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DIE FURCHE 06.04.2023

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DIE FURCHE · 14 6 International 6. April 2023 FORTSETZUNG VON SEITE 5 „ Anders als in Ungarn oder Polen gibt es in Israel keine EU, die bestimmte Vorhaben mit Vertragsverletzungsverfahren oder anderen Werkzeugen ausbremsen kann. “ schaft und die Armee stemmen sich dagegen. Netanjahu kann das nicht ignorieren. Eine populistische Staatsübernahme ist kaum ohne eine breite Zustimmung in der Bevölkerung möglich. Sicher haben viele Menschen diese Regierung gewählt, aber sie haben nicht eine solche Politik gewählt. So erklärt sich, warum dermaßen viele DIE FURCHE UMFRAGE Wir bitten um Ihre Meinung! Sagen Sie uns, was Sie uns schon immer sagen wollten, und helfen Sie mit, DIE FURCHE weiterzuentwickeln – so wie es Ihnen gefällt. Am einfachsten digital. Die Seite erreichen Sie über unten angeführten Link oder QR-Code. Wenn Sie Papier lieber haben, füllen Sie gerne den beigelegten Fragebogen aus und werfen ihn im vorfrankierten Kuvert in den nächsten Postkasten. Wir freuen uns über jede Antwort, Zustimmung und Kritik. Als Dankeschön für Ihre wertvolle Zeit können Sie schöne Preise gewinnen. 1 × GEWINNEN SIE 2 Nächte für 2 Personen im Hotel TUI BLUE in Schladming Menschen protestieren. Gleichzeitig ist die Situation brenzlicher als in Polen oder Ungarn. Denn bei uns gibt es keine EU, die bestimmte Vorhaben mit Vertragsverletzungsverfahren oder anderen Werkzeugen ausbremsen kann. Auch sind Polen und Ungarn international in einer anderen Lage. Israel hat andere Feinde, befindet sich 5 × 1 Jahr exklusive Rabatte für Hotelbuchungen auf greenhabitat.at 10 × 1/2 Jahr exklusive Rabatte für Hotelbuchungen auf greenhabitat.at 20 × FURCHE Baumwolltasche + Buch: Romy spielt sich frei 30 × FURCHE Baumwolltasche direkt oder indirekt in verschiedenen Konflikten. Eine Spaltung der israelischen Gesellschaft, eine Schwächung des Systems oder eine Staatskrise könnten Folgen für die Sicherheit Israels haben. Hinzu kommt, dass israelisches Recht auch im Westjordanland gilt. Speziell das Oberste Gericht spielt da eine wichtige Rolle. Es wären also auch nicht-israelische Staatsbürger von Veränderungen unmittelbar betroffen. Zur Umfrage: furche.at/abo/umfrage DIE FURCHE: Gab es in der israelischen Geschichte vergleichbare Versuche, das Justizsystem umzubauen? Fuchs: Versuche gab es, ja. Doch wurden die als zu extrem abgetan. Chancen auf Erfolg hatten sie nie. Interessant ist, dass Netanjahu selbst sich seinerzeit als Beschützer der Judikative inszeniert und jeden Versuch einer Reform abgewehrt hat. Entsprechende Reden von ihm werden heute gerne zitiert. Überhaupt ist die Idee, dass Israel eine liberale Demokratie sein muss, eng mit dem Likud, der Partei von Netanjahu, verbunden. Doch ähnlich wie Netanjahu selbst hat sich auch seine Partei in den vergangenen Jahren stark verändert. Einige behaupten, dass das Vorgehen Netanjahus, der die Partei als Vorsitzender stark geprägt hat, in Zusammenhang mit seiner persönlichen Geschichte steht – mit den Strafverfahren gegen ihn wegen Korruption. DIE FURCHE: Das aber dürfte kaum der einzige Grund für das Vorhaben sein, das Justizwesen umzubauen. Fuchs: In Netanjahus Koalition glauben einige tatsächlich, dass es gut und richtig ist, sich der Justiz zu bemächtigen. Das sind keine Zyniker. Dass das einen wirtschaftlichen Preis hat, nehmen sie hin – oder tun es als Hysterie ihrer Kritiker ab. Diese Leute glauben, dass es mit einer Demokratie verträglich ist, wenn die Mehrheit die absolute Kontrolle hat. Dann gibt es noch die Partikularinteressen der Haredi, der Ultraorthodoxen oder der