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DIE FURCHE 06.06.2024

DIE

DIE FURCHE · 23 12 Gesellschaft 6. Juni 2024 Von Oksana Havryliv Meine Kindheit verlief im Kalten Krieg, in der Sowjetunion der 70er- und 80er- Jahre. Mit Kriegsfilmen, die dauernd auf den zwei TV-Kanälen liefen und mit der Propaganda über die Aufrüstung der USA und die Forderungen zur Abrüstung seitens der Sowjetunion. Diese Nachrichten begleiteten mich ständig und überall – in den Fernsehnachrichten, im schulischen „Politinformations- Unterricht“ (eine zusätzliche, wöchentliche Lehreinheit, zu der wir vor dem regulären Unterricht kommen sollten), auf den ersten Spalten der Zeitungen und im „Kolchoser“ – so hießen in der Umgangssprache Radiogeräte, die es in jeder Wohnung, selbst in den abgelegensten Dörfern, gab. Die Propaganda verursachte Kriegsangst, die von verschiedenen volkstümlichen Mythen noch verstärkt wurde. Es wurde zum Beispiel behauptet, dass der Krieg ausbrechen würde, wenn der damalige Vorsitzende der kommunistischen Partei, Leonid Breschnew, stirbt. Als ich an seinem Todestag (damals war ich zehn Jahre alt) von der Schule in Tränen aufgelöst nach Hause kam, konnten mich meine Eltern lange nicht beruhigen, weil ich ununterbrochen “Ich will keinen Krieg“ schluchzte. Der Krieg brach nicht aus, und als die nächsten Parteivorsitzenden dann in kurzen Abständen ihre letzten Seufzer taten, hatten wir Kinder keine Angst mehr, sondern freuten uns sogar, da ihre Begräbnistage schulfrei waren. Die Kriegsangst äußerte sich auch in einem zwanghaftem Gedankenkarussell: Warum wollen die Amerikanerinnen und Amerikaner den Krieg? Warum wollen sie nicht friedlich leben? Das waren die Fragen, die nicht nur mich, sondern viele Kinder plagten. Manche Kinder schickten tatsächlich Briefe in die USA, in der Hoffnung, deren Bürgerinnen und Bürger zur Abrüstung zu bewegen. Foto: Getty Images / Anadolu / Narciso Contreras „Warum wollen die keinen Frieden?“ erneuerung zum Militär ging und einmal zum zweiwöchigen Training musste. Kindheit im Krieg bedeutet das Aufwachen mit Sirenengeheul und Explosionen. Die Folgen zeigen sich in drastisch gestiegenen Zahlen von Herz- und Schlaganfällen bei Kindern und psychischen Problemen, die oft noch im Erwachsenenalter zu spüren sein werden. Kindheit im Krieg bedeutet das Aufwachsen in kalten und zugigen Luftschutzkellern, in denen die Kleinen auch mitten in der Nacht, aus dem Schlaf gerissen, noch im Pyjama und mit dem Kuscheltier im Arm, Schutz suchen – „ Die Kriegsfolgen zeigen sich in drastisch gestiegenen Zahlen von Herz- und Schlaganfällen bei Kindern und psychischen Problemen bis ins Erwachsenenalter. “ Hausübung im Luftschutzkeller Diese Kriegsängste überschatteten im Erwachsenenalter meine Kindheitserinnerungen. Als sie sich – endlich – fast verflüchtigt hatten, brach in meinem Heimatland der Krieg aus – zuerst der hybride Krieg, den „russland“ im Jahr 2014 mit der Okkupation der Regionen Krim und Donbass begann. (Anm.: Das kleine „r“ in „russland“ ist ein Solidaritätszeichen der Autorin. Einer ukrainischen Rechtschreibregel folgend, werden Namen von missachteten Personen und Staaten kleingeschrieben.) Am 24. Februar 2024 folgte dann der breitangelegte russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Was eine Kindheit im Krieg bedeutet, können nur diejenigen wirklich verstehen, die sie erlebt haben. Deshalb kann ich mir nur annähernd vorstellen, was die ukrainischen Kinder empfinden, deren Väter jetzt an die Front gehen und seit zwei Jahren nicht nur für ihr Heimatland, sondern für ganz Europa dem Aggressorland standhalten, und dabei vielleicht bereits gefallen sind. Als Kind hatte ich schon große Angst, wenn mein Papa regelmäßig zwecks Datenaber nicht immer finden. Wie das neunjährige Mädchen Viktoria, das am 1. Juni 2023, dem „Internationalen Kindertag“, von einer russischen Rakete auf dem Weg zum Luftschutzkeller in Kiew getötet wurde. Viktoria ist eine von den 550 ukrainischen Kindern, die russland seit dem 24. Februar 2022 laut ukrainischer Angaben getötet hat. 2015 Kinder sind verschwunden und 19.546 nach russland zwangsdeportiert worden. 1364 Kinder haben Verletzungen verschiedenen Schweregrades erlitten. Darunter die siebenjährige Oleksandra Paskal, eine talentierte Gymnastin, die bei dem Raketenangriff auf Satoka im Mai 2022 ein Bein verlor. Ein junges Turntalent mit Beinprothese Auch die Kinder, die der russische Angriffskrieg aus ihrem Heimatland vertrieben hat und die jetzt in Sicherheit leben, leiden unter Kriegsfolgen: Trennung von ihren Vätern, Großeltern, Freunden und Papa muss an die Front Die Väter vieler ukrainischer Kinder kämpfen für Frieden in Europa. Das hinterlässt Spuren. Lesen Sie auch „Frauen und Kinder im Krieg: ,Jeder leidet für sich im Stillen‘“, ein Interview mit der syrischen Autorin Shahla Ujayli von Ralf Leonhard (8.6.2022) auf furche.at. Wenn der Krieg beginnt, dann endet die Kindheit. Eine ukrainische Autorin über Todesangst, zerplatzte Träume und das Gift der Propaganda. Freundinnen, Haustieren und vertrauten Orten, darunter auch für immer verlorene Kinderzimmer, die durch Raketenangriffe zerstört wurden. Neben der Kriegsangst kam auch der Widerstand, in verschiedenen Ausprägungen: Kinder, die bei Blackouts infolge von Bombardierungen ziviler Infrastruktur ihre Hausaufgaben mit der Stirnlampe erledigen. Kinder, die auch beim Unterricht in den Luftschutzkellern die besten Testergebnisse erzielen. Maturantinnen und Maturanten, die ihren Abschiedswalzer in eleganten Kleidern auf dem Hof ihrer vom russischen Militär zerstörten Schule in Charkiw tanzen. Und das Turnertalent Oleksandra Paskal, die mit einer Beinprothese ihr Training wieder aufgenommen hat. Die Autorin ist Sprachwissenschaftlerin und erforscht verbale Aggression. 2023 veröffentlichte sie das Buch „Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen“. Dem Leben Raum geben Senioren-WGs. Orte der Gemeinschaft, Räume für Individualität. Wohnen, wie in der eigenen Wohnung - aber weniger allein? Das Leben eigenständig gestalten – aber gleichzeitig mit anderen teilen? Genau diese Kombination bieten die Seniorenwohngemeinschaften des Samariterbund Wiens. Denn neben eigenen Rückzugsbereichen (Zimmer und Bad) gibt es gemütliche Gemeinschaftsräume für geselliges Beisammensein. Ausreichend Komfort, gesellschaftliche Teilhabe und Raum für Selbstständigkeit – diese Kombination macht die Seniorenwohngemeinschaften des Samariterbund Wiens so einzigartig. Jede WG ist barrierefrei, und verfügt über eine gute Infrastruktur und ausreichend Grünflächen. Die Bewohner:innen in den Senior:innen-WGs gestalten ihren Alltag ganz nach ihren individuellen Vorlieben. Mitbewohner:innen gesucht. Sie möchten in einer Gemeinschaft leben und gleichzeitig ein selbstbestimmtes Leben führen? Dann sind die Senior:innen-WGs des Samariterbund Wiens genau das Richtige für Sie. An fünf Standorten im 11., 20., 22. und 23. Wiener Gemeindebezirk sind derzeit wieder einige der möblierten und barrierefreien Zimmer frei. „ Ich habe das Zimmer gesehen, dann den Blick nach draußen und für mich war es klar: Hier bleibe ich! “ Foto:Samariterbund Wien Entgeltliche Einschaltung Interesse? Für nähere Informationen und Besichtigungstermine, kontaktieren Sie uns gerne: Telefon: 01/89 145-283 oder E-Mail: gsd-info@ samariterbund.net www.samariterwien.at/ senioren-wohngemeinschaften/

