Aufrufe
vor 1 Jahr

DIE FURCHE 06.04.2023

  • Text
  • Furche
  • April
  • Welt
  • Zeit
  • Menschen
  • Wien
  • Foto
  • Kirche
  • Jesu
  • Autor

DIE

DIE FURCHE · 14 2 Das Thema der Woche Kalenderfragen 6. April 2023 Dass Ostern am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert wird, klingt nur auf den ersten Blick eindeutig. Seit der Spätantike ist die Berechnung des Ostertermins eine wissenschaftliche Herausforderung – und spaltet Ost- und Westkirchen bis heute. Auch andere Frühlingsfeste der Religionen bezeugen die Unwägbarkeiten zwischen Sonnen- und Mondjahr. Von Thomas Mark Németh Redaktion: Otto Friedrich Anfang Februar 2023 hat die Ukrainische griechisch-katholische Kirche (UGKK) mit der Entscheidung einer Kalenderumstellung für Aufsehen gesorgt. Innerhalb der Ukraine werden die unbeweglichen Kalenderfeste ab 1. September nicht mehr nach dem julianischen, sondern dem „neuen Kalender“ gefeiert. Jedenfalls verschieben sich die Feste um 13 Tage, und Weihnachten wird nicht mehr am 7. Jänner des weltlichen Jahres, sondern am 25. Dezember begangen. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine hatte ebenfalls erst jüngst ihren Gemeinden die Kalenderumstellung erlaubt, will aber eine Bischofssynode im Mai für eine generelle Regelung abwarten. Von der Ukrainischen orthodoxen Kirche, einer konkurrierenden Jurisdiktion, deren Zugehörigkeit zum Moskauer Patriarchat derzeit in Diskussion steht, sind derartige Veränderungen momentan nicht zu erwarten. Bezüglich des Osterfestkreises hat sich die UGKK bewusst zurückgehalten und auf eine angestrebte interkonfessionelle Einigung hingewiesen. Während ihre Gläubigen in der Ukraine mit den Orthodoxen gemeinsam Ostern feiern, wird das Fest in der Diaspora teilweise gemeinsam mit der römisch-katholischen Kirche begangen, was einen Terminunterschied von null bis fünf Wochen zur Folge hat. Fast alle orthodoxen Kirchen feiern nach dem auf Cäsar zurückgehenden julianischen Kalender Ostern, Kalenderfeste jedoch teilweise gemäß dem in den 1920er Jahren eingeführten „neo-julianischen“ (oder „meletianischen“) Kalender, der faktisch mit dem gregorianischen Kalender der westlichen Kirchen zusammenfällt. An der Tagundnachtgleiche ausgerichtet Diese Unterschiede gründen darin, dass man in der alten Kirche teilweise dazu überging, die Auferstehung Christi nicht mehr zu Pessach, sondern am darauffolgenden Sonntag zu feiern. Die als Erstes Ökumenisches Konzil geltende Synode von Nizäa (325) beschloss in einer nicht mehr direkt überlieferten Entscheidung, dass alle Kirchen am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond der Frühlings-Tagundnachtgleiche Ostern feiern sollten. Damit wurde auch die Praxis aufgegeben, jüdischer Berechnung zu folgen, Kalkulationsmethoden kamen aber erst später hinzu. Die kirchlichen Ostertermine werden nicht von aktuellen astronomischen Erkenntnissen bestimmt, sondern beruhen auf Vorausberechnungen, den sogenannten Paschalia. Während diese von durchschnittlich 365,25 Erdumdrehungen pro Jahr ausgehen, sind es tatsächlich 365,2422. Inzwischen hinkt der julianische Kalender um 13 Tage nach. Ähnliche Differenzen gibt es auch bei der Erdumkreisung durch den Mond. Mitunter kommt es zu einem gemeinsamen Osterdatum, dies wird 2025 wieder der Zum ökumenischen Stolperstein Ostertermin siehe Hubert Feichtlbauers „Ökumene ‚im Steilhang‘“ vom 5.4.2007 auf furche.at. „ Neben Traditions- und Vernunftsargumenten bleibt auch die ökumenische Bereitschaft gefragt. Eine gemeinsamen Begehung des ‚Festes der Feste‘ ist der Bemühungen wert. “ Ruprechtskirche In der Apsis von Wiens ältester Kirche hängt bis zum 