Siedlerbewegung. Beide sind in der Regierung vertreten. Die einen wollen nicht, dass ihre Mitglieder Wehrdienst leisten müssen – es ist ein ständiges Thema in Israel; den anderen passt es nicht, wenn zum Beispiel Siedlungen im Westjordanland für illegal erklärt werden. Ihnen passen entsprechende Urteile des Obersten Gerichtes nicht. Wir sehen eine Kombination aus ideologischer Überzeugung, parteipolitischer Agenda und persönlichen Motiven. „ Die einen wollen nicht, dass ihre Mitglieder Wehrdienst leisten müssen; den anderen passt es nicht, wenn Siedlungen im Westjordanland für illegal erklärt werden. “ DIE FURCHE: Sind vor diesem Hintergrund Kompromisse mit den Protestbewegungen denkbar oder gar ein Zurückweichen von dem Vorhaben? Fuchs: Kompromisse wären nur schwer zu schließen. Jeder Gruppe, jede Partei müsste darum bangen, von ihren Wählern abgestraft zu werden. DIE FURCHE: Wie werden die Kritik aus den USA oder Europa an den Plänen der Regierung wahrgenommen? Fuchs: Alle sehen, dass ein Schaden in den Beziehungen Israels zu den Europäern, vor allem aber zu den USA, entstanden ist. Das ist schwerwiegend. Wer soll denn in Zukunft noch unser Freund sein? Viktor Orbán? Dass Netanjahu immer noch nicht in Washington empfangen wurde, ist ein schwerer Schlag. Mehr noch als die Proteste dürfte die Regierung dadurch die Tragweite ihrer Entscheidung verstehen.

DIE FURCHE · 14 6. April 2023 International 7 Am 10. April jährt sich das Karfreitagsabkommen, das den Nordirlandkonflikt beenden sollte, zum 25. Mal. Doch politisch steckt Nordirland in einer Dauerkrise. Dies zuletzt, weil die unionistische DUP die Arbeit im Regionalparlament Stormont boykottiert. Was treibt diese Partei? Sekte mit Draht zu Terroristen Von Dieter Reinisch • Belfast Am Dienstag nach Ostern wird US-Präsident Joe Biden in Belfast landen. Bereits am Tag davor jährt sich der Grund seines Besuchs, das Karfreitagsabkommen, zum 25. Mal: Unterzeichnet am 10. April 1998, sollte damit ein Schlussstrich gezogen werden unter den drei Jahrzehnte dauernden Krieg in Nordirland, der bis dahin über 3500 Menschenleben gekostet hatte. Richtige Feierstimmung will aber nicht aufkommen. Nur kurz wird Biden in Nordirland weilen, bevor er nach Dublin weiterreist. Ob er in Nordirland vor den Abgeordneten des dortigen Regionalparlaments Stormont, auf einer Anhöhe im Osten Belfasts, sprechen kann – wie sonst bei Staatsbesuchen üblich –, ist noch immer unklar. Denn seit über einem Jahr boykottiert die protestantische Democratic Unionist Party (DUP) die dortige Parlamentsarbeit. Formell zog sie sich im Februar 2022 zurück, da sie es ablehnt, dass Nordirland durch ein Zusatzprotokoll zum Brexit anders als Großbritannien behandelt wird. Durch das Nordirland-Protokoll verließ die Provinz zwar die EU, blieb aber Teil des europäischen Binnenmarkts, wodurch Warenkontrollen in der Irischen See notwendig wurden. Für die pro-britischen Unionisten bedeutete dies die Etablierung einer „Grenze durch die Irische See“, die zu einer „wirtschaftlichen Wiedervereinigung Irlands“ führen würde, wie der loyalistische Aktivist Jamie Bryson auf Protestkundgebungen verlautbart. Bryson werden enge Kontakt zur paramilitärischen Ulster Volunteer Force (UVF) nachgesagt. Kein „protestantisches Volk“ mehr Die DUP gab dem Druck der Straße nach und verließ schließlich die Regierung. Die Regionalwahlen im Mai 2022 verschärften die Situation, denn erstmals wurde die katholisch-republikanische Sinn Féin (SF) stimmenstärkste Partei. Stolz sagte SF-Spitzenkandidatin Michelle O’Neill nach der Wahl: „Nordirland wurde gegründet, damit das niemals passiert.