Aufrufe
vor 9 Monaten

DIE FURCHE 07.03.2024

  • Text
  • Welt
  • Zeit
  • Foto
  • Salzburg
  • Wien
  • Buch
  • Kirche
  • Menschen
  • Frauen
  • Furche

DIE FURCHE · 1022

DIE FURCHE · 1022 Wissen7. März 2024Von Martin TaussHUMANSPIRITSFrühlingsgefühleFrühling mit gemischten Gefühlen:wie schön, wieder Veilchen, Himmelschlüssel,blühende Bäume undSträucher zu sehen. Die Marillengärten inder Wachau stehen bereits in voller Blüte –ungewöhnlich früh. Auch dass es für AnfangMärz ungewöhnlich warm ist, spürenwohl so manche. Ein Vorgeschmack aufdas, was uns im Sommer blüht?„Ich arbeite seit 40 Jahren in der Klimaforschung,aber solche Anomalien wie inden letzten Monaten haben wir noch nie registriert“,sagt Joachim Schellnhuber, derseit Ende 2023 das „International Institutefor Applied Systems Analysis“ (IIASA) inLaxenburg leitet, im Digitalmedium Newsflix.„Wir rasen geradewegs und mit vollerGeschwindigkeit auf eine Wand zu, schließendabei die Augen und hoffen, ‚es wirdschon gut gehen‘. Das wird es aber nicht.“„ Freudvoll wie bunte Blütenist ein Ansatz, der die Glücksforschungmit dem Klimaschutzverbinden will. Das Ziel: dieLebensqualität zu steigern. “Klimaschutz wird immer dringlicher;zugleich besteht die Gefahr, dass man dabeiabstumpft und das Thema mit den unangenehmenEmotionen, die es auslöst, aufdie Seite schiebt. Freudvoll wie der Frühlingist hingegen ein Ansatz, der die Glücksforschungmit dem Klimaschutz verbindenwill. So wie dies der amerikanische NachhaltigkeitsautorJeff Golden in seinem neuenBuch „Reclaiming the Sacred“ versucht.Die These: Produktion und Konsum solltennicht gegen die nötige Transformationausgespielt werden. Reduktion im Konsumwird noch oft als schmerzlicher Verzichtoder als „Opfer“ dafür dargestellt.Werte sind wichtiger als WertsachenDoch wenn man die Befunde der Glücksforschungmiteinbezieht, dann erscheintReduktion eher als Chance, das zu steigern,worum es eigentlich geht: die Lebensqualität.Diese erwächst nur zum Teil ausmateriellem Wohlstand – weit mehr nochaus guten Beziehungen und dem Gefühlder Eingebundenheit, der körperlichenund geistigen Gesundheit, genügend Freizeitoder einer konstruktiven inneren Haltung.Auch Sinnerfahrungen sind nicht anfinanzielle Belange gekoppelt. Ein Blick indie Geschichte zeigt: Trotz des spektakulärenZugewinns an materiellen Gütern seitden 1940er Jahren ist das Glücksniveau inden westlichen Industriestaaten bis heutegesunken, so Jeff Golden – während zugleichdie Umweltzerstörung ein gigantischesAusmaß erreicht hat.Bereits primitive Einzeller richten ihrLeben an angenehmen und unangenehmenWahrnehmungen (die Grundlage desGefühlslebens) aus. Positive Emotionen signalisierenden Organismen einen guten,erhaltenswerten Zustand in ihrem Umfeld.Glück ist der Gipfel in diesem Spektrum –kein Selbstzweck, sondern Ausdruck einesintegren Lebens. Aus der Forschung lässtsich lernen, aus welchen Quellen authentischeGlückserfahrungen entstehen. EineKrise bietet die Chance, sich an dem zuorientieren, was wirklich zählt: Werte sindwichtiger als Wertsachen.Foto: Courtesy NASA/JPL-Caltech.Von Klaus StiefelWir leben in aufregendenZeiten für alle, die sich fürdas Weltall interessieren:Die Raumsonde Cassinihat nun posthum, sechsJahre nach ihrem Sturz in die AtmosphäreSaturns, noch einmal für tolle neue Forschungsergebnissegesorgt. Cassini wurde1997 von der NASA vom sonnigen Floridaaus in die Kälte des Weltalls auf den Wegzum Saturn gebracht, wo die Raumsondeden Planeten, seine Ringe und seine Mondemehrere Jahre lang beobachtete, bevorsie durch einen kontrollierten Absturz zerstörtwurde. Warum wurde die Sonde dannzerschmettert? Um sicherzugehen, dasskeine irdischen Mikroben von der Sondeauf Saturnmonde gelangen, wo sie eventuellweiterwachsen könnten. Ja, manche irdischenBakterienarten sind so hart im Nehmen,dass man das nicht ganz ausschließenkann. Und das sogar bei Bedingungen, dieantarktische Nächtefrühlingshaft mild erscheinenlassen.