14 · 6. April 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– DIE FURCHE wünscht ihren Leserinnen und Lesern ein frohes Osterfest – und hofft auch 2023 auf gerechten Frieden für alle. Bild: Dorota Sadovská Das Bild „Blue Green Christ“ (Öl auf Leinwand) der slowakischen Künstlerin Dorota Sadovská hängt zurzeit in der Apsis der Ruprechtskirche in Wien. Der Körper Jesu befindet sich nicht am Kreuz, sondern schwebt in der Fläche eines grünen Kreises: Christus, der Gekreuzigte, ist hier schon der Auferstehende (www.ruprechtskirche.at). INTRO Es ist alles sehr kompliziert. Aber kaum etwas war und ist so kompliziert und raffiniert wie die Bestimmung des Ostertermins. Otto Friedrich entführt im dieswöchigen Fokus „Kalenderfragen“ in die faszinierende Welt der „Komputistik“. Auf bedrohliche Art kompliziert ist die aktuelle Lage in Israel – und in Nordirland, wo sich das Karfreitagsabkommen zum 25. Mal jährt. Spannende Gastkommentare finden Sie im Anschluss: Wolfgang Fasching fragt, warum Zugreisen nachhaltig unattraktiver sind als Flüge, Peter Huemer fragt umgekehrt im „Diesseits von Gut und Böse“, wo der eigentliche „Untergangsirrsinn“ zu Hause ist – und der einstige Corona-Impfkoordinator Clemens Martin Auer verwahrt sich im Rückblick gegen „dümmliche Rechthaberei“. Dringend empfehlen möchte ich Ihnen weiters Henning Klingens Essay zum theologischen Schweigen in puncto Weltuntergang, Daniel Jurjews Essay über den russischen Futuristen Velimir Chlebnikov, Walter Dobners Würdigung von Sergej Rachmaninow und Thomas Schmidingers Erfahrungsbericht über ein Erasmussemester im globalen Süden. Herzlich bitten möchte ich Sie schließlich, an unserer Leser(innen)-Umfrage teilzunehmen und uns damit zu helfen, noch besser zu werden. Das ist übrigens nicht kompliziert, sondern ganz einfach (s. Seite 6). Danke! (dh) Das leere Grab, von dem in den Osterberichten der Evangelien die Rede ist, war für die ersten Zeuginnen ein Zeichen für die Auferstehung. Was aber, wenn dieses gemeinhin als Inbegriff der Hoffnung verstandene Bild zum Symbol der Leere geworden ist? Auf nach Galiläa! Von Otto Friedrich O stern ist, und die Christinnen und Christen erinnern einmal mehr an den Gründungsglauben ihrer Religion: „Das Grab ist leer“, so zitieren die biblischen Berichte die ersten Zeuginnen des Geschehens. Die Christenheit versteht dies als untrüglichen Hinweis auf die Auferstehung Christi, auf die Überzeugung, dass er lebt. In den Liturgien der Kartage wird das Sterben Jesu und die Überwindung des Todes durch ihn in einem heiligen Spiel nachgeahmt. Jahr für Jahr. Auch heuer wieder. Doch zumindest in den hiesigen Breiten ist derartige Überzeugung längst nicht mehr Common sense. Ein Trend, der durch die Pandemie mutmaßlich noch verstärkt wurde, scheint evident: Die Religiosität, so legen es Studien nahe, nimmt rapide ab, nicht nur die Bindung an Institutionen wie die Kirchen bröckelt massiv, auch der Gottesglaube schwindet jedenfalls in den „westlichen“ Gesellschaften. Sogar Kardinal Christoph Schönborn musste zuletzt in der „ Das leere Grab wird Synonym für den Abwesenden, den die Welt eh nicht braucht, weil sie sich aus sich selber weiter dreht. “ ORF-Pressestunde seufzend konzedieren, dass den Menschen nichts mehr abgeht, wenn sie etwa Gottesdienste nicht mehr besuchen. Das Bild des leeren Grabes bekommt unter solchen Auspizien einen neuen, durchaus prekären Inhalt: „Was der Inbegriff der Hoffnung und des Trostes sein könnte, ist zum Symbol der Leere geworden. Sogar damals sind die Frauen voll Furcht und Zittern vom Grab Jesu weggerannt“, schrieb die Theologin und christliche Publizistin Christiane Bundschuh-Schramm jüngst in einem Essay über das Fehlen Gottes. Aus der Zeit gefallene Hierarchen Die Erfahrung der Leere ist, wie Bundschuh- Schramm weiter ausführt, durchaus konstitutiv fürs herrschende Lebensgefühl: „... die Demokratie, die man für eine Konsens hielt, wird hinterfragt, der Klimawandel […] ist zur Klimakatastrophe geworden […] Corona ist nach wie vor nicht vorbei.“ Und sie zitiert auch den Soziologen Armin Nassehi, für den Krise „der Dauerzustand“ ist. Das leere Grab wird da zum Synonym für den Abwesenden, den – siehe oben – die Welt eh nicht braucht, weil sie sich auch aus sich selber weiter dreht. Irgendwie jedenfalls. Es mutet da aus der Zeit gefallen an, wenn sich aktuelle Hierarchen immer noch nicht bewegen wollen, um in der Institution Kirche wenigstens die gröbsten systemischen Baustellen anzugehen. Erzbischof Franz Lackner, der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, wollte zuletzt weder in Sachen Priesterzölibat aktiv werden noch die Möglichkeit, Frauen zu Dia koninnen weihen zu können, unterstützen. Und Amtsbruder Schönborn meinte in der Pressestunde einmal mehr, die Erfüllung von Forderungen nach Reform werde die Kirchenkrise nicht lösen. Ja eh. Aber so weiter tun wie bisher, ist um nichts besser. Und man muss die geistlichen Herrn schon auch fragen, ob sie die Osterevangelien ernst nehmen: Dort waren es Frauen, die die Auferstehung bezeugt haben und denen von den Aposteln nicht geglaubt wurde. Wie kann es dann sein, dass Frauen immer noch Christinnen zweiter Klasse bleiben müssen? Es betrifft im Übrigen nicht nur die Protagonisten institutioneller Religion, die die Zeichen der Zeit so gar nicht verstehen können. In dieser Situation fehlt auch „die Stimme der Theologie“, wie der Publizist – und Theologe – Henning Klingen schreibt (Seite 10 dieser FURCHE): „Nicht, um mit billigem Trost oder der donnernd auf den Tisch schlagenden göttlichen Faust aufzuwarten, sondern ... um den Handlungsspielraum offen und Umkehr möglich zu halten.“ Christiane Bundschuh-Schramm empfiehlt hier, das leere Grab als Anstoß zu sehen, mit der aktuellen, auch spirituellen Leere umzugehen: „Es ist nicht mehr möglich, den Menschen einen orthodoxen Glauben abzuverlangen […] Wir müssen als Kirche mit weniger Glauben auskommen, mit Suchen, Zweifeln, mit Stammeln und Ahnen, mit Wolke und Schweigen.“ Und man möchte hinzufügen: In den Osterberichten wird den verstörten Frauen am leeren Grab gesagt, sie sollten von Jerusalem weg gehen „nach Galiläa“, also an eine Peripherie – dort würden sie den Auferstandenen sehen. Wäre nicht genau dies ein Bild, an das sich eine verzagte Christenheit gerade in diesen Tagen erinnern könnte und sollte? furche.at otto.friedrich@furche.at @ofri_ofriedrich Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE