DIE FURCHE · 14 4 Das Thema der Woche Kalenderfragen 6. April 2023 Blue Green Christ Das auch während der Osterzeit in der Wiener Ruprechtskirche hängende Bild von Dorota Sadovská zeigt den kreuzlosen Gekreuzigten, der in einer grünen Iris himmelwärts strebt (vgl. Seite 1 und 2). Von Ursula Baatz Wenn auf den winterdunklen Bäumen der erste grüne Flaum erscheint, sodass der Wienerwald wie von einem zartgrünen Schleier bedeckt ist, kommt der Frühling. Jedes Jahr geschieht dies, wenn die Sonne wieder kräftiger wird, und jedes Jahr erscheint es wie ein neues Wunder, nach dem langen grauen Winter. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick“, lässt Goethe den Faust beim Osterspaziergang sagen. Der Frühling als Übergang vom Winter in den Sommer ist nirgends so deutlich wie in den sogenannten „gemäßigten“ klimatischen Zonen, wird aber je nach Gegend zu verschiedenen Zeitpunkten gefeiert. Das früheste dieser Feste ist wahrscheinlich das irisch-schottische Imbolc, das auf ein Fest für die keltische Göttin Brigantia zurückgeht, ein Licht- und Feuerfest wie auch Maria Lichtmess, das man ebenfalls am 2. Februar feiert. Das schwedische Valborg-Fest, die Walpurgisnacht am 30. April, ist eines der spätesten Frühlingsfeste in mittel- und nordeuropäischen Ländern. Dass zu diesem Datum am Blocksberg im Harz einander die Hexen treffen, geht auf die Hexenfantasien des 15. Jahrhunderts zurück. Nach der keltischen Überlieferung wird zu diesem Zeitpunkt schon der Sommeranfang mit Beltane gefeiert. Buddhas Erleuchtung hier, Ostereier dort Diese Feste orientieren sich am Sonnenjahr. In China, Vietnam und anderen ostasiatischen Ländern feiert man Frühling mit Beginn des neuen Mondjahres: zu Neumond zwischen dem 21. Jänner und 21. Februar – als Neujahrsfest. Am Mondkalender orientiert sich auch Vesakh, das sogenannte „buddhistische Frühlingsfest“. In den Ländern des südlichen Buddhismus ist schon Sommer, wenn zu Vesakh Geburt, Erleuchtung und Parinirvana von Buddha Shakyamuni gefeiert werden. Oft werden Am 12.7.1984 fasste Martin Lang Lösungspläne zu Kalenderfragen zusammen, nachzulesen unter „Kalenderreform?“ auf furche.at. Der Frühling als Übergang vom Winter in den Sommer wird vor allem in den gemäßigten klimatischen Zonen gefeiert – je nach Gegend aber zu verschiedenen Zeitpunkten. Lichtmess bis Walpurgisnacht als Symbol der Befreiung an diesem Tag Vögel gekauft und freigelassen, die vorher für das Fest gefangen wurden. Übrigens orientieren sich auch das jüdische Pessach und daher das christliche Osterdatum am Mondkalender, also am ersten Frühlingsvollmond „ In früheren Gesell schaften drückten diese Festen Dank für das Lebendige aus. Auch wenn heute technische Geräte den Alltag dominieren – gefeiert wird trotzdem. “ (vgl. Seite 2 und 3). Ein besonderes Ereignis ist die Tagundnachtgleiche (Frühlings-Äquinoktium), die überall auf der Erde zu beobachten ist. Die großen Megalith-Bauten der Jungsteinzeit in Stonehenge oder in Malta, aber auch die Stufenpyramide des Kukulcán in Chichén Itzá (ca. 800 v. Chr.) in Mexiko orientieren sich am Sonnenstand des Äquinoktiums. An der Nordseite der Stufenpyramide von Kukulcán etwa entsteht nur zu diesem Zeitpunkt durch den Schatten der Eindruck, dass sich eine Schlange – ein Symbol des Schöpfergottes Kukulcán – auf der nördlichen Treppe hinunterschlängelt. Zum Äquinoktium wurde um ca. 2000 v. Chr. in Babylon das agrarische Frühlingsfest Akitu („Gerste“) begangen. Gefeiert wurde die Aussaat des Grundnahrungsmittels Gerste und die „heilige Hochzeit“ zwischen Stadtfürst und Göttin Innana, der Göttin der Fruchtbarkeit. Dies sollte den Bestand der Welt garantieren. Noruz, das persische Neujahrsfest, wird seit Foto: Julia Oppermann rund 2500 Jahren zur Tagundnachtgleiche des Frühlings gefeiert. Die Priester des Zoroastrismus – einer der ältesten monotheistischen Religionen – berechneten genau den Zeitpunkt des Äquinoktiums, und bis heute ist Noruz im persischen Kulturraum – u. a. im Iran, Afghanistan, Zentralasien, aber auch bei Kurden, wo immer sie leben – ein großes Fest. Vor dem Fest gilt es, den Frühjahrsputz zu machen und die Gräber der Vorfahren zu besuchen. Für die Feier wird ein Tisch mit den „Haft Sin“, mit „Sieben S“, geschmückt, also sieben Sachen, deren persische Bezeichnung mit S beginnt, alle