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DIE FURCHE 06.04.2023

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DIE FURCHE · 14 18 Musik & Literatur 6. April 2023 Münchens „Tannhäuser“ bei den Salzburger Osterfestspielen und „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ als ebenso zwiespältiges Finale des Monteverdi- Zyklus an der Wiener Staatsoper. Von Walter Dobner Foto: Monika Rittershaus Oper als assoziatives Bildertheater Bilderlandschaften, die mehr Fragen aufwerfen als zu einer intensiveren Erkenntnis des jeweiligen Werks beizutragen, dominieren längst neue Musiktheaterproduktionen. Die Musik kommt dabei nicht selten zu kurz, wie die diesjährige Opernproduktion der Salzburger Osterfestspiele und das Finale des Wiener Monteverdi-Zyklus wieder einmal beweisen. „Tannhäuser“ wurde noch nie bei den Osterfestspielen gespielt. Aber das war nicht der einzige Grund für diese Programmwahl. Sie hängt vielmehr mit Nikolaus Bachler, dem künstlerischen und geschäftsführenden Intendanten dieses österlichen Festivals an der Salzach, zusammen. Er hat diesen Wagner bereits während seiner Tätigkeit als Münchner Opernchef produziert und jetzt, mit anderer Besetzung, an seine neue Wirkungsstätte transferiert. Zwar hat Romeo Castellucci einiges an den Rädern seiner ursprünglichen Arbeit gedreht. Dass ihm rätselhafte Bilder mehr Anliegen sind als Personenführung, das kann er auch mit dieser quasi „Salzburger Revision“ nicht leugnen. Umso mehr überraschte, wie moderat die seinerzeit an der Bayerischen Staatsoper heftig umstrittene, überfrachtete Inszenierung in Castelluccis eigener Bühnenarchitektur im Großen Festspielhaus aufgenommen wurde. Hat man sich mit den hier gezeigten Amazonen, Fleischbergen, Sängern, die am Boden liegend auf ihren Auftritt warten, einem Kubus, der später explodiert, oder der düsteren Sargszenerie im von Ewigkeitsüberlegungen begleiteten Finalbild mittlerweile arrangiert? Schließlich sei erst nach Ende des irdischen Lebens, so der Regisseur, erfüllte Liebe möglich. Dass es in diesem Wagner neben Liebe auch um Eros geht, bleibt in dieser Lesart weitgehend ausgeblendet. Seine im Gespräch klug argumentierte Sichtweise, dass eine Gesellschaft nur rein bleiben kann, wenn sie all jene ausschließt, die im Übermaß der Lust verfallen sind, vermag Castellucci szenisch nicht zu realisieren. Mehr verhalten als glanzvoll geriet Jonas Kaufmanns mit einigen Buh-Rufen quittierter erster Tannhäuser. Untadelig Georg Zeppenfeld als steifer Landgraf, enttäuschend Marlis Petersen in ihrer ersten Wagner-Rolle als um Eigenprofil suchende Elisabeth, ordentlich die für Elīna Garanča eingesprungene Emma Bell als Venus. In einer eigenen Klasse: Christian Gerhahers liedhaft angelegter „ Mehr verhalten als glanzvoll geriet Jonas Kaufmanns mit einigen Buh-Rufen quittierter erster Tannhäuser. Untadelig Georg Zeppenfeld als steifer Landgraf. “ Wolfram. Der am Schluss mit viel Ablehnung bedachte Andris Nelsons am Pult des unterschiedlich agierenden Leipziger Gewandhausorchesters deutete mit seinen ausführlichen Tempi diesen Wagner zu einem Bühnenweihfestspiel um. Für nächste Ostern ist das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano mit Anna Netrebko und Jonas Kaufmann in einer Neuproduktion von Ponchiellis „La Gioconda“ avisiert. Spannungsarmer Monteverdi Nach der zuerst bei den Salzburger Festspielen präsentierten, choreografisch interpretierten „L’incoronazione di Poppea“ von Jan Lauwers und dem von Tom Morris überzeugend inszenierten „L‘Orfeo“, hat die Wiener Staatsoper mit dem hier erstmals aufgeführten Dreiakter „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ ihren Monteverdi-Zyklus abgeschlossen. Das Sujet erschöpfe sich nicht im Heimkehrer-Thema, sei vielschichtiger, erläutert das Regie-Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito seinen Zugang. Sie lassen es in einem sich mehrmals drehenden Bühnenbild von Anna Viebrock, die sich dafür Anleihen bei Martin Kippenbergers Installationen genommen hat, ablaufen. Im Zentrum dieser Charme meidenden Sessellandschaft mit Fliegersitzen der Business Class für die in ihrer eigenen Welt lebenden Götter (!) steht Penelopes Webstuhl. Gedacht als Sinnbild für ein engmaschiges Labyrinth, dem man entkommen muss, um zur eigenen Identität zu finden. So erfährt man es aus dem Programmbuch. Immerhin kann man dem zuweilen skurrilen Geschehen auf der Bühne entnehmen, dass letzte Vorbereitungen getroffen werden, um für Ulisses mögliche Heimkehr gerüstet zu sein. Sinnlichkeit und Liebe Im Inneren des Venusberges: Emma Bell (Venus) und Jonas Kaufmann (Tannhäuser) in Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ bei den Salzburger Osterfestspielen. Gleich den beiden früheren Monteverdi-Produktionen stand Pablo Heras-Casado am Pult des Monteverdi-erfahrenen Concentus Musicus Wien. Allerdings gelang es ihm nur in Maßen, den Farbenreichtum dieser Musik spannungsreich zu entfachen. Georg Nigl hat man schon sprühender, stimmlich frischer erlebt wie hier als Ulisse. Noch mehr enttäuschte die in diesem neuzeitlich-verkrampften Ambiente mit schwarzer Sonnenbrille bewaffnete Kate Lindsey als gestisch wie vokal vielfach unentschlossene Penelope. Solide die übrigen, meist schrill kostümierten Protagonisten. Ein enttäuschender, unerwartet lauer Premierenabend. Tannhäuser Osterfestspiele Salzburg, 9.4. Il ritorno d’Ulisse in Patria Wiener Staatsoper, 8., 11., 14.4. LEKTORIX DES MONATS Über den Tellerrand geblickt Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen Von Isaac Blum Übersetzt aus d. Englischen v. Gundula Schiffer Beltz & Gelberg 2023, 224 S., kart., € 15,50 Von Alexandra Hofer Foto: iStock/demerzel21 An Regeln muss man sich nur halten, wenn man sie nicht kennt. Das orthodoxe Judentum wurde innerhalb der Jugendliteratur bislang wenig behandelt. Umso erfreulicher ist es, wie der US-amerikanische Autor Isaac Blum den Jugendlichen Jehuda Rosen, Spitzname Hoodie, in seinem Debüt-Roman verortet. Hoodie lebt in einer orthodoxen Familie in einer orthodoxen Gemeinde im kleinen US-amerikanischen Ort Tregaron. Außerhalb seiner Gemeinschaft kennt er wenig, bis er auf Anna-Marie Diaz-O’Leary trifft: Sie ist die Tochter der hiesigen Bürgermeisterin, die ein jüdisches Wohnbauprojekt verhindern will, für das wiederum Hoodies Vater kämpft. Und in ihr manifestiert sich für Hoodie alles, was seiner Glaubenslehre nach und in seiner Community verboten ist. Dennoch, oder gerade deswegen, fühlt er sich von ihr magisch angezogen. Sie fungiert gewissermaßen als ein Fenster zu einer anderen Welt, der Hoodie einen Besuch abstattet, wenngleich er seinen Überzeugungen treu und in den Werten des orthodoxen Judentums verortet bleibt. Aus der Ich-Perspektive gelingt so eine Innenschau mit selbstironischem Ton: „Wenn du dich an stark übertriebenen jüdischen Stereotypen orientierst, dann liegst du goldrichtig. Masel tov. Ich bin ein wandelnder Bar Mizwa: mit dunklen Locken und einer ziemlich prägnanten Nase. Ich bin dünn und etwa durchschnittlich groß.