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DIE FURCHE 07.03.2024

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DIE FURCHE · 1018

DIE FURCHE · 1018 Literatur7. März 2024Carolina Schutti erzählt in ihrem brillanten Roman vom Leben zweier Schwestern, denen sich in der engen Weltihres Dorfes durch die Entdeckung eines Kinderlexikons die große Welt eröffnet.Nach „Meeresbrise“ duftenVon Christa GürtlerMutter istdie Einzige, dieHut trägt undSonnenbrille. Einenschwarzen„UnsereHut mit breitem, wippendem Rand.Auf hohen Schuhen stöckelt siedurch das Dorf, und wir müssenihnen folgen, Hand in Hand, in unserenrosaroten Kleidchen.“ Mitdiesen knappen Sätzen skizziertCarolina Schutti am Beginn ihresRomans „Meeresbrise“ das Setting.Die beiden Mädchen bildenein verschworenes „Wir“, aus derPerspektive der älteren Tochterwird vom Aufwachsen in einemDorf erzählt. Mutter und Töchtersind Außenseiterinnen, nicht nur,weil sie anders gekleidet sind. DieMutter geht wie eine „Königin“,und die beiden Töchter sind ihre„Prinzessinnen“. Väter gibt es keine,sie bestehen nur „aus Wörtern“.Der eine Vater, ein Maler, hat sichvon der Brücke gestürzt, der anderehat der Mutter „in einem Hinterhofden Rock von der Hüfte gerissenund lebt auch nicht mehr“.Der große ScheinDie Bemühungen der Mutter,mit Märchen, Geschichten, Erklärungenund Lügen den Schein einerheilen Welt aufrechtzuerhaltenund die Mädchen von der Außenweltabzuschirmen, scheitern. Dahilft es nicht, dass sie beide „zuihrer Sicherheit“ in der Wohnungeinsperrt, wenn sie abends manchmalausgeht. Dazu beschwört siedie Mädchen, dass sie ihr Ein undAlles sind, weil sie Angst hat, siezu verlieren. Sie tut dies aber auch,weil sie weiß, dass die Dorfbewohnerihre eigenen Kinder vor denMädchen warnen, dass sie von denanderen Kindern gemieden werden,als wären sie „giftig“. Sie sindnämlich „furchtlose kleine Hurenmonster“,die bisweilen nicht nurKaugummis stehlen.Wie alle Kinder haben die beidenMädchen viel Fantasie undschaffen es, sich auf dem Teppichund in ihren Betten eine Welt zuFoto: Simon RainerCarolinaSchutti2007 erschienenerste literarischeTexte. Inzwischenwurde die Tirolerin(*1976) mehrfachausgezeichnet.erschaffen, und bisweilen tobensie sich im Wald aus. Währenddie Mutter das Geld der Sozialhilfeim Abstellraum der Wohnungmit Telefonsex aufbessert, müssendie Mädchen still sein. Sielauschen und hören sie seufzen,können sich aber nicht erklären,welche Arbeit das sein soll. Sie„ Schon in ihren ersten dreiRomanen erwies sich CarolinaSchutti als Meisterin einespoetischen Minimalismus. “Lesen Sie zuCarolina Schuttiauch die Kritik„Untiefen undKrater“ vonAnna Rottensteinervom12.2.2021 auffurche.at.müssen sich bei Bekleidung undEssen mit Secondhandkleidung,Fisch aus der Konserve, Semmelnund Nudeln mit Butter abfinden.Als die Sozialarbeiterin kommt,verraten sie nichts von den realenVerhältnissen, sondern erzählen,„was der Besuch von uns erwartet“.Für die Überprüfung hatdie Mutter im Bad extra den Vorratan „Meeresbrise“ aufgefüllt, einerSeife, mit der sich die Mädchengerne waschen, weil sie dann nachMeeresbrise zu duften glauben.Im Verlauf des Textes markiertder wunderbare Romantitel „Meeresbrise“auch die Sehnsucht derMädchen nach dem Meer. Dennin der Schule erfahren sie vonder Lehrerin, wie wunderschöndie Sonne über dem Meer aufgeht.Doch als sie die Mutter bitten, mitihnen ans Meer zu fahren, erklärtdiese ihnen, dass das Meer einfachnur „schmutziges Wasser“sei. Und sie schlägt ihnen