mit symbolischer Bedeutung: eine Schale mit gesprossenem Weizen für Munterkeit, Mehlbeeren für das keimende Leben, Essig für Fröhlichkeit, Sumach als Geschmack des Lebens, Äpfel für Schönheit und Gesundheit, Hyazinthen für Freundschaft, Knoblauch für Schutz. Dazu kommen noch ein Spiegel, eine Kerze und ein heiliges Buch, etwa Gedichte von Hafis, dem bedeutenden persischen Dichter und Mystiker; manchmal auch Münzen für Reichtum oder Hühnereier für Fruchtbarkeit. Die Ostereier von heute stammen von diesem Brauch ab – christliche Gemeinden in Mesopotamien färbten die Eier rot zur Erinnerung an den Kreuzestod Christi. Doch werden Eier vielfach mit dem Frühling in Verbindung gebracht – in China etwa gehört zur Feier der Tagundnachtgleiche ein Spiel, bei dem ein Ei zum Stehen gebracht werden soll, ohne es zu beschädigen – das bringt Glück, heißt es. Auch mit Drachensteigen, Tanzen und Trommeln wird dieses Fest seit der Tang-Dynastie gefeiert. Die rote Farbe dominiert in diesen Tagen – denn nach einer Überlieferung werden dadurch üble Geister abgeschreckt. In früheren Zeiten musste der Kaiser zum Frühlingäquinoktium dem Sonnengott ein Opfermahl anbieten, um so das Wachstum von Getreide und Pflanzen zu sichern. Japans Kirschblüte, indischer Erntedank In Japan feiert man im Frühling sieben Tage lang Haru no higan, wörtlich „das andere Ufer des Frühlings“, gemeint ist die befreiende Erfahrung des Nirvana. In diesem alten buddhistischen Fest geht es um den Zusammenhalt der Familien, zu der auch die Toten gehören – und um die Pflege von Tugenden. Am mittleren Tag des Fes tes, am 21.März, wird zur Tagundnachtgleiche die Kirschblüte gefeiert. Hanami („Blüten betrachten“) ist ein säkularisiertes Shinto-Fest und seit 1948 ein öffentlicher Feiertag. Man trifft einander unter den blühenden Kirschbäumen zum Picknick. Sakura, die rosa blühende japanische Kirsche, ist Symbol für die Schönheit und Vergänglichkeit des Lebens. Ganz anders das zehntägige Holi-Fest in Nordindien, das nach dem Mondkalender im Jänner oder Februar stattfindet. Am zweiten Tag des Festes sind die rigiden sozialen Unterschiede der indischen Gesellschaft aufgehoben und alle dürfen einander mit Farbpulver bewerfen – ein kurzer Moment der Befreiung von dem Druck der Kasten-Gesellschaft. In Südindien allerdings feiert man zu dieser Zeit Pongal, ein Erntedankfest. In früheren Gesellschaften drückten diese Feste Dank für das Lebendige aus. Auch wenn heute technische Geräte den Alltag dominieren – gefeiert wird trotzdem. Menschen feiern einfach gerne. Nächste Woche im Fokus: Liebe kennt kein Alter. Aber was bedeutet es eigentlich, sich spät im Leben noch einmal frisch zu verlieben? Gibt es die Liebe nach der großen Liebe? Wie funktioniert Partnerschaft mit Demenz und was bedeutet Verliebtheit überhaupt? Ein Fokus über das schönste Gefühl der Welt.
DIE FURCHE · 14 6. April 2023 International 5 Wochenlange Massenproteste konnten die Justizreform Benjamin Netanjahus in Israel vorerst stoppen. Warum sie so gefährlich ist, erklärt Rechtsstaatsexperte Amir Fuchs im Interview. „Mit den Gerichten fängt alles an“ Das Gespräch führte Philipp Fritz Demokratie ist kein Selbstläufer: Das weiß Amir Fuchs nur zu gut. Bis 2011 hat er für das israelische Justizministerium gearbeitet, nun forscht und lehrt er am Zentrum für Demokratische Werte und Institutionen des unabhängigen Israel-Demokratie-Instituts (IDI) in Jerusalem. Wie schätzt er die Gefährdung der Demokratie durch den von der rechtsreligiösen Regierung geplanten Justizumbau ein? DIE FURCHE hat mit ihm gesprochen. Anhaltende Proteste Auch nach dem von Premier Netanjahu verkündeten Stopp protestieren weiter hundertausende Menschen gegen den drohenden Umbau der Justiz. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein – wie etwa am 1. April in Tel Aviv. DIE FURCHE: Premierminister Benjamin Netanjahu hat zwar sein Gesetzesvorhaben zum umstrittenen Justizumbau ausgesetzt, doch bereits im April könnte es wieder auf die Tagesordnung kommen. Zudem hat Netanjahu dem rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir die Einrichtung einer Nationalgarde zugestanden. Hunderttausende Demonstranten gehen in Israel wegen beidem weiter auf die Straßen. Sie fürchten, dass unter anderem das Oberste Gericht marginalisiert oder entmachtet wird. Warum steht dieses Gericht im Zentrum der Aufmerksamkeit? Amir Fuchs: Das Oberste Gericht ist zentral wegen seiner Bedeutung für das politisch-juristische System Israels. Wir Israelis verfügen zum einen über Grundgesetze, die das Oberste Gericht als Quasi-Verfassung begreift. Sie dienen seit 1995 als Grundlage der gerichtlichen Prüfung der Knesset, des Parlaments, durch das Oberste Gericht. Wichtig ist, dass die Grundgesetze relativ einfach zu verändern sind. Das ist keine bloße Theorie. Sie wurden bereits mehrfach angepasst oder erweitert. Zum anderen ist da die gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane, das, was man Checks and Balances nennt. Im parlamentarischen System Israels gibt es keine klare Trennung zwischen Exekutive und Legislative. Die Regierung verfügt immer über eine Mehrheit in der Knesset. Tut sie es nicht, kommt es zu Neuwahlen. Das Parlament untersteht sozusagen der Regierung. Nur die Judikative, an erster Stelle das Oberste Gericht, kann die Regierung unabhängig kontrollieren. Was die Exekutive überproportional mächtig macht, ist aber auch, dass wir es in Israel nicht mit einem föderalen System zu tun haben. Es gibt de facto nur einen großen Wahlkreis: Zwar ist Israel ein kleines Land, doch die Bevölkerung ist mit neun Millionen Einwohnern recht groß. So vereint die Zentralregierung enorm viel Amir Fuchs gilt als einer der renommiertesten Rechtsstaatsexperten Israels. Foto: Israel Democracy Institute Macht auf sich. Und dann ist da noch die Tatsache, dass supranationale Organisationen und internationale Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keinen oder kaum Einfluss auf die israelische Regierung haben. Es bleibt also nur das Oberste Gericht. DIE FURCHE: Und dieser Kontrolle will sich die Regierung jetzt entziehen? Fuchs: Ja, so ist es. Doch geht es nicht nur um das Oberste Gericht. Es geht um sämtliche Gerichte im Land und darum, Richter zu nominieren, ohne sich auf Kompromisse mit der Opposition einzulassen, um eine Einschränkung der Staatsanwaltschaften. Das kann auch jetzt schon – nach der Ankündigung, das System umzubauen – schwerwiegende Folgen haben. Richter wissen ab jetzt, dass sie sich anpassen müssen, wenn sie im System bestehen oder vorankommen wollen. Es ist wie in den Wirtschaftswissenschaften: Wenn wir über Effekte in der Zukunft reden, sind sie oft schon eingetroffen. DIE FURCHE: Es gibt auch andere Systeme, in denen Politiker Einfluss auf die Richterernennung nehmen. Wieso also die Kritik gerade an diesem Reformvorhaben? Fuchs: Das ist richtig, aber zumeist gibt es in anderen Systemen dann andere Kontrollmechanismen. Was das Oberste Gericht anbelangt, soll jetzt auch noch eine Mehrheit von 80 Prozent der Richter notwendig sein, um ein Gesetz abzulehnen. Das ist weltweit einmalig. Verfassungsgerichte oder höchste Gerichte operieren intern zumeist mit absoluten Mehrheiten, also mindestens fünfzig Prozent plus eins. Am Jerusalemer Gericht dürfte es zukünftig äußerst schwierig Lesen Sie dazu auch die jüngste Kolumne von Susanne Glass über Israel – „Militärischer Ungehorsam“ – (29.3.2023) auf furche.at. „ Das Parlament untersteht in Israel faktisch der Regierung. Nur die Judikative, das Oberste Gericht, kann die Regierung kontrollieren. “ Foto: APA / AFP / Jack Guez werden, sich auf etwas zu einigen. Und selbst wenn es dazu kommt, soll die Knesset eine solche richterliche Entscheidung mit einer absoluten Mehrheit überstimmen können. Das ist die vieldiskutierte Überstimmungsklausel. DIE FURCHE: Das Vorhaben der israelischen Regierung wird von Beobachtern mit dem Justizabbau in Ungarn oder Polen verglichen. Ist das gerechtfertigt? Fuchs: So weit ich das beurteilen kann, ja. In Ungarn oder Polen wurde der Machtzuwachs von Regierenden genutzt, um in Ämtern zu bleiben, etwa über Wahlkreiszuschnitte, Mediengesetze und vieles mehr. Mit den Gerichten fängt das alles an. DIE FURCHE: Nun verfügt Israel über eine ältere demokratische Tradition und stabilere Institutionen als Polen oder Ungarn. Fuchs: Das ist richtig. Und die Zivilgesellschaft ist bereit, all das zu verteidigen. Die Proteste gegen den Justizumbau sind gewaltig. Die Eliten des Landes, die Wirt- FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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