DIE FURCHE · 1020 Theater6. März 2025Von Christine Ehardthaben dieKunst, umnicht an derWahrheit zugrundezu„Wirgehen“: Ein Zitat von FriedrichNietzsche eröffnet das langersehnteComeback JoachimMeyer hoffs am Burgtheater. Mit„Der Fall McNeal“ überzeugt daseinstige Ensemblemitglied inzweistündiger Bühnendauerpräsenzsein Wiener Publikumals einnehmender Widerlingund erfolgsverwöhnter SchriftstellerJacob McNeal.Ayad Akhtars Drama überKunst, Künstliche Intelligenz(KI), Macht und Missbrauchwurde erst vor fünf Monaten amBroadway mit Robert Downey jr.als Titel(anti)held uraufgeführtund sowohl von Kritik als auchPublikum gefeiert. Der amerikanischeErfolgsautor und Pulitzerpreisträgerstellt hier dasSchreiben selbst ins Zentrumseiner Auseinandersetzung umdie Frage, ab wann Inspirationzum Ideenklau wird und wieviel menschliche Eigenleistungin einem künstlerischen Werkstecken muss. Dazu verlegt ersein Stück in eine nahe Zukunft,in der es bereits drei computergenerierteBücher auf die Bestsellerlistengeschafft haben. Fürdie deutschsprachige Erstaufführunghat Daniel Kehlmanndas Schauspiel übersetzt, dasin Jan Bosses Regie viel von seinergefälligen Well-made play-Ästhetik behält.Lug und TrugIm grauen Anzug betrittMeyer hoff die Bühne, um in Interaktionmit einer der zahlreicheingesetzten Technikspielereienzu treten. Eine Kamera projiziertden Zuschauerraum aufdie leere Bühnenwand, bevordie Spiegelung verschwindet,FEDERSPIELSeltsame ErdeDankbarkeit ist keine politische Kategorie. Mankann sich selbst dankbar sein, dass man richtiggewählt hat; wenn man überhaupt eine Wahl gehabthat. Ich bin froh, dass sich die Koalition zum Kompromissdurchgerungen und uns nicht kompromittierthat. Das Böse scheint in Schach. Nur: Die Nachricht überdie Kompromittierung des Kämpfers, der den Westen vorDiktatur schützt, zeigt: Alles bleibt möglich. Der US-Präsidentwirkt als Vollstrecker des russischen Vernichtersvon Freiheit und Selbstbestimmtheit, mitten im Land derunbegrenzten Möglichkeiten. Die ganze Welt steht kopf,und ich frage mich, ob sie je Beine hatte. Wie lange hältdie Ukraine ohne amerikanische Hilfe durch, damit Europadem Krieg entkommt? Dankbarkeit ist nun in europäischenWaffenlieferungen auszudrücken. Das Geld istvorhanden, heißt es. Aus eingefrorenen russischen Vermögenund Covidreserven. Daraus soll Frieden werden,für Kinder soll eine Welt aus Respekt und Liebe entstehen.Zu viele Opfer wurden gemacht. Die Grünen sind bei uns,sie erden. Wo holen wir die Kraft für die Hoffnung her?Foto: Tommy HetzelGetragen von einem famosen Ensemble zeigt das Burgtheater AyadAkhtars Drama „Der Fall McNeal“. Nuancenreich werden Themen wieUrheberschaft und Ausbeutung im Literaturbetrieb verhandelt.Im KI-gesteuertenGefühlstheaterkinoViele haben kein Refugium, und alleswurde ihnen genommen, undsie setzen sich trotzdem für die Verantwortungein. Respekt und Liebesind emotional aufgeladene Begriffe. Kann Emotion Hoffnungschaffen?Ich klopfe mir auf die Schulter, hoffe, dass die Dreierkoalitionsich demütig in Dankesschuld übt, weil ich aufgute Weltzeiten zusteuern möchte. Im Vorzimmer liegtmein Buch, frisch aus der Druckerei. Ich wünschte mirviele Leserinnen und Verbreitung, was nur gelingt, wennwir keinen Kulturprovinzialismus haben, sondern Offenheitund Solidarität. Jetzt bin ich wieder in Österreich gelandet.Wie soll es weitergehen, das frage ich mich. AlleSchutzengel anschreiben, damit der Heilige Geist in Amerikazu Pfingsten aufgeht? Statt Heiliger Geist lieber dieVernunft! Wir sind Menschen. Wir schaffen Wunder. Ichhätte mir auch nie zugetraut, Bücher zu schreiben.Die Autorin ist Schriftstellerin.Von Lydia Mischkulnig„ Fiktion