tatsächlich„die Flausen aus dem Kopf“.Doch die Ich-Erzählerin beginntdurch die Schläge nicht gefügig,sondern widerständig zu werden.Schon in ihren ersten dreiRomanen „wer getragen wird,braucht keine schuhe“ (2010),„einmal muss ich über weichesGras gelaufen sein“ (2012) und„Der Himmel ist ein kleiner Kreis“(2021) erwies sich Carolina Schuttials Meisterin eines poetischenMinimalismus. Auch die Comingof-Age-Geschichtein „Meeresbrise“erzählt sie auf nur rund110 Seiten in kurzen Momentaufnahmensprachlich so verdichtet,dass wir beim Lesen den Figurenganz nahe kommen, verstärktdurch das Präsens als Erzähltempus.Dabei bleiben die Personennamenlos, Zeit und Ort werdennicht konkretisiert und ermöglichenso für die Leser Freiräumeder Imagination.Die Welt auf PapierEs ist „Meyers großes Kinderlexikon“,das den Mädchen dieWelt eröffnet. Das Buch ist auchein Hinweis auf einen vergangenenHandlungszeitraum des Romans,denn längst haben digitaleMedien diese Funktion übernommen.Schon die Kapitelüberschrift„Palimpsest“ des Hauptteils weistauf die vielfältigen Bedeutungendes Überschreibens in diesem Romanhin und auf Carolina SchuttisPoetologie. Das Kinderlexikondient der Ich-Erzählerin nicht nurzur Welterkundung, sondern wirdvon ihr auf jeder Seite ergänzt undüberschrieben. Es fehlen nämlichviele Wörter wie zum Beispiel dasWort „Heldin“, das sie zwischen„Heizung“ und „Herd“ einträgt,oder „Vater“, das sie mit roter Tinteüber „Vanille“ schreibt. Die angepassteSchwester ist gegen dasÜberschreiben und erklärt die Älterezur „Verräterin“. Doch der Erzählerinermöglicht es die Selbstbefreiung,stärkt ihre Neugierdeauf die Welt und ihre Sehnsuchtnach dem Meer.Wer Carolina Schuttis brillantenRoman gelesen hat, wird inZukunft beim Wort „Meeresbrise“an dieses Buch denken.MeeresbriseRoman von Carolina SchuttiDroschl 2023. 120 S., geb., € 21,–WIEDERGELESENUnd alle drängen nach obenVon Anton ThuswaldnerGeboren als Sohn eines Kolonialbeamtenin Kalkutta kamWilliam Makepeace Thackeray(1811–1863) im Alter von sechs Jahrennach England. In Internaten wurdeihm nicht nur Bildung vermittelt, sondernwurde er auch in die Gepflogenheitender bürgerlichen Gesellschaft eingeführt.Er war ein gelehriger Schüler,der sich die Spielregeln zu eigen machteund – was nicht vorgesehen war –sich darüber seine Gedanken machte.Er betrieb perfekte Mimi kry, gingauf in der Gesellschaft, deren Durchtriebenheiter längst durchschaut hatte.Für sich behalten wollte er seine Erkenntnissenicht, er machte Literaturdaraus, die ihn mit Charles Dickenszu den herausragenden Schriftstellerpersönlichkeitendes ViktorianischenZeitalters werden ließ. Dickens wolltesich mit den Verhältnissen nicht abfinden,seine Romane sind die finsterenZeugnisse einer Zeit, in der sozialeUnterschiede Verbrechen und Ausbeutunghervorbringen. Unerbittlichkeitzeichnet ihn aus. Nachsichtiger gehtThackeray vor, der sich die Ironie alsWaffe aneignet.Eigentlich müsste man ihn als Produkteiner misslungenen Integrationansehen, so durchdringend, wie er seineZeitgenossen beobachtete und nieverhehlte, dass ihm nicht recht gelingenwollte, sie ernst zu nehmen. Manfühlte sich ertappt und dennoch blendendunterhalten. Und weil sich die Vivisektionder Gesellschaft im Reich derFiktion abspielte, war man selbst ja niegemeint. Es gehört zur List der Literatur,auf verdeckte Art zu sprechen, dasUnangenehme freundlich zu verpacken,um sich nur umso wirksamer insGedächtnis einzuschleichen.1847/48 als Fortsetzungsroman inder Satirezeitschrift Punch