27. Mai das Bild „Blue Green Christ“ von Dorota Sadovská (vgl. Seite 1 und 4). Auch heuer weicht der Termin des Osterfestes zwischen Ost- und Westkirchen ab. Warum ist das so? Und was überlegt man, um diese „Datumsspaltung“ zu überwinden? Asynchrone Auferstehung Foto: Julia Oppermann Fall sein. Ein Zusammenfallen wird manchmal auch dadurch verhindert, dass nach orthodoxer Auffassung das jüdische Pessach dem Osterfest vorauszugehen habe. Heute wird diese Regel jedoch als eine falsche Deutung altchristlicher Quellen durch spätere byzantinische Kanonisten betrachtet. 1582 vollzog Papst Gregor XIII. die nach ihm benannte Kalenderumstellung, indem er 10 Tage übersprang. Diese Neuordnung wurde staatlicher- und kirchlicherseits mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht allseitig vollzogen. Die eingangs erwähnte, 1923 vom serbischen Astronomen Milutin Milanković vorgeschlagene Anpassung der unbeweglichen Feste wurde in der Orthodoxie nicht überall angenommen. Das Patriarchat von Jerusalem, die russische, georgische, polnische und serbische orthodoxe Kirche, der Berg Athos wie mehrheitlich auch die Orthodoxe Kirche Tschechiens und der Slowakei sowie die Orthodoxe Kirche der Ukraine feiern daher die Kalenderfeste julianisch. Dabei ist der neo-julianische Kalender bezüglich des Sonnenjahres genauer als der gregorianische, da nicht drei Schalttage in 400 Jahren, sondern sieben in 900 Jahren ausgelassen werden. Bis zum Jahr 2800 wird sich dieser Unterschied freilich nicht auswirken. Angesichts der hohen theologischen Bedeutung des Osterfestes darf sein Zusammenhang mit der tatsächlichen Frühjahrs-Tagundnachtgleiche nicht unterbewertet werden. Von daher rührt auch das überkonfessionelle Interesse an astronomischen Gegebenheiten. Angesichts des heranrückenden 1700-Jahr-Jubiläums von Nizäa haben sich Papst Franziskus und Patriarch Bartho lomaios für Lösungsbemühungen ausgesprochen. Auch der koptische Patriarch Tawadros II. hat sich dafür eingesetzt. Es existieren mehrere realistische Möglichkeiten für eine Einigung, wobei sich bei einer Übernahme eines bestehenden Systems das Problem von Siegern und Verlierern stellt. Dies gilt zunächst für den von einem Papst eingeführten, gregorianischen Kalender, der sich kaum panorthodox durchsetzen ließe. Er hätte gegenüber dem julianischen den Vorteil weitaus größerer Exaktheit, hinkt aber wiederum den Berechnungen nach, die dem neo-julianischen System zugrunde liegen. Für eine Orientierung am julianischen Kalender sprächen zwar gewisse Traditionsargumente, das Osterdatum läge dann allerdings nicht mehr zwischen 22. März und 25. April, sondern zwischen dem 4. April und 8. Mai. Problematisch scheint die Argumentation, dass die Orthodoxie wegen der Bindung an ein ökumenisches Konzil bei ihrem System bleiben müsse. Denn sie orientiert sich heute an einem sehr ungenauen Kalender und einem unzuverlässigen mathematischen Algorithmus, der auf einem schon in der griechischen Antike angenommenen Mondzyklus von 19 Jahren beruht. Tradition und Exaktheit verbinden Denkbar wäre auch ein festes Datum. Auf Basis einer Neuberechnung würde dann Ostern immer an einem bestimmten Sonntag liegen, etwa am zweiten Sonntag im April. Dies ließe sich mit der Annahme begründen, dass Jesus wahrscheinlich am 7. April 30 gestorben ist. Gegen diese Praxis sprechen aber Argumente aus der biblischen und kirchlichen Pascha-Tradition und die kosmische Dimension eines beweglichen Systems. Ins Spiel gebracht wurde auch die Möglichkeit der Feier am Sonntag, der dem jüdischen Pessach folgt. Befürworter sehen dies als eine Berücksichtigung jüdischer Wurzeln, anderen erscheint