versusRealität, Wahrheitversus Lüge, Menschversus Computer undobendrauf noch dieMeToo-Debatte. “Zwielichtiger StarSpielfreudig mimt JoachimMeyerhoff den titelgebendenErfolgsautor Jacob McNeal.Sein skrupelloser Umgangmit fremden Ideen wirdschonungslos offengelegt.macht er noch schnell ein paarSelfies unter den launigen Kommentarendes Publikums („Fotografierenist im Theater verboten“),bevor er vom Chatbotwissen möchte, wann er dennmit einem Nobelpreis rechnenkann. Für Zukunftsaussagenhat die KI aber keine zufriedenstellendeAntwort parat, dafürgeben die projizierten Ultraschallbildervon der Leber desalkoholkranken Schriftstellergenieseine düstere Prognoseab. In vier Monaten ist Schluss,so die KI-gestützte Diagnoseseiner Ärztin (Zeynep Buyraç).Da kommt die Nachricht des Nobelkomiteesnoch gerade rechtzeitig.In einer launigen Zeremonie,in der Aufnahmen derVerleihung inklusive schwedischerRoyals zu sehen sind, verteufeltMcNeal die digitale Weltund ihre Mittelmäßigkeit, umanschließend seiner Agentin(Dorothee Hartinger) zu gestehen,dass er zur Verbesserungseiner Bücher gerne auf digitaleHilfsmittel zurückgreift.Hässliche WahrheitenDem Erfolg seines neuestenWerks „Evie“ soll das aber nichtim Weg stehen, nur sein gequälterSohn (Felix Kammerer) könnteeinen Strich durch die Erfolgsbilanzziehen, denn der in derPerspektive einer Frau verfassteRoman stammt eigentlichvon dessen verstorbener Mutter.Kammerer, der in der Szene davorbereits als Bill-Kaulitz-Lookalikeeine (laut McNeal)„rattenscharfe“Assistentin gab unddabei vor Komik und Energiestrotzte, geht vor der digital erschaffenenBücherwand mit vollemKörpereinsatz gegen seinenkaltherzigen Vater an.Leider läutet diese Szene denrapiden Fall der Inszenierungein, mit viel zu viel Pathos erinnerndiese und die weiteren Auseinandersetzungenan schlechtesHollywoodkino. Überhauptgleiten die Dialogszenen zusehendsins Melodramatische ab.Einzig die junge Reporterin derNew York Times (Safira Robens),bei deren Interviewszene Bildervon Harvey Weinstein und Coals Collage auf dem Bühnenhintergrundprangen, hat noch Relevanteszu sagen und verweist,nachdem sie von McNeal all seinehässlichen Wahrheiten präsentiertbekommen hat, auf dieHoffnung, dass Männer wie erzum Aussterben verdammt sind.Am Ende verdoppelt sich Meyerhoff:Während sich der Autorauf der Videowall vor Schmerzenwindet, schaut er von derBühne aus zu, bevor ein computergenerierterAbschiedsbriefdas überbordende Gefühlstheaterkinobeendet.Fiktion versus Realität, Wahrheitversus Lüge, Mensch versusComputer und obendraufnoch die MeToo-Debatte, in dieserAufführung werden vieleGegenwartsthemen angesprochen,ohne konkrete Aussagenzu treffen. Auch wenn man sichnur allzu gerne von der einnehmendenBühnenpräsenz Meyerhoffsverführen lässt, könnennicht alle Schwächen des Stücksvom agilen Ensemble kaschiertwerden.Der Fall McNealBurgtheater: 12., 22.3., 1., 9., 13.4.
DIE FURCHE · 106. März 2025Film21„Ein Tag ohne Frauen“ erzählt die Chronologie eines nie dagewesenen Streiks, der Islandfür einen Tag komplett lahmlegte und dadurch so einiges in Gang brachte.Ihre Zahl ist ihre StärkeVon Alexandra ZawiaEin sehr langer Freitag war das inder Erinnerung der isländischenMänner, als am 24. Oktober 1975überwältigende 90 Prozent allerFrauen im Land die Arbeit niederlegtenund sich zum Streik versammelten.