erschienen,erzählt er in seinem Hauptwerk„Jahrmarkt der Eitelkeit“ von Vorgängenaus der Zeit, „als das gegenwärtigeJahrhundert noch in den Flegeljahrensteckte“. Als „Roman ohne Held“ darfdas Werk deshalb gelten, weil dessenVerfasser aufs Ganze geht. Die jungeRebecca Sharp schmuggelt sich selbstin Kreise ein, in die sie laut ihrer Herkunftnicht passt, und will nach oben.Sie macht das charmant und ehrgeizig,ist aber nur eine von vielen, dienach mehr streben, als für sie vorgesehenist, mehr Geld, mehr Ansehen,mehr Erfolg. Also muss die ganze Gesellschaftins Buch der Falschspielerund Intriganten, die keine besondersgute Figur abgeben. Thackeray zeichnetsie nicht als böswillige Charaktere,er macht sich lieber lustig überdie Verbohrt heiten, die jeden Einzelnenquer durch die Milieus auszeichnen.Dieser Roman steht einzigartig inder Literaturlandschaft des ohnehinim 19. Jahrhundert ungeheuer starkenGroßbritannien.Jahrmarkt der EitelkeitRoman ohne HeldVon William Makepeace ThackerayAus dem Engl. von Hans-Christian OeserReclam 2023. 909 S., geb., € 49,40

DIE FURCHE · 107. März 2024Musik & Literatur19Orwells Klassiker „Animal Farm“ lässt sich auch glänzend in Musik umsetzen. Das zeigt die WienerStaatsoper mit ihrer akklamierten Erstaufführung von Alexander Raskatovs gleichnamiger Oper.Macht korrumpiertVOLKSOPERMit diesem Lehárist kein Staat zumachenSind allegleich?Nein, zeigt auchdie Opernfassungvon Orwells Parabelmit AndreiPopov (Squealer)und Karl Laquit(Benjamin/YoungActress).Von Walter DobnerWie wär’s, wennnicht Menschen,sondern Tiere dieMacht übernehmen,weil sie derHerrschaft der Menschen überdrüssiggeworden sind? Darumgeht es zumindest vordergründigin George Orwells „Märchenerzählung“;so charakterisiert derAutor seine düstere Fabel „AnimalFarm“. Tatsächlich bedienter sich hier der Form einer satirischenParabel, um die einstigeSowjetdiktatur zu geißeln. Unschwerlassen sich die einzelnenProtagonisten der damaligen Nomenklaturazuordnen. Dennochhat diese Abrechnung mit autoritärenRegimen nichts an Aktualitäteingebüßt, im Gegenteil.Vor allem die klare Zeichnungder Charaktere bei Orwell inspirierteden Regisseur DamianoMichieletto, den stets für brisanteliterarische Stoffe (darunter HeinerMüllers „Germania 3“) aufgeschlossenenKomponisten AlexanderRaskatov anzuregen, zudiesem Sujet eine Oper zu schaffen.Der seit Jahrzehnten inFoto: © Wiener Staatsoper / Michael PöhnDeutschland lebende gebürtigeMoskauer sagte zu. Die Opernhäuservon Amsterdam, wo diesesWerk im Vorjahr uraufgeführtwurde, und Wien konnten als prominenteAuftraggeber gewonnenwerden. Dass der Komponist amTag von Stalins Beerdigung, dem9. März 1953, geboren wurde, verleihtdiesem avancierten Musiktheatereine zusätzliche Note.„ALL ANIMALS ARE EQUAL“,prangt in Leuchtschrift als Mottound gleichzeitig als Warnung imHintergrund der Bühne. Wie beiden Menschen gilt auch bei denTieren, dass sich manche gleicherwähnen als andere und das meistmit brutaler Gewalt durchzusetzenversuchen. Die Musik drücktdas durch einen ungewohnt hohenAnteil von Schlagwerkinstrumentenin der Orchesterbesetzungaus. Zudem nimmt Raskatovin diesem in neun Szenen und einenEpilog gegliederten Zweiakterzahlreiche Anleihen an der„Sprache“ der Tierwelt. Deshalbdürfen die Sängerinnen und Sängerherzhaft wiehern oder grunzen.Die sich in ihrer Eitelkeitaalende Schimmelstute Molliestellt sich gar mit halsbrecherischenKoloraturen ein, wodurchman in diesem Mensch-Tier-Sammelsurium – die Darstellertreten meist mit