dies aber unter Hinweise auf frühchristliche Abgrenzungstendenzen eher als eine Distanzierung davon und ist wenig konsensfähig. Mehr Chancen werden dem 1997 verabschiedeten „Aleppo-Dokument“ eingeräumt. Es handelt sich dabei um ein vom Ökumenischen Rat der Kirchen mitentwickeltes modifiziertes Modell des gregorianischen Kalenders. Geografischer Bezugspunkt ist der Meridian von Jerusalem, und die Bestimmung des Frühlingsbeginns wird aktuellen wissenschaftlichen Kriterien überlassen, worauf auch Patriarch Bartholomaios Wert legt. So ließe sich auch das „Osterparadoxon“ vermeiden: Da die kirchlichen Berechnungsmethoden den Frühlingsanfang astronomisch inkorrekt pauschal auf den 21. März datieren, führen sie mehrmals pro Jahrhundert gar nicht zum erwünschten Ergebnis, nämlich dem Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond als Osterdatum. Insgesamt ließe sich das Aleppo-Modell mit dem „Geist von Nizäa“ in Einklang bringen und würde die Bemühungen um Exaktheit ausdrücken. Auf jeden Fall ist aber nur eine breite Konsenslösung sinnvoll, um nicht neue Spaltungen entstehen zu lassen. Angesichts innerkirchlicher Bruchlinien und Rivalitäten, aber auch heikler zwischenkirchlicher Beziehungen, dürfen faktische Hindernisse in diesem vielschichtigen Prozess nicht unterschätzt werden. Neben Traditions- und Vernunftsargumenten sind aber auch eine demütige Grundhaltung und ökumenische Bereitschaft gefragt. Das Ziel der gemeinsamen Begehung des „Festes der Feste“ scheint aber der Bemühungen wert zu sein. Der Autor ist Prof. für Theologie und Geschichte des christl. Ostens an der Kath.- Theol. Fakultät Wien und Priester der UGKK.

DIE FURCHE · 14 6. April 2023 Das Thema der Woche Kalenderfragen 3 Nicht nur der Computer leitet sich – sprachlich – von der Wissenschaft der Ermittlung des Ostertermins („Komputistik“) ab. Die christlichen Kalenderrechner verhedderten sich ab der Spätantike beim Datum der Auferstehung völlig. Byzantinist Christian Gastgeber im Gespräch. „Wir stülpen unser Zeitmodell über“ Die Fragen stellte Otto Friedrich Die Komputistik, die Berechnung des Ostertermins, war in Spätantike und Mittelalter eine wichtige Wissenschaftsdisziplin. Der Byzantinist Christian Gastgeber forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften dazu. DIE FURCHE: Warum hatte die Frage der Berechnung des Ostertermins in der Spätantike solch eine Bedeutung? Christian Gastgeber: Als zentraler Festtag des Christentums sollte der Ostersonntag am selben Tag gefeiert werden. Das Problem war seine Fixierung: Es wurde kein fixes Monatsdatum (nach unserem Sonnenjahr) bestimmt, sondern ein bewegliches Datum, es musste für jedes Jahr neu berechnet werden. Man einigte sich im Laufe der Zeit auf zeitliche Parameter: nach der Frühlingssonnenwende, nach dem 14. Tag des jeweiligen Mondmonats (= Vollmond), unverändert an einem Sonntag. Falls der 14. Mondmonatstag nach der Frühlingssonnenwende genau auf einen Sonntag fiel, wich man auf den nächsten Sonntag aus. Es orientierte sich das christliche Osterfest daher ein wenig am jüdischen Pessachfest, das jedoch strikt den Abend des 14. Mondtags im ersten Frühlingsmonat einhielt. Das Christentum wollte einen Zusammenfall mit dem Pessachfest vermeiden und nahm den Tag der Auferstehung, also Sonntag. Wenn der Fall eintreten sollte, dass Sonntag und 14. Mondmonatstag zusammenfielen, also Pessach auf Sonntag fiel, dann nahm man den folgenden Sonntag. DIE FURCHE: Wann wurde dies festgelegt? Gastgeber: Angeblich wurde dies im Rahmen des 1. Ökumenischen Konzils zu Nikaia (325) vereinbart. Zuvor und auch weiterhin gab es verschiedene andere Möglichkeiten, den