„Ein Tag ohne Frauen“, wie auch PamelaHogans neuer Dokumentarfilm heißt, sollteverdeutlichen, wie wichtig die von Frauenverrichtete Arbeit ist – und dass sie selbstverständlichin gleicher Höhe bezahlt werdensoll wie die der Männer. Ein Streik, derGeschichte schrieb und für Island tatsächlichnachhaltige Veränderungen brachte.Und ein Tag der vielen „ersten Male“, an demdie Männer plötzlich alles selbstmachenmussten. Kochen, waschen, ihren eigenenKaffee! Windeln wechseln, die Kinder betreuenund arbeiten!Rote Strümpfe, klares ZielAber wie konnte es so weit kommen? DieFrauen hatten doch schon „alles“? Stolzund Erfüllung in Form ihrer Kinder sowieeines erfolgreichen Ehemanns – und einereigenen Waschmaschine! Was sie zu tunhatten, war doch lediglich, Make-up aufzulegen,bevor der Gatte aufwachte.Viele von jenen isländischen Frauen, dieRegisseurin Hogan berichten lässt, saßenals Kinder oft heimlich unterm Küchentisch,wenn sich ihre erschöpften Mütterüber Träume und ein gleichberechtigtesLeben unterhielten. Je mehr sie lauschten,desto weniger verstanden sie, warum esnicht möglich sein sollte, dass sie zum BeispielKapitänin, Anwältin oder anerkannteBäuerin mit eigenemHof werden.Feministische Bewegungeninspiriertensie, und sie schlossensich als „Rotstrumpf-Frauen“ zusammen,um Aktionen fürGleichberechtigung zustarten. Sie sabotierteneinen Schönheitswettbewerb,indem sieeine „schöne“ weiße Kuh auf die Bühnebrachten und damit für einen derartigenEklat sorgten, dass Island in den nächstenzehn Jahren keinen Bewerb veranstaltete.Was sie damit auch zutage förderten, wardie permanent latente Misogynie der breitenGesellschaft. Die „Rotstrümpfe“ wärenselbst „zu hässlich, um einen Mann abzubekommen“,würden das „Gesetz der Natur“missachten, frau kennt’s. Als die UNO1975 das erste internationale Frauenjahrausrief, stand der Entschluss für einen kollektivenStreik fest: Am 24. Oktober 1975sollten sich alle Isländerinnen zum „FreienTag“ versammeln.Hogan findet subtil-allegorische Bilderfür den Kampfgeist und die Klarheit dieserFrauen, die sich stimmig einfügen ineine dramaturgisch effektiv gestalteteCollage aus persönlichen Fotos der Gruppe,Archivaufnahmen des Streiks und„ Was bis dahin reinprivate Gründe füreine Verbesserung derZustände waren, warjetzt gemeinsames,universelles Anliegen. “den Gesprächssituationenmit den witzigen,reflektierten Organisatorinnen,aberauch beteiligten Männern.Die besondereAtmosphäre dieses Tageswird tatsächlichfühlbar, der Momentder Geschichtsschreibunggreifbar, daseigens komponierteProtestlied „Wollen, Wagen, Werden“ zurHymne. Ein Kameraschwenk über die Menschenmengebleibt an einem Türschildhängen: „Women Common ChangingRoom“, und man versteht, wie es sich angefühlthaben muss. Was bis dahin reinprivate Gründe für eine Verbesserungder Zustände waren, war jetzt gemeinsames,universelles Anliegen, alle sind imselben „Raum“, ihre Zahl ist ihre Stärke.So ist Veränderung möglichEin Tag ohne FrauenUSA/ISL 2024. Regie: Pamela HoganPolyfilm. 70 Min.Moment derGeschichteAm 24. Oktober1975 streikten90 Prozent allerIsländerinnenfür Gleichstellungin Beruf undGesellschaft.FANTASYDie Endzeit isteingeläutetmit dem Overlord! Niedermit der Kirche!“ Nach dem „letztengroßen Krieg“ haben sich die „Niederletzten Menschen in einem Eisenerznachtbauzusammengerottet: Denn die Sonnescheint für die Ausgebombten nicht mehr.Niedergehalten werden sie von Ordensrittern,die den Befehlen des Patriarchen Johan(James Fraser) folgen, erst seine Legitimationverleiht der Monarchin Gravität.Die neue Königin (Amara Okereke) sehntsich danach, sich ihrem Totemtier – SigmundFreuds „Totem und Tabu“ lässt grüßen– anzuverwandeln, um mit ihremGeliebten, dem Gestaltwandler/WerwolfBoyce (Ex-Wrestler Dave Bautista), gemeinsamjagen gehen zu können. Eine berüchtigt-gefürchteteHexe soll ihr diese magischeGabe bringen – also macht sich GrayAlys (Milla Jovovich) in die Lost Lands auf:gemeinsam mit Boyce, der im zivilen LebenMonster jagt und seiner Verwandlungschon