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DIE FURCHE 06.04.2023

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DIE FURCHE · 14 24 Theater 6. April 2023 Von Patric Blaser Ferdinand Raimund (1790- 1836) war ein labiler Mann mit besonders heiklem Ehrgefühl und verzehrendem Ehrgeiz. Einerseits litt er Zeit seines Lebens sozial unter dem zweifelhaften Ruf seines in den Augen des Bürgertums moralisch fragwürdigen Berufstandes. Andererseits fühlte er sich, als er 1823 selbst Stücke zu schreiben begann, künstlerisch stets zu Höherem berufen. Als Theaterpraktiker an den Wiener Vorstadtbühnen hatte er eine beträchtliche Begabung dafür, seine Stücke aus seiner Bühnenerfahrung heraus für besondere Ausdrucks- und Wirkmöglichkeiten hin zu entwerfen. Damit hatte er zwar immensen Erfolg, wodurch er den seiner Konkurrenten sowohl bei Publikum wie der Presse bei Weitem übertraf. Dennoch reichte ihm der qualitative Unterschied seines volkstümlichen Vor- Farbenspiel Regisseur Herbert Fritsch bettet das Stück in heiterfarbige Kulissen aus Sternen und Wolken. Markus Scheumann (Bild) mimt in dieser knallig-bunten Inszenierung den Hofnarren Muh. stadttheaters nicht. Ihm ging es darum, die Volkskomödie zu veredeln und gar strebte er für sich das „hohe“ Drama Schillerʼscher Prägung an, das nicht in der Vorstadt, im kleinbürgerlichen Leopoldstheater, sondern im hehren bildungsbürgerlichen Burgtheater gespielt werden sollte. Nun, der jung verstorbene Raimund hat – bedingt durch seine berufliche Mehrgleisigkeit als Darsteller, Regisseur, Autor – nur ein schmales Œuvre hinterlassen, und letztendlich war es ihm nicht vergönnt, ein Versdrama von erhabener Thematik zu verfassen. Ins Burgtheater allerdings haben es seine Stücke post festum trotzdem längst geschafft. Jetzt hat sich der unverwüstliche, man ist in diesem „ Fritsch inszeniert die auf seine Bedürfnisse hin bearbeitete Fassung mit einem gerissen besetzten und prächtig aufgelegten Ensemble. “ Der Meister des Lachtheaters Herbert Fritsch inszeniert Ferdinand Raimunds Original-Zauberspiel „Die gefesselte Phantasie“ am Wiener Burgtheater. Ein Bukett entfesselter Kreativität Fall versucht zu sagen – kongeniale Komödienberserker Herbert Fritsch das Stück „Die gefesselte Phantasie“ vorgenommen. Fritsch inszeniert die von Sabrina Zwach auf seine Bedürfnisse hin bearbeitete Fassung mit einem gerissen besetzten und prächtig aufgelegten Ensemble als effektvolles Schau- und Lachtheater, wobei er erst gar nicht versucht, den eben bloß selbstzwecklichen Witz mit tieferer Bedeutung zu grundieren. Denn was zuvor über Raimund gesagt worden ist, gilt so gar nicht für den deutschen Regisseur: Blödelei ist sein Geschäft, virtuoser Jux und Tollerei sind sein Talent, Sinnlosigkeit sein Bekenntnis. Dabei ist das „Original-Zauberspiel“, wie Raimund die Eigenständigkeit seines Werks hervorhob, gewiss nicht sein bestes Stück, wie auch schon Zeitgenossen bemerkten. Die Handlung ist arg gespreizt und die Distanz zur Alltagserfahrung beträchtlich, eine Art Zaubermärchen eben. Foto: © Matthias Horn Es beginnt tableauhaft choreografiert und natürlich hochtourig, wie immer bei Fritsch. Im Blumenreich namens Flora, das bei Fritsch mit heiterfarbigen Kulissen, Sternen- und Wolkenprospekten sowie einem knallbunt gestreiften Boden wie ein Spielplatz aus einem Comic wirkt, hat sich soeben das Volk versammelt – dem die Kostümbildnerin Geraldine Arnold ganz buchstäblich Blumen auf die langhaarigen Perücken und Leiber geschneidert hat. Mit etlichen Wortverdrehern, langen Pausen, die den Sinn der Sätze ins Gegenteil verzerren, und unzähligen Wortspielen ‒ etwa „lass den Zeuß z’haus“, „schrecke den Tümpel“ statt „schmücke den Tempel“, eine Harfe oder Haar Fee? ‒ beraten sie mit ihrer sanftmütigen Königin Hermione (Maria Happel) darüber, was gegen die Heimsuchung zweier missliebiger Zauberschwestern (Elisa Plüss, Sarah Viktoria Frick) zu unternehmen sei, die seit einiger Zeit ihr Unwesen treiben. Die Macht der bösen Schwestern ist dem Orakelspruch zufolge nur dann zu brechen, wenn die Königin heiratet. Da diese Hippie-Insel der Seligen nur Gesang, Tanz und Poesie kennt, und selbst eine Prügelei als „das Schreiben eines Gedichts ins Gesicht“ bezeichnet wird, willigt die leicht beschwipste Hermione ein, die Harmonie wieder herzustellen und denjenigen zu ehelichen, der ihr am Abend das beste Gedicht vorträgt. Dass sie gerade nicht standesgemäß in den Hirten Amphio (Bless Amada, im Stück heimlich und bei Fritsch durch die Perücke eigentlich ein Prince (sic!)) verliebt ist, dieser