“ Durchschnittlich ist der Text hingegen keineswegs. Diesen Ton beibehaltend stehen nicht nur ein erstes Verliebtsein, sondern gleichermaßen gesellschaftspolitische Themen wie das eigene Verorten innerhalb und außerhalb einer orthodoxen Community im Zentrum. Antisemitische Schmierereien auf dem jüdischen Friedhof und tätliche Angriffe auf Hoodies Freunde, die dem Text eingeschrieben werden, erschüttern die jüdische Gemeinde und geben dieser Anlass, Hoodie an den Pranger zu stellen: Erst sein Kontakt zu Anna-Marie würde den Nährboden für antisemitische Übergriffe bereiten, was darin gipfelt, dass nach einem gezielten Anschlag auf den koscheren Supermarkt die Frage nach Schuld aufs Tapet gebracht wird. Isaac Blum gelingt dieserart die Verknüpfung sensibler Themen rund um Antisemitismus, Gewalt, (religiöser) Identität und Schuldzuweisungen zu einem stimmigen Jugendromandebüt, das auf unterschiedlichen Ebenen fesselt. Ein Roman, der zum Lachen bringt, über das Leben erzählt, aber gleichermaßen zum Nachdenken anregt und mit grandiosen Nebenfiguren angereichert ist, wie Hoodies Schwester, die ganz genau weiß, wie man sich innerhalb des strengen Regelkorsetts der Gemeinde zu bewegen hat und am Ende des Textes ein Schlupfloch für Hoodie in Form eines Smartphones findet.

DIE FURCHE · 14 6. April 2023 Musik 19 Weltberühmt mit einem Stück: Am 1. April jährte sich der Geburtstag von Sergej Rachmaninow zum 150 Mal. Vor 80 Jahren, am 28. März 1943, verstarb der russische Komponist, der mit seinem Prélude in cis-Moll einen Evergreen der klassischen Klaviermusik schuf. Welterfolg in cis-Moll Von Walter Dobner Ist populär mit schlecht gleichzusetzen, schön mit billig? Wer will sich schon einfachen Geschmack vorwerfen, sich gar der Niveaulosigkeit bezeichnen lassen? Etwa, wenn man sich als Fan von Rachmaninows cis-Moll- Prélude outet. Diesem Stück, mit dem fortgeschrittene Klavierschüler oft geplagt werden und das wiederholt als Zugabe von Virtuosen geradezu herbeigesehnt wird, verdankt Sergej Rachmaninow seine weit über den Kreis von Klassik-Kennern wie -Liebhabern hinausgehende Bekanntheit. Schon fatal, wenn man sich als Komponist im Wesentlichen auf ein Opus reduziert sieht, obwohl dieses nur den Bruchteil eines reichhaltigen Schaffens ausmacht. Rachmaninow ist damit nicht alleine. Mit diesem Faktum sahen sich auch Camille Saint-Saëns oder Sergei Prokofjew konfrontiert, die von vielen bis heute so gut wie ausschließlich mit dem „Karneval der Tiere“ oder dem musikalischen Märchen „Peter und der Wolf“ in Verbindung gebracht werden. Aber ist es nicht besser, wenigstens mit einem Werk zu überleben, als völlig in Vergessenheit zu geraten? Rachmaninows Freude hielt sich jedenfalls in Grenzen, wenn das Publikum immer wieder dieses Prélude aus seinem fünfteiligen Opus 3 aus dem Jahr 1892 von ihm hören wollte. Dabei fand es bei seiner Uraufführung am 26. September 1892 wenig Beachtung. Jahrzehnte später war das schon anders, wie man einer Rezension von Ernst Newman über einen Auftritt Rachmaninows 1928 in der Londoner Queens Hall entnehmen kann, als er in der „Times“ schrieb: „Mit diesem kleinen Versuch seiner Byronschen Jugend hat er sein Glück gemacht, denn für die allgemeine Öffentlichkeit gilt dieses Prélude für Rachmaninow wie für Chaplin ein paar Sackhosen und übergroße Schuhe.