„ Monde mit einemMeer sind potenzielleBrutstätten für dieEntstehung von Leben.Zumindest Organismenauf der Stufe vonBakterien sind dortnicht auszuschließen. “Neu ausgewertete Daten von einem Saturnmond sorgenfür Aufregung: Denn bereits die realistische Möglichkeitaußerirdischen Lebens ist höchst faszinierend.Ozean infremder WeltWabern im WeltallKürzlich erschieneine Publikation vonValery Lainey und Kollegenvon der PariserUniversität Sorbonneim angesehenen FachmagazinNature, diedie Daten von Cassininoch einmal genauunter die Lupe nimmt. Was die Raumsondebei ihrer Umkreisung beobachtet hat, ist,dass der Saturnmond Mimas „wabert“, wieman auf gut Wienerisch sagt – der Fachausdruckheißt „Libration“. Auch der Mondunserer Erde bewegt sich auf diese Weise,und deshalb sieht man von unserem Planetenaus nicht jede Nacht genau den gleichenTeil der Mondoberfläche. Obwohl sich unserMond nicht um die eigene Achse dreht,führt die Libration dazu, dass nicht immergenau dieselbe Seite der Erde zugewandt ist.Die Libration von Mimas war nun ungewöhnlichstark. Zwei Ursachen für die ungewöhnlicheBewegung des Saturnmondesauf seinem Weg um den Gasriesenkamen infrage: entweder ein sehr irregulärgeformter Kern aus Silikatgesteinen imInneren des Mondes – oder ein Meer unterder dicken Eiskruste auf der Mondoberfläche.Die Studienautoren berechnetendann die Trägheit der einzelnen „Schichten“von Mimas, und wie sie zusammengenommendie Libration des Mondes bewirkenwürden. Damit konnten die Forschervorhersagen, was man erwarten würde,wenn der Mond entweder aus einem irregulärenKern plus Kruste oder aus einemKern plus Ozean undEisschicht bestehenwürde. Nicht nur das:Auch wie sich die ZusammensetzungdesMondes über die Jahrmillionenpotenziellverändert hat, konntensie berechnen.Der berühmte, 2018verstorbene AstrophysikerStephen Hawkingbemerkte einst,dass ihm von seinemVerleger gesagt wurde, dass jede Formel,die er in seinem populärwissenschaftlichenBestseller „Eine kurze Geschichteder Zeit“ inkludieren würde, die Verkaufszahlenseines Buchs halbieren würde. Ichwerde die Gleichungen aus der Studie zuMimas hier also nicht anführen, denn andenen habe ich selbst einen Nachmittaglang genagt. Die Vorhersagen basierendauf Mimas mit einem unregelmäßig geformtenKern (einem Ellipsoid etwa in derForm eines riesigen American Footballs)standen im Widerspruch zu den beobachtetenTaumelbewegungen. Ein unter der Eisschichteingeschlossener Ozean hingegenist mit den Beobachtungen von Cassini vielbesser in Einklang zu bringen.Die Folgerung, dass der Mond mit hoherWahrscheinlichkeit einen Ozean beherbergt,kam ohne eine einzige Beobachtungflüssigen Wassers zustande – und ist alleinschlauen Berechnungen zu verdanken.MondMimasDie Aufnahmender RaumsondeCassini vomSaturnmondMimas wurden z. T.mit Farbfiltern bearbeitet,um diegeologischenEigenheiten derMondoberflächezu verdeutlichen.Meere auf Monden äußerer Planetensind seit Jahren ein Thema, das sowohl interessierteLaien als auch die Fachwelt begeistert.Denn diese Ozeane sind möglicheBrutstätten für die Entstehung von Leben.Das Paradebeispiel für so einen Mond mitMeer, der als Kandidat für außerirdischesLeben gilt, ist der Saturnmond Europa. ErwartenForscher und Weltraumfans dortweise Wesen, die uns mit Hochtechnologieden Weg in die Zukunft als Spezies weisenwollen, wie in Stanley Kubricks Sci-Fi-Klassiker „2001: Eine Odyssee im Weltall“?Nein, sicher nicht – aber das Vorkommenvon Organismen auf der Stufe von Bakterienist nicht auszuschließen. Wasser unddie chemischen Grundbausteine des Lebenswie Stickstoff und Kohlenstoff sinddort verfügbar, und Energie könnte aus Vulkanenkommen. Diese Biotope wären dannim weitesten Sinn mit den Lebensräumenvergleichbar, die sich auf der Erde um Tiefseevulkaneentwickelt haben. Nachgewiesensind solche Lebensformen auf fernenGasriesenmonden natürlich nicht. Aber bereitsdie realistische Möglichkeit außerirdischenLebens ist höchst faszinierend.Könnte also Mimas ebenfalls ein Kandidatfür einen lebendigen Ozean sein? Dasist leider unwahrscheinlich, denn der neuentdeckte Ozean auf diesem Saturnmondist „erst“ 25 Millionen Jahre alt, somit wohlrelativ jung. Eine interessante Neuigkeitist der Ozean aber auf jeden Fall – ein weitererBeweis dafür, dass die anderen Mondeund Planeten in unserem Sonnensystemkeine toten Steinbrocken, sondern dynamischeWelten sind.Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicherAutor und Naturfotograf.Er lebt zurzeit auf den Philippinen.

