23 · 7. Juni 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– In Wien findet ein von Kiew kritisierter Friedensgipfel statt. Über ein Dilemma. · Seiten 6–7 Der latente Schatten des Bolsonarismus „Da herrscht geistige Entleerung“ Melancholischer Weltreisender Brasiliens neues Gesetz für indigenes Land zeigt, dass die Wahl Lulas zum Präsidenten längst nicht alle Probleme löst. · Seite 8 Was bedroht die liberale Demokratie? Ulrike Ackermann im Gespräch über Putin, Populisten und Identitätspolitik. · Seiten 9–10 Er war einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit, sein Leben war Verkleidung: zum 100. Todestag von Pierre Loti. · Seite 17 Das Thema der Woche Seiten 2–5 Die Beziehung von Männern zu ihren Kindern wird oft von äußeren Faktoren beeinflusst. Ist der Wertewandel im Alltag angekommen? Foto: iStock/ Lacheev (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Väter von Welt Wenn sich die Sozialdemokratie so fundamental beschädigt, dass sich einer wie Herbert Kickl als stabile Kraft anpreisen kann, dann hat dieses Land ein Problem. Ein Aufruf zum Nachdenken. Roter Kopf an Bauch! AUS DEM INHALT Wir brauchen teilnahmsvolle Blicke Der „alte Romantiker“ Hubert Gaisbauer reagiert in „Erklär mir deine Welt“ auf die These Johanna Hirzbergers, dass es kein „bewunderndes Anschauen“ gebe. Seite 14 Von Doris Helmberger Geschichte wiederholt sich immer zweimal“, vermerkte Karl Marx, „das erste Mal als Tragödie, „Die das zweite Mal als Farce.“ Dass sich Pleiten-Pech- und-Pannen-Geschichten auch noch öfter wiederholen können und sich die Farce rasch zum Super-GAU entwickelt, konnte der Denker aus Trier noch nicht ahnen. Doch Österreichs Sozialdemokratie hat es beim Sonderparteitag in Linz vorgemacht. Mangels Beherrschung der Grundrechnungsarten und des Computerprogramms Excel – von einer Verschwörung wollen wir noch nicht ausgehen – wurde mit Hans Peter Doskozil der falsche Mann auf den Schild gehoben. Tatsächlich hat der Traiskirchner Feuerkopf Andreas Babler mit seiner Brandrede die knappe Mehrheit der Delegierten auf seine Seite gezogen, wie sich vergangenen Montag herausstellte – 48 Stunden nach Doskozils Realisierung seines „Lebenstraums“. Wie viele Stimmen beide Kandidaten exakt bekamen, war bis zuletzt unklar. Ein Tiefpunkt in der Geschichte der einst so stolzen Partei; und nach den Konfusionen um die Bundespräsidentenwahl 2016 (s. S. 14) ein weiterer Tiefpunkt in Österreichs Demokratiegeschichte. „ Man kann nur hoffen, dass Bablers Berater begnadet sind – und die Lernkurve ihres Schülers steil ist. “ Ob und wie sehr die einst staatstragende SPÖ in Trümmern liegt, kann freilich niemandem egal sein, der sich um die Stabilität und Zukunft dieses Landes sorgt. Nicht nur in Italien kann man studieren, dass am Ende nur (rechte und linke) Populisten gewinnen, wenn die großen, alten Volksparteien darniederliegen. Wenig überraschend hat FPÖ-Chef Herbert Kickl bereits die Gunst der chaotischen Stunde genutzt: In einer Aussendung präsentierte er die Freiheitlichen – vier Jahre nach „Ibiza“ – als „stabile Kraft“ und lud „enttäuschte Wähler und Mitglieder der Sozialdemokratie“ mit lustvoller Chuzpe nach Kreisky-Manier ein, „ein Stück des Weges mit uns zu gehen“. Ein Linker, der rechts blinkt? Ob der linke Ideologe Andreas Babler dies verhindern kann oder gar freiheitliche Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen vermag, wie es Hans Peter Doskozil beim Parteitag als Ziel formulierte, ist jedoch fraglich. Jedes strategische Signal in dieser Hinsicht wird seine begeisterte Anhänger(innen)schaft, die sich von ihm einen prononciert linken, ja klassenkämpferischen Kurs erwartet und dafür zu Tausenden wieder in die Partei eingetreten ist, mit Argusaugen verfolgen. Nicht minder kritisch werden ihn auch jene beobachten, denen sein volatiles „Marxist“-Sein wie auch seine skandalösen Aussagen zur Europäischen Union sauer aufgestoßen sind. Dieses große Friedensprojekt als „aggressivstes, außenpolitisch-militärisches Bündnis, das es je gab“, zu bezeichnen, zeugt von himmelschreiender historischer Nacktheit – oder ideologischer Verblendung. Man kann nur hoffen, dass Top-Diplomat Wolfgang Petritsch als außenpolitischer Berater begnadet ist – und die Lernkurve seines altlinken „Stamokapler“-Schülers steil genug. Auch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch wäre Beratung hilfreich: Nein, die Zielgruppe der Sozialdemokratie besteht heute nicht nur aus – gewerkschaftlich organisierten – österreichischen Arbeiterinnen und Arbeitern, sondern auch aus prekär Selbstständigen, Praktikanten und einem neuen „Proletariat“ ohne Wahlrecht. Vulgär-Klassenkampf ist zur Bewältigung von all dem eher nicht der Königsweg. Sehr wahrscheinlich ist freilich, dass der politische Alltag und der häufige Austausch mit dem Großkoalitionär Michael Ludwig die gröbsten ideologischen Ausschläge ohnehin abschleifen – und der rote Kopf neben dem Bauch wieder dominanter wird. Dass dabei nicht auch die wertvolle Leidenschaft verloren geht, die Andreas Babler in den politischen Diskurs einbrachte (vgl. „Klartext“ Seite 7), wäre die andere Hoffnung. Sie stirbt bekanntlich zuletzt. doris.helmberger@furche.at @DorisHelmberger Quint-Essenz: Ich bin disqualifiziert Sich einerseits aufregen, dass sich der Kanzler bei schwierigen Themen durchschlawinert, andererseits keinen Deut besser sein. Eine Selbstreflexion. Seite 15 „Erkennen Sie das Stilzchen“ A. L. Kennedys Roman „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ hält der Wut auf Politik und kaputtes Gemeinwesen die Barmherzigkeit entgegen. Seiten 18–19 Der „Homo Deus“ ist traumatisiert Transhumanisten glauben an gefährliche Illusionen. Diese sind das Symptom einer traumatischen Entfremdung, meint Martin Tauss im „Human Spirits“. Seite 23 Mehr Jugend fürs Theater Vermehrt junge Menschen strömen zu den Wiener Festwochen. Der scheidende Intendant Christophe Slagmuylder hat sie in seinem Programm adressiert. Seite 24 furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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