“ „Vulgär-Töner“ für Tastenlöwen? Gewiefte Veranstalter taten ein Übriges, um sich dieses cis-Moll-Opusʼ als gewinnbringendes Geschäftsmodell zu bedienen. Sie avisierten es als „Brand von Moskau“, „Jüngstes Gericht“ oder „Moskauer Walzer“, um damit die Neugier des Publikums für Konzerte, auf denen dieser Rachmaninow auf dem Programm stand, noch weiter zu befördern. Der in seinen Emotionen stets zurückhaltende, geradezu skrupulös diskrete Komponist - man kann es auf seinen zahlreichen Einspielungen nachprüfen – hatte mit all dem nichts in Sinn. Im Gegenteil, er verbat sich jedwede bilderhafte Erklärung dieses Stücks. „Wenn wir die Psychologie des Préludes erkennen sollen, lassen Sie es so verstehen, dass es seine Funktion nicht ist, eine Stimmung auszudrücken, sondern sie herbeizuführen“, brachte er in einem Interview die Angelegenheit in seiner nüchternen Intellektualität auf den Punkt. Das Prélude ist absolute Musik, hat nichts mit irgendwelchen programmatischen Absichten zu tun, lautete sein Resümee. Gefruchtet hat diese Analyse nicht. Das veranlasste ihn 1921 zur Aussage: „Andere Préludes gefallen mir wesentlich besser.“ Auch das konnte weder den bis heute andauernden Welterfolg dieses cis-Moll-Prélude bremsen, noch erreichte Rachmaninow damit, dass man auch seinen übrigen Werken die gebührende Wertschätzung zollt. Das hatte wohl auch so mancher seiner Zeitgenossen nicht im Sinn. Hat dem für seine sarkastischen Urteile bekannte Theodor W. Adorno das eingängige Melos des cis- Moll-Prélude so irritiert, dass ihn dies hinderte, sich mit dessen raffinierter Struktur „ Gewiefte Veranstalter taten ein Übriges, um sich dieses cis-Moll- Opusʼ als gewinnbringendes Geschäftsmodell zu bedienen. Sie avisierten es als ‚Brand von Moskau‘, ‚Jüngstes Gericht‘ ... “ näher auseinanderzusetzen? Wäre dies der Fall gewesen, hätte er sein Diktum, dass Rachmaninow mit diesem Opus den „Nerokomplex“ dilettierender Tastenlöwen befriedigen wollte, wohl unterlassen. Trieb gar der Konkurrenzneid von Rachmaninows durchaus erfolgreichen Zeitgenossen Igor Strawinsky und Richard Strauss dazu, dass sie ihm vorwarfen, „grandiose Filmmusik“, gar „gefühlvolle Jauche“ geschrieben zu haben? Wie so oft setzte der pointierte Polemiker George Bernhard Shaw noch eines drauf, indem er bei Rachmaninow von einem „Vulgär-Töner“ sprach. Dass so manches von Rachmaninows Œuvre – neben dem cis-Moll-Prélude vor allem das zweite Klavierkonzert und die zweite Symphonie – von der Film- und Unterhaltungsindustrie schamlos ausgebeutet wurde, um effektvoll auf Tränendrüsen zu drü cken, hat es bis heute nicht einfacher gemacht, vorurteilslos seiner Musik zu begegnen. FEDERSPIEL Der Gesetzgeber übt noch Foto: imago / Gemini Collection Sergej Rachmaninow In seinen 70 Lebensjahren war der Komponist (1873‒1943) sehr produktiv. Er schuf Symphonien, Klavierkonzerte, Kammermusik, Chorwerke, Lieder und Opern. Aber wäre nicht jetzt, in diesem doppelten Gedenkjahr, die Zeit dafür