerade an die Stimmen Sarajevos im Plural“, schrieb FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant in ihrem Nachruf. Die Jury 2023 – sitzend von links: F. Asamer, I. Griss, H. Rabl-Stadler, E. Schlegel, B. Bierlein, N. Ebrahimi. Stehend von links: M. Mair, T. Götz, F. Küberl, M. Prisching, M. Csoklich, L. Wieser, D. Helmberger, M. Opis, H. Kromp-Kolb, V. Fritsch. Nicht am Bild: O. Vitouch. „ Der andere blieb für Dževad Karahasan immer unabdingbare Voraussetzung für die eigene Freiheit. “ aus der Jury-Begründung Vereinfachung als Sünde Karahasan habe zudem stets gewusst: „Das dualistische Weltbild ist gefährlich, weil es eine Vereinfachung darstellt, die erfolgreich so tut, als wäre sie keine.“ Schon gar nicht dürften sich ein Schriftsteller und die Literatur, wie er sie verstehe, auf so eine Vereinfachung einlassen; „die Vereinfachung ist meinem Empfinden nach eine fundamentale Sünde, die schwerste, die Literatur [und nicht nur sie, das zeigt die Geschichte ja immer aufs Neue] begehen kann“. Es waren Gedanken und Sätze wie diese, die Dževad Karahasan für den Fritz-Csoklich-Demokratiepreis prädestinieren. Mit Foto: Jana Madzigon der Auszeichnung, die seit 2019 alle zwei Jahre von der Styria Media Group gemeinsam mit ihren Marken Kleine Zeitung, Die Presse, DIE FURCHE und den Styria Buchverlagen vergeben wird, sollen Menschen geehrt werden, die in ihrem Leben und Wirken zur Überwindung von Schranken aller Art beigetragen haben, von Polarisierung, Nationalismus bis hin zu Fanatismus. 2019 wurde der Universalkünstler Arik Brauer mit dem Preis geehrt – der noch im selben Jahr verstarb. 2021 wurden die belarussischen Bürgerrechtlerinnen Swetlana Tichanowskaja, Maria Koleschnikowa und Veronika Zepkalo ausgezeichnet. Fritz Csoklich: Mann mit Grundsätzen Auch der Namensgeber des Preises, Fritz Csoklich, stand paradigmatisch für Mut, Courage und Brückenbauen. Von 1960 bis 1994 Chefredakteur der Kleinen Zeitung, war Csoklich von christlichen Prinzipien geprägt, vertrat klare Grundsätze und eine tiefe demokratische Gesinnung. Sein Ziel waren die Überwindung historischer Gräben, die Versöhnung verfeindeter Gruppierungen im Land und die Stärkung der Demokratie. Lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs suchte er bereits den Kontakt mit Viele Stimmen Foto: imago / gezett Die erinnerte Stadt Sarajevo bleibt das Thema der Bücher von Dževad Karahasan. Nun wird er posthum geehrt. Lesen Sie auf furche.at unter „Sarajevo erinnern und erzählen“ (24.5.2023) den Nachruf von B. Schwens- Harrant auf Karahasan. Politik und Kirche in den Ländern Ost- und Südosteuropas – in der Hoffnung auf die Überwindung der Spaltung des Kontinents. Ähnliche Weltoffenheit, ähnliches Brückenbauen gelten auch für Dževad Karahasan. „Er selbst war ein Grenzgänger zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum, der mühelos die Brücke von Plato zu ‚Tausendundeiner Nacht‘ und von Duns Scotus zu Kleist schlug“, heißt es weiter in der Jurybegründung. „Obwohl der Krieg ihn heimatlos gemacht und seine Stadt, das multikulturell blühende Sarajevo, zerstört hatte, warb er unermüdlich für die Begegnung und den Dialog. Er verfiel nicht dem verführerischen Gedanken an Rache, sondern glaubte an die heilende Kraft einer Umarmung.“ Das „wahre Gespräch“ Der binären Logik, welche die Welt heute nur zu oft in Freund und Feind, in Gut und Böse scheidet, verweigerte er sich ebenso wie der Vorstellung von einem Kampf der Kulturen. Denn er war überzeugt davon, dass der Mensch keinen Feind braucht, um seine eigene Identität zu artikulieren. „Ich bin ich, weil du du bist, und du bist du, weil ich ich bin“, war für ihn, den gläubigen Muslim und Mystiker, die Formel, der Ausgangspunkt für das „wahre Gespräch“, das er als Austausch und Gelegenheit zum Kennenlernen verstand, und nicht als Bestätigung eigener Meinungen und weltanschaulicher Standpunkte. Der andere blieb für ihn immer unabdingbare Voraussetzung für die eigene Freiheit. Diese offene Haltung bestimmte auch sein Ringen um eine angemessene Wahrnehmung und Beurteilung der erlebten Vergangenheit, die er als „Fangeisen“ bezeichnete, „das uns die Zeit aufgestellt hat“. Im Verständnis Karahasans ist Literatur absolut nutzlos und hat keine Funktion, wohl aber einen Zweck: Literatur verteidige die wunderbare Komplexität, Kompliziertheit des menschlichen Wesens. Sie erinnere Menschen daran, dass sie nicht nur Wesen der Vernunft sind, sondern auch ein pathetisches Universum haben und einen metaphysischen Kern in sich tragen. Und Literatur immunisiere dagegen, Menschen und Verhältnisse auf eine einzige Dimension zu reduzieren.“ Im Oktober wird der mit 10.000 Euro dotierte Fritz-Csoklich-Demokratiepreis an die Witwe Dževad Karahasans übergeben. Stromversorgung als soziale Frage Rund 30 Prozent der Menschen in Österreich können aufgrund der Teuerung kaum noch ihre Fixkosten zahlen. Vor allem horrende Stromrechnungen bereiten vielen Sorgen. Aber wie entsteht überhaupt so ein hoher Strompreis? Was tut die EU, um dem entgegenzuwirken? Und welche Tipps gibt es noch, um Strom zu sparen? Das beantworten wir im neuen Podcast. DER CHANCEN PODCAST furche.at/chancen

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