entgegenfiebert. Die Revolutionsfilmevon Fritz Lang („Metropolis“) und SergejEisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“)mögen der Kameraarbeit als Vorbilder imvisuellen Design gedient haben. Auch hier,in dieser endzeitlich-eschatologischenZweiklassengesellschaft, begehren die Arbeiterauf. Regisseur Paul W. S. Anderson(„Resident Evil“-Reihe) lässt in seinem GothicWestern bzw. seiner Dark Fantasy – einerReise ans Ende der brutalen (Vollmond-)Nacht – keine Gelegenheit für einen blutgetränktenSchwertkampf oder Schusswechselaus: Die Letzte und Verlorene Welt istso gnadenlos wie hypnotisierend. Die Vorlagebasiert auf einer Kurzgeschichte vonGeorge R. R. Martin („Game of Thrones“),der dem Vernehmen nach – im Falle einesfilmischen Erfolgs – für ein Sequel zur Verfügungsteht. (Rudolf Preyer)In the Lost LandsUSA 2025. Regie: Paul W. S. Anderson. Mit MillaJovovich, Dave Bautista. Constantin. 101 Min.Gray Alys (Milla Jovovich) macht sich mit Monster jägerBoyce auf die Suche nach einer Magierin.SCIENCE-FICTIONMenschen aus dem 3D-DruckerWenn man schon Vergleicheanstellt, sollte man zu BongJoon-hos Eiszeitdystopie„Snowpiercer“ aus dem Jahr 2013 zurückgreifen,wo die polarisierte Gesellschaftin einem dahinrasendenZug durch die globale Kältewüste gefangenund ebendort zum Kampf Gutgegen Böse gezwungen wird. Unddoch hat „Mickey 17“, der achte Filmdes südkoreanischen Starregisseurs,einiges mit seinem Oscar-Erfolg„Parasite“ (2019) gemeinsam: Zumindestdas kreative wie komödiantischeWidersetzen von denen da unten gegendie da oben ist hier wie dort eindramaturgisches Treibmittel.Ausgangsidee von „Mickey 17“,der filmischen Adaptation eines Romansvon Edward Ashton, ist die Fragenach der Identität von Identischen.Genauer gesagt geht es um identischemenschliche Replikationen: Allephysischen und psychischen Informationeneines Individuums werdengespeichert und dann, wenn das Individuumverstorben ist, mittels eines3D-Menschen-Druckers wieder zumLeben erweckt. Menschen, die sichzu diesem Prozess bereiterklären,sind expendables, also austauschbareWesen. Der als etwas plakativ-plumperDonald-Trump-Verschnitt angelegtekorrupte US-Senator KennethMarshall (Mark Ruffalo) und seineHigh-Society-Lady Ylva (Toni Collette)rekrutieren diese mit allerlei Versprechungen;so auch Mickey, dessen17. Version zu Beginn des Films aufeinem eisbedeckten Planeten in eineGletscherspalte stürzt. Dummerweisebeeilt sich dieser aber keineswegs,wie geplant, zu sterben. Weilaber mittlerweile Mickey 18 dem3D-Drucker entsprungen ist, begegneneinander alsbald zwei idente Individuen,die aber doch nicht gleich,sondern zueinander so wie Tag undNacht sind.Eine reizvolle Konstellation, in dersich existenzielle Fragen nach Individualität,Identität, Moralität und Hoffnungwiderspiegeln. Auf dem unwirtlichenPlaneten hausen dann nochHeerscharen von intelligenten Riesenasseln,die sich Mickey 17 und Mickey18 sowie den Lebensentwürfengegenüber, die hinter beiden stehen,als menschenfreundliche wie menschenfeindlicheWesen entpuppen.„Mickey 17“ bietet Robert Pattinson die Chance, in einem Film gleich mehrfach aufzutreten.Der Film ist neben allen philosophischen,aber auch absurd-komödiantischenElementen vor allem ein Schauspielfestfür Robert Pattinson, der alsMickey 17 und 18 (und manchmalauch beides gleichzeitig) eine darstellerischeLeistung an den Tag legt, diezeigt, wie sehr er sich über seine Per-formance als Teenie-Star bereits weiterentwickelthat. Allein deswegenlohnt es sich, „Mickey 17“ im Kino zugenießen. (Otto Friedrich)Mickey 17USA 2025. Regie: Bong Joon-hoMit Robert Pattinson. Warner. 139 Min.
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