reif, sich eingehender mit Rachmaninow zu beschäftigen? Etwa um zu sehen, wie unterschiedlich kunstvoll er seine drei Symphonien konzipiert hat? Oder um zu erkennen, dass es sich bei seinen vier Klavierkonzerten nicht bloß um Virtuosenliteratur handelt, sondern um Werke für Virtuosen, die in der Lage sein müssen, deren gedankenvollen Strukturen profund zu analysieren, denn erst dann entfalten sie ihre Größe, verharrt die Musik nicht in sprichwörtlich „schönen Stellen“. Wie viele wissen um die Bedeutung der Dies irae-Sequenz in Rachmaninows OEuvre? Wer kennt sein umfängliches Vokalwerk, wer seine vom gleichnamigen Bild Arnold Böcklins inspirierte Symphonische Dichtung „Die Toteninsel“, wer sein Opernwerk? Über Gedenkjahre wird gerne gelästert, ihre Inflation oft heftig kritisiert. Aber sie bieten auch Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen, manche rasch hingeworfenen Klischees, die meist nur durch fragwürdiges Halbwissen gestützt werden, zu hinterfragen, um zu einer fundierten Einschätzung zu kommen. Damit lässt sich so manches tradierte Bild zurechtrücken. „Schönheit ist immer etwas Hinzugewonnenes, und wir wissen nicht was“, heißt es bei Rilke. Das ließe sich doch auch auf Sergej Rachmaninow münzen, so man die Offenheit besitzt, sich auf die Schönheiten, aber auch auf die Substanz seiner Musik wirklich einzulassen. Wenn natürliche Intelligenzen versuchen, so zu denken, als wären sie künstliche, kommt als Ergebnis, höflich ausgedrückt, natürliche Unintelligenz heraus. Ein Beispiel dafür liefert der in Begutachtung gegangene Gesetzestext zur Verschärfung des § 207a des Strafgesetzbuchs „Pornographische Darstellungen Minderjähriger“. Wenn die Politik einen prominenten Anlassfall braucht, um über sinnvolle Gesetzesreformen nachzudenken, hat das einen schlechten Beigeschmack; wenn sie das tut, weil die Zuständigen ihren Reformeifer für populär und medienwirksam halten, erst recht. Aber es können bekanntlich gute Dinge auch aus Bestrebungen von zweifelhafter Motivation erwachsen. Nun sollte also die „pornographische Darstellung einer minderjährigen Person“ (in Deutschland spricht der § 184b von „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“) wegen der ihr innewohnenden Verharmlosung durch die „Darstellung von Kindesmissbrauch“ ersetzt werden. So weit, so nachvollziehbar. Im Gesetzesentwurf ist nun allerdings – neben anderen sprachlichen Missgeschicken – von „bildlichem sexualbezogenem Kindesmissbrauchsmaterial“ die Rede. Dies sei, hieß es, an den englischen Terminus „Child Sexual Abuse Material“ (CSAM) angelehnt, der sich international durchgesetzt habe. Ein Gesetzestext hat aber andere Erfordernisse als der Artikel einer kriminalpsychologischen Fachzeitschrift: Er muss klar und verständlich formuliert sein, und zwar in der Amtssprache, und die ist hierzulande Deutsch. „Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial“ statt schlicht „Darstellungen von sexuellem Missbrauch Unmündiger“ (passend zum einschlägigen Tatbestand) klingt wie das, was es ist: eine mehr als unbeholfene Übersetzung aus einer Fremdsprache. Vom Coolness-Faktor des Englischen bleibt da nichts als eine neue Verharmlosung durch Verklausulierung. Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin. Von Daniela Strigl

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