aber ganz nebenbei ein begabter Dichter ist, kommt ihr dabei nicht ungelegen. Die Zauberschwestern, die in einer humorig ungelenken Luftnummer à la Mission Impossible davon Wind bekommen haben, wären nicht die Bösen, versuchten sie nicht, das zu vereiteln. Ein Stück befreiter Entrückung Im feuchtfröhlichen Gelage eines Wirtshauses, samt Schuhplattler, Jodel- und Jauchzereinlagen und finaler Prügelei, finden sie im trunk- und streitsüchtigen Harfenisten Nachtigall (Sebastian Wendelin alleine ist einen Besuch wert) ein willfähriges Werkzeug. Nun muss nur noch die dem Stück namensgebende Phantasie eingefangen werden, damit sie ihr poetisches Werk an der richtigen Stelle (nicht) vollbringt. In grauem Anzug samt überlangem Schlips und Aktenkoffer erinnert der großartige Tim Werths als personifizierte poetische Phantasie einerseits an Michaels Endes graue Herren, die den Menschen die Zeit stehlen, andererseits erinnert er in seinem virtuosen Spiel an Michael Palin vom Ministry of Silly Walks aus „Monty Pythonʼs Flying Circus“. Dass Fritsch die allegorische Figur kontrafaktisch besetzt, kann als typisch Fritschʼe Blasiertheit gedeutet werden. Dem einen mag seine Bedienung des sinnfreien Schauapparats als Luftnummer, als vergeudete Zeit erscheinen, dem anderen aber als befreite Entrückung durch zaubergleiches Spiel einer entfesselten szenischen Phantasie. Die gefesselte Phantasie Burgtheater, 19., 29.4., 4., 16.5. THEATER IN DER JOSEFSTADT Eine Glitzer-Gesellschaft auf der Suche nach Glück Von Julia Danielczyk Es regnet. Wie Spatzen sitzen die Sommergäste auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt und besingen den Niederschlag, der ihnen den Sonnentag verdirbt. Wie es bei Maxim Gorki schon 1904 heißt: „Sommerfrischler. Sie tauchen auf, leben eine Zeitlang, verschwinden dann und hinterlassen Papierschnitzel, Scherben, Überbleibsel.“ Elmar Goerden hat Maxim Gorkis „Sommergäste“ radikal in die Gegenwart geholt: Eine wohlstandsverwahrloste Gesellschaft in teuren Kleidern und bunten Badekostümen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Goerden zeigt Menschen, die an dem leiden, was sie haben: Olga (Susa Meyer) liebt ihren Mann und die vier Kinder. Trotz deklarierter Gleichberechtigung ist sie es, die die Verantwortung für die Familie übernimmt, für alle sorgt. Nach Lebenslust und Abenteuer sehnt sie sich: „Ich will rumknutschen und Gruppensex“, bleibt aber vernünftig und vergnügt sich mit ihrem Mann, während der Rest der Sommerfrischler neidvoll auf sie blickt. Alle, außer Juljia, todunglücklich in ihrer Ehe mit dem selbstverliebten Ingenieur Suslow (Günter Franzmeier), die ihn mit ihren Affären provoziert. Dann ist da noch die alleinerziehende Ärztin Marja (Martina Stilp), deren adoleszente Tochter Sonja ein binäres Menschenbild verweigert, sich im geschlechtlichen Dazwischen mit neuem Namen Alex sieht und streng vegan ernährt. Katharina Klar spielt sie (oder besser: ihn) lebensverneinend und griesgrämig, der Elterngeneration mit größtem Vorwurf begegnend. Zu Recht, möchte man meinen, denn hier sind ausnahmslos Egoisten unterwegs. Nur zwischen ihr und Marja kommt es zu einer echten Auseinandersetzung und damit auch zu den gelungensten Szenen des Abends. Offen konfrontiert Sonja/Alex ihre Mutter mit deren Interessen, Misstrauen und Ängsten. Doch es wird noch bis zum Ende der dreistündigen Inszenierung dauern, bis Marja ihre Zuneigung zu dem viel jüngeren Wlas zugibt, Selbstschutz und gesellschaftliche Normen beherrschen ihr Handeln. Claudius von Stolzmann spielt ihn als geradezu hysterisch lebenslustigen Mann, der ständig sein Outfit wechselt, ein bunter Vogel, dem es an Orientierung fehlt. Im Zentrum steht seine Schwester Warwara, die Alexandra Krismer als mondäne, klarsichtige Frau gibt, die in den Sommerunternehmungen ihres Mannes (Michael Dangl als Rechtsanwalt Bassow) und der Gäste nur leere Zerstreuung erkennt. Radikal muss sich diese untergehende Gesellschaft ändern, weiß sie und hofft, dass die Ankunft des Schriftstellers Schalimow (Ulrich Reinthaller) die Lage ändert. Aber er erweist sich als selbstmitleidiger Künstler, der – wie alle hier – im Außen und bei den anderen sein Glück sucht. Trotz so mancher Länge sieht man gerne zu, wie diese bunte Truppe um jede Form von Lebensfreude ringt. Viel Applaus. Sommergäste Theater in der Josefstadt, 15., 16., 24., 25.4, 6., 7.5. Foto: Philine Hofmann Am Rande des Abgrunds: Oliver Rosskopf (Rjumin) und Alexandra Krismer (Warwara) in Maxim Gorkis „Sommergäste“.

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