Ostertermin zu berechnen. Einige nahmen einfach den 14. Tag des ersten Frühlingsmondmonats; andere folgten der jüdischen Praxis; der Tag der Frühlingssonnenwende wurde weiters nicht immer genau eingehalten. Andere entwickelten sehr subtile mathematische Modelle zu den Mondzyklen. Mit der Fixierung der zeitlichen Parameter am 1. Ökumenischen Konzil brauchte es aber auch Autoritäten, die den jeweiligen Ostertermin korrekt berechneten und dann unter den Gläubigen bekannt machten, das war in der Regel der Bischof mit seinem Osterbrief. Sonst konnte es einem Christen passieren, dass er von einer Stadt in eine andere reiste und an verschiedenen Sonntagen Ostern gefeiert wurde. Dann stellte sich die Frage: Wer hat Recht und wer berechnet falsch oder folgt gar „häretischen“ Traditionen? Dies war ein Problem in der Frühzeit des Christentums, weil es althergebrachte lokale Traditionen gab, die selbst mit neuen Universalregeln nicht beseitigt werden konnten. Die Quellen der Zeit sprechen von großen Konflikten und Unterschieden. Denn wie stand man dann vor den Juden und den Vertretern der heidnischen Kulte da, wenn man selbst nicht wusste, wann man den zentralen Festtag feierte? Die Frage der Autorität zur Bestimmung des richtigen Ostertermins wurde damit auch zu einem Politikum in aufschwellenden Konflikten zwischen Regionen und Machtzentren. DIE FURCHE: Warum führten die Berechnungen zu verschiedenen Osterterminen? Gastgeber: Die Parameter (Frühlingssonnenwende, 14. Tag des ersten Mondmonats im Frühling und folgender Sonntag) scheinen simpel und klar zu sein, wenn man den genauen Mondtag kennt. Da ein Mondmonat von 29,5 Tagen nicht einem üblichen Monat im Sonnenjahr entspricht. Jedes Mondjahr ist um elf Tage kürzer als ein Sonnenjahr, jeweils nach drei Mondjahren fügte man einen zusätzliches Mondmonat von 30 Tagen ein, um die Differenz (inzwischen 33 Tage) wieder halbwegs auszugleichen. Im gesamten 19-jährigen Mondzyklus musste man bei einem Jahr zwölf Tage als Ersatz hinzuzählen, um auf Gleichstand mit dem Sonnenjahr zu kommen. Das war die Basis, und danach konnte man sehr einfach berechnen, welchem Tag die ungleich verlaufenden Kalender von Mond und Sonne entsprachen. DIE FURCHE: Das wäre aber doch eindeutig? Gastgeber: Der Teufel lag im Detail: War etwa schon das erste Jahr zu Beginn die üblichen elf Tage Differenz einzuberechnen oder musste nicht das allererste Jahr (bis zum Anfang der Welt zurückversetzt) mit einer Differenz von null Tagen gerechnet werden? Erst ab dem zweiten Jahr gab es dann diese Differenz von elf Tagen. Eine parallele Frage betraf die Weltschöpfung: Der Mondzyklus wiederholt sich nach 19 Jahren, genauso macht dies der Sonnenzyklus innerhalb von 28 Jahren: Nach dieser Zeit ist der Mond wieder in der gleichen Position (und der Mondmonatstag ist derselbe), Analoges gilt für die Sonne: nach 28 Jahren stimmen Monatstag und Wochentag überein. Wie lässt sich dies nun mit dem Schöpfungsbericht vereinbaren? Gott schuf am vierten Tag (beginnend ab Sonntag, also am Mittwoch) die „großen Lichter“, Sonne und Mond. Wenn Gott also schon den Mond als strahlendes Licht (das über die Nacht herrscht, Gen 1,16) schuf, dann war der Mond bereits Vollmond, was er erst am 14. Tag ist. Also gab es auch so etwas wie eine „Vorschöpfungszeit“ des Mondes. Oder man lässt den Mond erst am vierten Schöpfungstag beginnen, dann kann es aber nicht der Vollmond sein, sondern nur Neumond. Das wirkt wie sophistische Schreibtischgelehrsamkeit, war aber ein Thema, wenn man die Mond- und Sonnenzyklen vom Ursprungsdatum abzuleiten versuchte. DIE FURCHE: Was bedeuteten die Berechnun - gen für die