unterschiedlichenTiermasken auf, ohne damitauch nur einen Augenblick peinlichzu wirken – überraschendauch einer Diva begegnet.Dass bei so mancher musikalischerSzene die Klangwelt einesProkofjew oder SchostakowitschVorbild war, tut nichts zur Sache.Der Komponist versteht diese Inspirationsquellenbruchlos inseine persönliche musikalischeSprache einzubinden. Dabei ister stets penibel auf Textdeutlichkeitbedacht, womit sich dieseOper als eine Art Konversationsstückpräsentiert, in dem Ernsthaftigkeit,das schicksalhaft Fataledominiert, Komik rasch alsSarkasmus dechiffriert wird.Damiano Michieletto, der erstmalsan der Staatsoper Regieführt, transferiert das Geschehenvon einem Bauernhof in einenvielfach mit Käfigen bestücktenSchlachthof (Bühnenbild:Paolo Fantin). Das steigert dieDramatik, Macht wie Machtmissbrauchwerden dadurch nocheindringlicher illustriert. KlausBruns’ fantasievoll-bunte Kostümweltbildet dazu keinen Widerspruch.Im Gegenteil. Sieführt vielmehr ins Bewusstsein,dass grundsätzlich alle gleich ticken,wenn es darum geht, Machtzu erlangen und auszunützen,egal, zu welcher Zeit und auswelcher Position. Eine erschreckendePerspektive.Dechiffrierte DoppelbödigkeitSo wird das Bitterböse dieserSatire noch gesteigert, dasscheinbar Märchenhafte der Szeneriebrillant als Camouflage entlarvt.Dafür, dass Verweigerungin Diktaturen meist mit einemTodesurteil gleichzusetzen ist,hätte es nicht einer extra erfundenenSzene bedurft. Bei Orwellist schon alles gesagt.Gennady Bezzubenkovs OldMajor (vulgo Marx und Lenin),Wolfgang Bankls brutaler Napoleon(vulgo Stalin), Elena Vassilievasraffinierter Rabe Blackyund Holly Flacks brillante Molliedominierten das stimmlich hochkarätigewie schauspielerischexzellente Ensemble. Bestensvorbereitet auf diese anspruchsvollezeitgenössische Herausforderungpräsentierten sich beider uneingeschränkt gefeiertenPremiere das Orchester und dieChoristen der Wiener Staatsoper,souverän geführt von AlexanderSoddy.Animal FarmWiener Staatsoper, 7., 10.3.„ Dass bei so mancher musikalischer Szenedie Klangwelt eines Prokofjew oder SchostakowitschVorbild war, tut nichts zur Sache. Der Komponistversteht diese Inspirationsquellen in seinepersönliche musikalische Sprache einzubinden. “Im Jahr 2011 hat Mariame ClémentRameaus „Castor et Pollux” inszeniert,2017, wiederum am Theateran der Wien, Purcells „Fairy Queen“.Im Sommer wird sie in Salzburg bei„Les Contes d’Hoffmann“ Regie führen.Jetzt debütierte sie mit der „LustigenWitwe“ an der Volksoper; ihr ersterAusflug in das Reich der Operette.Nicht nur für sie, auch für den Dirigenten,den erst wenige Monate in dieserFunktion amtierenden Musikdirektordieses Hauses, Ben Glassberg. Hätteman das nicht gewusst, wäre es einembald bewusst geworden. Dennweder mit dem Stück noch mit dem spezifischenStil dieses Meisterwerks derSilbernen Operette wissen die beidenwirklich etwas anzufangen.Nicht jung dürfe die Witwe sein, sondernbereits in die Jahre gekommen.Erst so komme ihr Text richtig zu Geltung,ist Clément überzeugt. Entsprechendgemahnt sie (wenig sinnlich:Anett Frisch) in dieser Szenerie an einegealterte Dame im Outfit der 1940erJahre. Bei Danilo (routiniert: DanielSchmutzhard) weiß man nicht recht,geht er behäbig am Stock wegen seinesAlters oder weil er sich im Maxim verausgabthat, als Diplomat gewiss nicht.Viel Vorhang und drehende Holzwändedominieren das jeweilige Ambientenur wenig treffende Bühnenbild vonJulia Hansen. Dazu passt eine Holzkisteanstelle des üblichen