“ Denn als 1921 Nordirland nach der Unabhängigkeit vom Süden abgespalten wurde und im Vereinigten Königreich verblieb, gab es eine satte unionistisch-protestantische Mehrheit. Der erste Regierungschef, James Craig, bezeichnete die Provinz als „protestantischen Staat für ein protestantisches Volk“. Nun sind erstmals die politischen Mehrheiten andere. Die DUP will aber den pro-irischen Republikanern den Platz an der Spitze der Regierung nicht überlassen. Den Brexit verwendet sie dabei als Vorwand. So war es abzusehen, dass die DUP das am 24. März verabschiedete „Windsor-Abkommen“ zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ablehnt und nicht nach Stormont zurückkehrt. Das Windsor-Abkommen geht weit – und beendet fast alle Warenkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien. Dennoch steckt die Provinz weiterhin in der politischen Sackgasse, weil die DUP mauert. Das Regionalparlament könnte zwar in Ausnahmefällen zu Sondersitzungen zusammengerufen werden, ein Staatsbesuch, wie jener von Biden in Belfast, fällt aber nicht unter diese Möglichkeiten. Das Karfreitagsabkommen ist auch für die DUP kein Anlass zu feiern. Denn als einzige der großen Parteien lehnte sie es bereits 1998 ab und rief dazu auf, bei der Volksabstimmung dagegen zu stimmen. „Nein“ hat die Partei in ihrer Geschichte noch zu jedem Abkommen gesagt: „Die zentrale Frage der Partei ist immer die Souveränität“, erklärt Aaron Edwards, Historiker und Autor des im Mai 2023 erscheinenden Buchs „A People Under Siege“ über Nordirlands Unionisten, im Gespräch mit der FURCHE. Das Problem der DUP mit dem Windsor-Abkommen ist, dass es „den Platz Nordirlands im Vereinigten Königreich nicht garantieren kann“, so Edwards. Denn auch wenn es von der EU anders dargestellt wird: „Der britische Binnenmarkt wurde beschädigt.“ Nachdem die Ulster Unionist Party (UUP) die Provinz über fünf Jahrzehnte als „Einparteiendemokratie“, wie es von Politikwissenschaftern genannt wird, geführt hat, spaltete Reverend Ian Paisley den radikalen Flügel ab und gründete 1971 die DUP. Der Historiker von der Universität Northumbria, Connal Parr, charakterisiert die Partei im Gespräch mit der FURCHE als „evangelikale, freikirchliche und presbyterianische Ideologie – vermengt mit urbanen Unionisten“. Königstreue Siedler Obwohl zumeist von Nordirlands Protestanten gesprochen wird, sind diese nicht Anhänger der englischen Staatskirche. Stattdessen sind es Nachfahren freikirchlicher, königstreuer Siedler aus den schottischen Niederungen, die im 17. Jahrhundert während der Phase des englischen Siedlungskolonialismus auf die irische Insel gesendet wurden. So wurde eine königstreue Oberschicht in der Kolonie etabliert. Ähnlich wie die nordamerikanischen Siedler damals, sehen sich viele der Nachkommen dieser Ulster-Schotten, wie die Siedler bezeichnet werden, selbst als auserwähltes Volk – bis heute. So meint Nelson McCausland, Abgeordneter der DUP bis 2017, die nordirischen Protestanten seien der „elfte verlorene Stamm Israels“. In Tageszeitungen versucht er regelmäßig in Kolumnen darzulegen, dass die Welt heute 6000 Jahre alt und der von den Ulster-Schotten gesprochene Dialekt eine der „ältesten Sprachen der Welt“ sei. McCausland war bis 2014 sogar Minister. Doch nicht alle DUP-Mitglieder sehen das so. „Es ist keine einheitliche Partei, eher eine Sekte mit mehreren Interessensgruppen, die sich um wichtige Personen gruppieren“, beschreibt es Buchautor Edwards. Zu den radikaleren Persönlichkeiten zählen Ian Paisley junior, der Sohn des Parteigründers, und der Sprecher der Fraktion im Londoner Unterhaus, Sammy Wilson. Parteivorsitzender Jeffrey Donaldson sei ein Moderater, sagt Edwards. Auch der Historiker Parr sieht das ähnlich. Donaldson, so