DIE FURCHE · 107. März 2024Wissen23Rupert Sheldrake geht davon aus, dass Menschen wie Tiere über einen siebten Sinn verfügen. Ist er eineGalionsfigur für Wissenschaftsskeptiker? Oder ein Visionär für eine erneuerte Wissenschaft?Paranormaler GrenzgängerVon Martin TaussDie „Wiederentdeckung vonGott“ ist nicht unbedingtein Thema, das man sichvon einem gestandenenBiologen erwarten würde.Es sei denn, es handelt sich um RupertSheldrake, der auch als 81-Jähriger aufKonferenzen, in Workshops und Onlinekursenhoch aktiv ist. In einem Vortragam 20. März in der St. James’s Churchin London wird der englische Bestsellerautorauf das eigene Leben zurückblicken.Dieses ist nicht nur abenteuerlich,sondern steht tatsächlich im Zeichen einer„Wiederentdeckung der Spiritualität“(so der Titel eines seiner Bücher).Denn als Sheldrake an der UniversitätCambridge Biologie studierte, war ernoch ein knochentrockener Naturwissenschafterund überzeugter Atheist.Das änderte sich nach einer Indien-Reise im Jahr 1968, als die Hippiekulturihre Blütezeit hatte. Wie viele Zeitgenossengeriet auch Sheldrake in den Bannder „mystischen Morgenlandfahrt“. 1974kehrte er nach Indien zurück, um an tropischenGemüsepflanzen zu forschen.Nicht nur das: Im südlichen BundesstaatTamil Nadu lebte er knapp zwei Jahre imAshram des ausgewanderten britischenBenediktinermönchs Bede Griffiths, dersich dem Dialog zwischen Christentumund Hinduismus verschrieben hatte.Als Sheldrake 1985 aus Indien zurückkehrte,war er wie Griffiths zum Wandlerzwischen den Welten geworden – nurauf einer anderen Ebene: ein fantasievollerForscher, der mit wissenschaftlicherMethodik in das Eck der Esoterikund Spiritualität hineingeht. Dort fander rätselhafte Phänomene wie Gedankenübertragung,Hellsehen oder Vorahnungenund bemühte sich in exotischenExperimenten um nachvollziehbare Erklärungen.Das Weltbild des „mechanistischenMaterialismus“ hat er dabeigründlich abgelegt – und seinen Weg alsSonderling im Wissenschafts betrieb bewusstangetreten.Das Gedächtnis der NaturAußergewöhnliche Wege habenmittlerweile auch seine beiden Söhneeingeschlagen: Merlin Shel drakeist ebenfalls Biologe; er hat sich aufdas innovative Feld der Pilzforschungspezialisiert und mit „Verwobenes Leben“(2021) ein vielbeachtetes Wissenschaftsbuchvorgelegt. Cosmo Sheldrakeist Musiker, der unter anderemmit Vogelstimmen experimentiert undsich künstlerisch für den Artenschutzengagiert. 2021 hat er den schrulligmeditativenSoundtrack für den Neo-Psychedelik-Film „De scending theMountain“ beigesteuert.Vierzig Jahre zuvor hatte Vater Rupertbereits sein großes Lebensthemadargelegt. In seinem ersten Buch „Dasschöpferische Universum“ (1981) findetsich die Hypothese, die Natur habeein ihr innewohnendes Gedächtnis, dasin sogenannten morphischen Feldernwirksam sei. Laut Sheldrake sollen dieseFelder die Formbildung – die „Morphogenese“– in der Natur beeinflussenund lebende Organismen über großeDistanzen hinweg verbinden. Wie zumBeispiel entwickeln sich Pflanzen auseinfachen Embryonen im Inneren vonSamen zu riesigen Bambusstauden oderMammutbäumen? Wie nehmen Blätter,Blüten und Früchte ihre typischen Formenan? Und wie kann die genetisch gesteuerteAnleitung für die ProduktionFoto: Getty Images / David Levensonder „richtigen“ Proteine das Wachstumeiner Blume oder den Körperbau einerMaus erklären? Das waren die großenFragen, die den Biologen umtrieben. EineErklärung über rein genetische Prozesseerschien ihm dafür unzureichend.Das Konzept der morphischen Felder,die auch mit dem Gehirn interagierensollen, ist eine hochspekulative Theorie,an der Sheldrake trotz aller Anfeindungenfestgehalten hat. Schon wenigeMonate nach der Publikation seinesersten Buchs hatte ihn im Editorial derrenommierten Fachzeitschrift Natureein vernichtendes Urteil ereilt: Es sei„ein Buch zum Verbrennen“, schlichtweg„Häresie“. „Es war genau wie einepäpstliche Exkommunikation“, erinnertesich Sheldrake später im Guardian.„Ab diesem Moment wurde ich zueiner Person, deren Bekanntschaft fürandere Wissenschafter sehr gefährlichsein konnte.“ Gefährlich wurde es auchfür ihn selbst, als ihm ein japanischerAttentäter auf einer Konferenz in SantaFe ein Messer in den Oberschenkel gerammthatte. Es war ein geistig verwirrterMann, der vor Gericht aussagte, aus„Selbstverteidigung“ gehandelt zu haben,da ihn Sheldrake über Telepathiezum Harakiri zwingen wollte.„ Das Konzept dermorphischen Felder, die mitdem Gehirn interagierensollen, ist eine hochspekulativeTheorie, an der Sheldraketrotz aller Anfeindungenfestgehalten hat. “Dass sowohl Mensch als auch Tierüber paranormale Fähigkeiten verfügen,gehört zu den zentralen Schlussfolgerungendes britischen Autors. Einguter Überblick findet sich im Buch„Der siebte Sinn des Menschen“, das unlängstin einer Neuauflage erschienenist. Die aktuell prägende Vorstellung,wonach das Gehirn wie ein ComputerAuf derFlucht25 ObjekteSujet Auf der Flucht © Manuel Radde; Bezahlte AnzeigeRupertSheldrakepolarisiert seit 1981,als er sein erstesBuch „Das schöpferischeUniversum“veröffentlichte. Der81-Jährige hat weiterhinein dichtesVortragsprogramm.funktioniere und die Nervenzellen wieTransistoren in einem elektronischenNetzwerk seien, hat Sheldrake stets abgelehnt.Zumindest in der Negation warer seiner Zeit voraus: Tatsächlich habengroße Forschungsprojekte wie das „HumanBrain Project“, das auf dieser Vorstellungberuhte, trotz gigantischerFördersummen bislang nur wenigegreifbare Erfolge erbracht – was heuteAnlass dafür gibt, das Hirn-Computermodellkritisch zu hinterfragen.Sheldrake akzeptiert die wissenschaftlicheMethodik; seine Hypothesenunterwarf er kontrollierten Experimenten.Über deren Aussagekraft lässtsich freilich detailreich streiten. Währendder Corona-Pandemie verbreiteteer kuriose Theorien, ließ sich aber impfenund zeigte sich „sehr froh, dass eseinen Impfstoff gibt“. Eine dogmatischeHaltung ist ihm ein Dorn im Auge. Alsein Naturwissenschafter wie RichardDawkins den Religionen einen „Gotteswahn“unterstellte, hatte er rasch eineRetourkutsche parat: In seinem Buch„Der Wissenschaftswahn“ (2012) versuchteer zu begründen, warum der Wissenschaftsbetrieboft einer über holtenmaterialistischen Ideologie folgt – undsich die Naturwissenschaften für neuePerspektiven öffnen müssten.Der siebte Sinn desMenschenGedankenübertragung,Vorahnungen undandere unerklärlicheFähigkeitenVon Rupert SheldrakeNikol Verlag, 2023480 S., geb., € 9,95erzählenInformationen zurAusstellung 2. 3. 2024 ➣ 2. 2. 2025

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023