Pavillons.Fast scheint es, als wollte man partoutalle Atmosphäre vertreiben, dieman sonst mit diesem Lehár verbindet.Dem hat sich auch Glassberg verschrieben.Er treibt die Musiker derartdurch die Partitur, als gelte es, Rekordeaufzustellen. Zeit zum Atemholen, garzum differenzierten Auskosten des Melosbleibt kaum. Immerhin, die Choristensind gut in die Szenerie eingebunden.Von den Protagonisten hätte mansich bei dieser weniger auf pointiertenCharme setzenden als geradezu WeltuntergangsstimmungverbreitendenProduktion ungleich mehr gewünscht.So primitiv, wie ihn Jakob Semotanmimt – von ihm stammt auch die neueDialogstimmung –, muss der pontevedrinischeKanzlist Njegus nicht sein.Eine unerwartete Bruchlandung.(Walter Dobner)Die lustige WitweVolksoper Wien, 9., 25.3. u. 1., 4., 7., 11.4.LEKTORIXDES MONATSMeisterwerk als großes KopfkinoBuchpreis von FURCHE,Stube und Institut für JugendliteraturRegentagVon Jens RassmusPeter Hammer 202464 S., geb.,€ 20,60ab 4 JahrenVon Verena WeiglDraußen prasselt der Regen in Strömen.Zwei Kinder schauen sich dasaus dem Fenster eines Mehrparteienhausesan. Szenenwechsel nach innen.Der Bub ist auf dem Boden sitzend in einHandyspiel vertieft, während die größereSchwester an seinen Rücken gelehntin die Luft starrt. Doch dann sorgen einekleine Handbewegung des Mädchensund ein herumliegender Ball dafür, dassder Bruder das Smartphone zur Seite legt.Die Vorstellungskraft der Kinderbringt im wahrsten Sinne des Worteseinen Stein ins Rollen – nämlich einensteilen Berg hinunter, der schließlich imWasser landet. Das ist der Einstieg in dasneueste, textlose Meisterwerk von JensRassmus.Der Kieler Bilderbuchkünstler lässt darinzwei Geschwister bunte Fantasieweltenerschaffen und macht aus einem ödenNachmittag ein lebendiges, abwechslungsreichesSpiel. Kaum sind die beidenvon einem Abenteuer im Kopf zurückin der Realität, haben sie auch schon dienächste Idee, die sie prompt in die nächsteIllusion hineinzieht.In diese kindlichen Träumereien werdenimmer auch einfache Gegenständeaus der Realwelt integriert. So lässt einStuhl die Kinder zu Riesen werden, die ineiner Hochhauslandschaft Fangen spielen.Ein Eimer verwandelt sich in einenBrunnen, unter dem sich ein verzweigtesHöhlensystem verbirgt. Gerade nochkönnen sie (samt goldenem Ball) dem darinhausenden Froschmonster entkommen.Nur die lange Zunge schmatzt nochIllustration: Jens Rassmus / Peter Hammeraus dem Eimer heraus, bevor es schonweitergeht zu einem Versteckspiel inden Dschungel. Die Übergänge verlaufenfließend, sinnliche Wahrnehmungenwerden aus der fantastischen Welt in dieWirklichkeit mitgenommen. Eine gelungeneDramaturgie der Abläufe sorgt füreine angemessene Dynamik, die zwischenden Stationen immer auch die nötigenVerschnaufpausen bietet.In einem Mix aus ganzseitigen Landschaftsdarstellungenund comicartigenPanels setzt Rassmus den in Schwarz-Weißgehaltenen Alltagsszenen ein buntes imaginiertesUniversum entgegen. Die Körperspracheder Kinder macht klar, wie vertieftdie zwei in ihr ausgelassenes Spiel sind.Am Ende hat ein frisches Lüftchen den Regenvertrieben, die beiden Haupt figurengehen raus und fahren auf ihren Räderndavon; am Horizont deuten sich zart bereitsdie nächsten farbenfrohen Abenteueran – diesmal in der wirklichen Welt?Eine anregende Lektüre für kleine undgroße Leser und Leserinnen, spätestensam nächsten grau-verhangenen Regentagden Familienausflug in die eigene Vorstellungskraftzu verlegen.

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