erzählt er, sei „pragmatischer und feindlicher gegenüber der freikirchlichen Clique gestimmt, die alles Hardliner sind“. In wirtschaftlichen Fragen ist die Partei populistisch und stehe Labour näher als den regierenden Tories. Foto: APA / AFP / Tolga Akmen Lesen Sie dazu von Dieter Reinisch auch die Analyse „Nordirland: Lange Schatten eines Konflikts“ (18.10.2018) auf furche.at. „ Das Karfreitagsabkommen verlangt, dass Katholiken und Protestanten gemeinsam regieren – obwohl sie getrennt voneinander leben. “ Aaron Edwards, Historiker und Autor Scharfmacher Ian Paisley junior gehört zu den radikalen Stimmen innerhalb der Democratic Unionist Party (DUP). Sein Vater, Reverend Ian Paisley senior, hat die Partei 1971 gegründet (im Bild 2019 bei einer Pro-Brexit-Rede in London). Eine Interessensgruppe sind die loyalistischen Paramilitärs. Laut einem Bericht der BBC vom Dezember 2021 haben sie 12.000 Mitglieder. Seit zwei Wochen bekriegen sie sich untereinander in einem Kampf um Einfluss in den Kleinstädten entlang der Küste östlich von Belfast. In einer Stellungnahme, die der Tageszeitung Belfast Telegraph zugespielt wurde, fordert die Ulster Defence Association (UDA), dass 20 Personen einer rivalisierenden Gruppe das Land verlassen, ansonsten werden weiterhin ihre Häuser und Autos in nächtlichen Überfällen angezündet. Paramilitärs wie die UVF und die UDA fordern ein gänzliches Abschaffen jeder Sonderreglung mit der EU und keine Kompromisse gegenüber Sinn Féin: „Die Führungen dieser Gruppen sind nicht glücklich mit der DUP, doch die DUP ist die größte unionistische Partei und deshalb müssen beide kooperieren“, erklärt Aaron Edwards. Die DUP brauche die Stimmen aus den Wahlkreisen, „und in denen sind die Paramilitärs aktiv. Es gibt formelle, aber keine engen Kontakte.“ Dennoch warnt Edwards davor, von der DUP zu fordern, diese Kontakte abzubrechen: „Denn dann haben die Loyalisten gar kein politisches Sprachrohr mehr – und das wäre gefährlich.“ Einen Ausweg für Nordirland sehen weder er noch Parr, denn die DUP will nicht die zweite Geige hinter Sinn Féin spielen. Doch das wird sich nicht mehr ändern können: Die im September 2022 veröffentlichten Ergebnisse der Volkszählung zeigen klar: Nordirland hat erstmals eine katholische Bevölkerungsmehrheit, die weiterwächst. Gemeinsam regieren und getrennt leben? Mit Versprechen aus London wird es keine Rückkehr nach Stormont geben, glaubt Parr: „Die DUP-Leute haben während des Kriegs mehr gelitten und mehr Menschen zu Grabe getragen, als sich die Tories in England vorstellen können.“ Daher ließen sie sich nicht kaufen. Eine baldige Rückkehr der Regionalregierung schließt er folglich aus: Auch als diese 2002 das erste Mal zerbrach, habe es bis 2007 gedauert, bis sie wieder funktionierte. Aaron Edwards ist ebenfalls skeptisch. Er zweifelt daran, dass die DUP sich damit abfindet, die zweite Geige zu spielen, obwohl man mittlerweile die kleinere Bevölkerungsgruppe repräsentiert. Nur ein Neudenken des Karfreitagsabkommens kann die verfahrende Situation lösen. Denn obwohl Joe Biden und die internationalen Medien nach Ostern feiern werden – 25 Jahre nach seiner Unterzeichnung sei das Abkommen gescheitert, meint Edwards ernüchtert: „Es verlangt, dass beide Gruppen gemeinsam regieren – obwohl Katholiken und Protestanten getrennt voneinander leben.“ Der Autor ist Historiker und Autor. Er forscht und schreibt zu irischer und britischer Geschichte und Politik in Belfast, Galway und Wien. Learning behind Bars How IRA Prisoners Shaped the Peace Process in Ireland Von Dieter Reinisch University of Toronto Press 2022 240 S., geb., € 59,20

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