Wissenschaftsentwicklung? Gastgeber: Es waren nun also diese Berechnungen und die Diskrepanz mit den Naturphänomenen selbst, die zu Adjustierungen führten. Das mathematische Modell musste wieder mit der astronomischen Realität übereinstimmen. Es musste zunächst für das Todesjahr Christi nach den Aussagen der Evangelisten stimmen; dieses Datum wurde dann zur sicheren Basis genommen. Der Passionstag Christi war ja gewissermaßen aktenkundig. Das ist das nächste Dilemma: Bei Johannes war die Kreuzigung vor dem Pessachfest, also dem 14. Tag des damaligen Frühlingsmondmonats, bei den anderen Evangelisten erst danach. Freitag ist bei allen der Passionstag. Man kommt im Zyklus zu anderen Ostersonntagen, wenn man den Ausgangspunkt des 14. Mondtages an einem Donnerstag oder an einem Freitag ansetzen muss. Hier sieht man im frühen Christentum, dass es keine einheitliche Regel gab, welche der Evangelienstelle als die kanonische für den Todestag Christi angesehen wurde. In Byzanz neigte man zur Johannesstelle, im Westen zu der bei den anderen Evangelisten. DIE FURCHE: Das klingt alles verwirrend. Gastgeber: Ein weiteres astronomisches Faktum verursachte dann zusätzliche Verwirrung und intensive Recherchen unter den Gelehrten: Mond- und Sonnentag wiederholen sich exakt am selben Tag nach 532 Jahren. Wenn also Jesus nach vollendetem 33. Lebensalter und zu Beginn seines 34. Jahres gestorben war, musste sich derselbe Termin 532 Jahre später wiederholen. Nun rechnete man in Byzanz immer nur nach dem Weltjahr nach der Schöpfung der Erde, das Geburts- und Todesjahr Christi wurde ca. im Weltjahr 5500 angesetzt. Im Westen hingegen erstellte 525 Dionysius Exiguus auf päpstliche Veranlassung eine Osterberechnungstabelle mit einem neuen System, nämlich den Jahren nach der Inkarnation Christi. Er baute allerdings auf einem alexandrinischen Kalender auf, den er ab 532 n. Chr. fortsetzte. Die Osterfestberechner, „Komputisten“, setzten den Kalender des Dionysius fort, aber nicht nur nach hinten zu den folgenden Jahren, sondern auch zurück bis zur Zeit Christi. Und da passten die Daten, die man für das 34. Lebensjahr Christi anzusetzen hat und wo man den Ostertermin durch die Evangelien hatte, überhaupt nicht mit dem mittlerweile Dionysius-Zyklus überein. Die christliche Zählung war also falsch und Christus musste in einem ganz anderen Jahr geboren gewesen Foto: Niko Havranek sein als in dem rückgerechneten Jahr 1. Man analysierte nun die verschiedenen Modelle und die Jesusdaten und zeigte kritische Überlegungen, wie man diese Daten korrigieren muss, ohne natürlich am etablierten Kalender etwas ändern zu können. DIE FURCHE: Welche neuen Erkenntnisse dazu haben Sie in Ihrer Arbeit gewonnen? Gastgeber: Im Rahmen meiner Forschung steht der griechische und vor allem byzantinische Kalender im Mittelpunkt. Dieser überkreuzt sich natürlich mit dem lateinischen, westlichen Kalender an vielen Punkten. Besonders interessant sind kulturelle Mischgebiete, wo zwei Systeme vorherrschten. Im Rahmen der Arbeit am Chronicon Paschale, einem der wichtigsten frühen Texte zur Osterfestberechnung, begann ich, alles Material zu sammeln, das noch unbearbeitet in zahlreichen Kodizes des griechischen Mittelalters in den Bibliotheken der Welt verstreut ist. Meine Suche war auf Tabellen und Hilfsmittel Einen Überblick über Komputistik gab am 5.12.1996 Heinz Zemanek, nachzulesen unter „Sonne, Mond und Mathematik“ auf furche.at. Christian Gastgeber Studium der Klassischen Philologie, Geschichte und Theologie in Wien, leitet den Forschungsbereich „Sprache, Text Schrift“ an der Abteilung für Byzanzforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „ Der Zeitfaktor, die eigene Periodengliederung und die Frage, wann etwas beginnt, wer eine Periode bestimmt, ist eine soziale Fragestellung. Wer die Zeit und Periode vorgibt, hat die Macht über die Gesellschaft. “ sowie entsprechende Kommentare orientiert, um zu sehen, wie man die Ostertermine vermittelt hat. Auf der einen Seite ist es da bemerkenswert, wie sehr die Gelehrten bemüht waren, die Berechnung des Ostertermins für jedermann zugänglich zu machen. Es sollte keine Geheimdisziplin von Eingeweihten sein, jeder Lese- und Rechenkundige sollte dies durchführen können. Auf der anderen Seite sieht man dann aber die große Gefahr, wenn man erarbeitete Listen oder Zahlenschemata in die Hand der breiten Masse gibt: Die Abschriften sind oft sehr sorglos durchgeführt, sie strotzen vor Fehlern. Jeder Benutzer, der sich daran hielt, war großer Ungewissheit ausgesetzt. Was die Schöpfer solcher Listen im guten Sinn für die Allgemeinheit erstellt haben, haben unachtsame Kopisten zunichte gemacht. DIE FURCHE: Was ist das wichtigste Ergebnis dieser Forschungen? Gastgeber: Im Zuge der Aufarbeitung des handschriftlichen Materials konnte nun die Brücke zwischen der westlichen Komputistik unter Dionysius Exiguus und der führenden alexandrinischen gefunden werden. Eine unscheinbare Tabelle in einer Mailänder Handschrift zeigt uns das Modell, nach dem Dionysius seinen neuen Kalender erstellt hat und bestätigt seine Innovation des Wechsels zur Zeitrechnung nach Christus; der ägyptische Kalender datierte noch nach Jahren des Kaisers Diokletian. Inzwischen konnte ich diese Forschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Expert(inn)en in Paris, Leuven und Dublin ausweiten. Im Lauf der Arbeit wurde mir selbst erst bewusst, welch gewaltiges Forschungspotenzial das Thema Zeit und hier besonders der richtige Ostertermin für den Menschen der Spätantike und des Mittelalters hat. Wir stülpen bei diesen Fragen automatisch unser modernes Zeitmodell über das Mittelalter und merken gar nicht, wie sehr sich diese Begriffe schon in der unterschiedlichen Dauer unterschieden. Der Zeitfaktor, die eigene Periodengliederung und die Frage, wann etwas beginnt, wer eine Periode bestimmt, ist eine soziale Fragestellung. Wer die Zeit und Periode vorgibt, hat die Macht über die Gesellschaft. DIE FURCHE: Welche Erkenntnisse der Komputistik sind auch für heute relevant? Gastgeber: Wie bei allen Erkenntnissen, die auf Ergebnissen der Naturwissenschaft basieren, ist es eine fortschreitende Entwicklung und Adjustierung. Erkenntnisse sind allerdings nie vollkommen, gerade bei naturwissenschaftlichen Phänomenen. Als Wissenschafter muss man sich auch bewusst sein, dass wir durch den Zeitgeist geprägt sind. Schon deshalb kann die Wissenschaft nie die vollkommene Wahrheit erarbeiten. Hätte die Generation der Apostel gesagt, dass wir den Tag X des Monats März bzw. den folgenden Sonntag darauf als den Osterfesttag nehmen, wären alle diese Diskussionen unterblieben. Wir hätten dann aber auch viele wichtige Überlegungen zu Mond- und Sonnenzyklus nicht. Das Problem war so eng verbunden mit dem zentralen Festtag des Christentums, dass Scharen von Gelehrten dazu forschten. Die Ostertraktate zeigen uns aber auch, wie man astronomische Phänomene auf ein simples Niveau herunterbrechen konnte, um sie jedermann verständlich zu machen. Das verdeutlichen auch die zahlreichen Texte, die bereits in der Volkssprache geschrieben wurden. Relevant sind bis heute die Grunddaten – Sonnenfrühlingswende, Vollmond des ersten Monats nach dieser Wende und folgender Sonntag.

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023