Entgeltliche Einschaltung des Landes Niederösterreich SPEZIAL 13 Ehemalige Synagoge in St. Pölten wiedereröffnet Jüdische Geschichte sichtbar machen Foto: ZVG Pfeiffer Seit 18. April ist die Ehemaligen Synagoge St. Pölten nach umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten wiedereröffnet. Dadurch wird die jüdische Geschichte St. Pöltens wieder sichtbar gemacht. Unter anderem mit der Dauerpräsentation „Die Synagoge und ihre Gemeinde“, die nach den Leitaspekten Geschichte – Gedenken – Gegenwart rund um die Frauenempore im ersten Stock verläuft. Ein Vitrinenband zeigt dabei im Original Objekte, Fotos und Dokumente, die Verwüstung und Raubzüge der NS-Zeit überstanden haben, während Medienstationen die Errichtung des Hauses, das religiöse und soziale Leben sowie die Vernichtung der Gemeinde dokumentieren. Persönliche Erinnerungen, meist Interviews mit Überlebenden, vertiefen die Informationen. Die Gegenwart wiederum wird durch Objekte und Videos der Besuche von Nachkommen der aus St. Pölten vertriebenen jüdischen Familien repräsentiert. Zudem macht die Installation „Wunden und Leerstellen“ die Zerstörungen durch den Überfall am 10. November 1938, aber auch die Abtragungen während der teilweise unsensiblen Renovierung von 1980 bis 1984 nachvollziehbar und würdigt eine weitere Installation, „Jahrzeit“, zum jeweiligen Todes- oder Deportationstag eines der 321 Shoah-Opfer St. Pöltens. Öffnungszeiten bis 10. November: Dienstag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag von 10 bis 18 Uhr. Die ehemalige Synagoge als Ort der Begegnung Ein breites Spektrum jüdischer Kultur abseits von Klischees präsentiert an zwei Wochenenden im Juni (7.–9. und 14.–16.) „Jewish Weekends“, kuratiert von Johann Kneihs. Musik erzählt von jüdischem Leben in Vergangenheit und Gegenwart. Österreichische Erstaufführungen internationaler Ensembles treffen auf Programme, die heimische Künstlerinnen und Künstler extra für das Festival entwerfen, von jüdischer Renaissance- und Barockmusik über Klassik bis zu Singern/ Songwritern, Jazz und Avantgarde. Gespräche zur Einführung ergänzen das Programm. Zentraler Austragungsort ist die Ehemalige Synagoge St. Pölten. Das Konzert am Abend des 8. Juni findet als Kooperation mit und in der Bühne im Hof statt. Die Filmvorführung des 14. Juni wird in Zusammenarbeit mit der Tangente St.Pölten im Festspielhaus St. Pölten gezeigt. < www.ehemalige-synagoge.at.

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